Zur Versachlichung der Debatten über Migration und Integration haben sächsische Wissenschaftler ein Forschungsnetzwerk gegründet.
Dresden. Zur Versachlichung der Debatten über Migration und Integration haben sächsische Wissenschaftler ein Forschungsnetzwerk gegründet. Der Verbund Integrations-, Fremdenfeindlichkeits- und Rechtsextremismusforschung in Sachsen (IFRiS) wurde am Dienstag an der Dresdner Universität vorgestellt.
In einem ersten Projekt wollen die Sozial- und Politikwissenschaftler Einstellungen von Flüchtlingen mit Bleibeperspektive untersuchen. Auf diesem Gebiet gebe es „größten Handlungsbedarf“, sagte der Leipziger Sozialpsychologe und Rechtsextremismusforscher Oliver Decker. Bisher sei meist lediglich zu rechtsextremistischen Einstellungen gegenüber Flüchtlingen geforscht worden.
Das Netzwerk IFRiS, zu dem zunächst fünf Wissenschaftler in vier Einrichtungen gehören, will Flüchtlinge in den sächsischen Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften befragen. Perspektivisch sollen die Ergebnisse mit bereits vorhandenen Studien zu Rechtsextremismus verknüpft werden. Auch eigene Erhebungen zu Fremdenfeindlichkeit wollen die Forscher erstellen.
Decker zufolge schaffe das Netzwerk mit seinem ersten Projekt „Flucht und Integration“ zunächst eine Datenbasis. Bisher gebe es zu diesem Thema kaum belastbare Ergebnisse. Steffen Kailitz vom Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung betonte: „Wir wissen sehr wenig über Flüchtlinge.“ Die Befragung sei eine „Pionierarbeit“.
Erste Ergebnisse würden in ein bis drei Jahren erwartet. Aussagen sollen aber nicht nur für Sachsen, sondern auch darüber hinaus getroffen werden. Möglich sie auch eine Erweiterung des Netzwerkes mit Forschern aus anderen Bundesländern und außerhalb Deutschlands.
Für die Befragung der Flüchtlinge müsse neben der Sprachbarriere, die überwunden werden muss, auch erst die Methode in einer Voruntersuchung getestet werden, sagte der Leipziger Soziologe und Politikwissenschaftler Gert Pickel. Geplant sind sowohl Einzel- und Gruppeninterviews als auch die Befragung mit standardisierten Fragebögen. Erforscht würden vor allem soziokulturelle Hintergründe, aber auch Einstellungen der Migranten zu Demokratie und Grundwerten in der Gesellschaft.
Es gebe ein „Wissensdefizit“, was bisherige Lebenswelten und Erwartungen der Flüchtlinge angeht, sagte die Chemnitzer Soziologin Antje Röder. Auch wie sie auf gesellschaftliche Spannungen oder aber eine Willkommenskultur reagierten, sei wissenschaftlich bisher nicht bearbeitet. Diese Voraussetzungen hätten jedoch Auswirkungen auf die Integration.
Ausgespart werden bei dem Projekt Fragen nach den Fluchtursachen oder dem Aufenthaltsstatus. Dazu würde es von Personen mit laufenden Asylverfahren wahrscheinlich keine ehrlichen Antworten geben, sagte Röder. Viele der Flüchtlinge seien vermutlich ohnehin das erste Mal Teilnehmer einer wissenschaftlichen Befragung, weil es in ihrem Herkunftsländern noch keine Sozialforschung gibt.
Das sächsische Wissenschaftsministerium unterstützt die Forscher mit einer Anschubfinanzierung in Höhe von 60.000 Euro. Das Netzwerk ist ein Verbund der drei sächsischen Universitäten in Dresden, Chemnitz und Leipzig sowie des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden. Vertreten sind die Disziplinen Politikwissenschaft, Soziologie, Medizin und Theologie.