Heute vor zwei Jahren kam es zu dem tragischen Tod des Asylbewerbers Ahmed Jaber. Der Libyer hinterließ eine schwangere Frau und einen zehn Monate alten Sohn. Sein Tod sorgte deutschlandweit für mediale Aufmerksamkeit und ein Verfahren gegen den Wachmann Andreas Müller wegen unterlassener Hilfeleistung. Am Ende stand Betroffenheit und der Tenor eines bedauerlichen Einzelfalls und das obwohl vielfach auf Missstände und strukturelle Probleme hingewiesen wurde.
Konsequenzen aus Ahmeds Tod wurden wenige gezogen, deshalb halten wir es für notwendig noch einmal darauf hinzuweisen, wie es dazu kommen konnte,unter welchen gesellschaftlichen Bedingungen dieser "Einzelfall" stattfand – und in ähnlicher Weise wieder stattfinden könnte. Wir haben dem Verstorbenen am 14. 02. in der plauener Innenstadt gedacht.
Dezember 2013 kam die Familie nach Deutschland. Am 11.01 befand sich der Asylbewerber, auf Grund starker Schmerzen, bereits im Krankenhaus, aus dem er sich , laut Aussage eines Verwandten, selbst entlassen hatte weil ihm nicht geholfen wurde.
Eine Ärztin im Plauener Klinikum hatte sich geweigert, Ahmed zu behandeln, da dieser kein Deutsch sprach. Vermutlich hatte sich der 43-jährige letztlich auf Grund dieser rassistischen Erfahrung für den Abbruch des Krankenhausaufenthaltes entschieden.
In der Nacht vom 13.02 auf den 14.02. wurden die Schmerzen unerträglich.
Daraufhin wandten sich die Bewohner_Innen gegen 3:40 Uhr an den einzigen diensthabenden Wachmann, mit der Bitte doch einen Notarzt zu rufen. "Die Bewohner_Innen sind offensichtlich davon ausgegangen, dass der Wachmann die notwendige Hilfe holt, nachdem er sich selbst ein Bild von dem Mann gemacht hatte", sagte der zuständige Staatsanwalt Bernd Sämann der Zeitung "Die Welt". Der Notruf wurde erst zwei Stunden später von einem/r der Bewohner_Innen abgesetzt. Weil Müller nicht auf die Bitten der Bewohner_Innen einging und sich in seiner Pforte verbarrikadierte, versuchten diese die Pforte auszuhebeln – daraufhin rief er die Polizei.
Die "Freie Presse" schilderte den Vorgang wie folgt: „Wer trägt Schuld am Tod des Libyers? Mit dieser Frage beschäftigt sich jetzt die Kriminalpolizei. Demnach soll sich ein 43-jähriger Wachschutzmitarbeiter geweigert haben, einen Rettungswagen zu rufen.`Wir ermitteln gegen den Wachmann, weil er fast zwei Stunden keine Hilfe geholt hat - trotz mehrfacher Aufforderung´, sagt Polizeisprecher Jan Meinel. Der Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes habe den vor Schmerz gekrümmten Mann im Zimmer liegen sehen.[...] Laut Meinel droht dem Sicherheitsmann ein Verfahren wegen unterlassener Hilfeleistung oder fahrlässiger Tötung.
Der 24-jährige Tunesier Saidi war einer jener Männer, die an der Pforte hämmerten. `Drei Stunden haben wir auf Hilfe gewartet. Dann war alles zu spät.´ Am Ende hebelten sie ein Fenster auf, weshalb der Wachmann die Polizei alarmierte. Zeitgleich hatten andere Asylbewerber_Innen auf eigene Faust den Krankenwagen gerufen.“ Wiederholt wurde von damaligen Bewohner_Innen geäußert, dass sie nicht berechtigt wären einen Krankenwagen zu rufen bzw. den Krankenwageneinsatz selbst zahlen zu müssen. Von wem dieses Gerücht in die Welt gesetzt wurde bleibt Spekulation.
Maßgebend für Müllers Handeln diesbezüglich, sei seine Fehleinschätzung über Jabers Gesundheitszustand einige Stunden zuvor gewesen. Außerdem orientierte er sich am Vermerk im Dienstbuch. Laut eigener Aussage vor Gericht habe darin gestanden, dass Ahmed Jaber simuliere und kein Notarzt gerufen werden solle.
Das ist wohl das letzte Puzzleteil, dass zu Ahmeds Tod führte, am frühen Morgen des 14. Februar starb er an einer Lungenembolie – und an einem rassistischen Normalzustand.
Der Prozess am Plauener Amtsgericht gegen den Wachmann wurde Ende Januar 2015 gegen Zahlung von 1.800 Euro eingestellt. Das Verfahren ist aus unserer Sicht eine Farce – denn die Verantwortung der Heimleitung wird dabei verschwiegen! An den entwürdigenden Zuständen im überfüllten Heim in der Kasernenstraße hat sich unterdessen nichts geändert. Bauliche Mängel, struktureller Rassismus und Behördenwillkür sind nach wie vor an der Tagesordnung.
Ein weiterer ausschlaggebender Punkt, der zum Tod des Libyers führte war die nicht-sachgemäße Behandlung im Krankenhaus.
Neben der mangelnden Anzahl qualifizierter Dolmetscher_Innen, orientieren sich privat geführte Krankenhäuser nicht ausreichend an ihrer „neuen Kundschaft“, der steigenden Zahl Geflüchteter und Asylbewerber_Innen bzw. stellen sich nicht ausreichend auf diese ein.
Im Falle der Erkrankung eines/r Asylbewerber_In muss die betreffende Person, sich zuerst einen Behandlungsschein bei der zuständigen Ausländerbehörde organisieren. Diese muss, besonders auf dem Land, nicht einmal in der selben Stadt sein, es kann durchaus vorkommen, dass ein in Plauen lebender Mensch für diesen Schein nach Reichenbach fahren muss – je nachdem welche Behörde verwaltet.
Die Ausstellung des Scheins hängt somit von dem Wohlwollen einer/s medizinisch-unqualifizierten Sachbearbeiter_In ab. Hinzu kommt, dass die Öffnungszeiten der Ausländerbehörden suboptimal sind. Grundsätzlich werden Behandlungsscheine nur bei akuten Schmerzzuständen ausgestellt, „diagnostiziert“ von Sachbearbeiter_Innen.
Wir fordern,
- die bundesweite Einführung einer Gesundheitskarte, die auch Asylbewerber_innen einen einfachen Zugang zu medizinischer Versorgung gewährleistet, wie in Bremen und Hamburg bereits Realität
- ausschließlich weltoffene und qualifizierte Sicherheitsdienste in Asylbewerber_innenheimen
- die Abschaffung aller rassistischen Sondergesetze, wie Residenzpflicht und die medizinische Versorgung nach dem Asylbewerberleistungsgesetz
- die Abschaffung von Massenunterkünften, weil sie menschenunwürdig und konfliktpotenzierend sind
- mehr Dolmetscher und mehr qualifizierte Sprachkurse für alle Geflüchteten und Asylbewerber_Innen
- die bessere Aufklärung der Geflüchteten über ihre Rechte
- bessere medizinische und psychologische Versorgung für alle