Internationalistischer 1. Mai in Heilbronn

1. Mai 2016 in Heilbronn (1)

Über 100 Menschen beteiligten sich am 1. Mai 2016 am Internationalistischen Block unter dem Motto „Es ist genug für alle da! Verteilungskämpfe zu Umverteilungskämpfen!“ auf der traditionellen Maidemonstration des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Sie folgten dem Aufruf der „Organisierten Linken Heilbronn (IL)“  und der kurdischen Jugend „Ciwanen Azad Heilbronn“, linke und antikapitalistische Inhalte auf der Gewerkschaftsdemonstration sichtbar zu machen.

 

Zudem wurde ein Zeichen der internationalen Solidarität an die Genoss*innen in der Türkei und in Kurdistan, die kämpfende Bevölkerung in Südeuropa und Frankreich und die Geflüchteten an den europäischen Außengrenzen gesendet.

 

Bereits im Vorfeld hatte die Polizei versucht, den Druck auf die Gewerkschaften zu erhöhen, in dem sie von zu erwartenden „Verstößen gegen das Versammlungsrecht“ durch die Kurdinnen und Kurden phantasierte. Möglicherweise deshalb bewegte sich die Demonstration, an der sich ca. 1.000 Menschen beteiligten, erstmalig auf einer neuen, deutlich kürzeren Route vom Heilbronner Marktplatz zum Gewerkschaftshaus. Der erhöhten Polizeipräsenz rund um die Demonstration zum trotz stieg auf Höhe der "Kunsthalle Vogelmann" aus dem Internationalistischen Block bunter Rauch auf. Gleichzeitig machten etliche Schilder, Transparente und lautstarke Parolen auf die Anliegen der Aktivist*innen aufmerksam und setzten auf der sonst eher ruhigen Demo ein deutlich wahrnehmbares Zeichen.

 

Von der Abschlusskundgebung zogen die meisten Teilnehmer*innen des Internationalistischen Blocks weiter zum 1. Mai-Fest im selbstverwalteten Sozialen Zentrum Käthe. Dort war kulinarisches, musikalisches und politisches Rahmenprogramm geboten und es bestand die Möglichkeit zum persönlichen Austausch. Darüber hinaus zeigte eine Ausstellung an Hand von politischen Transparenten aus den letzten Jahren die Entwicklung linker, bewegungsorientierter Kräfte in Heilbronn.

 

Wir blicken zurück auf eine erfolgreiche 1. Mai-Kampagne im Jahr 2016. Bereits im Vorfeld des Kampftags der Arbeiter*innenklasse kamen wir bei Veranstaltungen zur „Vermessung der Utopie“ mit Raul Zelik und zur türkischen faschistischen Bewegung mit Orhan Sat mit verschiedenen Menschen über die Frage einer umfassenden Strategie linker Kräfte in Heilbronn ins Gespräch. In einer im Laufe der Mobilisierung zum 1. Mai veröffentlichten Broschüre versuchen wir einen Überblick über die politische Situation in unserer Stadt und darüber hinaus zu geben.

Nicht zuletzt konnten wir am 1. Mai gemeinsam mit unseren kurdischen Genoss*innen linke, internationalistische Inhalte in die Öffentlichkeit tragen und dabei eine steigende Anzahl von Menschen einbinden. An diese Entwicklungen werden wir auch in den kommenden Monaten anknüpfen. Es gibt noch viele Kämpfe und Diskussionen zu führen.

 

Wir dokumentieren hier unsere Rede auf dem Maifest im „Sozialen Zentrum Käthe“:

 


Ohne Altbekanntes zum zehnten Mal zu wiederholen. Wir haben die berühmte Schere zwischen Arm und Reich, die weiter auseinander geht. Wer hat, bekommt noch mehr - wer nichts hat, wird ärmer. Die Wohnungssituation verschärft sich rasant, Hartz 4 treibt Menschen in ein Abhängigkeitssystem voll von Sanktionen und fremder Kontrolle. Tausende erwartet oder betrifft bereits Altersarmut, unsere natürliche Umwelt wird zerstört, Gemeingut privatisiert und Sozialleistungen gekürzt. So weit so schlecht – man könnte sagen: Alltag im Kapitalismus. Ein System, das nicht nach den Bedürfnissen der Menschen wirtschaftet, sondern sich am Profit orientiert. Ein System das Armut produziert, damit es Reichtum geben kann.

 

In diese Szenerie kommen Millionen Geflüchtete, die vor Krieg, Armut und Elend fliehen und teilhaben wollen an einem besseren Leben. Ein besseres Leben, wie wir es in Deutschland trotz aller Ausgrenzungen und Entrechtung immer noch haben. Die weitläufige Meinung spricht von einer „Flüchtlingskrise“, aber es ist eine Krise des Kapitalismus. Obwohl genug für alle da ist, müssen Menschen in Zelten und Turnhallen eingepfercht leben und auf Almosen warten. Wohnraum, Nahrung und auch Geld ist genug für alle da, aber dieses Gesellschaftssystem ist nicht darauf aus alle daran teilhaben zu lassen. Im Gegenteil, der Kampf um den Zugang zu grundlegenden Dingen wird sich nun, wo so viele neue Menschen hier sind, noch weiter verschärfen. Schuld daran ist die neoliberale Sparpolitik. Sei es der Zugang zum Arbeitsmarkt, der Bedarf an Sozialleistungen oder auch Gesundheitsversorgung, Wohnraum und Teilhabe am öffentlichen Leben. Auch hier ist es Fakt: Es ist genug für alle da, nehmen wir es uns!

 

So einfach das auch klingt, ist die Umsetzung verdammt schwer. Der DGB und andere wissen was sie tun wollen. Forderungen an die deutsche und europäische Politik stellen und durch Kompromisse zumindest ein bisschen mehr bekommen, als die Herrschenden vorgesehen haben. Bei der Zuspitzung, die auf uns zukommt, wird das lange nicht reichen. Wir wollen keine Forderungen stellen, sondern die Gesellschaft von unten verändern. Mit den Menschen die vom Kapitalismus mit Füßen getreten werden, die jeden Tag erleben müssen was es heißt ausgebeutet zu werden, fremdbestimmt zu leben und in allen Lebensbereichen mit Leistungsdruck konfrontiert zu werden. Die AfD und andere rechte Hetzer verstehen sich hervorragend darauf diese Menschen mit reißerischen Parolen und einfachen Feindbildern zu ködern. Wenn wir dem Rechtsruck daher langfristig etwas entgegensetzen wollen, müssen wir die soziale Frage neu stellen und eigene Antworten liefern. Nicht in irgendwelchen nationalstaatlichen Grenzen, wie es Gewerkschaften machen, sondern transnational.

 

Wir verwenden dabei häufig den Begriff der Gegenmacht. Damit meinen wir nicht ein in der ferne liegendes Szenario, sondern konkrete Schritte die wir jetzt gemeinsam gehen. Häuser die dem Kapitalmarkt entzogen sind und solidarisches Wohnen und Leben ermöglichen, sind Teil einer Gegenmacht. Kollektive Grenzüberschreitung im Betrieb oder auf der Straße ist Teil einer Gegenmacht. Strukturen, die die Macht des Staates und dessen Einfluss auf die Menschen in Frage stellen, das ist Gegenmacht.

 

Wenn wir also von Gegenmacht sprechen, muss das eine gesellschaftliche Perspektive sein, die aus ihrer Praxis heraus eine Alternative aufzeigt. Eine Alternative zu rechter Hetze, eine Alternative zur Konkurrenz und eine Alternative zu Vereinzelung und Individualisierung. Gleichzeitig bedeutet das auch, dass wir als radikale Linke eine gesellschaftliche Bedeutung erlangen müssen, um gemeinsam mit Vielen eine Gegenmacht aufzustellen. Nicht parallel zur Gesellschaft, sondern als Teil von ihr, in der Schule, an der Uni, im Betrieb, beim Arbeitsamt. Wir müssen raus aus unserem starr eingerichteten Szenedenken, alte Verhaltensmuster ablegen und Radikalität nicht als Bild auf Linksunten begreifen, sondern als etwas, das sich im Alltag zeigen muss. Es heißt also nicht linksradikale Szene oder Reformismus, sondern auf ins Handgemenge im Alltag. Kollektiv, solidarisch und natürlich bis zum Sturz des Kapitalismus. In diesem Sinne, lasst uns in Bewegung kommen und Utopien greifbar machen. Erst in Heilbronn und dann natürlich weltweit.

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