Schäuble warnt vor Flüchtlings-„Lawine“

Erstveröffentlicht: 
13.11.2015
Kritik von der SPD – Bundespräsident Gauck nennt Horrorszenarien wenig hilfreich Von Thomas Lanig

 

Berlin. Die anhaltende Flüchtlingsbewegung nach Deutschland und in andere europäische Staaten kann sich nach Einschätzung von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) zu einer Lawine ausweiten. „Lawinen kann man auslösen, wenn irgendein etwas unvorsichtiger Skifahrer an den Hang geht und ein bisschen Schnee bewegt“, sagte Schäuble am Mittwochabend in Berlin. Ob die Lawine schon im Tal angekommen sei oder im oberen Drittel des Hanges, wisse er nicht, so der Minister.

 

Bei der SPD erntete er dafür scharfe Kritik. Justizminister Heiko Maas betonte am Donnerstag: „Menschen in Not sind keine Naturkatastrophe.“ Im Kurznachrichtendienst Twitter schrieb der SPD-Politiker: „Wir sollten die Flüchtlingsdebatte besonnen führen und nicht mit Worten Öl ins Feuer gießen.“ Auch Vizekanzler und SPD-Chef Sigmar Gabriel hielt den Lawinen-Vergleich für unpassend. „Ich kann mir das Bild nicht zu eigen machen. Ich würde einen solchen Vergleich nicht wählen.“ SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann nannte Schäubles Äußerung „nicht hilfreich“: Die „Union muss schnell zur Sacharbeit zurückkehren. Es ist jetzt mal genug“, twitterte er.

 

Auch Bundespräsident Joachim Gauck nannte besonders pessimistische Äußerungen in der Flüchtlingsdebatte wenig hilfreich. „Es werden Horrorszenarien für die Zukunft entwickelt“, kritisierte er beim Gespräch mit Flüchtlingen und Helfern in Bergisch-Gladbach. Ohne sich auf Schäuble zu beziehen, sagte Gauck: „Es werden Vermutungen geäußert, es werden Stereotype gemacht. Das ist gefährlich.“

 

Die Mitarbeiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beklagen derweil eine Abkehr von rechtsstaatlichen Prinzipien bei den beschleunigten Asylverfahren für bestimmte Flüchtlingsgruppen. Die „massenhafte Entscheidungspraxis“ bei Syrern, Eritreern, Irakern und Flüchtlingen vom Balkan wiesen „systemische Mängel“ auf, schrieben die Personalräte in einem offenen Brief an Amtschef Frank-Jürgen Weise. „Ein hoher Anteil von Asylsuchenden“ gebe eine falsche Identität an, um eine Bleibeperspektive zu haben und die Familie nachholen zu können. „Der Wegfall der Identitätsprüfung erleichtert zudem auch das Einsickern von Kämpfern der Terrormiliz IS.“

 

Das Innenministerium räumte ein, dass es keine Informationen darüber hat, wie viele Flüchtlinge derzeit in Erstaufnahmeeinrichtungen sind. Zudem sei nicht bekannt, wie viele Personen von diesen Einrichtungen auf die Kommunen verteilt wurden, heißt es in einer Antwort auf eine Anfrage der grünen Bundestagsabgeordneten Renate Künast.

 

SPD-Chef Gabriel kritisierte die Forderungen der Union nach einem begrenzten Familiennachzug für syrische Flüchtlinge als „Scheindebatte“. In diesem Jahr würden nur 18 000 Familienangehörige nachgeholt. Zugleich betonte er, das Tempo des Flüchtlingsandrangs nach Deutschland sollte verringert werden. „Uns hilft nur im kommenden Jahr eine Reduktion der Geschwindigkeit.“