Die Schwäche der Linken - Das Sicheinlassen der griechischen SYRIZA-Regierung im Sommer 2015 auf ein weiteres Austeritätsmemorandum machte noch einmal die Schwäche der Linken in Europa deutlich – und zwar
sowohl Schwäche der reformistischen Linken, eine sozialökologische „Reformalternative“[1] gegen den Neoliberalismus durchzusetzen,
als auch Unfähigkeit der revolutionären Linken, eine die Massen (oder auch nur die Mehrzahl der linken AktivistInnen, die bei diesen oder jenen Protestaktionen oder Bewegungsansätzen zu treffen sind) überzeugende revolutionäre Alternative zu Kapitalismus, Patriarchat und Rassismus aufzuzeigen.
[1] Siehe kritisch zum Konzept der „Reformalternativen“: Spanien etc.: Reinkarnationen der Sozialdemokratie, https://de.indymedia.org/node/7229 (22.12.2015) und die beiden dortigen .pdf-Anhänge (siehe 1 und 2).
Leo Meyer von der Marxistischen Linken[1] (die 2014 unter dem Motto „ökologisch, emanzipatorisch, feministisch, integrativ“ von Mitgliedern eines Flügels der DKP und anderen Linken gegründet wurde) drückte dies kürzlich so aus: „Wenn die SYRIZA-geführte Regierung keine Möglichkeit hatte, die Gegenseite zu irgendetwas zu zwingen, dann nicht weil sie keinen ‚Plan B‘ in der Tasche hatte, sondern weil [...] die Linke in den anderen europäischen Ländern – vor allem in Deutschland – keinen ‚Plan A‘ hatte, um die Stärke zu entwickeln, mit der sie die Regierungen zu Zugeständnissen hätte zwingen können.“
Diesen Gedanken griff nun kurz vor dem Jahreswechsel Thomas Seibert von der Interventionistischen Linken (IL) auf. Für „einen Plan A ist“ seines Erachtens „von entscheidender Bedeutung“: „Obwohl an der Zweidrittel-Mehrheit der Großen Koalition kein Weg vorbeiführt, bleibt doch strategisch anzuerkennen, dass sich das dritte Drittel dieser Gesellschaft abseits hält. Dabei beziehe ich mich [… auf] die hochgeschätzt 30%, niedrig geschätzt an die 20% derer, die sich bei verschiedenen Anlässen ausdrücklich links der Zweidrittelgesellschaft positioniert haben und dies auch heute noch tun.“ (https://emanzipatorischelinke.files.wordpress.com/2015/12/6010_thomas-seibert_erste-notizen-zum-plan-a-einer-neuen-linken.pdf = http://www.trend.infopartisan.net/trd1215/Thomas-Seibert_Erste%20Notizen%20zum%20Plan%20A%20einer%20neuen%20Linken.pdf, S. 3)
Zuvor hatten bereits die drei europäischen Sektionen der Trotzkistischen Fraktion – Vierte Internationale (FT-CI) – Clase contra Clase (Spanischer Staat), Revolutionäre Internationalistische Organisation (Deutschland) und Revolutionär-Kommunistische Strömung in der Neuen Antikapitalistischen Partei (Frankreich) – einen Vorschlag für einen Plan I („I“ wie internationalistisch) veröffentlicht: „Weder der pro-europäische Reformismus noch die verschiedenen Pläne B, noch der ‚Anti-Euro‘-Reformismus sind eine Alternative für Millionen von Arbeiter*innen, Frauen und Jugendlichen. Es ist notwendig, einen internationalistischen, klassenkämpferischen, antikapitalistischen und revolutionären Pol aufzubauen, der einen anderen Plan vorschlagen kann: einen Plan ‚I‘ wie internationalistisch. […]. Er muss auf europäischer Ebene (und aufgenommen auf nationaler Ebene) Maßnahmen enthalten, wie: die Verstaatlichung der Banken unter Arbeiter*innenkontrolle, die Enteignung der großen kapitalistischen Gruppen der Industrie, des Handels und des Verkehrs, die Nichtzahlung der Auslandsschulden, die Aufteilung der vorhandenen Arbeit, volle politische und soziale Rechte für Geflüchtete und Migrant*innen, die Rechte der Frauen und der LGBT*-Bewegung und die Verteidigung der Einheit der Arbeiter*innenklasse. [...] Wir rufen die NPA und LO in Frankreich, Antarsya in Griechenland, die SWP und andere Gruppen der radikalen Linken in Großbritannien sowie alle Strömungen auf dem Kontinent, die sich antikapitalistisch verstehen, eine Alternative dieser Art zu diskutieren und zu organisieren. Dies richtet sich genauso an gewerkschaftlichen Strömungen oder Tendenzen, die sich weigern, zwischen dem Europa des Kapitals oder dem Rückzug auf die engen nationalen Grenzen zu wählen. Gemeinsam könnten wir sowohl gegenüber dem Europa des Kapitals und der Grenzen als auch gegenüber der Sackgasse des Plan B eine Bewegung für einen Internationalistischen Plan anstoßen. Um dem pro-europäischen Reformismus, dem linken Souveränismus und noch mehr der xenophoben extremen Rechten ihren Einfluss auf die Arbeiter*innen streitig zu machen.“ (http://klassegegenklasse.org/fur-einen-internationalistischen-und-klassenkampferischen-plan-das-europa-der-arbeiterinnen-und-der-massen/)
Chancen für eine neue Organisierungsdebatte?
Damit steht – nachdem es lange Zeit, nach dem Scheitern des NAO-Prozesses[2], ziemlich ruhig um diese Frage war – die Frage nach den geeigneten Formen linker Organisierung wieder auf der Tagesordnung. Denn es fehlt, schreibt Thomas Seibert, in Deutschland jenem „Drittel offensichtlich eine gemeinsame Stimme, d.h. die politische Artikulation, mit der es zum ‚Lager’ oder zum ‚Block’ einer Gegenmacht würde. Anders gesagt: das dissidente Drittel dieser Gesellschaft ist in sich und in seinen Verbindungen zu anderen Milieus diffus, seine Zusammensetzung wechselt je nach Anlass, es verfügt über keine gemeinsamen Orte, keine gemeinsame Agenda, keinen gemeinsamen strategischen Entwurf. Es ist also, auf den Punkt gebracht, weit entfernt davon, ein politisches Subjekt zu sein.“ Und auf europäischer Ebene fehlt es eh an strömungsübergreifender, revolutionärer Organisierung. Zwar gibt es die verschiedenen trotzkistischen und maoistischen ‚Internationalen’, es gibt europaweite Zusammenarbeit im Rahmen von Blockupy und es gibt das Beyond Europe-Netzwerk, an dem das ...um Ganze-Bündnis beteiligt ist. Aber es fehlt auf europäischer Ebene und in den meisten europäischen Nationalstaaten an einem Äquivalent zu ANTARSYA, dem Bündnis verschiedenen revolutionär-antikapitalistischer Gruppen in Griechenland.
Ob aus den Überlegungen und Vorschlägen von Thomas Seibert ein neuer Schwung für die radikale und revolutionäre Linke in der BRD oder gar europa-weit erwachsen kann, bleibt allerdings abzuwarten. Zumindest war dieses Papier für uns ein Anlass auf Thomas Seibert mit einem gemeinsamen Artikel unter der Überschrift „Das strategische Dilemma der Linken des 21. Jahrhunderts“ zu antworten. Er erschien zuerst bei linksunten.indymedia und wurde von der Linken Zeitung, scharf-links, Ema.Li und TREND gespiegelt. Aus der Kommentar-Diskussion bei linksunten.indymedia entstand noch ein zweiter Artikel – mit der Überschrift „Den Klassen-Begriff diskutieren!“. Dieser zweite Artikel antwortet teils auf die Kommentare unter unserem Dilemma-Papier und versucht außerdem eine Vertiefung der Diskussion über den Klassen-Begriff – ein Thema, das wir bereits in unserem ersten Artikel angesprochen hatten. Wir stimmten dort Thomas Seibert zu, dass sich das dissidente Milieu „stark aus den sog. ‚Mittelklassen’ rekrutiert (wobei wir allerdings gerade in dem Denken in der ‚Mittelklassen’-Kategorie einen wichtigen Teil des ‚Problems’ sehen)“. Wir beklagten, dass „sich
ein enger Begriff von ‚Arbeiterklasse’ / ‚Proletariat’ auf Seiten der Reste des stalinistischen, maoistischen und trotzkistischen Partei-Marxismus einerseits
und
ein affirmativer bis weinerlich-selbstkritischer Un-Begriff von ‚Mittelschicht’/‚-klassen’ auf Seiten der Bewegungs-Linken andererseits
wechselseitig stabilisieren und den Durchbruch zu einem marxistischen Begriff von ‚Lohnabhängigen’ (= diejenigen, deren [Über]leben vom Verkauf ihrer Arbeitskraft als Ware abhängt – und zwar unabhängig von konkretem Tätigkeitsinhalt und Ausbildungsniveau) blockiert.“
Ein solcher – unmarxistischer – soziologischer Schichten-Begriff scheint uns auch in dem Beitrag von Karl-Heinz Reinelt zu dieser Debatte, der am 31.12.2015 bei scharf-links erschien, vorzuliegen. Reinelts Gegenüberstellung von
„Unsereins ‚proletarischen’ Unterschichtler“
und
„Dr. Seibert[s]“ „anakademisierten und vollakademischen Politolog*innen und sonstigen Privilegiert*innen der mittleren und oberen Mittelschicht“
ersetzt und verdrängt den marxistischen Begriff der Lohnabhängigen (gezwungen, seine/ihre Arbeitskraft zu verkaufen, unabhängig von Arbeitsinhalt und Ausbildungsniveau). Und obendrein werden auch handfeste dichotome Ressentiments gegen „Akademiker“ als „Privilegierte“ kultiviert, was mit der Existenz des „akademischen Proletariats“ schon lange nicht mehr stimmt.
In etwa mitgehen können wir dagegen mit folgender Formulierung von Karl-Heinz Reinelt, wenn wir dort „lohnabhängige Facharbeiter-Kernbelegschaften sowie auch soziallibertäre Mittel- und Unterschichten“ als soziologisches Äquivalent zum marxistischen Begriff der Lohnabhängigen verstehen:
„Nur ein tatsächliches Mitte-Unten-Bündnis, das auch die Interessen der Menschen in prekären Arbeits- und Lebensverhältnissen vertritt und nicht nur die der lohnabhängigen Facharbeiter-Kernbelegschaften sowie auch soziallibertäre Mittel- und Unterschichten umfasst, also der Zusammenschluss aller ‚revolutionär’ sozialistischen Kräfte, ermöglicht den Einstieg in transformatorische Prozesse.“
Allerdings scheint uns eine kolossale Illusion vorzuliegen, wenn die in dieser Weise beschriebene soziale Lage mit „‚revolutionär’ sozialistischen Kräfte“ gleichgesetzt wird. Denn revolutionär-sozialistisch sind seit Jahrzehnten nur sehr kleine Teile sowohl der „Facharbeiter-Kernbelegschaften“ als auch der „soziallibertäre Mittel- und Unterschichten“ eingestellt. –
Im Zusammenhang mit der Diskussionen über einen weiten, marxistischen Begriff von Lohnabhängigen und/oder einem engen, soziologischen Begriff von „‚proletarischer’ Unterschicht“ hat TaP auch noch mal Tief in seinen/ihren Archiven gewühlt und eine alte Debatte herausgekramt, die quasi das Präludium des NaO-Prozess war – nämlich die Debatte zwischen Prütz/Schilwa, Thomas Seibert und DGS über „Klassenkampf und Diversity-Management“. In dieser Debatte ging es vor allem um die Kritik von Thomas Seibert an dem, was er als „Unterstellung der Problematiken etwa des Geschlechts oder des Rassismus unter die Konfliktlagen in den ‚direkt mehrwertproduzierenden Sektoren’“ an dem „Na endlich!“-Papier der Sozialistischen Initiative Berlin-Schöneberg kritisierte.
Der Einsatz – oder: Was auf dem Spiel steht
Im wesentlichen geht es uns – systemcrash und TaP – in unseren aktuellen Texten, die wir in diese Debatte einbringen, darum, quasi eine Brücke zwischen der ‚traditionalistischen’ und ‚postmodernen’ Linken zu bauen, indem wir zu ihnen eine doppelte Opposition markieren und gleichzeitig (ebenfalls bei beiden) das ‚Richtige’ vom ‚Falschen’ trennen möchten. Davon erhoffen wir uns, endlose Kreis-Debatten durch falsche (oder unzureichende) Fragestellungen zu vermeiden und eine klarere Vorstellung vom „Gemeinsamen“ als auch vom „Trennenden“ gewinnen zu können. Dabei geht es uns nicht um ein Harmoniemodell, das die Differenzen unter den Teppich kehren will zugunsten einer vermeintlichen Pseudo-Einheit (die eh auf Sand gebaut wäre). Vielmehr möchten wir
Einigkeit (oder Annäherung) in grundlegenden Fragen revolutionärer Programmatik (was wir als „Essentials“ bezeichnen und die auch nicht voraussetzungslos sind),
um darauf eine gemeinsame Praxis (und Vertrauensbildung) zu entwickeln
und
gleichzeitig – im Rahmen eines ‚Blocks revolutionärer Gruppen’ (also so etwas wie eine ‚deutsche’, besser auch: ‚europaweite ANTARSYA’, Antikapitalistische linke Zusammenarbeit für den Umsturz) – systematisch strittige Fragen zu diskutieren und auszuräumen (oder aber die Unvereinbarkeit von Positionen zu erkennen).[3]
Dabei gehen wir davon aus, dass es Differenzen gibt, die sich noch im Rahmen einer ‚revolutionären Programmatik' befinden und solche, die eben nicht zusammengehen können (was dann aber punktuelle Zusammenarbeit z.B. in Aktionseinheiten nicht ausschließen muss).
Wir denken, dass dieses ‚Blockmodell’ sowohl attraktiver ist als auch mehr Aussicht auf Erfolge hat als die Existenz ungezählter Klein- und Kleinstgruppen. Dabei werfen wir den einzelnen Gruppen nicht ihre ‚Kleinheit’ vor [das wäre albern, denn wir sind selbst nur zwei ;-)], sondern ihren Glauben, wenn sie ein „gutes Programm“ hätten, könnten sie ‚linear’ wachsen und irgendwann einmal die „Avantgarde“ der (Welt)Revolution werden. Diesen ‚Glauben’ halten wir allerdings in der Tat für aussichtslos! Wir denken, dass es mehr Sinn hat, die bescheidenen – personellen, finanziellen, organisatorischen und intellektuellen – Ressourcen zusammenzulegen (natürlich nur, soweit eben inhaltliche Annäherung erfolgt) und durch den Abgleich der verschiedenen Positionen (verschiedener Spektren, theoretischer Schulen und [historischer] Identitäten) zu einem höheren Maß von ‚revolutionären Realismus’ (nicht zu verwechseln mit ‚Real’politik, die ein Codewort für Anpassung ist) zu gelangen. Diesen Zusammenfluss, der aber eben nicht ‚postmodern’ beliebig ist, unterschiedlicher Ideen- und Theoriestränge und Herangehensweisen unterschiedlicher sozialer Milieus (oder ‚Szenen’) – was wir als revolutionäre Konvergenz bezeichnen – halten wir für unabdingbar, um die soziale Basis der ‚revolutionären Linken’ über das Klientel der üblichen Verdächtigen hinaus zu verbreitern. Dabei gehen wir von einem ziemlichen langen Zeitraum aus, den so ein Annäherungsprozess der revolutionären Linken benötigt. Möglicherweise gibt es auch Differenzen, die tatsächlich nicht auf einer rein theoretischen Ebene geklärt werden können; dann müsste damit gelebt und untersucht werden, inwieweit damit trotzdem gemeinsam Politik gemacht werden könnte – oder ob die Hindernisse zu groß sind. Beides wäre ein Bestandteil dieses Prozesses revolutionärer Konvergenz (oder klassisch leninistisch ausgedrückt: ein Prozess von Spaltungen und Fusionen).
Wir möchten alle Genossinnen und Genossen, die unseren Ideen und Vorstellungen irgendetwas abgewinnen können, dazu einladen, mit uns in Kontakt zu treten. Dafür haben wir einen Blog mit der Adresse
eingerichtet; dessen Redaktion würden wir gerne noch um GenossInnen mit andere biographisch-sozialisatorische Erfahrungen und aus anderen Spektren der radikalen und revolutionären Linken erweitern.
Vielleicht kann es in einem neuen Anlauf (besser) gelingen als bei bisherigen, einen erneuten Diskussions- und Vorbereitungsprozess zur Bildung eines Blocks revolutionärer Gruppen zustandezubringen (natürlich können auch Unorganisierte mitmachen, wir sind ja selbst zurzeit auch nicht organisiert, und uns ist klar, dass kollektive [Gruppen]entscheidungen schwieriger herzustellen und daher schwerwiegender als individuelle sind. Trotzdem steht und fällt unser Block-Vorschlag damit, dass er von den existierenden revolutionären Gruppen aufgegriffen und mit Leben gefüllt oder aber verworfen wird).
Wir möchten diesen revolutionären Organisierungsprozess (und es wird immer notwendig sein, ihn zu versuchen, solange es Ausbeutung und Herrschaft gibt!) unter das Motto des italienischen Marxisten
Antonio Gramsci stellen:
Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens!
Und unter das von Lenin:
Lieber weniger, aber besser!
[1] http://kommunisten.de/index.php?option=com_content&view=article&id=4901:verein-qmarxistische-linkeq-gegruendet&catid=113:marxistische-linke&Itemid=282.
[3] In eine ähnliche Richtung geht auch der Vorschlag, den die Revolutionär-Kommunistische Internationale Tendenz kürzlich in Form eines Offenen Briefes an alle revolutionären Organisationen und Aktivisten unterbreitete: „als einen ersten Schritt, die Einheit, basierend auf einer Übereinstimmung zu den entscheidenden programmatischen und organisatorischen Aufgaben des Klassenkampfes heute, anzustreben.“ / „Angesichts unterschiedlicher Traditionen und Positionen, könnte es notwendig sein, zuerst einen Block oder ein Liaison-Komitee zwischen mehreren Organisationen zu bilden, bevor wir revolutionäre Einheit erreichen.“ (http://www.thecommunists.net/home/deutsch/offener-brief/)