Verfassungsschutz schaltete nach Spitzel-Enttarnung seine Quellen ab

Erstveröffentlicht: 
01.08.2016

Damit verzichtete das Amt offenbar 2001 in der heißen Phase der Suche nach dem NSU-Trio zeitweise auf seine Zuträger.

 

Erfurt. Der Thüringer Verfassungsschutz soll 2001 als Reaktion der Enttarnung des damaligen NPD-Landesvize Tino Brandt als V-Mann, seine "Quellen" abgeschaltet haben. Das geht offenbar aus einer aktuellen Aussage eines früheren Mitarbeiters des Amtes gegenüber der Münchner Staatsanwaltschaft hervor. Diese Aussage soll nach Informationen der Thüringer Allgemeinen den Verfahrensbeteiligten im NSU-Prozess vorliegen.

 

Treffen die Angaben des ehemaligen Beamten zu, hätte der Nachrichtendienst in der heißen Phase der Suche nach den drei untergetauchten "Bombenbastlern" aus Jena – Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt – zumindest vorübergehend auf Spitzeldienste verzichtet. Der Verfassungsschutz wollte sich aktuell zu den Vorgängen nicht äußern. Eine Sprecherin verweist darauf, dass diese der Geheimhaltung unterliegen. Gründe dafür seien der Schutz "potenziell gefährdeter Personen". Sie beruft sich aber auch auf die noch laufenden Verfahren in München. 

 

NSU-Prozess beginnt am Mittwoch Sommerpause


Im Mai 2001 enttarnte die Thüringer Allgemeine Tino Brandt als V-Mann. Nach den Angaben des früheren Verfassungsschützers soll die Abschaltung der anderen Zuträger des Amtes danach erfolgt sein. Bisher spielte ein solcher Vorgang bei der Aufarbeitung der Fahndungspannen und eines möglichen Behördenversagens bei der Suche nach Zschäpe, Mundlos und Böhnhardt keine Rolle.

 

"Davon ist mir bisher nichts bekannt geworden", erklärte die Vorsitzende des zweiten Thüringer NSU-Untersuchungsausschusses, Dorothea Marx (SPD), der Thüringer Allgemeinen. Die Abgeordnete leitet bereits seit 2012 die parlamentarische Aufarbeitung des NSU-Komplexes. Nach derzeitigen Erkenntnissen gab der Verfassungsschutz vor der Polizei-Razzia im Januar 1998 den entscheidenden Hinweis auf die Jenaer Garage, in der die drei Neonazis unter anderem mehrere in Arbeit befindliche Rohrbomben sowie Militärsprengstoff gelagert hatten. Während der Fahndung nach den Untergetauchten telefonierte im März 1999 V-Mann Brandt vom fränkischen Coburg aus persönlich über eine Telefonzelle mit Mundlos und Böhnhardt.

 

Trotz dieses und weiterer Hinweise auch anderer Verfassungsschutzämter zum Aufenthalt und den Absichten der Flüchtigen wurden diese bis zum Eintritt der Verfolgungsverjährung im Sommer 2003 nicht gefasst. Die verstorbenen Mundlos und Böhnhardt sowie Beate Zschäpe stehen im Verdacht, die mutmaßliche Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gebildet und rassistische motivierte Morde begangen zu haben. Unter anderem gegen Zschäpe verhandelt in München seit Mai 2013 der NSU-Prozess. Ab Mittwoch geht der Prozess in eine vierwöchige Sommerpause. Nebenkläger hatte mehrfach das Versagen der Sicherheitsbehörden im NSU-Fall vor Gericht angeprangert. 

 

Verfassungsschutz hat seit diesem Jahr eine Planstelle weniger


Der Thüringer Verfassungsschutz hat dieses Jahr eine Mitarbeiterstelle verloren und damit noch 96 Planstellen. Um freie Stellen zu besetzen, sind vier davon aktuell ausgeschrieben. Eine fünfte soll Anfang Oktober besetzt werden, teilte das Innenministerium auf eine Anfrage der CDU-Landtagsfraktion mit. Vor zwei Jahren wurden drei Einstellungen und im Vorjahr weitere fünf vorgenommen. Bis Ende 2017 sollen alle freien Stellen besetzt sein, so das Ministerium.

 

Der Thüringer Verfassungsschutz sucht derzeit unter anderem Mitarbeiter mit Kenntnissen der arabischen Sprache.