Konsequente Aufklärung sieht anders aus: Ausblendung möglicher rechter/rassistischer Tatmotive – Behinderung kritischer Öffentlichkeit - Verschwundene Akten

Wer hat Burak ermordet?

Seit dem 14. März 2016 wird vor dem Landgericht Berlin der Prozess gegen den 63-jährigen Rolf Z. geführt. Er wird beschuldigt, am 20. September 2015 Luke Holland (31 Jahre, Brite) in Berlin-Neukölln mit einer Schrotflinte aus nächster Nähe ermordet zu haben. Die Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş beobachtet den Prozess und zieht nach den ersten vier Verhandlungstagen eine kritische Zwischenbilanz.

 

Bisher wurde die Tatmotivation des Angeklagten nicht näher beleuchtet und die Beweisführung auf Indizien begrenzt. Fragen, die in Richtung möglicher rechter oder rassistischer Einstellungen als Tatmotivation des Angeklagten zielen, wurden bislang ausgeblendet. Presseberichten zufolge wurden bei der Hausdurchsuchung bei dem Angeklagten Nazi-Devotionalien gefunden. Ein Zeuge erzählte in einem Radiointerview bereits vor Monaten, dass Rolf Z. sich missbilligend darüber äußerte, dass in der Kneipe „Del Rex“ in Neukölln, vor der sich der Mord ereignete, „kein Deutsch“ gesprochen wurde.

 

Vor diesem Hintergrund ist es für uns unverständlich, warum Gericht und Staatsanwaltschaft nicht gezielt eine mögliche rechte oder rassistische Tatmotivation überprüfen. Wie will das Gericht einen Mord umfassend aufklären, wenn nicht nach dem Motiv gefragt wird? Der NSU-Komplex hat auf schlimmste Art und Weise die fatalen Folgen einer Ausblendung rassistischer Tatmotive seitens der Ermittlungsbehörden offenbart, weshalb wir eine konsequente Aufklärung der Umstände und Hintergründe des Mordes an Luke Holland fordern,“ verdeutlicht Mustafa Güneş von der Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş die Kritik an dem bisherigen Prozessverlauf.

 

Behinderung der Prozessöffentlichkeit durch erhöhte Sicherheitsvorkehrungen

 

Der Prozess gegen Rolf Z. findet unter verschärften Sicherheitsvorkehrungen in einem sogenannten Hochsicherheitssaal statt. Prozessbeobachter_innen werden peinlich genau bis auf die Socken durchsucht, die Personalausweise kopiert und Schreibutensilien im Prozesssaal begrenzt. Das Gericht begründet diese Maßnahmen gegenüber der Nebenklage mit einer „erhöhten Gefahr für Auseinandersetzungen im Prozessraum“, da die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş im Internet zu einer Prozessbeobachtung aufgerufen habe.

 

Mustafa Güneş von der Initiative kritisiert diese Behinderungen: Die verschärften Sicherheitsvorkehrungen wirken einschüchternd und erhöhen so unnötigerweise die Hemmschwelle für die Prozessbeobachtung durch eine kritische Öffentlichkeit. Die Gefahr wird hier auf Seiten der Personen, die an einer konsequenten Aufklärung des Mordes interessiert sind, gesehen und nicht auf Seiten des mutmaßlichen Mörders oder möglicher Unterstützer_innen.

 

Verschwundene Akten


2006 fand bei dem Angeklagten Rolf Z. eine Hausdurchsuchung wegen illegalen Waffenbesitzes statt, bei der Munition gefunden wurde. Die Nebenklage beantragte die Beiziehung dieser Akten in das laufende Verfahren sowie die Ladung eines Zeugens, der damals Hinweise auf den möglichen illegalen Waffenbesitz von Rolf Z. gab. Am dritten Prozesstag, dem 21. März, teilte der Richter die Antwort der Staatsanwaltschaft mit, dass die Akten aus dem damaligen Verfahren gegen Rolf Z. vernichtet worden seien.

In einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom 18. Februar 2016 von Canan Bayram im Berliner Abgeordnetenhaus zu den Ermittlungen zum Mord an Burak Bektaş wurde bestätigt, dass im Dezember 2013 ein Abgleich mit der im Jahr 2006 in der Wohnung von Rolf Z. beschlagnahmten Munition stattfand. Der zurückliegende Aktenvorgang samt Asservaten war damals also noch vorhanden.

 

Diese Akte hätte eventuell Aufschluss darüber geben können, ob Rolf Z. die jetzt bei ihm aufgefunden Waffen schon 2006 besaß. In Presse- und Polizeimeldungen wurden sie zum Teil fälschlicherweise als „Schauwaffen“ eingestuft, deren Besitz nicht unter das Waffengesetz fällt. Möglicherweise gibt die damals aufgefundene Munition auch Hinweise auf weitere nicht bekannte Waffen im Besitz von Rolf Z. oder sogar auf Zusammenhänge mit einem anderen Mord. Sollte diese Akte vernichtet worden sein, nachdem sie im Verfahren zu Burak Bektaş beigezogen wurde, ist dies ein Skandal und lässt Ähnlichkeiten zu den Ermittlungen zum NSU befürchten,“ bewertet Mustafa Güneş diesen Sachverhalt.

 

Für die nächsten Prozesstage erwartet die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş vom Gericht einen konsequenteren Aufklärungswillen, der auch mögliche Bezüge zu anderen Gewaltverbrechen berücksichtigt. Sie misst der Beleuchtung der Tatmotive und der Hintergründe des Mordes an Luke Holland große Bedeutung bei, denn daran wird sich ablesen lassen, ob rechte und rassistische Tatmotivationen und struktureller wie institutioneller Rassismus ernsthaft aufgedeckt und geächtet werden sollen. Ein weiterer Prüfstein dieser Gerichtsverhandlung wird sein, wie respektvoll mit den Angehörigen von Luke Holland und den Zeug_innen umgegangen wird.

 

Keine Bühne für Rassismus!

 

Nächster Prozesstermin: Montag, 4. April 2016, 9 Uhr, Landgericht Berlin, Turmstraße 91, 10559 Berlin

Luke Holland wäre an dem Tag 32 Jahr alt geworden.

 

Am Sonnabend, 9. April 2016, findet zum vierten Todestag von Burak Bektaş an der Todesstelle gegenüber dem Krankenhaus Neukölln eine Gedenkveranstaltung statt, die von da aus zu der Todesstelle von Luke Holland führen wird.

 


 

Die Initiative zur Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş begleitet seit fast vier Jahren die Ermittlungen im Mordfall Burak Bektas, fragt in diesem Rahmen kontinuierlich nach einem möglichen rassistischen Tatmotiv und weist auf eventuelle Parallelen zum NSU-Komplex hin. Sie begleitet im Moment kritisch den Prozess zum Mord an Luke Holland und fragt nach Verbindungen zu dem Mord an Burak Bektaş.

http://burak.blogsport.de