Vorzeichen eines langen Montagabends - Vor dem „Legida-Geburtstag“: Fotogate, Verfassungsschutz, Kudla-Kritik und Besuch aus der Schweiz

Erstveröffentlicht: 
10.01.2016

Legida hetzt seit einem Jahr auf Leipzigs Straßen gegen Geflüchtete und Andersdenkende. Für die rassistische Vereinigung ist dies ein Grund zum Feiern. Doch gegen die von Pegida unterstützte Kundgebung am Montagabend kündigt sich breiter Protest studentischer, bürgerlicher und antifaschistischer Initiativen an. Abseits des eigentlichen Demogeschehens sorgen derweil eine Einschätzung des Verfassungsschutzes zum Linksextremismus, eine angebliche Videomaßnahme der Leipziger Polizei und die Mitteilung einer CDU-Bundestagsabgeordneten für Diskussionsstoff.

 

Legida feiert am kommenden Montagabend auf dem Parkplatz vor dem Naturkundemuseum seinen ersten Geburtstag. Dass es jemals so weit kommen würde, war lange Zeit kaum absehbar. Wenige Monate nach ihrem Start im Januar 2015 mit mehreren tausend Teilnehmern verlor die rassistische Vereinigung deutlich an Zuspruch. Die Veranstaltungen auf dem Simsonplatz besuchte nur noch der harte, einige hundert Personen umfassende, Kern. Legida reagierte zunächst mit einer Sommerpause, aus der man einen Monat später mit einem neuen Versammlungsort zurückkehrte: dem Richard-Wagner-Platz. Seitdem treffen sich regelmäßig 500 bis 1.000 Menschen, um gemeinsam der Hetze gegen Geflüchtete, Politiker, Journalisten und alle anderen, die angeblich nicht zum deutschen „Volk“ dazugehören, zu lauschen.

 

Das einjährige Jubiläum dürfte den Rechtsradikalen wieder mehr Zulauf bescheren als zuletzt, als noch maximal 300 Menschen teilnahmen. In Dresden verzichtet das Team um Pegida-Chef Lutz Bachmann auf eine Kundgebung, um gemeinsam mit dem eigenen Anhang den Leipziger Ableger zu unterstützen. Neben der „Freien Kameradschaft Dresden“ rufen auch Neonazis aus Halle dazu auf, nach Leipzig zu fahren. Legida hat seine Veranstaltung beim Ordnungsamt mit 1.000 bis 2.000 Teilnehmern angemeldet. Diese Spannweite erscheint realistisch, angesichts des Zulaufes auch und gerade aus der rechtsextremen Szenerie.

 

Hier wird seit einigen Stunden nach der polizeilichen Auflösung der von Randalen begleiteten Kölner Pegida-Demonstration auch gegen die Polizei selbst gehetzt. In einem Post greift so die rechtsextreme Seite der „Freien Kameradschaft Dresden“ bei Facebook auch die Polizei im Vorfeld des 11. Januar 2016 an. Diese hätte sich durch die Auflösung der von Randalen überschatteten Demonstration am 9. Januar in Köln „schuldig gemacht“ und solle sich nunmehr in Leipzig überlegen, auf welcher Seite sie stehe. Untermalt ist dieser Aufruf mit einem vermutlichen Bild eines am Boden liegenden Polizeibeamten. 

 

Internationales Flair und Gegenproteste


Aus der Schweiz hat sich ebenfalls Besuch angekündigt: Der Politiker Ignaz Bearth, der in der Vergangenheit als Mitglied und Unterstützer rechtsextremer Parteien auftrat, möchte am Montagabend zum Publikum sprechen. Auch in Dresden bei Pegida war er bereits zu Gast. Ende September warnte er dort vor einem angeblichen „Volksaustausch“, den es zu stoppen gelte, und rief dazu auf, Politiker nach Afrika oder Sibirien zu verjagen. „Tauscht die Politiker aus, bevor die Politiker euch austauschen“, so Bearth. Außerdem stimmte er wiederholt die Neonaziparole „Wer Deutschland nicht liebt, soll Deutschland verlassen“ an und bezeichnete Geflüchtete als „Sozialschmarotzer“, „Asyltouristen“ und „kriminelle Migranten“.

 

Um Redebeiträge wie diesen nicht unwidersprochen zu lassen, planen verschiedene Initiativen bereits seit Wochen Protestaktionen gegen die Jubiläumsfeier von Legida. Unter dem Motto „Bass statt Hass“ veranstaltet das studentische Bündnis „Legida? Läuft nicht.“ gemeinsam mit dem Aktionsnetzwerk „Leipzig nimmt Platz“ eine Demonstration vom Augustusplatz zum Richard-Wagner-Platz. Ab 18 Uhr soll dort eine Großkundgebung gegen Legida und „für einen Willkommensplatz in der Leipziger Innenstadt“ stattfinden. Die Veranstalter erwarten 5.000 Teilnehmer.

 

Die gleiche Anzahl an Menschen soll sich nach dem Willen des ehemaligen Thomaspfarrers Christian Wolff und zahlreicher Unterstützer an einer Lichterkette rund um den Innenstadtring beteiligen. Sammelpunkte hierfür sind ab 18 Uhr der Nikolaikirchhof, der Augustusplatz, der kleine Willy-Brandt-Platz, der Richard-Wagner-Platz und der Burgplatz. Neben Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) haben mehr als 100 Vertreter aus Wirtschaft, Kultur, Bildung und Politik den Aufruf unterzeichnet. 

 

Die CDU setzt sich ab


Es gibt aber auch Kritik an der Initiative. Die CDU-Bundestagsabgeordnete Bettina Kudla möchte an der Lichterkette nicht teilnehmen, da diese „die Bemühungen der Bundesregierung um eine Reduzierung und Eingrenzung der Asylbewerberzahlen“ torpedieren würde, wie es in einer am Freitag veröffentlichten Mitteilung heißt. Zuvor hatte die L-IZ die Bundestagsabgeordnete wegen ihrer Haltung zur Lichterkette angefragt, was eventuell zur öffentlichen Positionierung beigetragen hat. Die Initiatoren würden sich in ihrem Aufruf unter anderem für „das Grundrecht auf Asyl“ und „ein Europa der offenen Grenzen“ starkmachen, so die Abgeordnete daraufhin. Vor allem diese beiden Forderungen kritisiere Kudla. Die Forderung nach offenen Grenzen sei kontraproduktiv und die „lapidare Betonung des Grundrechts auf Asyl“ suggeriere „den Willen zu einer unbeschränkten Aufnahme von Menschen“, so die CDU-Politikerin.

 

Darüber hinaus halte sie nichts von parteiübergreifenden Aufrufen sowie der politischen Willensbekundung von Amts- und Funktionsträgern im Rahmen von Demonstrationen. Die Parlamentarier sollten sich stattdessen „für weitere Gesetze zur Bewältigung der Asylthematik einsetzen“. Irena Rudolph-Kokot (SPD), die den Aufruf unterzeichnet hat und als Vertreterin von „Leipzig nimmt Platz“ als Rednerin für die Abschlusskundgebung angekündigt ist, zeigte kein Verständnis für diese Äußerungen: „Ich weiß nicht, ob Frau Kudla in der Politik etwas zu suchen hat. Sie verwechselt Verwaltungshandeln mit politischem Agieren.“

 

Monika Lazar, Leipziger Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen hingegen attestierte Bettina Kudla bereits ein „bemerkenswertes Demokratieverständnis“. „So distanziert sich Frau Kudla auch von einer demokratischen Streitkultur. Gerade jetzt, vor dem Hintergrund der Vielzahl an Anschlägen und der großen Herausforderung durch die Integration der Geflüchteten, sollte es das Anliegen aller Demokraten sein, gemeinsam an Lösungen zu arbeiten und Angriffe zurückzuweisen“, so Lazar. Mit ihren Äußerungen würde die Bundestagskollegin „die Lichterkette in die Nähe des `Extremismus`“ rücken. Zudem verwies Monika Lazar auf die bemerkenswerte Stille seitens Bettina Kudla in den vergangenen Monaten.

 

Lazar: „Frau Kudla biedert sich damit bei Rassisten in Leipzig an. Äußerungen von Frau Kudla in Bezug auf die hohe Anzahl an rechter Gewalt, die Vielzahl an Übergriffen gegen Nichtrechte und die Presse, hat man dagegen in den letzten Monaten nicht vernommen. Ihr geht es damit nicht um eine ernsthafte Problemlösung sondern um ihre Inszenierung und die Delegitimation von Initiativen gegen Rassismus und Gewalt.“

 

Kudlas Parteikollege und Kreisvorsitzender der Leipziger CDU, Robert Clemen sprang in einer Mitteilung heute der Bundestagsabgeordneten bei. Die Ablehnung einer „Beteiligung an der der Legida-Geburtstagsfeier“ begründete der Leipziger so: „Unsere Partei hat sich im vergangenen Jahr in keiner Weise an Demonstrationen oder Gegendemonstrationen beteiligt. Wir  werden jetzt auch nicht an einer sozialdemokratisch organisierten Geburtstagsfeier für Legida teilnehmen.“

 

Innerhalb der CDU gebe es nur wenig Verständnis für die Aufmerksamkeit, die man so Legida schenken würde. Zudem verwies Clemen auf die überlasteten Polizei-Beamten. Indirekt verlangte der CDU-Politiker, über Verbote von Demonstrationen nachzudenken. „Keiner bezweifelt, dass das Demonstrationsrecht ein hohes Gut unserer Demokratie ist. Es gilt nun jedoch über die Verhältnismäßigkeit zu befinden“, so Clemen.

 

Dass es ein unangenehmer Montag auch weiterhin ganz ohne CDU-Beteiligung für den durch Sachsens Innenminister Markus Ulbig (CDU) in den vergangenen Jahren zusammengesparten Polizeiapparat werden könnte, deutet sich auf mehreren Seiten an. So auch im linksradikalen Lager. 

 

Vorboten eines komplizierten Montagabends


Hier wird ebenfalls Kritik, allerdings an der Form des Gegenprotestes laut. Die sich selbst als „linksradikal“ bezeichnende Gruppe „The Future Is Unwritten“ schreibt in einem Beitrag auf ihrem Blog: „Angesichts von rassistischen Überfällen, Ausschreitungen und Anschlägen stellt die momentane Mobilisierung von rechts eine konkrete Bedrohung dar. Durch entpolitisierende Lichterketten und andächtige Selbstinszenierung lässt sich dieser Situation wohl kaum angemessen begegnen.“ Im Netz tauchen nun auch Grafiken auf, in welchen dazu aufgerufen wird, den Legida-Geburtstag „zu crashen“.

 

Der sächsische Verfassungsschutz geht davon aus, dass es bei einer Lichterkette und friedlichen Kundgebungen gegen Legida nicht bleiben wird. Er verweist etwa auf ein im Dezember veröffentlichtes Video, das den Angriff auf den ehemaligen Leipziger NPD-Funktionär Axel Radestock zeigt. Es endet mit dem Aufruf: „Kommt am 11.01. nach Leipzig, gegen Deutschland, Pegida und Bullenschweine!“ Der Verfassungsschutz rechnet nun mit Anreisenden aus Berlin, Sachsen-Anhalt und Dresden.

 

Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass sich bei der sich andeutenden Mobilisierung in beiden extremen Lagern die Frage nach einem Verbot der gesamten angemeldeten Demonstrationen scheinbar nicht stellt. Wesentlich schwächere Indizien hatten noch zu Silvester 2015 genügt, um in Connewitz mittels Allgemeinverfügung alle Demonstrationen zu untersagen.

 

Aber nicht nur Auswärtige sind den sogenannten Verfassungsschützern ein Dorn im Auge. Eine aktuelle Lageeinschätzung vom 7. Januar rückt auch „Leipzig nimmt Platz“ ins Zentrum linksextremer Aktivitäten. So sei der Aufruf des Aktionsnetzwerkes für ein am vergangenen Freitag veranstaltetes, offenes Treffen „ähnlich“ wie der in dem Gewaltvideo verbreitete Aufruf, „wenn auch verhaltener und subtiler“. Insbesondere stört man sich an dem Anliegen, „den Beteiligten die Möglichkeit zu bieten, Bezugsgruppen zu treffen und sich zu vernetzen“. Dies sei „ein Indiz auf die Teilnahme des militanten Kleingruppenspektrums“. Weiter führt der Verfassungsschutz aus, dass auf angeblich linksextremistische Organisationen verwiesen, eine auf Blockadeaktionen ausgerichtete Demonstration beworben und sich in den entsprechenden Aufrufen nicht ausdrücklich von Gewalt distanziert werde. Diese „Tatsache“ würde „erfahrungsgemäß“ auf einen „konfrontativen Verlauf“ hinweisen. 

 

Irritationen auch um die Rolle der Polizei


Mitglieder des Aktionsnetzwerkes reagierten auf diese Einschätzung mit einer Mischung aus Belustigung und Unverständnis. Bei „Leipzig nimmt Platz“ sind neben aktivistischen Gruppen auch Parteien, Gewerkschaften und Kirchen organisiert. Die anlässlich der Legida-Demonstrationen veröffentlichte und bis heute gültige „Leipziger Erklärung“ enthält ein klares Bekenntnis zu „gewaltfreien Aktionen“. Dieses wurde nach den Ausschreitungen am Rande der OfD-Demonstration Ende September sowie der Neonazikundgebung am 12. Dezember nochmals bekräftigt.

 

Doch nicht nur der Verfassungsschutz, sondern auch ein mögliches Fehlverhalten der Leipziger Polizei am vergangenen Montag beschäftigt aktuell die Aktionsnetzwerker. Ein am späten Montagabend erst auf Twitter und dann auf dem Blog Sechel.it veröffentlichtes Foto soll einen Beamten zeigen, der heimlich aus einem Polizeiwagen heraus Videoaufnahmen von der Kundgebung gegen Legida auf dem Richard-Wagner-Platz anfertigt. Bislang konnte der Sachverhalt nicht aufgeklärt werden.

 

Die Polizei möchte Kontakt zum Fotografen aufnehmen, woran dieser jedoch kein Interesse zeigt. „Die Polizeibeamtinnen und -beamten werden für ihre Arbeit bezahlt und sollten in der Lage sein, diese selbst zu erledigen“, so der Journalist Ronny Gsawitz gegenüber der L-IZ. „Da auf meinem Foto zu erkennen ist, dass ein Polizeibeamter Aufnahmen mit einer Videokamera fertigt, ist dies auch gar nicht notwendig.“

 

Andreas Loepki, Pressesprecher der Polizeidirektion Leipzig, zieht aus dem bisherigen Ermittlungsstand einen anderen Schluss: „Mangels tatsächlich belegbarer Kenntnisse über Datum und Uhrzeit der Aufnahme, konkreten Standort und Aufstellrichtung des Fahrzeugs, angebrachtes Kennzeichen und Blickrichtung des Polizeibeamten bleibt letztlich eine reine Behauptung im Raum. Die Polizeidirektion Leipzig muss daher gegenwärtig davon ausgehen, das Foto werde ganz bewusst zu Zwecken der Fehlinterpretation und Meinungsbeeinflussung genutzt beziehungsweise missbraucht.“ Gleichwohl wolle man versuchen, „den Sachverhalt mit den bisher eher dürftigen Angaben aufzuhellen“.

 

Der Journalist Gsawitz sieht sich durch diese Sichtweise der Leipziger Polizei verleumdet. „Dies stellt eine Diffamierung kritischer Medienberichterstattung dar.“ Sein Vorschlag: „Derjenige, der es am besten wissen müsste, ist der betreffende Beamte. Es sollte keine Mühe kosten, diesen einfach zu fragen.“ Solange der Vorfall nicht aufgeklärt ist, möchte sich das Aktionsnetzwerk dazu nicht äußern. Man habe bislang bewusst darauf verzichtet, damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Polizei-Pressesprecher Loepki betont, dass es keinerlei Interesse gebe, Teilnehmer des friedlichen Protests zu filmen. „Ich kann aber gegenwärtig auch nicht ausschließen, dass die Videotechnik zur Dokumentation einer Straftat oder eventuell wegen der Zoomfunktion – ohne Aufnahme – genutzt wurde, um im Hintergrund einen Schriftzug auf einem Plakat oder ähnliches zu prüfen.“

 

Spätestens am Montagabend dürfte die gesamte Konzentration aller Beteiligten wieder dem Legida-Geburtstag gelten. Die mit Neonazis kooperierende „Offensive für Deutschland“ möchte dann ebenfalls demonstrieren und nach der Spaltung vor etwa einem dreiviertel Jahr wieder den Schulterschluss mit Legida suchen. Sollte dies im Rahmen der Feierlichkeiten zum einjährigen Bestehen nicht klappen, dürften sich noch zahlreiche weitere Gelegenheiten ergeben. Das Ordnungsamt bestätigte auf Anfrage, dass weiterhin bis Jahresende Demonstrations-Anmeldungen für den Richard-Wagner-Platz vorliegen.