„Zu viele Flüchtlinge in zu kurzer Zeit“

Erstveröffentlicht: 
09.11.2015

SPD-Chef Dulig sorgt auf Landesparteitag für Debatte zur Asylpolitik / Daniela Kolbe neue Generalsekretärin


VON JÜRGEN KOCHINKE

 

Görlitz. Im Vorfeld hatte es ungewöhnlich scharfe Worte gegeben, am Ende aber war alles weniger aufgeheizt als gedacht. Am Wochenende trafen sich Sachsens Sozialdemokraten zum Landesparteitag in Görlitz, und es sollte vor allem ums Streitthema Asyl gehen. Hier hatte Parteichef Martin Dulig mit seiner Rede am 3. Oktober im Landtag eine beachtliche Abkehr von der Willkommenskultur hingelegt und dabei mit Formeln wie „Flüchtlingswelle eindämmen“ nicht wenige Genossen gegen sich aufgebracht. In Görlitz sollte die Kontroverse auf den Tisch kommen, doch das befürchtete Hauen und Stechen fiel aus.

 

Das lag nicht zuletzt an Dulig selbst. Bemerkenswert ist, dass er an seiner Wende vom 3. Oktober inhaltlich festhielt, auf jene grenzwertigen Formulierungen aber verzichtete. In Görlitz klang das dann so: „Eine ehrliche Analyse zeigt, dass wir mit der großen Dynamik der Flüchtlingszahlen an unsere Grenzen gekommen sind und vielleicht sogar schon darüber hinaus“, rief er den rund 140 Delegierten im Festsaal der Lands-kron-Brauerei zu. „Auf chaotischen Wegen kommen derzeit zu viele Flüchtlinge in zu kurzer Zeit.“ Eine menschenwürdige Aufnahme sei so oft nicht mehr möglich. Fazit: „Deshalb müssen wir auch Entscheidungen treffen, die uns schwerfallen. Wir müssen dafür sorgen, dass zumindest zeitweise weniger Menschen bei uns ankommen.“

 

Damit waren die entscheidenden Stichworte platziert, und alle waren auf die Aussprache gespannt. Dabei war bereits während der Rede von Dulig erkennbar, wie schwer sich der ein oder andere Sozialdemokrat mit dieser Vorgabe tut. Erntete der Parteichef immer dann, wenn er die SPD-Seele streichelte, enormen Applaus, hielt sich dieser bei den Asylpassagen arg in Grenzen. Juso-Chefin Katharina Schenk hatte Dulig schon am 3. Oktober vorgeworfen, er sei „in die Populismusfalle“ getappt. Auch in Görlitz machte Schenk Front gegen „politische Rhetorik“, Dulig selber aber nahm sie nicht mehr aufs Korn.

 

So verlief im Grunde der gesamte Parteitag. Immer wieder zogen Vertreter einzelner, links eingestellter Ortsvereine aus Dresden und Leipzig gegen Passagen des vom Landesvorstand vorgelegten Integrationsgesetzes zu Felde, eine Mehrheit erhielten sie aber nie. Am Ende ging das Ganze glatt durch – bei einer Handvoll Gegenstimmen. Das Gesetz soll die Eingliederung regeln und Mindeststandards für Erstaufnahmeeinrichtungen sowie die Einführung einer Gesundheitskarte festlegen – Vorschläge, die der Koalitionspartner CDU zum Teil strikt ablehnt.

 

Dulig ging die Christdemokraten einige Male heftig an. Kostprobe: „25 Jahre Staatspartei CDU haben Sachsen auch zu einem demokratischen Entwicklungsland werden lassen.“ Allerdings lobte er CDU- und Regierungschef Stanislaw Tillich auch, der in zwei Regierungserklärungen „seiner moralischen Verantwortung gerecht“ geworden sei.

 

Umso unerklärlicher blieb, warum Dulig auf einem völlig anderen Feld ohne Not ein großes Fass aufgemacht hat. Es ging um das umstrittene Diäten-Paket, dass CDU und SPD gegen die versammelte Opposition vor rund einem halben Jahr durchs Parlament gepaukt hatten – Luxus-Rente inklusive. Dieses Rundum-Sorglos-Paket für Abgeordnete bezeichnete Dulig in Görlitz plötzlich als Fehler. „Ich möchte mich bei den Bürgerinnen und Bürgern dafür entschuldigen.“ Bei der CDU dürfte das für heftigen Wirbel sorgen, zumal Dulig der Union die Schuld in die Schuhe schob. Kurios daran ist, dass Christdemokraten bis heute die Version kolportieren, nicht sie, sondern die SPD-Vertreter in den Kungelrunden hätten sich vehement dafür eingesetzt.

 

Bleibt noch ein Aspekt, der in Görlitz über die politische Bühne ging. Daniela Kolbe firmiert nun als neue Generalsekretärin der sächsischen SPD und Nachfolgerin von Dirk Panter. Die 35-jährige Bundestagsabgeordnete gilt als Parteilinke, zuständig für die Abteilung Attacke. In ihrer Rede gab sie schon mal einen kleinen Vorgeschmack. Bei der politischen Bildung, meinte sie, liege Sachsen „gefühlt auf dem letzten Platz“ – „ein Ergebnis von 25 Jahren CDU-Politik“. Überhaupt gebe es Integrationshindernisse, „die CDU hat einige in eigenen Reihen“. Und weil das noch nicht reichte, legte sie nach: „Die CDU bleibt uns politisch fern, ich würde sagen fremd.“ Trotz Kritik aus dem rechten Leipziger SPD-Lager erhielt Kolbe 76,3 Prozent, für Generalsekretäre eine passable Quote.