Der Mord an Stanislaw Markelow und Anastasia Baburova – ein Jahr danach

Stanislaw Markelow und Anastasia Baburova

Vor genau einem Jahr wurden Anastasia (Nastya) Baburova und Stanislav (Stas) Markelow in Moskau ermordet. Wir möchten mit dem Artikel an den Mord der AktivistInnen erinnern und einen Überblick zu dem Ermittlungsverfahren nach den Mördern geben.

Nastya war eine begabte Journalistin. Sie schrieb nicht nur für die Oppositionszeitung „Novaya Gazeta“ („Neue Zeitung“), sondern war auch Aktivistin in der antifaschistischen Bewegung in Russland. So schrieb sie auch für die anarchistische Zeitung „Avtonom“. Am 30. November letzten Jahres wäre sie 26 Jahre alt geworden.

 

Stanislav Markelow war ein engagierter Rechtsanwalt. Er setzte sich u.a. für Opfer von Kriegsverbrechen ein. So verteidigte er z.B. vor Gericht die Familie Kungajeva. Im Jahr 2000 wurde ihre Tochter vom Oberst Juri Budanov in Tschetschenien ins Militärlager verschleppt, geschlagen, vergewaltigt und letztendlich erdrosselt. Dank Markelow's Einsatz wurde der Kriegsverbrecher zu 10 Jahren Haft verurteilt.

Jedoch gehörten nicht nur Kriegsopfer und -verweigerer zu seinen Mandanten, sondern auch AntifaschistInnen, die seine Hilfe brauchten. Stas vertrat die Familie des von Nazis im Jahr 2006 ermordeten Antifaschisten Alexander Rjuchin. Drei von sechs Nazis konnten wegen „Hooliganismus“ zu 7 Jahren Haft verurteilt werden. Darunter waren zwei Personen von „Slavianskij Sojuz“ (eine Nazigruppierung) und einer von der Gruppierung „Format18“, welche von Nazis verübte Überfälle auf MirgantInnen und andere Personen filmt und diese dann ins Netz stellt. Die anderen drei Personen, die wegen Mordes angeklagt waren, unter ihnen auch Nikita Tichonov (dazu später mehr), konnten nicht gefasst werden.

Stas vertrat auch AktivistInnen in Haft. Sein letzter Fall, den er nicht abschließen konnte, war der von Aleksey Olessinov („Schkobar“), der zu einer Haftstrafe verurteilt worden ist, weil er sich an einer vermeintlichen Schlägerei beteiligt habe. Videoaufnahmen beweisen das Gegenteil. (http://ajb.blogsport.de/2009/06/28/soli-aktion-fuer-russische-antifas/)

Stanislav hinterließ eine Familie mit zwei Kindern.

 


 

Am 24. November 2007 gab Markelow eine Pressekonferenz bezüglich des Falls Olessinov. Bereits an diesem Tag wurde er von einer auffälligen Person verfolgt. An jenem Tag waren Jugendliche bei ihm, die Erfahrung in Straßenkämpfen hatten und auf den Mann aufmerksam geworden sind. Es gibt Fotos von ihm. Er habe wohl durchgängig eine Hand in der Tasche gehabt, in der er eine Waffe hätte bergen können. AntifaschistInnen gehen davon aus, dass bereits an diesem Tag Markelow hätte umgebracht werden sollen. Der Mörder war lediglich auf den Schutz des Anwalts nicht vorbereitet. Die Person auf den Fotos ist bis heute auf freiem Fuß.

 

Das Verbrechen geschah am helllichten Tag in der Moskauer Innenstadt. Stas und Nastya kamen von einer Pressekonferenz im Unabhängigen Pressezentrum. Auf dieser Pressekonferenz gab Stanislaw bekannt, dass er gegen die vorzeitige Freilassung Budanovs vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ziehen wollte. Als sie zu Metro-Station hinuntergehen wollten, wurde Stanislaw mitten auf der Straße in den Kopf erschossen. Nastya versuchte den Mörder am Arm festzuhalten und bekam danach ebenfalls eine Kugel ab. Sie verstarb auf der Intensivstation.

 

Der Mord an den beiden AktivistInnen löste nicht nur breite Solidaritätswellen weltweit, sondern auch viel Verwirrung aus. Die Frage nach den Mördern stand im Vordergrund. So gab es verschiedene Spekulationen, u.a. kamen Militärbeamte infragee, die von Rache getrieben wegen der Inhaftierung Budanovs handelten. Dann dachte man an Killer im Auftrag Tschetscheniens, denn Markelow hat diverse Fälle, in die der Staatspräsident Ramsan Kadyrow (http://de.wikipedia.org/wiki/Ramsan_Achmatowitsch_Kadyrow) wegen Folter oder rechtswidrigen Haftstrafen verwickelt war, vor den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof gebracht. So wird Kadyrow auch u.a. mit dem Mord an der Journalistin Anna Politkovskaja, welche genauso wie Nastya für die Novaja Gazeta geschrieben hat und regierungs- und kriegskritisch war, in Verbindung gebracht. Jedoch waren diese Überlegungen unbewiesen. Eine letzte kam in Betracht: Stas und Nastya wurden von rechtsradikalen Neonazis aufgrund ihrer Aktivität in der antifaschistischen Bewegung ermordet. In Russland geschehen die meisten rechtsradikalen Morde weltweit. Wie das Moskauer Büro für Menschenrechte verkündet hat, sind im Jahr 2008 mindestens 378 Menschen von Nazis verletzt und 87 ermordet worden. In Naziforen haben sich die Rechten über den Tod der AktivistInnen gefreut. Markelows Daten kursierten seit Längerem im Internet auf Outingseiten. Spätestens seit dem Gerichtsurteil über die Mörder von Alexander Rjuchin sind die Nazis auf den Anwalt aufmerksam geworden.

Zwar wären sowohl der russischen Regierung, dem Militär, als auch Ramsan Kadyrows Leuten der Mord zuzutrauen gewesen, letztlich stellte sich allerdings heraus, dass es die letzte Variante der Fall gewesen ist. Und dass die Nazis nicht zimperlich sind, ist bekannt. Zwar wurden die bekannten Morde an AktivistInnen bis dato nicht mit Schusswaffen verübt, aber an dieser Entwicklung bestand kein Zweifel. Man denke an verschiedenste Videos, wo Nazis Menschen zusammentreten, ihnen die Kehle durchschneiden, den Kopf abhacken oder in den Rachen schießen. Der Grad der Grausamkeit ist längst überschritten gewesen. Diese Entwicklung bestätigt sich auch an dem Mord an Ivan Chuturskoy am 16. November letzten Jahres. Dieser wurde ebenfalls mit einer Schusswaffe im Treppenaufgang seines Hauses umgebracht. (http://ajb.blogsport.de/2009/11/20/tot-im-namen-der-bewegung/)

 

 

 

Zehn Monate hat es gedauert, bis die verdächtigen Mörder von Anastasia und Stanislav festgenommen werden konnten. Sie heißen Nikita Tichonov, geb.1980, und Evgenia Chasis, geb. 1985.

Tichonov galt als militanter Schläger. Wie bereits zuvor erwähnt, wurde er seit drei Jahren gesucht, da er verdächtigt wurde, am 16. April 2006 an der Schlägerei und dem Mord an dem Jugendlichen Alexander Rjuchin beteiligt zu sein. Er wurde des Mordes angeklagt, konnte aber nicht ausfindig gemacht werden. Sein anderes Gesicht war ein „intellektuelles“. So war er Mitbegründer der Nazigruppierung Objedinaja Brigada – 88 (OB-88), die von 1997 bis 2002 existent war. Diese Gruppierung ist bekannt für die Pogrome auf zwei Märkte in Moskau in den Jahren 2001 und 2002. Später gründete er mit Ilja Gorjachev (s. weiter unten) die Zeitschrift „Russkij Obraz“ (gleichnamig mit der Nazigruppierung), die insbesondere von der russichen Straight Edge- und Hardcorescene gelesen wird. Tichonov arbeitete ebenfalls mit Funktionären der DPNI (Bewegung gegen illegale Immigration) und schrieb für sie politische Reden. Auch zu Abgeordneten im Kreml hat Tichonov gute Kontakte, so z.B. zu Funktionären der Partei „Edinaja Rossija „ (Einiges Russland), dessen Vorsitzender ihrer Jugendorganisation „Junges Russland“ mit Russkij Obraz offen kooperiert. (http://ajb.blogsport.de/2009/11/20/tot-im-namen-der-bewegung/)

Evgenia Chasis ist seit ihrem 16. Lebensjahr in der Naziszene. Sie trainierte Kickboxing in rechten Sportclubs und übte Freefighting aus. Sie hatte ebenfalls wie ihr Mann Tichonov Verbindungen zu faschistischen Organisationen. So war sie organisiert im „Russkij Verdikt“, einer Russkij Obraz nahen Gruppierung, die sich um die Verteidigung von Nazis vor Gericht kümmert. Zudem hatte sie Kontakt zu „Soprotivlenie“, einer Gruppe um den Naziboxer Roman Senzov, der regelmäßig Turniere für Faschisten organisiert.

 

Anfang November wurden die Eheleute Nikita Tichonov und Evgenia Chasis verhaftet. Ihre Wohnung wurde durchsucht und sie wurden den russischen Medien nach am 3. und 4. November hinter geschlossenen Türen vernommen. Sie sind wegen Mordes „an zwei oder mehren Personen aus einer Vereinigung heraus“ angeklagt. Chasis soll Tichonov per Telefon dirigiert und gesagt haben, wo sich der Anwalt aufhält, Tichonov habe daraufhin geschossen. Auf den ersten Bildern aus dem Gerichtssaal sah man Chasis und Tichonov gesichtslos, ihre Köpfe wurden mit schwarzen Baumwollmasken verhüllt.

Nach den ersten Vernehmungen gestand Tichonov den Mord an Stanislav und Anastasia. Sein Anwalt, Evgenij Skipelev, teilte mit, dass Tichonov aus persönlichen Rachegründen und nicht aus ideologischen geschossen habe. Er habe nicht vorgehabt, Anastasia ebenso zu erschießen, ihr Tod täte ihm Leid. Am 5. November ordneten die Richter zwei Monate Untersuchungshaft für die beiden Angeklagten an.

Am 6.11.09 wurde ein Dritter mit ins Boot geholt: Ilja Gorachev, einer der Drahtzieher des Russkij Obraz. Er stand mit Tichonov in Kontakt, weswegen er auf die Verdächtigten-Liste gelangt ist. Seine Bleibe wurde ebenfalls durchsucht und er wurde am selben Tag noch vernommen, jedoch wieder freigelassen.

 

Am 29. Dezember 09 fand erneut eine Verhandlung sowie eine Pressekonferenz statt. Diesmal ohne Maske, jedoch stets im Käfig, durfte der Mörder Tichonov persönlich zur Presse sprechen. Doch was man so gehört hat, hätte er auch für sich behalten können. Diesmal widerrief er sein Geständnis: er habe Markelow nicht getötet. Er sei unter „psychischem Druck“ gezwungen worden, die Aussage zu unterschreiben. „Unter diesen Umständen hätte ich sogar den Mord an dem Präsidenten gestanden“, so der Mörder. Er streitet ab, jemals zu einer rechten Organisation gehört zu haben. Dass in seinem Haus rechte Propaganda und Videos im Stile von Format18 gefunden wurden, und dass Personen aus dem rechten Spektrum über ihn als „guten Menschen“ reden, spreche ja wohl keineswegs für seine Angehörigkeit zur rechten Szene. Seine Tattoowierungen sprechen ebenfalls für sich. (http://autonomafa.blogspot.com/2009/12/blog-post_31.html Links auf dem Bild sieht man einen Naziterroristen und Mörder, der bei einer Verhaftung umgekommen ist – und rechts Herrn Tichonov. Die Message der Tattoos ist wohl mehr als offensichtlich.) „Gucken Sie mich mal an, sehe ich aus wie ein Skinhead oder Mörder?“, fragte er die Journalisten. Nun ja. Betrachtet man das Bild, ergibt sich die Antwort von selbst.

Tichonov gibt vor, ein unschuldiger Journalist zu sein. So verkündet er auch am selben Tag, dass er eine Beschwerde an die zuständigen Behörden für den Ermittlungsverlauf schreiben werde. Er sei am 3., nicht am 4. November verhaftet worden, und zwar nicht in seiner Wohnung, sondern in der U-Bahn; bei der Hausdurchsuchung seien 17000 € verschwunden, die seiner Frau Evgenia gehören würden und ganz aus dem Nichts sei eine Waffe aufgetaucht. Dass bei ihm falsche Papiere gefunden worden sind, mithilfe dessen er 3 Jahre im Untergrund bleiben konnte, hat ihn nicht gestört.

Die Richterin Natalia Muschnikova entschied, dass die beiden noch bis zum 19. April in Haft bleiben müssen. Sie gestand Chasis einen zweiten Anwalt zu. Alexander Vasiljev und Gennadij Nebritov sind beide Anwälte vom Russkij Verdikt, der erste bereits oftmals bei Naziprozessen als Verteidiger gesehen. Noch ein Indiz für die ach so unschuldigen Nazikontakte des Ehepaars in die rechtsradikale Szene.

 

 

 

Ganz stolz legte der Chef des Geheimdienstes FSB beim Staatspräsidenten Medvedev persönlich einen Bericht über die Verhaftung ab. Überall waren die Bilder der zwei Männer im üppigen Kabinett zu sehen. Jedoch hat der Geheimdienst sich das ganze nicht allein zuzuschreiben. So haben sie es doch seit drei Jahren nicht geschafft, Tichonov zu erwischen. Tichonov konnte erst dann ausfindig gemacht werden, als AntifaschistInnen der Polizei unter die Arme griffen.

Eine kaum ernstzunehmende staatliche Inszenierung. Bei den Ermittlungen wegen dem Mord an der Journalistin Anna Politkowskaja gab es nur einen Schauprozess, um die Presse im Ausland bei Laune zu halten. Die Angeklagten wurden freigelassen, weil ihnen nichts angehängt werden konnte.

 

 

Wir erinnern an den politischen, skrupellosen Mord von Anastasia Baburova und Stanislav Markelow. Diese Menschen sind aufgrund ihres Engagements für eine bessere, freie Gesellschaft gestorben. Sie waren nicht die ersten, zahlreiche Namen können genannt werden. Jeder einzelne Mord, jede/r einzelne von Nazis Verletzte soll eine Warnung sein. Nazistrukturen, faschistisches Denken, faschistoide Ansätze in der „Mitte“ und am „Rand“ der Gesellschaft und ihre Ursachen müssen global und mit allen gebotenen Mitteln bekämpft werden.

 

Wir solidarisieren uns mit den Freunden und Angehörigen der Ermordeten.

Kein Vergeben, kein Vergessen – Solidarität mit den russischen Antifas !

 


Antifaschistische Jugend Bochum, Januar 2010

 

 

 

 

 

Quellen:

http://www.ikd.ru/node/11638

http://gazeta.ru/social/2009/11/06/3281512.shtml

http://gazeta.ru/social/2009/11/05/3281078.shtml

http://www.novayagazeta.ru/data/2009/133/16.html

http://jan-19.livejournal.com/

http://www.trial-ch.org/de/trial-watch/perfil/db/facts/iouri_budanov_314.html

http://autonomafa.blogspot.com/2009/12/blog-post_31.html

 

 

Pressekonferenz mit Nikita Tichonov

http://www.youtube.com/watch?v=j5sqVGHXHJA

Pressekonferenz des Orga-Komitees 19. Januar in Moskau

http://www.youtube.com/watch?v=yf7BuqpkAcs&feature=player_embedded

 

 

Demonstration im Gedenken an die Verstorbenen in Düssseldorf am 7. Februar 2009

http://ajb.blogsport.de/2009/02/01/der-moskauer-doppelmord/

http://ajb.blogsport.de/2009/02/08/solidaritaetsdemonstration-in-duesseldorf/


Gedenkaktion in St.Petersburg

http://copylefter.livejournal.com/112484.html

http://www.youtube.com/watch?v=mMsUJx_7RBw&feature=player_embedded