Anschlag auf Flüchtlingsheim – Handgranate war Kriegswaffe

Ein Modell der Handgranate M52 aus dem ehemaligen Jugoslawien wird während einer Pressekonferenz gezeigt. Unbekannte haben eine Handgranate dieser Bauart auf das Gelände einer Flüchtlingsunterkunft in Villingen geworfen.
Erstveröffentlicht: 
29.01.2016

Bei der Granate, die auf eine Flüchtlingsunterkunft in Villingen geworfen wurde, handelt es sich um eine Kriegswaffe aus dem ehemaligen Jugoslawien – ob diese einen Zünder hatte und damit scharf war, steht noch nicht fest. Ermittler untersuchen zudem, wem der Anschlag galt.

 

Mit einer Handgranate haben Unbekannte in Villingen-Schwenningen im Schwarzwald einen Anschlag auf eine Flüchtlingsunterkunft verübt. Der Sprengsatz wurde in der Nacht zum Freitag über einen Zaun auf das Gelände der bedarfsorientierten Erstaufnahmestelle (BEA) in Villingen geworfen. 176 Menschen leben dort. Der Splint, mit dem solche Sprengkörper gesichert werden, war gezogen, die mit Sprengstoff gefüllte Granate explodierte jedoch nicht. Menschen kamen nicht zu Schaden.

Menschen waren in unmittelbarer Nähe der Granate


Nach neuen Erkenntnissen sind Menschen allerdings in unmittelbarer Nähe gewesen. Die Granate sei an einem Sicherheitszaun abgeprallt und neben einem Container des Sicherheitsdienstes liegengeblieben. Darin befanden sich nach Auskunft von Klemens Ficht vom Regierungspräsidium Freiburg zur Tatzeit drei Sicherheitsleute. Die Granate explodierte jedoch nicht.

Ob der Container die Mitarbeiter bei einer Detonation geschützt hätte, könne man noch nicht sagen, sagte Dietmar Schönherr von der Kriminaldirektion Rottweil. Splitter der Granate hätten beispielsweise durchs Fenster schlagen können. "Das hätte zu schweren Verletzungen oder auch zum Tode der Personen führen können." Insgesamt seien in der Nacht 14 Security-Mitarbeiter im Einsatz gewesen.

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Noch gibt es laut Polizei keine Verdächtigten. Befragungen in der Nachbarschaft der Asylbewerberunterkunft hätten allerdings den einen oder anderen Hinweis erbracht, der nun geprüft werde.

Bei der möglicherweise scharfen Granate handelt es sich um eine Kriegswaffe


Der Freiburger Regierungsvizepräsident Klemens Ficht erklärte, bei der Handgranate habe es sich um eine Kriegswaffe gehandelt. Dass diese auf eine Einrichtung für Kriegsflüchtlinge geworfen worden sei, sei besonders zu verurteilen.

"Ob ein Zünder verbaut war, ist bisher nicht bekannt. Das ist die entscheidende Weichenstellung." Johannes-Georg Roth

Nach dem Anschlag mit einer Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft untersuchen die Ermittler, ob die Kriegswaffe einen Zünder hatte und damit tatsächlich scharf war. "Es steht fest, dass sie mit Sprengstoff gefüllt war", sagte Johannes-Georg Roth, Leiter der Staatsanwaltschaft Konstanz, auf einer Pressekonferenz in Villingen-Schwenningen am Freitag. "Ob ein Zünder verbaut war, ist bisher nicht bekannt. Das ist die entscheidende Weichenstellung."

Der Experte des Landeskriminalamtes, Andreas Stenger, erklärte, von einer scharfen Granate könne nur gesprochen werden, wenn sowohl Sprengstoff als auch Zünder vorhanden seien. Aus Polizeikreisen hatte es zunächst geheißen, die Handgranate sei scharf gewesen.

"Soko Container" mit 75 Beamten gebildet


Nach dem Anschlagsversuch hat die Polizei nun eine Sonderkommission eingerichtet. In der "Soko Container" ermittelten 75 Beamte, um die Hintergründe der Tat aufzuklären, sagte Dietmar Schönherr, Leiter der Kriminaldirektion Rottweil, am Freitag in Villingen.

Soko-Chef Rolf Straub äußerte sich zurückhaltend zum Stand der Ermittlungen. Es werde geprüft, ob es sich um eine fremdenfeindliche Tat handele. Aber auch andere Möglichkeiten würden in Betracht gezogen. Befragungen in der Nachbarschaft hätten einige Hinweise erbracht, aber sie seien zu unkonkret, "um auf bestimmte Personen zuzugehen".

Sprengung hinter Strohballen


Ein Sicherheitsmann bemerkte die Granate gegen 1.30 Uhr auf dem Boden und alarmierte die Einsatzkräfte. Die Polizei sperrte das Gelände und angrenzende Straßen weiträumig ab. Die BEA, in einer ehemaligen Kaserne untergebracht, befindet sich in einem Wohngebiet. Gegen 5 Uhr fuhr dann ein Landwirt mit Strohballen vor. Diese lud man ab und positionierte sie um die Granate. Entschärfer des LKA aus Stuttgart sprengten sie, ein dumpfer Knall war zu hören. 20 Bewohner der Einrichtung mussten kurzzeitig ihre Betten verlassen. Sie wurden vorübergehend in freien Wohnungen untergebracht und kehrten nach der Sprengung der Handgranate wieder in ihre Schlafräume zurück.

"Zu Typ und Sprengkraft der Handgranate können wir noch nichts sagen", so Thomas Kalmbach am Freitagmorgen, Pressesprecher beim Polizeirevier Tuttlingen. "Die Wirkung der Granate war aber so stark, dass wir von einem Anschlag sprechen." Es habe immer mal wieder kleinere Polizeieinsätze wegen Körperverletzungen in der BEA Villingen gegeben, "allerdings nicht in dieser Brisanz", sagt Kalmbach. "Das ist eine neue Qualität." Hinweise zum Täter gebe es noch nicht. "Der oder die Täter werden aber eher nicht zur Gruppe 'Refugees Welcome' gehören", meint Kalmbach.

Derzeit untersuchen Kriminaltechniker die Umgebung des Tatorts und sichern Spuren. Die Sonderkommission "Container" hat die Ermittlungen übernommen. Die Sprengstoffexperten in Stuttgart erstellen ein Gutachten über die gefundene Handgranate.

Erstmals Einsatz von Sprengstoff


Der Angriff auf das Flüchtlingsheim in Villingen ist bundesweit der erste Fall, bei dem Sprengstoff zum Einsatz kam. "Bis jetzt hatten wir zwar mehrere Fälle, in denen Pyrotechnik verwendet wurde", sagte eine Sprecherin des Bundeskriminalamts (BKA) in Wiesbaden. "Dass nun eine Kriegswaffe zum Einsatz gegen eine Flüchtlingsunterkunft kam, ist neu."

Das BKA sei in dem Fall bislang nicht tätig, dazu müsste es erst von der zuständigen Staatsanwaltschaft beauftragt werden, erklärte die Sprecherin. Es finde jedoch eine fachliche Zusammenarbeit mit den Ermittlern vor Ort statt. Die BKA-Sprecherin warnte davor, die Lage vorschnell zu bewerten: "Eine seriöse Einschätzung kann erst erfolgen, wenn alle Umstände berücksichtigt wurden."

Politiker verurteilen Anschlag


Den versuchten Anschlag auf die BEA in Villingen verurteilen Regierungspräsidentin Schäfer, Landrat Hinterseh und Rupert Kubon, OB von Villingen-Schwenningen einhellig: "Wir sind erleichtert, dass kein Mensch bei diesem heimtückischen Versuch zu Schaden gekommen ist. Wir sind entsetzt und verurteilen jede Form von Gewalt, die sich gegen die Flüchtlinge, aber auch gegen die Mitarbeiter in unseren Unterkünften richtet. Die Sicherheit der Flüchtlinge und der Mitarbeiter hat für uns höchste Priorität."

Auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) zeigte sich bestürzt. Die Gewalt habe ein erschreckendes Ausmaß angenommen. "Wir können alle nur dankbar sein, dass dieses Mal niemand verletzt wurde", sagte Maas am Freitag in Berlin. Die Täter dürften nicht ungestraft davonkommen.

 

Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) hat den Wurf einer Handgranate auf eine Flüchtlingsunterkunft in Baden-Württemberg als "feigen" Angriff bezeichnet. Die Attacke in der Nacht mit dem Sprengsatz, der jedoch nicht explodiert war, sei "inakzeptabel", sagte de Maizière am Freitag dem Sender N24.

Er verstehe die Sorgen und Kritik der Bürger in der Flüchtlingsdebatte, sagte de Maizière weiter. "Aber bei Gewalt hört es dann auf", stellte der Minister klar. Die Bundesregierung wolle weder, dass Asylbewerber straffällig werden, noch dass gegen diese Straftaten begangen würden.

"Rechter Straßenterror"


Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Volker Beck, innenpolitischer Sprecher, bezeichnete die Tat als "rechten Straßenterror". Er teilte mit: "Wir brauchen eine Flüchtlingsschutzpolitik." Er forderte einen Gipfel im Kanzleramt mit Diskussionen, "die am Wohl und Schutz der Flüchtlinge orientiert sind und nicht nur an deren Abwehr".

Im Südwesten gab es nach Auskunft des Innenministeriums vom Freitag im vergangenen Jahr 68 Übergriffe gegen Flüchtlingsunterkünfte. Davon waren 61 politisch motiviert und werden von den Sicherheitsbehörden als "Kriminalität Rechts" eingestuft. Unter den 68 Straftaten waren acht Brandstiftungen. In elf Ermittlungsverfahren wurde mindestens ein Tatverdächtiger ermittelt.