Verbreitet Wolfgang Gedeon antisemitische Stereotypen und ist Antisemitismus in der AfD, sowohl in westlichen als auch in östlichen Landesverbänden, kein Hindernis für eine Politikerkarriere? Diesen Fragen widmet sich der Experte der Antisemitismusforschung Wolfgang Benz in seinem Beitrag.
Wer auf die Idee käme, Experten-Gutachten zu bestellen, ob die Erde eine Scheibe ist oder ob das Einmaleins mathematischer Logik folgt oder auch, ob Hitler und Stalin liberale Demokraten waren, der würde nur ausgelacht. Und das zu Recht, denn es geht um Tatsachen, die evident jenseits von Mutmaßung und Gefühl sind. Freilich steht es jedem offen, an existierende Realität nicht zu glauben. Er nimmt, wenn er solches öffentlich macht, allerdings in Kauf, dass man ihn für einen Narren hält. Möglicherweise findet der Realitätsverweigerer jedoch Gleichgesinnte. In der Causa Gedeon ist das offensichtlich der Fall. Wovon ist die Rede?
Causa Gedeon
Als Abgeordneter der Alternative für Deutschland (AfD) wurde Wolfgang Gedeon im März 2016 in den Landtag von Baden-Württemberg gewählt. Im Mai legte er einen alternativen Entwurf zum Programm seiner Partei vor, der beim Stuttgarter Programm-Parteitag aber nicht einmal diskutiert wurde. Darin warnte Gedeon vor einem "Zionismus durch die Hintertür". Seit dem 5. Juli 2016 ist er fraktionslos. Von Beruf Arzt, ist seine Leidenschaft das Schreiben, deshalb nennt er sich Philosoph und neuerdings Politiker. Unter dem Pseudonym W. G. Meister hat er vor ein paar Jahren ein dreibändiges Werk veröffentlicht (in einem Bezahlverlag, der ohne eigene Anteilnahme alles druckt) mit dem Titel: "Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam". In dem Werk ist von "einer Versklavung der Menschheit im messianischen Reich der Juden" die Rede. Das antisemitische Pamphlet „Die Protokolle der Weisen von Zion“ nennt Gedeon in seinem Buch „Der Grüne Kommunismus“ eine ernsthafte Quelle und stemmt sich gegen jede wissenschaftliche Forschung, die den Text vor Jahrzehnten als Fälschung entlarvt und immer neue Beweise dafür vorgelegt hat. Gedeon präsentiert sich mit seiner Sympathie für die "Protokolle" als "lupenreiner Antisemit".
Gedeons Buch wurde unter Klarnamen vor vier Jahren veröffentlicht. Gemerkt hat das in der Partei AfD anscheinend keiner, jedenfalls wurde es nicht missbilligt. Als öffentlich wurde, "wes‘ Geistes Kind" der philosophierende Mediziner ist, wollten Parteifreunde ihn aus der Fraktion ausschließen. So hieß es wenigstens. Aber dann wurde Gedeon lediglich rechts außen am Katzentisch platziert und die Entscheidung vertagt, bis eine Kommission aus Wissenschaftlern in Gutachten geklärt habe, ob die "Protokolle der Weisen von Zion" ein bösartiges judenfeindliches Konstrukt sind, ob der Abgeordnete Gedeon ein Antisemit sei und deshalb die Fraktion verlassen müsse.
Schadensabwehr und Verzögerungstaktik
Da der Antisemitismusvorwurf im politischen und sozialen Zusammenhang zu den am stärksten Reputation und Karriere beschädigenden Feststellungen gehört, ist die Neigung zum Verharmlosen und Verleugnen besonders groß. Das erweist sich immer wieder aufs Neue und die eindeutigen Erkenntnisse und Definitionen der Antisemitismusforschung wiegen gering gegenüber dem Eifer, Schaden von Personen oder Institutionen abzuwenden. Man müsse erst einmal klären, was Antisemitismus denn sei und dann entscheiden, ob im betreffenden Fall der Verdacht begründet sei, lautet die Standardabwehr. So war es auch in der Causa Gedeon, als die Stuttgarter AfD-Fraktion glaubte, Gutachten bei Experten bestellen zu müssen, um den Fall zu klären. Dass Gedeon in seinen Schriften mit notorischen Holocaustleugnern sympathisiert, dass er in typischer Weise Juden stigmatisiert und mit abgefeimten Wendungen verbal ausgrenzt, war seinen Fraktionskollegen und sonstigen Parteifreunden nicht deutlich. Das lässt Rückschlüsse auf deren Weltbild zu.
Die Stuttgarter Fraktion zerbrach ohne wissenschaftliche Klärung, ob Antisemitismus zu konstatieren und wie die Tatsache zu bewerten sei, dass ein Schlüsseldokument der Judenfeindschaft von einem Abgeordneten in einem demokratischen Parlament als seriöse Quelle verteidigt wird. Am 5. Juli 2016 bewog die Bundesvorsitzende Frauke Petry den Abgeordneten Gedeon, die Fraktion zu verlassen. Die hatte sich gerade gespalten in die neue "Alternative für Baden-Württemberg" unter Führung des mit Petry gleichberechtigten aber mit ihr darüber gründlich zerstrittenen Jörg Meuthen und die Rumpffraktion, die trotz seines Odiums als Antisemit zu Gedeon hielten. Das Chaos in der Partei ist hier nicht Gegenstand weiterer Überlegungen. Von Interesse ist aber, ob Gedeon, der von Parteifreunden als sonderbarer Eiferer dargestellt wird, ein Einzelfall ist, oder ob Antisemitismus – hinter vorgehaltener Hand oder offen im patriotischen Eifer des Gefechts – in der AfD konsensfähig ist. Ahnungslosigkeit über die Qualität der von Gedeon in seinem Buch als Beweis zionistischen Machtstrebens insinuierten "Protokolle der Weisen von Zion" ist kaum glaubhaft.
Was es mit den "Protokollen" auf sich hat, kann man in jedem Handbuch, Lexikon, oder auf Wikipedia nachlesen. Seriöse Fachliteratur gibt es außerdem reichlich. Gedeon weiß es aber besser und für seine Position hat er Gefolgschaft in der Partei. Man darf also mutmaßen, es gibt unter anderem nicht nur reaktionäre Nationalisten, Rassisten und Völkische, Fremdenfeinde und Islamhasser, es gibt auch Antisemiten in dieser "Alternative für Deutschland".
Eindeutige antisemitische Fälschung: Die "Protokolle der Weisen von Zion"
Die "Protokolle der Weisen von Zion", am Ende des 19. Jahrhunderts von der zaristischen Geheimpolizei aus mehreren Vorlagen (wie dem Schauerroman „Biarritz“ des Herrmann Goedsche alias Sir John Retcliffe und dem politischen Traktat Maurice Jolys „Ein Streit in der Hölle“) kompiliert und erstmals in Russland publiziert, wurde, obwohl als plumpe Fälschung leicht erkennbar, in vielen Auflagen und Übersetzungen zum weitest verbreiteten antisemitischen Pamphlet, das eine "jüdische Weltverschwörung" zum Gegenstand hat: Auf einer "geheimen Konferenz" sollen Vertreter des "internationalen Judentums" die Strategie zur Erlangung der Weltherrschaft (über dominierenden Einfluss in Wirtschaft, Finanzen, Medien und Kultur) festgelegt haben. In Deutschland wurden die "Protokolle" in verschiedenen Versionen ab 1919 verbreitet. Sie spielten in der völkischen Propaganda eine wichtige Rolle und hatten Einfluss auf Hitler, Rosenberg und andere Ideologen des Nationalsozialismus. Ein Prozess in Bern, veranlasst durch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, entlarvte 1935 den "dokumentarischen Bericht" als Fälschung, was die Wirkung des judenfeindlichen Pamphlets aber nicht beeinträchtigte. Die "Protokolle" sind auch nach dem Holocaust, nach einer Renaissance in Osteuropa über ein Jahrhundert nach ihrer Entstehung, überall auf der Welt als zentrales Manifest des Antisemitismus präsent.
Gedeons "Zeugen"
Der Abgeordnete Gedeon nimmt das judenfeindliche Konstrukt "Protokolle" ernst und bemüht dazu Referenzen wie einen Autor namens Johannes Rothkranz. Der ist ein Ultrafundamentalist, dem die katholische Kirche 1985 nach dem Theologiestudium in Regensburg die Priesterweihe verweigerte und der 2006 auch von der reaktionären Pius-Bruderschaft exkommuniziert wurde. Rothkranz hat sich das Ziel gesetzt, die Ankündigungen "Protokolle" als de facto erfüllt nachzuweisen. Damit glaubt der Magister der Theologie den gleichen antisemitischen Konstrukten wie Gottfried zur Beek alias Müller, Theodor Fritsch, Alfred Rosenberg und Adolf Hitler. Zur Argumentation gehört die Negierung und Banalisierung des Problems der Urheberschaft der "Protokolle", an dessen Stelle die auftrumpfende Behauptung tritt, dass doch alle Absichtserklärungen, die den Gegenstand der „Protokolle“ bilden, eingetreten seien. Die Suggestivkraft des Axioms– die Welt sei doch so, wie in den "Protokollen" beschrieben – ersetzt alle Art von Beweis und vermeidet damit jeden argumentierenden Diskurs. Rothkranz liefert in paranoider Stupidität eine Addition von kruden Schmähungen und Zwangsvorstellungen, die kapitelweise unter Rubriken wie "Auserwähltheit als Religionsersatz", "Kryptojudentum", "die Synagoge des Satans", "Antisemitismus ein Phantom?" abgehandelt werden.
Der rastlose Vielschreiber Rothkranz übt Kritik sowohl an der katholischen Amtskirche als auch an der Bewegung des Traditionalisten Lefebvre. Rothkranz wütet gegen Juden, gegen Freimaurer, gegen die katholische Kirche und steht in der Tradition des rechtsextremen Antisemitismus. Seine ursprünglich judenfeindliche verschwörungstheoretische Überzeugung wendet er aber auch auf Muslime an und entlarvt "die Juden" nebenbei als deren Hintermänner und Ideenlieferanten. Die Rabulistik des Fundamentalisten, dem "konzilkatholisch" ein synonymes Schimpfwort zu "volljudaisiert" ist, entspringt purem Hass und bildet in ihrer Geschwätzigkeit und ihrem Belehrungsdrang den Idealtyp des obskuren Weltverschwörungsfanatikers. Die Bücher des vom endzeitlichen Eifer Beseelten erscheinen im Verlag Pro Fide Catholica zwar fern der katholischen Amtskirche, sie haben aber zweifellos Einfluss auf manche Fromme und tradieren christlichen Antijudaismus, amalgamiert mit rassistischem Antisemitismus und wirken mit an der Stimmung gegen Muslime.
Johannes Rothkranz hat die wirklichen Antriebskräfte der Weltverschwörung hinter den nach seiner Ansicht nur auf der Vorderbühne agierenden Muslimen längst erkannt. Auf die Frage, wer "den Islam" dirigiere, bietet der unermüdliche Judenfeind überraschende Beweise für seine Antwort. Die "Synagoge Satans", weiß er, kontrolliere seit über zwei Jahrhunderten die Regierungen in London, Paris und Washington und seit 150 Jahren die übrigen Regierungen Europas, seit einigen Jahrzehnten praktisch alle Staaten der Erde, und zwar nicht nur deren Regierungen, sondern auch Presse, Rundfunk, Film und Fernsehen. Das sind gängige und uralte Stereotypen der Judenfeindschaft. Neu ist die Erkenntnis des Fundamentalkatholiken Rothkranz, dass "der heutige Islam das Christentum nur mit stillschweigender Gutheißung der Satanssynagoge blutig verfolgen kann!"
Für seinen Epigonen Wolfgang Gedeon sind die paranoiden Vorstellungen des Autors Rothkranz solide Quellen. Gedeon sieht einen gefährlichen Zionismus am Werk, der in Deutschland in Gestalt des Zentralrats der Juden und anderer Institutionen Privilegien genießt und mit der jüdischen Machtergreifung weit vorangeschritten ist: "Institutionen wie der Zentralrat der Juden haben in Deutschland eine parastaatliche Funktion und genießen mit anderen entsprechenden Organisationen, wie dem Jüdischen Weltkongreß (WJC) oder dem Simon-Wiesenthal-Zentrum, innerhalb der politischen Klasse Deutschlands eine höhere Autorität als der Bundespräsident – so viel zur Handschrift des Zionismus in der deutschen Politik!"
Gedeon ein Einzelfall?
Die entscheidende Frage lautet, wer von den Parteigenossen Gedeons in der AfD die judenfeindlichen Positionen aus Überzeugung teilt und wer sich nur aus taktischer Klugheit von ihm distanziert. Die Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Indizien sprechen aber eher für taktisches Kalkül.
Ein Hinweis auf fehlende Berührungsängste gegenüber dem Antisemitismus ist die Wiederkehr des einstigen Bundestags-Abgeordneten Martin Hohmann. Er war nach einer patriotischen Rede, in der er am 3. Oktober 2003 auf der Suche nach einer "Schuld der Juden" antisemitische Ressentiments artikuliert hatte, erst aus der Bundestagsfraktion und später aus der CDU ausgeschlossen worden. In der AfD fand der nationalkonservative christlich fundamentalistische Politiker mit starkem Rückhalt in der hessischen Region eine neue politische Heimat. Der Zerfall der Stuttgarter Landtags-Fraktion über den Streit um die Judenfeindschaft des Abgeordneten Gedeon wirft auch die Frage nach der inneren Verfassung der AfD in anderen Bundesländern auf. Zu fragen ist insbesondere nach den Zuständen in Sachsen, wo Frauke Petry, eine der beiden zerstrittenen Bundesvorsitzenden der Partei, Fraktionsvorsitzende ist. Frau Petry hat ja, ehe sie aus Gründen der Partei-Räson den Abgeordneten Gedeon zum Rückzug aus der Fraktion bewog, die Politik des Stuttgarter Fraktionschefs Meuthen torpediert, der sich gegen jede Form von Antisemitismus in der AfD ausgesprochen hatte und mit dem Ausschluss Gedeons das Exempel hatte statuieren wollen.
Ausweichen und taktisches Schweigen
Man erinnert sich, dass schon der ehemalige AfD-Chef Bernd Lucke merkwürdig unbestimmt reagierte, als er in einer Talkshow zum Problem Antisemitismus in der AfD Stellung beziehen sollte. Angesichts der völkischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Manifeste, die AfD-Politiker regelmäßig verlautbaren, liegt der Verdacht nahe, dass judenfeindliche Ressentiments zwar vorhanden und konsensfähig sind, aber aus taktischen Gründen nicht artikuliert werden. Wenn akuter Handlungsbedarf entsteht, nach öffentlichen Entgleisungen von AfD-Mitgliedern etwa, werden Beteuerungen formuliert wie 2014 die des damaligen Parteichefs Lucke, dass "die AfD nicht den Schatten eines Zweifels daran lassen darf, dass politischer Extremismus, Antisemitismus, Ausländerfeindlichkeit und religiöse Intoleranz mit dem Gedankengut der AfD als einer demokratischen Rechtsstaatspartei unvereinbar sind". Daran hat der Verfassungsschutz, was die Aussagen einzelner Mitglieder der AfD betrifft, inzwischen Zweifel angemeldet. Identitätsstiftendes Dogma der Partei "Alternative für Deutschland" ist die Ablehnung des Islam. Zentrale Erkenntnis der Ressentimentforschung, die sich mit Xenophobie, Rassismus, Diskriminierung von Minderheiten, Antisemitismus und Antiziganismus beschäftigt, ist die Austauschbarkeit von Feindbildern. In der Praxis führt diese Erkenntnis zur Hypothese, dass Hass gegen eine Minderheit aus gleicher Wurzel gedeiht wie Hass gegen eine andere. Denn das Entscheidende sind die Denkstrukturen derer, die ausgrenzen und diskriminieren, nicht die zugeschriebenen, auf Pauschalisierung und Vorurteil beruhenden "Eigenschaften" der Minderheit, die abgelehnt wird. Natürlich wird das von Islamhassern, Antisemiten oder Romafeinden energisch bestritten, die nicht müde werden, auf die negativen Eigenschaften der Diskriminierungsopfer hinzuweisen, gegen die sich die Mehrheit ja wohl wehren müsse. Nicht minder geläufig ist die Beteuerung, dass man persönlich nichts gegen Muslime habe und lediglich den Islam als solchen ablehne, dass man mit etlichen/mehreren/vielen Juden befreundet sei, KZ-Gedenkstätten besucht habe und sogar nach Israel gereist sei. Damit soll die Feststellung, man sei kein Antisemit oder Muslimhasser, untermauert werden.
Man kann also vermuten, dass eine Protestpartei wie die AfD nicht nur, wie im Firmenschild deutlich annonciert, eine Heimat für jene bietet, die Muslime in Deutschland oder überall und überhaupt, jedenfalls als Mitbürger in Deutschland, ablehnen. Im Programm der AfD steht unter der Überschrift "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" die Aussage "Ein Islam, der unsere Rechtsordnung nicht respektiert oder sogar bekämpft und einen Herrschaftsanspruch als alleingültige Religion erhebt, ist mit unserer Rechtsordnung und Kultur unvereinbar". Im Leitantrag der Bundesprogrammkommission und des Bundesvorstands, der dem Stuttgarter Bundesparteitag am 30. April/1. Mai 2016 vorlag, hatte die Passage noch folgenden Wortlaut: "Einer islamischen Glaubenspraxis, die sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung, unsere Gesetze und gegen die jüdisch-christlichen und humanistischen Grundlagen unserer Kultur richtet, tritt die AfD klar entgegen." Mit der Formulierung „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ entfiel auch das modische und neuerdings gern gebrauchte Attribut "jüdisch-christlich". Als Parole zur Ausgrenzung des Islam kreiert, soll die Formel die Traditionen abendländischer Werte beschwören; sie hätte im Parteiprogramm der AfD weniger Aufsehen erregt als ihre Tilgung. Das erlaubt Rückschlüsse.
Als der Fall Gedeon öffentlich wurde, hatte der baden-württembergische Fraktionschef und Mitvorsitzende der Partei auf Bundesebene, Meuthen, erklärt, der Fall sei eine "Nagelprobe" für die AfD, und er hatte "null Toleranz" gegen Antisemitismus angekündigt. Die weiteren Ereignisse, die Spaltung der Fraktion, lassen an der einmütigen Abwehr zweifeln. Nach dem Krach in der Partei wiederholte Meuthen die Beschwörung, als er sagte, es sei eine existentielle Frage für die Partei, ob es ihr gelinge, sich "glaubhaft von Extremismus und Antisemitismus abzugrenzen". Die Ahnungslosigkeit des Stuttgarter Vorsitzenden, der sich von Gedeons Judenfeindschaft überrascht zeigte, ist schwer nachvollziehbar. Denn Gedeon ist der Typ des verbohrten Missionars, seine Bücher sind vor Jahren erschienen und er hat stets eifrig dafür geworben, nicht zuletzt auf Veranstaltungen der AfD.
Ost wie West – Eben kein Einzelfall
Aber Gedeon ist kein Einzelfall. In ostdeutschen Landesverbänden gibt es ebenfalls Funktionäre und Mandatsträger der AfD, die nicht nur Flüchtlingen und Muslimen, Schwulen, Linken und Fremden feind sind, sondern auch etwas gegen Juden haben. Einige artikulieren ihre antisemitischen Ressentiments auch öffentlich.
In Sachsen-Anhalt erfreut sich die AfD großer Wählergunst. Volker Olenicak aus Bitterfeld zog mit 33,4 Prozent der Erststimmen als Direktkandidat in den Landtag. Dort ist er Mitglied des Ausschusses, der den Verfassungsschutz kontrolliert. Dass ihm Sympathie für die rechtsextreme Reichsbürgerbewegung nachgesagt wird, die die Bundesrepublik für illegal und nicht existent hält, wird vielleicht als Expertentum gewertet und qualifiziert ihn zur Kontrolle des Verfassungsschutzes. Dass die Bundeskanzlerin eine "zionistische US-Agentin" sei, war aber auch auf seinem Facebook-Profil zu lesen, wie ein regionales Blatt berichtete. Andere einschlägige Postings wollte er nicht bestätigen, darin wird Israel Genozid an den Palästinensern vorgeworfen, über eine mögliche Ermordung des FDP-Politikers Möllemann durch den israelischen Geheimdienst spekuliert, den „Rothschilds“ vorgeworfen, die nächste Wirtschaftskrise vorzubereiten. Damit ist ein klassisches stereotypes antisemitisches Ressentiment instrumentalisiert: Juden als verderbenbringende Geldleute.
In Brandenburg schüttete einer der AfD-Gründer, der Abgeordnete im Potsdamer Landtag, Franz-Josef Wiese, in einem Boulevardblatt sein Herz über Parteifreunde aus: Die einen litten an Verfolgungswahn, andere glaubten an Wunderheiler, es gebe Verschwörungstheoretiker, Rechtsextreme und Esoteriker in den Reihen der AfD und ihrer Landtagsfraktion. Der Landesvorsitzende Alexander Gauland wiegelte ab. Dass der Vorsitzende des AfD-Kreisverbandes Uckermark eine Anklage wegen Volksverhetzung am Halse hat, konnte der Chefideologe der AfD aber nicht abstreiten: Der Kreischef Jan-Ulrich Weiß wird wegen eines antisemitischen Posts im Stürmerstil bei Facebook zur Rechenschaft gezogen. Weiß sollte deswegen, lange vor Gedeon in Stuttgart, aus der Partei ausgeschlossen werden, Gauland scheiterte jedoch 2015 mit seinem Antrag vor dem Bundesschiedsgericht der AfD. Lediglich aus der Fraktion wurde er entfernt.
Am 12. Juli 2016 wurde ein Parteiausschlussverfahren gegen Wolfgang Gedeon eingeleitet. Am 19. Juli wählte der AfD Kreisverband Konstanz mit sehr knapper Mehrheit von nur 16 gegen 14 Stimmen Gedeon als Vorsitzenden ab. Das Abstimmungsergebnis legt die Vermutung nahe, dass es auch an der Basis nicht an Judenfeinden mangelt. Gedeon kündigte an, dass er sein Landtagsmandat behalten wolle, da er sich als "geistige Führungskraft" der AfD sehe. Selbst wenn das Parteiausschlussverfahren letztlich erfolgreich ist , bleibt doch die Tatsache, dass die „Alternative für Deutschland“ Antisemiten in ihren ostdeutschen und westdeutschen Reihen hat und dass sie mindestens zweien, in Brandenburg Jan-Ulrich Weiß und in Baden Württemberg Wolfgang Gedeon, zu Parlamentssitzen verholfen hat, auch wenn sie fraktionslos sind.
Autor: Wolfgang Benz für bpb.de