Während Polizei und Justiz dutzende Straftaten bearbeiten, weiß Sachsens Verfassungsschutz mal wieder gar nichts

Erstveröffentlicht: 
20.08.2015

Irgendwie ist er nicht zu beneiden, der sächsische Innenminister Markus Ulbig. Nicht nur mit Pegida, Legida, Frigida und anderen seltsamen Umzüglern auf Sachsens Straßen hat er zu tun. Eigentlich müsste er sich auch noch um die Reichsbürger kümmern und ihre selbsternannte Polizeitruppe. Da bedauert ihn beinah auch die Linke-Abgeordnete Kerstin Köditz.

 

Sie hat die Staatsregierung auch mit ein paar Anfragen zu dieser selbsternannten Truppe namens „Deutsche Polizei Hilfswerks“ (DPHW) gelöchert.

 

„Auch wenn Innenminister Ulbig wie meistens über die Fakten nicht informiert ist, ist für Experten seit Jahren deutlich, dass Sachsen eine Hochburg der sogenannten ‚Reichsbürger‘-Szene ist“, stellt Köditz fest. Aber was soll der Innenminister tun, wenn das wichtigste Amt, das eigentlich solche staatsfeindlichen Bewegungen beobachten soll, von nichts was weiß. Das ist der Verfassungsschutz, der mal wieder keine Erkenntnisse über extremistische Bestrebungen der in Sachsen lebenden „Reichsbürger“ haben will. Dieses unreformierbare Amt erweist sich augenscheinlich immer dann als zahnlos, wenn es um Bewegungen am rechten Rand der Gesellschaft geht. Dabei erfüllen die „Reichsbürger“ alle Voraussetzungen zur Beobachtung, auch wenn ihr Anliegen auf den ersten Blick wie Narretei wirkt.

 

Kerstin Köditz: „Deren Anhänger bestreiten letztlich Legalität und Existenz der Bundesrepublik sowie ihrer Organe. Häufig wird angeführt, bei diesen handele es sich lediglich um eine Firma. Bekanntester Fall war die selbsternannte Hilfspolizei-Truppe DPHW mit ihrem regionalen Schwerpunkt Sachsen. Sie hatte im November 2012 bundesweit von sich reden gemacht durch die eigenmächtige ‚Festnahme‘ eines Gerichtsvollziehers in Bärwalde. Wie Justizminister Gemkow jetzt auf meine Anfrage einräumte (6/2152), war die krude Gruppierung offenbar viel größer als gedacht: Zwischenzeitlich richteten sich die Ermittlungen wegen Mitgliedschaft in und Bildung einer kriminellen Vereinigung gegen fast 300 Personen. Die Ermittlungen nach dem Strafrechtsparagrafen 129 gegen 84 weitere Beschuldigte dauern noch an.“

 

Gründe genug also, dass der Verfassungsschutz sich um diese burschikose Truppe einmal kümmert.

Denn beim Anfertigen von selbstgemachten Pässen und wirren Diskussionen untereinander belassen es diese Leute augenscheinlich nicht. Sie werden höchst aktiv und maßen sich dabei eindeutig staatliche Befugnisse an.

 

So wurde bekannt, dass sächsische Staatsanwaltschaften seit Anfang 2012 zahlreiche weitere Ermittlungsverfahren gegen mutmaßliche DPHW-Mitglieder eingeleitet haben: Über 60 Personen wird vorgeworfen, sich mehrfach strafbar gemacht zu haben, in einigen Fällen gleich dutzendfach.

 

„Insgesamt stehen mehr als 50 verschiedene Straftatbestände im Raum, am häufigsten Nötigung (57 Mal). Weiter stechen Freiheitsberaubungen (17) sowie Bedrohungen und Erpressungen (13) hervor. Hinzu kommen sieben Körperverletzungen“, zählt Köditz auf. Und dazu kommt: Die Herrschaften missachten nicht nur das staatliche Gewaltmonopol, sie überschreiten auch allerlei für jeden normalen Bürger bindende Gesetze.

 

„Auch ein Hang zur Wirtschaftskriminalität, so Geldwäsche, ist erkennbar. Es liegen mehrere Fälle der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen vor – klassische Staatsschutzdelikte. Zumindest eine Person soll eine unerlaubte Schusswaffe besessen haben“, kommentiert Köditz die Vorgänge, die irgendwie zu passen scheinen in die seltsamen Gruppenbildungen auf Sachsens Straßen. „Natürlich gilt die Unschuldsvermutung.“

 

Dieser Umstand müsse als eine akute Warnung verstanden werden, so Köditz.

Denn diese Leute, die ihre schrägen Weltsichten nicht nur in geschlossenen Foren verbreiten, tauchen auch regelmäßig auf, wenn in Sachsen fremden- und demokratiefeindliche Ressentiments geschürt werden.

 

„In den vergangenen Wochen haben sich unter anderem in Freital, Meißen und Chemnitz neuerlich ‚Bürgerwehren‘ und ‚Bürgerstreifen“ formiert“, zählt Köditz auf. „Verbindungen solcher Gruppierungen zur extremen Rechten liegen zum Teil auf der Hand. Gerade in Zusammenhang mit der Zunahme rassistischer Demonstrationen und Kundgebungen in den letzten Wochen ergibt sich daraus ein erhöhtes Gefahrenpotenzial. Allerdings ist Innenminister Ulbig auch bezüglich dieses Komplexes schlecht informiert (6/1250). Folglich sieht er, wie gewohnt, keinen Grund zum Handeln. Simple Kommunikation mit dem Justizressort könnte Abhilfe schaffen.“

 

Beim Verfassungsschutz braucht der Innenminister auch in Sachen „Initiative Heimatschutz“ oder „Bürgerinitiative Sicheres Ostritz“ nicht anzufragen. Hat er zwar trotzdem gemacht, ganz bestimmt in der Hoffnung, die hoch bezahlten Schlapphüte wüssten was. Aber denen liegen – wie gehabt – wieder keine Anzeichen für extremistische Bestrebungen vor.

 

Ulbigs etwas spärliche Auskünfte zu den „Reichsbürgern“ in Sachsen.

 

Erster Teil der Askunft von Justizminister Sebastian Gemkow.

 

Die Zahlen zur Antwort von Sebastian Gemkow.

 

Die Anfrage zu den selbsternannten Bürgerwehren.