Asylbewerber Jawad Muhammad über Flucht, Belutschistan und die Asylbehörde
Jawad Muhammad, 28 Jahre alt, verheiratet und fünffacher Vater, lebt seit zwei Jahren als Asylbewerber in einem Dorf in der Nähe von Leipzig. Weil er für die Unabhängigkeit seiner Heimat Belutschistan vom pakistanischen Staat kämpfte, musste er vor Verfolgung und Folter durch den Geheimdienst fliehen. Doch die deutschen Asylbehörden tun sich gegenwärtig schwer mit politisch Verfolgten – die in einer anderen Lage sind als Menschen, die vor Krieg geflohen sind.
kreuzer: Sie sind mit Ihrer siebenköpfigen Familie aus Belutschistan nach Deutschland geflohen. Warum?
JAWAD MUHAMMAD: Belutschistan ist ein Gebiet etwa der
Größe Frankreichs, es gilt als die an Bodenschätzen reichste Region
Pakistans. Doch die Annexion der Region durch Pakistan 1948 war
gewaltsam. Seitdem entscheidet das pakistanische Militär über unser
Land. Tausende Belutschen wurden schon ermordet, mehr als 21.000
Menschen werden vermisst, Entführungen politischer Aktivisten sind an
der Tagesordnung. Doch die pakistanischen Behörden leisten gute Arbeit
in der Vertuschung der Gräueltaten und des drohenden Völkermords in
Belutschistan.
kreuzer: Diese Situation dauert nun schon seit mehr als 65 Jahren an, Sie kennen Belutschistan nur als besetztes Land. Was ist Ihre Rolle in dem Konflikt?
MUHAMMAD: Ich bin Belutsche und es ist meine Pflicht,
für die Freiheit meines Landes einzustehen und meine Stimme gegen die
Unterdrückung und vor allem die Ermordung und Folter zu erheben. Deshalb
bin ich der Baloch Republican Party beigetreten. Dies ist die größte
und organisierteste friedliche Bewegung in Belutschistan mit großem
gesellschaftlichem Zuspruch. Unser finales Ziel ist die Unabhängigkeit
Belutschistans, doch derzeit konzentrieren wir uns ausschließlich auf
die Aufklärung der Verbrechen gegen die Menschheit vom pakistanischen
Militär.
kreuzer: Was war der Ausschlaggeber für Ihre Flucht?
MUHAMMAD: Als politischer Aktivist war mein Leben in
Belutschistan durchgehend bedroht. Nachdem der pakistanische
Geheimdienst angefangen hat, unser Haus regelmäßig zu überfallen,
entschieden meine Familie und ich uns zur Flucht.
kreuzer: Wie sind Sie nach Deutschland gekommen?
MUHAMMAD: Anders als Kriegsflüchtlinge hatten wir das
Glück, das Flugzeug nehmen zu können. Wir sind zunächst in Italien
gelandet und dann weiter nach Deutschland gereist.
kreuzer: Abgesehen vom Ablauf der Flucht: Ist auch Ihr Status in Deutschland ein anderer, wenn Sie nicht aus Kriegsgründen, wie zum Beispiel Syrer, sondern wegen politischer Verfolgung nach Deutschland geflohen sind?
MUHAMMAD: Auf jeden Fall. Ich lebe seit genau zwei
Jahren in Deutschland und hatte noch immer keine Anhörung bei der
Asylbehörde. Die deutschen Behörden wissen nicht mal, warum ich
eigentlich hier bin, weil sie eben denken, dass ich aus Pakistan komme,
was so ja nicht stimmt. Politisch Verfolgte stehen in Deutschland nicht
auf der Prioritäten-Liste, was Asylanträge betrifft.
kreuzer: Wissen Sie von anderen Belutschen in Deutschland, deren Anträge gestattet wurden?
MUHAMMAD: Ja. Derzeit sind etwa 150 Belutschen in
Deutschland und einige Anträge auf Asyl wurden bereits ausgestellt. Wir
müssen eben warten, auch wenn das bedeutet, dass wir viel Zeit
verlieren, da ich seit zwei Jahren nicht einmal einen Integrations-Kurs
machen darf.
kreuzer: Auch in Deutschland engagieren Sie sich weiterhin für Belutschistan. Warum und wie?
MUHAMMAD: Ich will auf die Notlage unseres Landes
aufmerksam machen. Kaum einer weiß überhaupt, wo Belutschistan liegt –
geschweige denn, dass dort täglich Menschenrechtsverletzungen an den
Belutschen begangen werden. Ich konnte in meinem Heimatland angesichts
der vielen Folter und Todesopfer nicht ruhig bleiben, dann werde ich es
nun auch hier nicht sein. Ich kämpfe dafür, dass wir in Belutschistan
irgendwann wie in Deutschland in Frieden leben und unsere Meinung offen
sagen können, ohne Folter und Tod fürchten zu müssen.
Das Interview erschien in der April-Ausgabe des kreuzer.
INTERVIEW: LOUISA ESTHER GLATTHAAR