Gerichtsposse wird zur endlosen Geschichte: Prozess um ein Zitat in einem nd-Interview vor dem Berliner Landgericht vertagt

Erstveröffentlicht: 
13.04.2016

Dauerte der erste Prozess um ein Zitat in einem nd-Gespräch in der ersten Instanz vor dem Amtsgericht eine Stunde, war er im zweiten Anlauf vor dem Landgericht schon nach zehn Minuten beendet.

 

Von Peter Kirschey

Es begann alles mit einem Interview im »nd«, veröffentlicht am 1. November 2014. Darin blickte der Buchautor und Antifa-Aktivist Bernd Langer zurück auf die linke Szene der 80er und 90er Jahre. Und er erklärte, warum aus seiner Sicht antifaschistische Aktionen in dieser Zeit immer mehr zurückgingen. Es folgte eine Formulierung, die das Gemüt eines Mannes erregte. Das des ehemaligen Generalbundesanwalts Alexander von Stahl. Er witterte in jenen zwei Sätzen eine Straftat. Das Zitat, das die juristische Auseinandersetzung auslöste, lautet: »Aber es gab auch später noch militante Aktionen, zum Beispiel ein koordinierter Anschlag gegen die ›Junge Freiheit‹ 1994. Wenn man das liest, wie das bei denen reingehauen hat - die konnten ihre Zeitung fast zumachen - , war das eine Superaktion gewesen.« Ende des Zitats. Um das Wort »Superaktion« rankt sich nun das Klagebegehren der Berliner Staatsanwaltschaft.

 

Sie folgte damit treu und brav ihrem einstigen obersten Bundesankläger und schickte Langer einen Strafbefehl über 3000 Euro ins Haus. Weil er eine Straftat öffentlich gebilligt habe und der öffentliche Frieden damit gestört sei. Bernd Langer und sein Anwalt Sven Richwin werteten diesen Strafbefehl als Angriff auf die Pressefreiheit und wiesen diesen zurück. Es kam zum Prozess vor dem Amtsgericht Tiergarten im September 2015. Für den Amtsrichter damals eine klare Sache. Offensichtlich hatte er sich sein Urteil schon vor Prozessbeginn gebildet, denn eine Beweisaufnahme hielt er nicht für nötig. Ohne Zeugen zu befragen oder die Ereignisse von 1994 aufzuhellen, fällte er nach einer Stunde - 30 Minuten verbrachte er damit, das nd-Gespräch vorzulesen - sein Urteil. Wegen Billigung einer Straftat wurde Langer zu einer Geldstrafe von 480 Euro verurteilt. Zwar seien die entsprechenden Paragrafen »recht schwammig«, erklärte der Amtsrichter, er verurteilte dennoch nach dem Motto: Im Zweifel gegen den Angeklagten. Dagegen legte Rechtsanwalt Richwin Rechtsmittel ein, konnte er doch in der Verhandlung den Nachweis erbringen, dass das anstößige Zitat völlig aus dem Zusammenhang gerissen war und der Begriff »Superaktion« nicht als Zustimmung zu Gewalttaten gewertet werden konnte.

 

Der zweite Prozess vor dem Berliner Landgericht am gestrigen Dienstag dauerte ganze zehn Minuten. Die Vorsitzende Richterin konstatierte, dass man in dem Verfahren nicht ohne Zeugen auskommen könne. Bis dahin werde der Prozess vertagt. Damit war für diesen Tag Feierabend. Zeugen, das heißt, es werden Polizeibeamte aus Thüringen geladen werden, die 1994 im Zusammenhang mit einem Brandanschlag auf ein Weimarer Druckhaus ermittelt hatten. Was die 22 Jahre später noch zu sagen haben und woran sie sich noch erinnern können, bleibt dem nächsten Prozess vorbehalten. Und so wird aus einem Wort in einem nd-Interview ein richtig großer Prozess mit richtig großen Kosten für den Steuerzahler. Es werden wohl weitere Monate vergehen, bis erneut eine Kammer über Bernd Langer zu Gericht sitzen wird.

 

Der Brandanschlag auf das Weimarer Druckhaus am 4. Dezember 1994, der damaligen Haus- und Hofdruckerei der in Berlin ansässigen rechtsnationalen »Jungen Freiheit«, konnte nicht aufgeklärt werden. Tote oder Verletzte gab es nicht, der Sachschaden war erheblich. Die Tat ist inzwischen verjährt. Nicht aber jener Satz, der 20 Jahre später im »nd« zu lesen war und nun zum Gegenstand einer Prozessserie geworden ist.

 

Die »Junge Freiheit« mit ihrer Nähe zu rechten und nationalkonservativen Gruppierungen spielte zu dieser Zeit eine außerordentlich unrühmliche Rolle bei der Aufstachelung rechter Gewalttäter. Deshalb wurde das Blatt auch vom Verfassungsschutz beobachtet und es fand sich in verschiedenen Verfassungsschutzberichten wieder. Dagegen klagten die rechten Zeitungsmacher mit ihrem Anwalt, Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der nach der Tötung des ehemaligen RAF-Mitglieds Wolfgang Grams in Bad Kleinen 1993 seinen Hut nehmen musste. Von Stahl war es auch, der nach dem Brandanschlag von Soligen, bei dem 1993 fünf Menschen mit türkischen Wurzeln starben, einen rechtsradikalen Hintergrund verneinte. Der FDP-Veteran arbeitet noch heute mit 77 Jahren als Rechtsanwalt.

 

Siehe auch (zu Alexander von Stahl): http://lowerclassmag.com/2016/04/ewiger-kampf-gegen-jeden-antifaschismus/