Fast zwölf Stunden lang harren 130 Flüchtlinge am Lübecker Hauptbahnhof aus, um nach Kopenhagen zu dürfen.
Es sind dramatische Szenen, die sich an Gleis 5 abspielen: „We want Sweden“, rufen die etwa 130 Flüchtlinge, die mittags in einen Sitzstreik übergehen. Sie halten Plakate mit „We go Danmark“ und „Angela Merke help us“ in die Höhe. Die Bundespolizei hatte den Zug aus Hamburg gestern gegen 8 Uhr in Lübeck gestoppt. „Wir sind alle etwas überrascht gewesen“, schildert Innensenator Bernd Möller (Grüne) die Situation, als plötzlich 230 Flüchtlinge im Hauptbahnhof strandeten.
Der Zug sollte eigentlich weiterfahren nach Kopenhagen, die meisten an Bord hatten Schweden als endgültiges Ziel geplant. „Dort haben viele Verwandte und Bekannte“, so Möller. Den gesamten Vormittag versucht er zwischen der Polizei und den Flüchtlingen zu vermitteln. Das Problem: „Dänemark weigert sich, den Zug durchzulassen“, sagt Möller. Dies habe man den Flüchtlingen „ganz offen“ mitgeteilt. Innerhalb der Polizei fällt zwischendurch der Satz: „Es liegt Spannung in der Luft.“
Die Bahnhofsmission und das Rote Kreuz stellen spontan Kaffee, Wasser, Cola und belegte Brötchen bereit. „Das Angebot wird aber kollektiv abgelehnt“, sagt Matthias Glamann, Sprecher im Kieler Landespolizeiamt. Innensenator Möller spricht von einem „Druckmittel“, das die Flüchtlinge aufbauen wollen. Vorsorglich ruft er einen Sanitätstrupp zum Bahnhof, „um keine Risiken einzugehen“.
Draußen füllt sich derweil der Vorplatz mit Bussen, mit ihnen sollen die Flüchtlinge nach Neumünster gebracht werden. Doch an Gleis 5 beharren alle darauf: nur Schweden. Die Polizei ist darauf bedacht, die Situation zu entspannen. Glamann: „Wir werden keinesfalls Zwang anwenden.“ Notfalls dauere der Streik eben bis in den Abend oder länger. Der Bahnsteig ist dennoch abgeriegelt, Journalisten dürfen nur von der obersten Treppenstufe zusehen. Sogar der dänische Sender DR1 ist vor Ort. Am Rande gibt es ein Handgemenge zwischen einem Polizisten und dem Lübecker Christoph Kleine.
Er will an den Beamten vorbei, um ein Banner mit „Refugees Welcome“ aufzuhängen. Während der Polizist von „höflichem Hinweisen“ spricht, nennt Kleine es „minutenlanges Anschreien“.
Gegen 13.30 Uhr verzeichnet die Polizei einen kleinen Erfolg. Glamann: „Etwa 70 fahren mit dem Zug nach Oldenburg.“ Von dort soll es nach Putlos weitergehen. Doch dabei werden unabsichtlich Familien getrennt und Gepäck mitgenommen — die Polizei muss sich später um den Rücktransport kümmern. Gleichzeitig streiken die Flüchtlinge dort erneut und reisen später auf eigene Faust weiter. In Lübeck vergehen währenddessen weitere Stunden des Hunger- und Trinkstreiks, erst am frühen Abend bahnt sich eine Lösung an. Der abendliche ICE nach Kopenhagen wird die Flüchtlinge mitnehmen. Aber die trauen dem Frieden nicht ganz. Zur Sicherheit soll das Lübecker Flüchtlingsforum als Zeuge mitfahren.