Protest gegen Rassismus: Rechte Aktivisten am Internetpranger

Erstveröffentlicht: 
20.12.2015

In Öhringen versammeln sich regelmäßig Aktivisten, um lautstark gegen die Flüchtlingspolitik zu pöbeln. Manche gehen zu Gegenmaßnahmen über. Ein Internetportal zeigt Demo-Teilnehmer und ruft auf, sie zu identifizieren. Dürfen die das?

 

Von Tanja Kurz 19. Dezember 2015 - 16:26 Uhr

 

Öhringen - Seit Oktober halten Anhänger einer Gruppierung namens „Hohenlohe wacht auf“ das beschauliche Städtchen Öhringen und die Polizei jeden Samstag in Atem – auch in dieser Woche. Bis zur Landtagswahl im kommenden Jahr wollen sie weitermachen. Mal demonstrieren 50, mal 100 und mal mehr als 300 dem rechten Spektrum zuzurechnende Männer und Frauen gegen die Asylpolitik der Bundesregierung unter dem Slogan „Merkel muss weg“. Unter Pseudonymen wie „Michael Mannheimer“ und „Curd Ben Nemsi“ agitierende Antiislamisten hetzen unter Beifall gegen Flüchtlinge.

Wer sind die Leute, die hier Beifall klatschen? Diese Frage macht die Internetplattform linksunten.indymedia.org öffentlich. „Kein ruhiges Hinterland für Nazis und Rassisten“, ist hier zu lesen; darunter werden Fotos der Kundgebungsteilnehmer einzeln herangezoomt und zur Identifizierung freigegeben. „AfD-Mitglied“, „Kameradschaft Main-Tauber“. „NPD-Aktivist“, „Alt-Nazi“ ordnen User – ob zutreffend oder nicht – den Bildern konkret Namen und politische Ausrichtung zu. Aber dürfen die das? Ist diese Form des Onlineprangers zulässig?

 

Vor allem gegen die AfD

In den Verfassungsschutzberichten taucht die nach eigener Aussage von „AntifaschistInnen BaWÜ/RLP“ betriebene Plattform mit jedem Jahr häufiger auf. Sie sei dem „Linksextremismus“ zuzuordnen, sagt Verfassungsschutz-Pressesprecher Georg Spielberg, und: „Wir schauen die natürlich an.“ Wie im Bericht 2014 zu lesen ist, standen bei linksunten.indymedia.org im vergangenen Jahr vor allem Agitationen gegen die als rechtspopulistisch geltende AfD im Vordergrund. Wann wo etwas gegen Umtriebe im rechten Lager passiert: Auf der Plattform können sich Verfassungsschutz wie Polizei, so scheint’s, über alles informieren. Was und wer genau wo beobachtet wird – „das liegt in der Natur der Sache“ (Spielberg) – möchte seine Behörde natürlich nicht in der Zeitung lesen. Für die Staatsanwaltschaft Stuttgart ist die Fragestellung nach der Rechtmäßigkeit der Veröffentlichungen theoretisch. Erste Staatsanwältin Claudia Krauth sagt unumwunden: „Ohne einen konkreten Sachverhalt, ein Verfahren können wir keine Bewertung vornehmen.“ Das sieht der Stuttgarter Rechtsanwalt Andreas Reichhardt ähnlich: „Wo kein Kläger . . .“, sagt er. Teilnehmer an einem öffentlichen Ereignis wie einer Demonstration dürften fotografiert werden. Das Heranzoomen einzelner Personen zur Identifizierung und die Veröffentlichung der Fotos im Internet sei seiner Meinung nach jedoch „grenzwertig“ und könne das Recht am eigenen Bild verletzen. „So etwas wird jedoch nur auf Antrag verfolgt.“

 

Kritik, aber keine Anzeigen

Die Teilnehmer der „Hohenlohe wacht auf“-Kundgebung kritisieren den Pranger zwar lautstark, Anzeigen gegen linksunten.indymedia.org liegen offenbar aber nicht vor. Das Interesse, konkret als Person Öffentlichkeit auf sich zu ziehen, scheint wenig ausgeprägt. Laut dem Deutschen Journalistenverband (DJV) ist die Veröffentlichung der Namen und Fotos von rechten Hetzern, wie in der „Bild“-Zeitung und der „Huffington Post“ geschehen, „rechtlich und ethisch“ nicht angreifbar.

Der DJV verweist auf den Deutschen Presserat, der Anfang Dezember entschieden hat, dass „die Veröffentlichung der Äußerungen mit Name und Profilbild in beiden Berichterstattungen zulässig (sei), dass es sich hier nicht um private, sondern erkennbar um politische Äußerungen der User in öffentlich einsehbaren Foren handelte. Hieran besteht ein öffentliches Interesse, das die Persönlichkeitsrechte überlagert.“ Die Facebook-Aktion „Perlen aus Freital“ zeigt überdies, dass anonyme Hetze gegen Flüchtlinge im Netz Folgen haben kann. Mehrere augenscheinlich Rechte haben nach „Freital“-Outings einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge ihren Job verloren. In manchen Fällen sei wegen Beleidigung, Bedrohung oder Volksverhetzung strafrechtlich ermittelt worden.