Die Luft um den umstrittenen spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón wird dünner.
Der spanische Oberste Gerichtshof hat eine Klage gegen den umstrittenen spanischen Ermittlungsrichter Baltasar Garzón angenommen. Der muss sich nun wegen Amtsmissbrauch verteidigen. Der Vorgang macht aber vor allem deutlich, wie schwer sich das Land mit der Aufarbeitung des Putschs 1936 und der Diktatur tut, die es 40 Jahre tödlich im Griff hatte. Dem Ermittlungsrichter am Nationalen Gerichtshof wird vorgeworfen, er habe seine Kompetenzen überschritten, weil er sich für kompetent erklärte, Massengräber öffnen zu lassen. Darin sind, auch 35 Jahre nach dem Tod des Diktators, noch zehntausende Menschen unidentifiziert verscharrt, die die Republik verteidigten oder einfach willkürlich von der Falange, der Guardia Civil oder anderen Bewaffneten aus den Häusern gezerrt und meist am Stadtrand ermordet wurden.
Es bestehen, juristische Spitzfindigkeiten ausgeklammert, am Sachverhalt wenig Zweifel. Es kann tatsächlich nicht sein, dass sich ein Richter eines Sondergerichts selbst für Kompetenzen zuteilt. Garzón hat später die Verfahren an Provinzgerichte abgegeben und wollte plötzlich auch keine Verantwortlichen der Franco-Diktatur mehr ermitteln, womit er den Sachverhalt einräumte. Das geschah, nachdem ihm die Staatsanwaltschaft die Unterstützung verweigerte. Das Ministerium, also auch die sozialistische Regierung, weigert sich beharrlich, eine wirkliche Aufarbeitung zu betreiben. Man beruft sich in Madrid auf das Amnestiegesetz, die Verbrechen seien verjährt oder fielen unter die Amnestie, die sich die Nachfolger der Diktatur nach dem Tod des Diktators 1975 großzügig selber gewährt haben.
Es ist ein Drama, dass bisher nichts geschah, um die Opfer der Diktatur zu bergen und zu rehabilitieren. Es sagt viel über das offizielle Spanien aus, dass ausgerechnet die "Falange de las Jons", also die Nachfolger der Partei des Diktators, Garzóns vor Gericht zieht, die an einer Nazifront in Europa arbeiten und deren Mitglieder mörderisch unterwegs sind. So fragt Garzóns Anwalt zu recht, wie wohl damit umgegangen würde, wenn eine "Klage einer neonazistischen Partei in Deutschland gegen einen Richter angenommen würde, weil der versucht hat, die Verbrechen der Nazis zu untersuchen". Für Gonzalo Martínez-Fresneda ist das schockierend, und er ist gespannt darauf, wie Spanien das in der EU erklären will.
Es sagt auch viel, dass in Spanien vor allem baskische antifaschistische Parteien, Organisationen und Kommunikationsmedien verboten werden, an deren Verboten Garzón federführend mitgewirkt hat, aber die Nachfolger der Diktatur auf allen Ebenen ungehindert wirken können. Die internationale Rechtsprechung, dass Verbrechen gegen die Menschlichkeit nicht amnestiert werden oder verjähren können, wird in Spanien auch heute noch nicht angewendet. Ganz anders wird zum Beispiel in Argentinien damit umgegangen. Es sagt auch viel über die regierenden Sozialisten aus, dass sie nun Garzón Gerichtshof auf die loslässt, die urheberrechtlich geschützte Dateien aus dem Internet herunterladen, aber dieses Gericht, dass sich normalerweise nur mit schwersten Verbrechen beschäftigt, keine Kompetenz für Massenmorde hat, wofür Regionalgerichte zuständig sind.
Garzón hat ohnehin nur einen sehr zaghaften und zweifelhaften Versuch unternommen. An lebende Verantwortliche wollte er ohnehin nie heran. Der Richter, der vor allem darauf aus ist, stets im Rampenlicht der Medien zu stehen, begrenzte von willkürlich seinen Ermittlungsansatz auf den Zeitraum zwischen 1936 und 1952. Die Verantwortlichen aus dieser Zeit sind längst tot. An andere, wie der Ex-Minister der Diktatur, Manuel Fraga Iribarne, wollte Garzón gar nicht heran. Denn der ist Gründer und Ehrenmitglied der großen Oppositionspartei. Die postfaschistische Volkspartei (PP) hat sich bis heute nicht vom Putsch, der Diktatur und den Verbrechen distanziert.
Gründe, Garzón aus dem Amt zu jagen, gäbe es aber genug. Schließlich war er es, der 1998 ohne Begründung die baskische Zeitung Egin "vorläufig" verboten und damit ruiniert hat. Das Sondergericht scheitert gerade auch im Fall des Egunkaria. Für die Vorwürfe, sie habe etwas mit der Untergrundorganisation ETA zu tun, hatte er keine Beweise, stellte der Oberste Gerichtshof erst im vergangenen Jahr fest. Gerade hat der internationale Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg geurteilt, Garzón hätte im Fall des sozialistischen Staatssekretärs für Sicherheit die Ermittlungen nicht führen dürfen. Schließlich war er mehr als befangen, da der kurz zuvor sein Fraktionskollege im Parlament war. Derlei Vorgänge werfen ein Licht auf eine Justiz, die stark politisiert ist. Dass er kürzlich sogar angeordnet hat, die Gespräche abzuhören, welche mutmaßlich korrupte PP-Mitglieder im Knast mit ihren Anwälten führten, wofür er ebenfalls angezeigt wurde, zeigt auch, dass es Garzón mit Recht und Gesetz nicht so genau nimmt. Er ist das halt im Rahmen des Antiterrorgesetzes gewohnt, in dessen Rahmen die Verteidigerrechte schon "legal" ausgehebelt sind und diese Gespräche abgehört werden dürfen. Oft erweist er, mit seinem zweifelhaftem und stümperhaftem Vorgehen, der jeweiligen Sache sogar einen Bärendienst, statt ihr zu nutzen. Der Begriff "garzonada" ist für eine Dummheit in Spanien schon zum geflügelten Wort geworden. Dass ein Richter wie er, in Deutschland vom PEN-Club auch noch geehrt wird, ist peinlich für die deutsche PEN-Sektion.
© Ralf Streck den 20.01.2010
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