Bericht vom GoIn ins Leder- und Pelzgeschäft Michelen
Heute fand der zweite Prozesstag gegen Andre und Philipp im Amtsgericht Braunschweig statt. Ihnen wird vorgeworfen die Schaufensterscheiben des Pelz- und Lederladens „Michelen“ in der Poststraße in Braunschweig zerschlagen und sich gegen zwei Wachleute gewehrt zu haben.
Um unsere Solidarität mit den Angeklagten Ausdruck zu verleihen, haben wir den Geschäftsablauf von „Michelen“ gestört.
Heute Nachmittag betraten wir den Laden, warfen mit Schnipseln, auf denen zu lesen war „Tiere sind keine Ware“, „Schluss mit dem Profit auf Kosten der Tiere“ und „Solidarität statt Ausbeutung und Repression“, riefen Parolen und machten anderweitig Lärm und Krach. Anschließend verließen wir das Geschäft und verschwanden unentdeckt in der Fußgänger*innenzone.
Michelen fordern wir dazu auf, auf den Verkauf von Waren aus Ausbeutungsverhältnissen wie z.B. Leder und Pelz zu verzichten!
Die Richterin und den Oberstaatsanwalt fordern wir dazu auf, dass Verfahren einzustellen oder die Angeklagten frei zu sprechen!
Bericht vom zweiten Verhandlungstag am 23.03.2016 im Amtsgericht Braunschweig
Wenig eindeutige Erkenntnisse, aber umso mehr zweifelhafte Aussagen. Der zweite Verhandlungstag im Prozess gegen die Tierbefreiungsaktivisten Phillipp und Andre im Amtsgericht Braunschweig (Bericht vom ersten Tag HIER) trug mehr indirekt zur Aufklärung der Geschehnisse am 25.12.2014 bei. Weder konnten die Beschuldigten mit Blick auf die ihnen vorgeworfenen Körperverletzungen identifiziert werden, noch lies sich die Höhe des entstandenen Sachschadens ermitteln und auch über die Misshandlung der Beiden durch die Polizei breitete sich ein Schleier vorgeblichen Unwissens. Stattdessen bot die Befragung der geladenen Polizeibeamten Urban und des ermittlungsleitenden Beamten Antl jedoch reichlich Anlass, den Entstehungshintergrund der Anklage kritisch zu beleuchten.
Urbans verschwommene Klarheiten…
Der Beamte Urban, seit 40 Jahren Streifenpolizist in Braunschweig und
erster Zeuge am zweiten Verhandlungstag, schilderte die Ereignisse im
Dezember 2014 als zwar nicht ungewöhnliche, aber „komplexe“ Vorfälle.
Als er im Zuge seines Streifendienstes zusammen mit dem zur Verhandlung
wegen Urlaubs nicht erschienen Kollegen Bräuer am Tatort eintraf, fand
er zwei Personen am Boden und zwei weitere Personen ein paar Meter
weiter nebeneinander stehend vor. Aggressives Verhalten will er
angeblich von keiner der beteiligten Personen bemerkt haben. Lediglich
die zersplitterten Scheiben des Pelz- und Ledergeschäfts Michelen sowie
eine auf dem Boden liegende Brechstange galten ihm als Anzeichen für den
zuvor über Funk gemeldeten Konflikt. Den Vorwurf der gefährlichen
Körperverletzung durch angebliche Schläge mir einem Brecheisen und den
Einsatz von Pfefferspray konnte der Beamte somit weder bestätigen noch
ausräumen – dies alles liege, so seine mehrfach wiederholte Phrase, im
Bereich des „Ich meine… und Ich bin mir nicht sicher…“. An die
beschädigten Scheiben der an das Pelzgeschäft anliegenden Filialen
Milkau und Ernstings Family konnte er sich dann auch ebensowenig
erinnern wie daran, dass Wachmann Keim die von ihm gefasste Person auf
der Motorhaube des Streifenwagens deponiert haben will.
Die weitere Entwicklung in der Tatnacht schien Urbans Aussagen nach dem
standardgemäßen Prozedere gefolgt zu sein. Die beiden Personen wurden
zur Wache in der Münzstraße gebracht, dort von ihm ohne Aussage
vernommen und schließlich zur Erkennungsdienstlichen Behandlung dem
Kriminaldauerdienst übergeben. Nach der versuchten Vernehmung sei der
Fall für ihn beendet gewesen, sodass er auf Grundlage seiner Notizen und
in Rücksprache mit dem Kollegen Bräuer einen Bericht verfasst habe. Von
Schikane und Gewalthandlungen gegen die Beschuldigten seitens
Polizeibeamter habe er weder etwas mitbekommen noch erfahren. Auch wisse
er nichts über dahingehende Geschehnisse in den Streifenwagen, mit
denen die Beschuldigten zur Wache gebracht wurden.
Die eindeutige Zuordnung der Beschuldigten zu den beiden Wachmännern
Keim und Kontny, wie sie im Bericht festgehalten wurde, sei dagegen
angeblich „bekannt“ gewesen – zumindest zum damaligen Zeitpunkt. Vor
Gericht konnte Urban eine solche Identifikation allerdings weder
wiederholen noch eine sichere Grundlage für die Annahme der zum
Zeitpunkt der Festnahme vermeintlich klaren Zuordnung darlegen. Die bis
dato nicht ermittelte Identifikation der jeweiligen Beschuldigten als
„Täter“ im Sinne der vorgeworfenen Körperverletzung beruhte vornehmlich
auf der Spekulation einer mittlerweile verschwommenen Erinnerung, groben
Notizen und der vor Gericht ebenso verblassten Rücksprache mit dem
Kollegen Bräuer, nicht jedoch auf faktischem Wissen und stichhaltigen
Angaben. Urbans Aussagen sind in der urteilsrelevanten Zuordnung der
Vorwürfe also kaum weiterführend, schon allein, weil er sich nicht mehr
erinnern konnte, ob die Personen bei ihrer Übergabe durch die Wachmänner
an die Polizei noch maskiert gewesen seien oder nicht. Zudem konnte die
Identität der Personen erst im Anschluss an die ED-Behandlung sicher
festgestellt werden. Angesichts der unpräzisen Angaben, die auf
punktuell angeblich klaren, dann wiederum ebenso schwammigen
Erinnerungen fußten, warf der Verteidiger von Philipp naheliegend die
Frage auf, inwiefern die Aussagen des Beamten überhaupt noch erinnert
oder viel eher mit Hilfe der Strafanzeige rekonstruiert seien, die Urban
nach eigenem Geständnis im Vorfeld der Verhandlung noch einmal gelesen
habe. Auch eine mögliche Beeinflussung durch den Kollegen Antl kann
nicht ausgeschlossen werden, denn die Behauptung Urbans, er habe sich
mit diesem Kollegen nicht vorab besprochen, lässt sich angesichts einer
mehrstündigen gemeinsamen Wartezeit vor dem Sitzungssaal während des
ersten Verhandlungstages, arg bezweifeln.
… und Antls Versteckspiele
Die Aussagen des Beamten Antl vom Zentralen Kriminaldienst wurden auf
Grund seiner Rolle als Ermittlungsleitender sowie in seiner Funktion als
Staatsschützer dann auch mit besonderer Spannung erwartet. Was folgte
war eine teils ins absurde abdriftende Darbietung angeblicher
Unkenntnis, womöglich gezielten Verschweigens und schierer
Sprachlosigkeit, die schwerwiegende Fragen zu Hintergründen und
Motivation der Ermittlungen offen ließen.
Zunächst ist festzuhalten, dass Antl seine Ermittlungen nach eigenem
Bekunden allein auf die Strafanzeige und die Aussagen der von ihm
vernommenen Wachmänner stützte. Eine Befragung involvierter
Polizeibeamter habe hingegen nicht stattgefunden. Warum er den Vorwurf
der gefährlichen Körperverletzung in der Anklage dann aufrecht erhielt,
obwohl ihm nach ärtzlichem Gutachten und Vernehmung der Wachmänner
bereits längst bekannt hätte sein müssen, dass die vermeintliche
Augenhöhlenfraktur nur ein Kratzer gewesen ist und etwaige Schläge so
nicht stattgefunden hatten, konnte er nicht beantworten. Ohne eindeutige
Antwort blieb auch die Frage der Zuordnung der Personen. Ein Hinweis
auf den angeblichen Brechstangenschläger sei Blut an der Jacke der
„kleineren Person“ gewesen, das nach einer DNA-Untersuchung dem Wachmann
Keim zugeordnet werden konnte, den die Brechstange angeblich am Kopf
getroffen hatte. Wie jedoch die in den Akten vermerkte Identifikation
der Personen anhand der Kriterien „der Größere“ und „der Kleinere“ zu
stande kam, blieb fraglich. Angeblich habe sie Wachmann Kontny
eingeführt. Allerdings, so Antl weiter, könnte er sie auch selbst
eingeführt haben, da die Personen ihm ja „bekannt“ seien. Seine
Bekanntschaft mit den Beschuldigten begründete er wiederum mit Verweis
auf seiner langjährigen Beobachtung der linken und insbesondere der
militanten Tierschützerszene. Hier nun spätestens eröffnete sich die
Frage nach den genaueren Hintergründen seiner Ermittlungen. Allen voran
die Frage, warum er den Fall überhaupt übernommen habe, gab Antl Anlass
zu einer Scharade, mit der er womöglich dem Verdacht zu entgehen suchte,
die Ermittlungen seien weniger juristisch als viel eher politisch
motiviert und begründet gewesen.
Antl flüchtete sich wiederholt in die Behauptung, die Ermittlungsakten
hätten am 28.12. einfach auf seinem Tisch gelegen – so etwas sei ja
„normal“. Nur drei Tage zuvor am 25.12. hatte sein Fachkommissariat 4
jedoch noch verlauten lassen, sie werde in der Sache erstmal nicht
tätig. Wieso der Sinneswandel?
Vordergründig, so versuchte Antl zu suggerieren, scheint die Kehrtwende
einleuchtend. Bereits einige Monate zuvor hatte es einen Angriff auf
selbiges Pelzgeschäft gegeben, der durch den hinterlassenen Schriftzug
„ALF“ (Animal Liberation Front) der militanten Tierschutzszene
zugerechnet wurde. Antl hatte auch in diesem Fall bislang ergebnislos
ermittelt. Grund genug für einen umgreifenden Brückenschlag zwischen den
Vorfällen im Dezember, einigen Monaten zuvor und der
Tierbefreiungsszene? Die Wachmänner hatten die Beschuldigten nach
eigener Aussage für randalierende Jugendliche gehalten. Einen Bezug zu
militanten Tierschützern hatten sie hingegen erst im Anschluss an die
polizeiliche Vernehmung hergestellt. Auch die Frage, ob Antl den
Beschuldigten Phillipp nun der ALF zuordnen könne, verneinte dieser. Es
würden lediglich „andere Zusammenhänge“ für diese Annahme seinerseits
sprechen. Eine Verbindung zwischen den beiden Vorfällen im Verweis auf
die militante Tierbefreiungsszene lasse sich in Anbetracht dieser
Beweislage so ohne weiteres nicht herstellen.
Wer also hatte auf welcher Grundlage entschieden, dass es sich um eine
Aktion der „militanten Tierschutzszene“ gehandelt habe und Antl
entsprechend die Ermittlung übernehmen solle? Eine Antwort blieb der
Befragte ebenso schuldig wie auf die Frage, warum er denn seine
Zuständigkeit für diesen Fall dann nicht überprüft habe. Es scheint, als
seien die Namen der Beschuldigten wohl Grund genug für eine Ermittlung
in diesem Bereich gewesen.
Dass nicht-juristische Mutmaßungen und politische Repressionsabsichten
in Antls Ermittlungen eine gravierende Rolle gespielt haben, liegt
schließlich auch der Umstand nahe, dass er keinen Anlass sah, den von
den Angeklagten erhobenen Vorwürfen, sie seien auf der Polizeiwache
mehrfach beleidigt, getreten, geschlagen und ausgezogen worden,
nachzugehen. Einen entsprechenden Bericht auf Indymedia quittierte Antl
in den Akten mit dem tendenziösen Verweis, es sei ja hinlänglich
bekannt, dass die Website von der linken Szene zur Agitation gegen den
Staat verwendet wird. Überdies dokumentieren die Vorfälle seiner
Auffassung nach ohnehin nur die Sichtweise der Betroffenen. Wie Antl zu
dieser steilen Behauptung gelangen und es darauf beruhen lassen konnte,
ohne je mit involvierten Polizeibeamten gesprochen zu haben, ließ er
unkommentiert. Letztendlich habe er keinen Anlass zu internen
Ermittlungen in diese Richtung gesehen, weil derlei Vorfälle von den
Beamten ja nicht im Bericht erwähnt wurden. So scheint es, als hätte
Antl die Aussagen der Beschuldigten als bloße Lügen erachtet. Oder ist
ihm Polizeigewalt schlichtweg egal? Auch zu diesem Vorwurf äußerte er
sich nicht.
Da nun weder die Zuordnung der „Täter“ gelingen noch der Sachschaden beziffert werden konnte und im Falle der erschlichenen Leistung auch noch ein Urteil aussteht, muss die Verhandlung fortgesetzt werden. Gegenstand der nächsten Sitzung sollen dann die Zeugenaussage des Polizeibeamten Bräuer und nochmals die des Zeugen Keim (obwohl dieser bereits am ersten Verhandlungstag aussagte, dass er sich an das Aussehen der „Täter“ nicht mehr erinnern könne) sowie eine aussagekräftige Scheibenreparatur-Rechnung des Pelzgeschäfts sein.
Die Verhandlung wird am 13.4. um 10:30 Uhr im Amtsgericht Braunschweig fortgesetzt. Auch wenn ein Ende in Sicht ist, bleibt Unterstützung gern gesehen!