Heidenau: Gabriel empört über rechten Mob, Polizei rechnet mit neuer Randale

Erstveröffentlicht: 
25.08.2015

Vizekanzler im Flüchtlingsheim / Kommt morgen Merkel? / Leipziger Flüchtlinge wollen nicht nach Heidenau

Von jürgen kochinke, Tim Braune und Dieter Wonka


Heidenau/Berlin/Leipzig. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) haben die rassistischen Ausschreitungen in Heidenau (Kreis Sächsische Schweiz-Osterzgebirge) mit scharfen Worten verurteilt. Merkel ließ ihren Sprecher Steffen Seibert gestern in Berlin erklären: "Es ist abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis versuchen, rund um eine Flüchtlingseinrichtung ihre dumpfe Hassbotschaft zu verbreiten. Und es ist beschämend, wie Bürger, sogar Familien mit Kindern, durch ihr Mitlaufen diesen Spuk unterstützen."


Gabriel besuchte die betroffene Flüchtlingsunterkunft in der sächsischen Stadt und forderte eine harte Bestrafung für das rechte "Pack", das für die Krawalle verantwortlich sei. Linken-Bundesvorsitzende Katja Kipping zeigte sich gestern bei ihrem Besuch in der umstrittenen Unterkunft beeindruckt vom Schicksal der Flüchtlinge. Was sie gesehen habe, gehe ihr sehr nahe, sagte sie. Rechtsextremisten und Rassisten hatten am Wochenende vor der Notunterkunft in einem ehemaligen Baumarkt in Heidenau zwei Nächte lang Polizisten angegriffen und Flüchtlinge bedroht. Dabei wurden mehr als 30 Polizisten verletzt.


Seit Sonntagabend ist in der Kleinstadt am südöstlichen Stadtrand von Dresden ein Bereich eingerichtet, in dem die Polizei anlasslos Personalien und Taschen kontrollieren kann. Seibert sagte: "Deutschland lässt nicht zu, dass Flüchtlinge, über deren schwierige Lebenssituation jeder durchaus einmal nachdenken sollte, von hasserfüllten Parolen empfangen werden oder von alkoholisierten Schreihälsen bedroht werden." Die Zunahme rechter Übergriffe auf Flüchtlingsheime bereite der Regierung Sorgen. Allein im ersten Halbjahr zählte die Polizei gut 200 Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte und Übergriffe auf Asylbewerberheime - und damit bereits etwas mehr als im gesamten vergangenen Jahr. Gabriel machte sich gestern selbst ein Bild von der Lage in Heidenau und sprach mit Flüchtlingen und Anwohnern. Der SPD-Chef und Wirtschaftsminister, der als erstes Mitglied der Bundesregierung die sächsische Stadt besuchte, verlangte eine harte Bestrafung der Täter. "Bei uns zu Hause würde man sagen, das ist Pack, was sich hier rumgetrieben hat", sagte er. "Für die gibt's nur eine Antwort: Polizei, Staatsanwaltschaft und nach Möglichkeit für jeden, den wir da erwischen, das Gefängnis."


Der Heidenauer Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) erklärte, die Stimmung in der Stadt sei sehr angespannt. Heidenau mit 16500 Einwohnern sei anders als die jüngsten Bilder vermittelt hätten. Opitz lud auch Kanzlerin Merkel ein, sich selbst ein Bild zu machen. Einen passenden Termin gebe es jedenfalls für sie. Morgen wird die Regierungschefin in der nur rund 20 Kilometer entfernten Uhrmacherstadt Glashütte bei der Übergabe einer neuen Produktionsstätte der renommierten Manufaktur Anton Lange & Söhne erwartet. Beobachter gehen davon aus, dass sie im Vorfeld ihrer Glashütte-Visite auch dem Flüchtlingslager einen Besuch abstatten könnte.


Die Ereignisse rund um das Flüchtlingslager in Heidenau wirken sich mittlerweile auch unmittelbar auf Leipzig aus. So wehrten sich gestern Flüchtlinge, die provisorisch in der HTWK-Sporthalle im Leipziger Süden (Arno-Nitzsche-Straße) untergebracht sind, gegen eine Verlegung nach Heidenau. Nach Angaben der Landesdirektion sollten die Bewohner ausziehen, weil die Halle baufällig ist. Leipziger Flüchtlinge sprachen von "blanker Angst" vor Heidenau.


Bei einem ökumenischen Gottesdienst haben rund 200 Gläubige gestern Abend in Heidenau ihre Sorgen zum Ausdruck gebracht. Mit den Flüchtlingen, auch denen, die noch kommen werden, "wollen wir in Frieden und gut leben", sagte Pfarrerin Erdmute Gustke.