Japanischer ex-Premier, Naoto Kan in Hamburg: „Atomtransporte verbieten!“

Naoto Kan

„Wir waren dicht davor, im Umkreis von 250 Kilometern etwa 50 Millionen Menschen [Japan hat insgesamt 127 Millionen] zu evakuieren. Wir hätten Gebiete für 30 bis 40 Jahre aufgeben müssen, bis hinein nach Tokio. Japan hätte untergehen können. Daran sind wir um Haaresbreite vorbeigeschlittert. Sprach Naoto Kan Mittwoch Abend den 23. März in einem standing-room-only Vortrag im Hamburger Museum für Völkerkunde, so wie vorher in einem Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Kan war während des GAU von Fukushima vor fünf Jahren Premierminister Japans, traf die wichtigsten Entscheidungen, als sein Land am nuklearen Abgrund stand. Von einem nuklearan Saulus wurde der Physiker zum anti-nuklearen Paulus. Er hat ein Buch, „Als Premierminister während der Fukushima-Krise“, über seine Erfahrung zu der Zeit geschrieben.

 

 

Zu der Veranstaltung im Museum wurde er von der kleinen Aktivistengruppe, „Lesen ohne Atomstrom“ eingeladen. Die scheint technisch sehr plietsch zu sein, denn schon am nächsten Morgen, Donnerstag, stand ein Video der Veranstaltung im Netz.  Es läuft 1 Stunde und 10 Minuten, die es wert sind, an zu schauen. Ich weiß es, weil ich live dabei war.

 

Ein Paukenschlag zum Auftakt, der den in Hamburg mitregierenden Grünen nicht gefallen haben wird: „Ich würde es begrüßen, wenn Hamburg die Entscheidung treffen würde, Atomtransporte über seinen Hafen nicht mehr zuzulassen. Das wäre ein Schritt, um Atomkraft abzuschaffen. Und das muss das Ziel sein“.

 

Atomtransporte durch Hamburg zu beenden hat sich „Lesen ohne Atomstrom“ zum Ziel seiner diesjährigen Aktivitäten gesetzt.


Die regelmäßig Hamburg anlaufenden Atomfrachter sind ein lukratives Geschäft – und eminent wichtig für den Weiterbetrieb der deutschen Atomkraftwerke.

 

Vor allem aber sind die Atomtransporte brandgefährlich: als der Atomfrachter 'Atlantic Cartier' am 1. Mai 2013 nahe der City in Flammen stand, entging Hamburg nur knapp einem Inferno.Es waren mehr als 100.000 Besucher des evengalischen Kirchentages in der Nähe. 'Lesen ohne Atomstrom 2016' fordert – was in Bremen längst Gesetz ist: Den Hafen für Atomtransporte sperren!

 

Kan traf sich auch mit Umweltsenator Jens Kerstan, ein Grüner. Keine Hamburger Regierung in verschiedenen Konstellationan, an der Grüne beteiligt waren, hat es geschafft, den Hamburger Hafen für Atomtransporte zu verweigern.

 

Statistisch werden dort alle drei Tage Gefahrgüter wie Kernbrennstäbe umgeschlagen. Dazu Kan: „Solange Atomkraftwerke betrieben werden, müssen Brennelemente für sie geliefert werden. Und auch der Atommüll muss transportiert werden, auch zur See und über Häfen.“

 

Es wäre ein starkes Zeichen, wenn Hamburg kurzfristig Atomtransporte über seinen Hafen verbieten würde, weil es zur Beschleunigung des Atomausstiegs beitragen würde, sagte er.

 

Warum bleibt Japan beim Atomstrom, obwohl sich mittlerweile bis zu 70% der Bevölkerung dagegen aussprechen?

 

Dazu zwei Meinungen. Die von Kan im Museum und im Abendblatt: „Es gibt ein Establishment aus Wirtschaft, Politik, Beamten, Wissenschaft und Medien in Japan – bei uns sagt man dazu ‚das Atomdorf‘“.

 

Spiegel-Korrespondent in Japan, Wiegang Wagner, sieht unter anderem eine militärische Dimension: Japan will sich die Option von Atomwaffen offen halten, weil es sich von den Atommächten China und Nordkorea umzingelt fühlt und sich nicht nur auf den US-Nuklear-Schild verlassen will.

 

Es werden Hunderte gewesen sein, die an der Veranstaltung im Haupthörsal und im bestreamten Museumscafé nebenan teilnahmen; sie wurde auch live ins Netzt gestreamt.

 

Bei „Lesen ohne Atomstrom“ treten regelmäßig kostenlos Autoren, Journalisten, Experten, Musiker, usw auf, um den Atomausstieg zu fördern. Die Gruppe finanziert sich durch Spenden „von echten Mäzenen“, versicherte man uns am Veranstaltungsabend, von denen die meisten anonym bleiben wollen.

 

Das diesjährige Programm bekommt man hier. Eintritt ist immer kostenlos. Man sagte mir, alle Veranstaltungen würden sehr gut besucht.