Am 06. Juni versammelte sich nun bereits zum siebten Mal in Annaberg-Buchholz ein christlich-reaktionärer Haufen, um gegen das Recht auf Abtreibung und gegen Sterbehilfe zu demonstrieren. Diese auf den ersten Blick beschauliche Kleinstadt liegt im Erzgebirge südlich von Chemnitz inmitten einer Region, welche auch als sächsischer „Bible Belt“ bezeichnet wird – eine Hochburg von bibeltreuen Evangelikalen und anderen konservativen Freikirchen.
Organisiert wurde das Zusammenkommen christlicher Fundamentalist*innen gegen das Recht auf Schwangerschaftsabbrüche bis 2015 von den „Christdemokraten für das Leben“ (CDL), die eine Arbeitsgemeinschaft innerhalb der CDU bilden. In diesem Jahr wurde der Marsch jedoch erstmals vom Verein „Lebensrecht Sachsen“ ausgerichtet. Die Übergabe von den CDL an diesen neu gegründeten Trägerverein soll den Schweigemarsch parteiübergreifend attraktiver machen. Faktisch blickt man dabei jedoch vor allem in die Richtung der AfD, die von Beginn ihrer Parteigründung an viele Positionen und Motivlagen der Lebensschützer*innen teilt, so in ihrer Kritik an Abtreibung und Geburtenkontrolle, in ihrer Abwehr von Gender Mainstreaming, ihrer Hetze gegen eine vermeintliche „Homo-Lobby“ und nicht zuletzt durch ihre nationalistische Wahnvorstellung eines starken deutschen Volkes. Die selbsternannten „Lebensschützer“, die sich ja ab und an auch gern mal verharmlosend urchristlich-sozial geben, legen damit nun ein offenes und aggressives Bekenntnis zu völkisch-rassistischem Gedankengut ab.
Bereits in den letzten beiden Jahren wurde dieser „Schweigemarsch für das Leben“ von stetig wachsenden Protesten begleitet, die vom überregionalen Bündnis Pro Choice Sachsen (PCS) organisiert wurden. Dieses Jahr wurde dieser Protest noch einmal deutlich ausgeweitet, denn erstmals folgten neben zahlreichen feministischen und antirassistischen Gruppen aus den sächsischen Großstädten auch Initiativen aus Jena, Erfurt und Berlin dem Aufruf des Bündnisses. PCS-Sprecherin Lisa Mueller erläuterte die Gründe des Gegenprotests: „Wir wollen auch weiterhin Entscheidungen über unser Leben ohne Einmischungen von Fundamentalist*innen treffen. Wir fordern die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen, die nach §218 StGB in Deutschland immer noch illegal sind und nur unter bestimmten Umständen straffrei bleiben. Wir demonstrieren hier auch gegen die antifeministische, homosexuellenfeindliche und transfeindliche Politik der selbsterklärten Lebensschutzbewegung. Sie ist ein Teil des gesellschaftlichen Rechtsrucks, mit dem wir uns momentan konfrontiert sehen.“
Insgesamt machten ca. 500 Menschen – so viel wie noch nie – den Schweigemarsch der religiösen Fundamentalist*innen zum Desaster. Das Motto der Pro Choice-Demo, „Emanzipation ist viel geiler – Schweigemarsch stoppen!“, wurde auf vielfältige und kreative Art und Weise umgesetzt. Besonders an den beiden Punkten, wo die Versammlungen in Hör- und Sichtweite zueinander kamen, wurde der Schweigemarsch lautstark gestört. Am Ort der Abschlusskundgebung – natürlich bei einer Kirche – standen die Gegner*innen lang in Rufweite und brachten nicht nur mit griffigen Parolen wie „Ihr habt nur Jesus, wir haben Spaß!“ und „Mittelalter, Mittelalter!“, sondern auch selbstgebastelten Vulven zum Ausdruck, dass sie Versuche, die auch heute mangelhafte Rechtssituation um das Recht auf Abtreibung noch zu verschärfen, nicht widerstandslos hinnehmen werden. Selbst die im eklatanten Gegensatz zu ihrem Mittelalter-Weltbild stehende moderne Soundanlage der religiösen Fundamentalist*innen konnte diesen Gegenprotest nicht übertönen. Zu guter Letzt verwiesen auch Plakatinschriften wie „Ich habe Gott gefragt. Sie ist Pro Choice!“ auf die anmaßende Blasphemie der Evangelikalen bzw. auf den Beistand höherer Mächte für die gute Sache des Bündnisses.
In den Redebeiträgen der Gegendemo wurden die völkischen und patriarchalen Vorstellungen von Ehe und Familie kritisiert. Auch die Diskrepanz zwischen der Verteidigung des Rechtes auf Abtreibung bei gleichzeitiger Befürwortung behindertenfeindlicher pränataler Diagnostik (PND), wie sie in Teilen der feministischen Bewegung anzutreffen war und ist, wurde selbstkritisch thematisiert. Der AK Mob (Arbeitskreis mit ohne Behinderung, Berlin) kritisierte wiederum die Doppelzüngigkeit der Lebensschützer*innen: Sie geben vor, sich für die Rechte von Behinderten einzusetzen, gehören dabei aber genau der Partei an oder werden von dieser unterstützt, die die Forderungen behinderter Menschen seit Jahrzehnten abwehrt und deren Rechte beschneidet – die Rede ist natürlich von der CDU. Neben Transparenten, Luftballons, Konfetti und schickem lila Rauch kamen auch Symbole wie Stricknadeln und Kleiderbügel zum Einsatz. Bündnissprecherin Anke Schäfer dazu: „Stricknadeln und Kleiderbügel waren oder sind Hilfsmittel, auf die Schwangere zurückgeworfen waren oder sind, wenn Abtreibung verboten war oder ist. Insbesondere der Kleiderbügel wurde 2014 von den Feminist*innen in Spanien gegen eine drohende Gesetzesverschärfung mit der Parole ‚Nie wieder!‘ eingesetzt und verweist auf kriminalisierte Schwangerschaftsabbrüche unter lebensbedrohlichen Bedingungen.“ Darüber hinaus wurde ein Grußwort polnischer Aktivist*innen verlesen. In Polen macht die Bürgerinitiative „Fundacja pro – Prawo do Życia“ (Recht aufs Leben) mit Unterschriftensammlungen für ein Gesetz mobil, das Abtreibung, inklusive der „Pille danach“, grundsätzlich verbieten soll.
Begleitet wurde diese gelungene Pro Choice-Veranstaltung durch schönstes Wetter und einem mit 300 Beamt*innen massiven und unverhältnismäßigen Aufgebot äußerst schlecht gelaunter Polizei. Nachdem die Freunde und Helfer bereits im Vorfeld der Gegendemo Leuten das Anbieten ihrer Kaufkraft beim örtlichen Bäcker verboten und selbst den Toilettengang von Aktivist*innen zur Personalienfeststellung nutzten, fielen sie während der gesamten Veranstaltung durch äußerst aggressives Abfilmen auf. Außerdem war man sich offenbar nicht zu blöde, dabei auch noch Freundschaft mit anwesenden evangelikalen Filmteams zu schließen, die unterm fadenscheinigen Schutz von Pressewesten die Gegendemo permanent abzufilmen suchten.
Besonders Missfallen erregte zudem der wunderschöne lila Rauch, der die Abschlusskundgebung der Fundis in eindrucksvoll kontemplative Visuals hüllte – der/die vermeintliche Urheber*in wurde festgenommen. Am Ende der Pro Choice-Demonstration erstattete die Polizei zudem Anzeige gegen den Anmelder, weil er die Auflagen nicht durchgesetzt habe. Die Polizei behauptete, die Transparente seien über Kinnhöhe getragen und somit zur Identitätsverschleierung eingesetzt worden. Warum sie es für erforderlich hielt, von der Versammlung Filmaufnahmen anzufertigen, sagte die Polizei indes nicht.
Die diesjährigen Proteste lassen sich – trotz dieser Repressalien – auf jeden Fall als Erfolg werten, schon allein, weil zum ersten Mal seit Beginn der Gegenproteste deren Anzahl an Teilnehmenden zu der des Fundimarsches aufschloss. Ein Gleichstand, der nächstes Jahr zugunsten von Pro Choice gekippt werden wird! Auch nächstes Jahr geht es wieder nach Annaberg-Buchholz, um den Fundis zu zeigen, dass sie ihre Ideologie gleich mit ans Kreuz nageln können!
Sachsensumpf und Fundis wegfegen!
Für ein Recht auf Abtreibung!
Weg mit dem §218!
Emanzipation statt Fremdbestimmung!