Nürnberg: Stadteilspaziergang gegen Leiharbeit

Solidarität

Durch den Nürnberger Stadtteil Gostenhof werden 5 Menschen in weißen Arbeitsanzügen getrieben. Ein Marktschreier preist sie als billige Arbeitskräfte an. Einer von ihnen soll angeblich sogar für 0 Euro zu haben sein.

Bei dem phantasievollen Aufzug, an dem sich ca. 40 Menschen beteiligen, handelt es sich um eine Aktion der Initiative Solidarischer ArbeiterInnen (ISA), die sich gegen Leiharbeit richtet. Die Demonstration führt vorbei an mehreren Zeitarbeitsunternehmen.

 

Dicht gesät sind solche Firmen hier im traditionsreichen Arbeiterviertel. Mit seinem hohen Migrantenanteil und vielen Arbeitslosen stellt es offenbar einen guten Standort für den Deal mit der billigen und flexiblen Arbeitskraft dar. Einen Deal, den die DemonstrantInnen auf einem Transparent als moderne Sklaverei brandmarken. Mitgetragene Plakate verkünden „Schluss mit Leiharbeit und Werkvertrag!“, „Verschärfte Ausbeutung beenden!“ und „Zeitarbeit ist Menschenhandel“.

Leiharbeit ist eine Schweinerei, die vom Staat erst möglich gemacht wird, so erklärt auch ein Flugblatt, das an die PassantInnen verteilt wird und zum Widerstand und zur Solidarität auffordert. Seit Einführung der Hartz-Gesetze vermitteln die Job-Agenturen immer mehr Menschen an Zeitarbeitsfirmen. Denn mit der Agenda 2010 wurde Leiharbeit erst richtig hoffähig und wurde zu einem der Motoren jenes „Jobwunders“ gemacht, das dazu führte, dass sich das Kapital in Deutschland inzwischen über den zweitgrößten Niedriglohnsektor Europas freuen kann. Jobagenturen arbeiten Hand in Hand mit den Leiharbeitsfirmen und wer heute als Ungelernter in Nürnberg einen Job sucht, landet fast zwangsläufig in der Zeitarbeit. Wer sich weigert, sich zu bewerben, wird sanktioniert. Viele Passantinnen kennen diese oder ähnliche Situationen aus eigener Erfahrung und reagieren mit Zustimmung.

Vor einem blau-weißen Firmen-Gebäude in der Steinbühlerstraße stoppt die Demonstration. Hier ist der Sitz der  Assmann Zeitarbeit. Transparente werden ausgebreitet, der Eingang mit einem Flatterband dekoriert. Buchstaben-Zettel werden daran angebracht die den Satz „....“ bilden.
Ein Sprecher prangert die Machenschaften der Branche an und fordert ein Verbot der Zeitarbeit.

Ein weiterer Zwischenstopp: Die Gostenhofer Niederlassung der Tempton Personaldienstleistungen. Die Firma gehört mit 80 Filialen und einem Jahresumsatz von ca. 200 Millionen Euro zu den 15 größten der Branche in Deutschland. Rund 7000 Menschen arbeiten für Tempton und man gibt sich seriös. Ein breites Leistungsspektrum: Arbeitnehmerüberlassung,  Personalrekrutierung und Outsourcing werden auf der Webseite angepriesen. Und man kann sogar in einer Broschüre nachlesen, wie man als Kapitalist überflüssige ArbeiterInnen bei Tempton abladen kann. Personalübernahme heißt das: „Seriös, unkompliziert, sozial verträglich und allen Beteiligten zum Vorteil.“

Doch in Internet-Foren finden sich zahlreiche Klagen ehemaliger Tempton-Arbeiter, die dem seriösen Anstrich widersprechen. Alles andere wäre auch ein Wunder. Schließlich liegt es in der Logik der Leiharbeit, dorthin das allzu Unsoziale auszulagern. Leiharbeitsfirmen versprechen Flexibilisierung, Risikominderung und Kosteneinsparung. Die Jobagenturen und die Zeitarbeitsfirmen locken damit, ein Sprungbrett für die super Karriere zu bieten. In Wahrheit werden nur 15% der ZeitarbeiterInnen irgendwann wirklich übernommen, viele schon nach wenigen Wochen wieder entlassen, weil ihre Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wird. Hire&Fire gehört zum Geschäftsalltag.

Dass in der Zeitarbeit 30 % weniger bezahlt wird, wie für den gleichen „Normalarbeits“-Job ist die Regel, nicht die Ausnahme. 
Eine in der Branche beliebte Form des Betrugs ist die – gesetzwidrige - Verrechnung von Überstunden auf ein Zeitkonto. Auch der Urlaub verschwindet schon mal im Zeitkonto auf geheimnisvolle Weise. Sogar der Mindestlohn ist oft nur Makulatur. Vor allem in der Gebäudereinigung wird gerne pauschal und selbstverständlich zu Gunsten der Abzocker abgerechnet. 10 Minuten Reinigungszeit wird dann z.B. für einen Raum veranschlagt, der in der Realität nicht unter 20 Minuten Arbeitszeit beansprucht. Von den 8,50 Mindestlohn bleibt dann nur noch die Hälfte.

Die Aktion der ISA soll freilich nicht nur die Lohnabhängigen in der Leiharbeit aufrütteln. Sie richtet sich auch an alle, die noch einen sogenannten „Normalarbeitsplatz“ haben: Denn Zeitarbeit spaltet, schwächt den Widerstand gegen die Ausbeutung, senkt soziale Standards und den Wert der Arbeit jedes Einzelnen und trägt dazu bei, dass prekäre Lebensverhältnisse immer mehr als Normalität gelten.
„Es gibt kein Missbrauch der Zeitarbeit. Die Zeitarbeit ist Missbrauch der Arbeitskraft.“ , so der Redner am Lautsprecher: „Leiharbeit ist verschärfte Ausbeutung, deshalb wollen wir dagegen heute auf die Straße gehen.“
Und so fordern die Demonstranten wieder und wieder zur Solidarität auf: Lasst euch nicht spalten, sprecht miteinander, lasst euch nicht den Mund verbieten und organisiert euch gemeinsam in den Betrieben.
In der “Initiative solidarischer  ArbeiterInnen” (ISA) haben sich seit 2014  Menschen  unterschiedlichster  Herkunft  zusammengeschlossen, um mit einander und mit allen anderen, die unterdrückt sind und ausgebeutet  werden,  direkt  und  unmittelbar solidarisch zu sein.