EU-Wahnsinn stoppt Sport auf griechischer Insel

Ikaria

Sport spielt gerade in Krisenzeiten eine bedeutsame Rolle. Für Kinder und Jugendliche bietet er einen Kontrast zum beklemmenden Krisenalltag, in welchem die Erwachsenenwelt erstickt. Wenn du bei Google „Jugendarbeitslosigkeit Griechenland 2016“ eingibst, kommst du auf erschreckende 48%! Das bedeutet, einer von zwei Jugendlichen ist arbeitslos! Das ist die Realität, auch hier auf Ikaria.

 

Sport bietet immer wieder Anlass, sich zusammen zu finden, gemeinsam für die Mannschaft zu fiebern und zu kämpfen. Er kompensiert viel von dem Frust über die ausweglose Lage im Land und ist zu einem wichtigen gesellschaftlichen Ventil geworden. Sport statt Drogen oder Gewalt.

 

Freundschaft, Zusammenhalt, Respekt und Stolz sind Gefühle, welche in einer bankrotten Nation unterzugehen drohen. Sport lässt die Menschen für kurze Zeit eintauchen in eine andere Welt und die harte Realität vergessen, er verbindet und gibt ein Gefühl von Normalität.

 

Kampf gegen Armut und Perspektivlosigkeit


Das wussten schon die Alten. Im Sommer 1933 gründeten einige wirklich visionäre Dorfbewohner von Raches den Sportverein „Diagoras“. Er ist einer der ältesten in der Präfektur von Samos. Damals dachten sie, es sei an der Zeit, neben dem täglichen harten Überlebenskampf, mit den wenigen zur Verfügung stehenden Mitteln, den Sport und die olympische Idee in die isolierten Siedlungen von Ikaria zu tragen. Stell dir mal vor, 1933 zu einer Zeit, als die grundlegende Infrastruktur wie Straßen, Strom- und Wasserversorgung in den Dörfern noch nicht einmal vorhanden war. Während der folgenden Jahrzehnte geprägt vom Weltkrieg, Bürgerkrieg, Verfolgung, Hungersnot und Chunta, hat die Liebe der Ikarioten für den Sport niemals nachgelassen.

 

Wieder leben wir in Krisenzeiten, Arbeitslosigkeit, Armut und Perspektivlosigkeit prägen die Generation von heute und dem Verein kommt wiedereinmal eine ganz besondere Rolle zu. Dafür sprechen auch die Zahlen. Es sind etwa 200 Sportler und Sportlerinnen aller Altersklassen eingeschrieben (10-45 Jahre), welche systematisch in den Sportarten Fußball (Men/Youngster/Junior/Frauen), Basketball (Junior gemischt), und sogar mit dem Motorradsport (Männer/Frauen gemischt) engagiert sind. Alle diese Sportarten nehmen an den Meisterschaften der Präfektur von Samos teil.

 

Eine Herzensangelegenheit: Hilfe für „auffällige“ Kinder


Nikos (Name geändert) war 8 als er seinen Vater verlor und sich sein Leben auf einen Schlag veränderte. Seine Eltern lebten in einem kleinen Steinhäuschen, in dem schon Nikos Vater und Großvater geboren wurde. Es war ein einfaches Leben, aber der Garten, die Tiere und die Wärme der Gemeinschaft des kleinen Dorfes gaben der Familie alles was sie zum Leben brauchten. An jenem Tag brach seine Welt zusammen. Der Junge veränderte sich mit der Zeit sehr. Er wirkte in sich gekehrt und wurde in der Schule schnell aggressiv. Ein „auffälliges“ Kind wie man in Deutsch sagt. Vielleicht wäre er in Deutschland sogar als ADHS-Kind eingestuft, aber auf jeden Fall dem Kinderpsychologen vorgeführt worden. Hier gibt es so etwas aber nicht.

 

Es war einfach so, dass der Fußballtrainer des Dorfes sich des Jungen annahm, wie er es schon bei vielen Kindern getan hatte, bei denen zuhause etwas nicht stimmte. Zunächst ließ er den Jungen einfach in Ruhe. Mitlaufen, mitspielen, ab und an mal auf die Schulter klopfen. Ein Augenzwinkern des Trainers bewirkte mehr als tausend Worte. Mit der Zeit stellte sich heraus, dass Nikos wirklich Talent hatte. Er war flink wie ein Wiesel und schoss mit seiner Mannschaft viele Tore, die von allen Zuschauern frenetisch bejubelt wurden. Schritt für Schritt kehrte der Junge wieder ins Leben zurück. Der Zusammenhalt der Mannschaft, die Herzlichkeit, die Erfolge und gemeinsamen Niederlagen, gaben ihm die Kraft zurück, die ihm der Verlust des Vaters genommen hatte.

 

Ähnliche Schicksale kenne ich viele und immer wieder ist unser Sportverein ein wichtiger Teil im Alltag der Menschen. Viele Kinder und Jugendliche haben unter denkbar schwierigen Bedingungen für den „Diagoras“ gekämpft und einige haben es sogar auf nationaler und balkanweiter Ebene geschafft.

 

Als würde man über die Apfelreibe gezogen


Ich kenne den Verein „Diagoras“ seit 30 Jahren, da Pantelis mein Mann von Anfang an dabei war. Er spielte selbst jahrelang Fußball, heute ist Konstantinos unser Sohn in seine Fußstapfen getreten und Pantelis trainiert die ganz Kleinen. Seit Jahren unterstützen wir den Verein ehrenamtlich wie alle. Diagoras ist eine Herzensangelegenheit.

 

Ich habe noch den Schotterplatz miterlebt, wo man sich bei einem Sturz,  sei es bei Leichtathletik oder Fußball, ähnliche Verletzungen wie bei einem Motorradsturz zuzog. Als würde man über die Apfelreibe gezogen. Später haben wir Rasen ausgesät und jeden Sommer gehätschelt. Wir organisieren seit Jahren jeden Sommer große Konzerte mit bekannten griechischen Musikern um Geld zu sammeln. Die Wirtschaftskrise hat jedoch dem Verein fast den Garaus gemacht. Es fehlen einfach die finanziellen Mittel für ganz simple Dinge wie Sportausrüstung und –material für die Kinder. Trotz erheblicher Schwierigkeiten haben die Vorstandsmitglieder, die Eltern und die Vereinssportler gemeinsam in den letzten Jahren die Verbesserung der bestehenden Anlagen bewirkt. Der Sportplatz von Agios Dimitrios wurde vergrößert, Naturrasen, ein kleiner Basketballplatz gebaut und eine kurze Geschicklichkeitspiste in den Bergen für unsere Motorradsportler. Wir haben in die Beleuchtung des Sport- und des Basketballplatzes investiert, damit man auch abends, wenn es kühler ist, spielen kann und eine Sicherheitsumzäunung um die Anlagen gebaut.

 

Die EU und ihre Schreibtischmorde  


Aber leider waren all diese Mühen nicht genug und im letzten Jahr wurden alle Sportveranstaltungen gestoppt. Nach den neuesten strengen Richtlinien der Europäischen Union und der griechischen Regierung, unterliegen alle Sportstätten rechtlich und ihre technischen Anlagen den europäischen Normen. Das bedeutet, sie müssen die vorgeschriebenen Anforderungen erfüllen, um eine offizielle Benutzungserlaubnis zu erhalten. Zu Deutsch: Zuschauer-Tribünen und Zuschauertoiletten, Umkleideräume, Duschanlagen und Toiletten für die Sportler, Schiedsrichterraum, Notfallzimmer, Feuerschutz und Behindertentoiletten! Solange der Verein keine offizielle Nutzungserlaubnis für den Sportplatz erhält, dürfen weder offizielle Trainings abgehalten, noch Spiele ausgetragen werden. Die Sportteams, welche an offiziellen Wettkämpfen teilnehmen möchten, müssen deswegen den Sitz des Trainings- und Heimplatzes in Ag. Kyrikos oder gar Samos in Kauf nehmen. Die Wirtschaftskrise hat den finanziellen Tod des Vereins eingeläutet, da die Eltern der Kinder kein Geld mehr spenden können. Trotzdem kämpfen alle weiter. „Wenn wir aufgeben“ sagt der Verbandsvorstand Andreas Kochilas, „ist es, als würden wir auf unser Leben und die Zukunft unserer Kinder verzichten.“

 

Die Olympische Idee – Partnerverein gesucht


Ich bin vor kurzem in Zürich/Kloten gelandet. Ich hatte einen Fensterplatz und sah beim Anflug die beleuchteten Dörfer und Städte unter mir, und natürlich durch die Arbeit an diesem Artikel sensibilisiert, fielen mir die Lichter der unzähligen Sportanlagen unter mir sofort auf. So viele, so groß, sogar in kleineren Ortschaften! Wie einfach und selbstverständlich Sport für alle ist.

 

Da schossen mir Gedanken durch den Kopf: wie, wenn wir einen Partnerverein finden würden? Gerade in diesen abstrusen Zeiten sind doch die Förderung von Freundschaft und die Differenzierung von Politik und Mensch so wichtig! Die Olympische Idee: „den Krieg beilegen, um gemeinsam Sportwettkämpfe abzuhalten“. Wäre dies vielleicht der richtige Zeitpunkt für eine DE-CH-AUT-GR Freundschaft? Sport verbindet. Sport solidarisiert, integriert und lässt eine gemeinsame Vision entstehen. Hast du eine Idee? Bist du selbst in einem Verein oder kennst jemanden? Wenn ich Nachrichten lese, wird mir schlecht! Wer versteht noch, was hier in Europa, vor unseren Augen, vor sich geht? Ich weigere mich der generellen Abgrenzung und Gefühllosigkeit anzuschließen!

Lass uns gemeinsam neue Visionen schaffen!

 

Vielleicht bist du ja selbst Sportfan und möchtest den Sportverein „Diagoras“ unterstützen: Zu den Spendenkonten

 

*Die Schweizerin-Griechin Ursula Kastanias lebt und arbeitet mit ihrer Familie seit 30 Jahren auf der griechischen Insel Ikaria. Sie betreibt den Reiseblog/Webseite „Ursula´s Ikaria“ über die Insel. Über ihren Blog lanciert sie diverse Spendenprojekte, um die Schulen, die Jugend und die medizinische Versorgung von Ikaria zu unterstützen.