Ungewöhnliche Konstellation am Donnerstagabend: Weil sich Legida von der Polizei ungerecht behandelt fühlt, richtet sich eine kurzfristig angemeldete Kundgebung direkt gegen die Staatsmacht. Das in der Vergangenheit häufig selbst mit den Ordnungsbehörden auf Kriegsfuß stehende Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft zum Gegenprotest auf – und ist für einen mit 10.000 Euro dotierten Preis nominiert.
Nach dem Aufmarsch von Neonazis, Reichsbürgern und anderen Rechtsradikalen Anfang April sollte eigentlich wieder eine einmonatige Pause folgen. Doch nun hat es sich das völkische Bündnis Legida anders überlegt: Bereits am Donnerstagabend ruft es seine Anhänger wie gewohnt auf den Richard-Wagner-Platz, um dann jedoch ungewöhnliche Wege zu gehen. Das Ziel: die Polizeidirektion in der Dimitroffstraße 1.
Das Verhältnis der Legida-Organisatoren und -teilnehmer zur Polizei ist seit jeher gespalten. Während jene Beamte, die bei den Demos im Einsatz sind, mit der Parole „Eins, zwei, drei – danke Polizei“ viel Sympathie erfahren, sieht sich Polizeipräsident Bernd Merbitz immer wieder heftiger Kritik ausgesetzt. Aktuell tobt der Streit vor allem zwischen Legida und der Pressestelle der Polizeidirektion.
Kurz nach der Demo am 4. April hatte die LVZ von einem Teilnehmer berichtet, der eine Armbinde mit Hakenkreuz getragen haben soll, und sich dabei auf Angaben der Polizei berufen. Diese korrigierte ihre Information später: Tatsächlich handelte es sich um „eine Armkette, an welcher ein silberfarbenes Hakenkreuz prangte“, wie die Polizei später mitteilte. Zudem sei die Person nicht Legida zuzuordnen, sondern bei der Parallelveranstaltung von „Wir lieben Sachsen/Thügida“ anwesend gewesen. Die Fehler resultierten aus einem Missverständnis bei der Datenübertragung, so Polizeisprecher Loepki.
Damit hätte die Angelegenheit eigentlich zu den Akten gelegt werden können. Stattdessen folgte eine bemerkenswerte Pressemitteilung von Loepki unter dem Titel „Das versammelte Abendland geht Tippfehlern an den Kragen“.
Die ansonsten um Neutralität bemühte Pressestelle griff darin sowohl Legida als auch das „Wir für Leipzig“-Bündnis von Stadtrat Enrico Böhm (Ex-NPD) ungewöhnlich scharf an. In einem Facebookbeitrag hatte Legida zuvor gemutmaßt, dass Polizeipräsident Merbitz in der Hakenkreuz-Angelegenheit seine Finger im Spiel gehabt haben könnte. Diese und andere Anschuldigungen wies Loepki in der Pressemitteilung zurück. Zudem zeigte er sich verwundert über die Anmeldung einer Kundgebung für kommenden Donnerstag unter dem Motto „Adressat verweigert Annahme, „brauner Mist“ Retour zum Absender!“. Legida möchte dabei – so steht es in der eigenen Veranstaltungsankündigung – vom Richard-Wagner-Platz über den Ring laufen und per Schubkarre ein verhülltes Hakenkreuz zur Polizeidirektion in der Dimitroffstraße 1 fahren.
Mit Böhms Bündnis „Wir für Leipzig“ hatte sich Loekpi zuvor schon auf Facebook einen Schlagabtausch geliefert. Einige seiner öffentlichen Kommentare wurden dabei offenbar gelöscht. Angeblich hatte es in der Vergangenheit eine falsche Pressemitteilung der Polizei gegeben, die einen Angriff auf Böhm zum Inhalt hatte. Auf mehrfache Nachfrage hätte man ihm jedoch nicht mitteilen können, um welchen konkreten Sachverhalt es dabei geht, schreibt Loepki nun.
In seiner aktuellen Pressemitteilung konnte sich Loepki den einen oder anderen Seitenhieb nicht verkneifen. In Bezug auf das „freie Bürgerbündnis“, das im Stadtrat „nationale Interessen“ vertreten möchte, heißt es etwa: „Allerdings soll hier auf die paradoxe Verkennung demokratischer Ebenen und politischer Strukturen nicht weiter eingegangen werden.“
Zumindest eines ist am Donnerstag wie immer: Das Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ ruft zum Protest gegen die „offen neonazistische Legida-Demonstration“ auf. „Der Schulterschluss mit OfD, NPD, Brigade Halle und Brigade Bitterfeld war ein öffentliches Bekenntnis zur rechtsradikalen Basis, mit der Legida sich nun gegen die Polizei wendet“, heißt es in dem am Dienstag veröffentlichten Aufruf. Bei vergangenen Demonstrationen hätte es bereits Hitlergrüße, antisemitische Parolen und „mehrfach vorbestrafte neonazistische Gewalttäter“ gegeben. Der Aufruf von Legida lese sich wie Realsatire.
Die genauen Orte und Routen der Demonstrationen stehen zur Stunde noch nicht fest. Für das Aktionsnetzwerk ist es eine ereignisreiche Woche. Noch bis zum 22. April steht „Leipzig nimmt Platz“ in einer Online-Abstimmung auf der SPD-Homepage als Kandidat für den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis 2016 zur Wahl. Dieser soll Personen oder Initiativen auszeichnen, die sich für Freiheit und Gerechtigkeit einsetzen. Er ist mit 10.000 Euro dotiert.