Aufmarsch von Rechten in Bad Nenndorf: Gegendemo vermiest Nazis die Laune

Erstveröffentlicht: 
01.08.2015

Schon am Bahnhof blockieren Demonstranten Gleise, um die Rechten zu stören. Der „Trauermarsch“ geht unter, es regnet Konfetti.

 

Von Andreas Speit

 

BAD NENNDORF taz | In Bad Nenndorf wird der „Trauermarsch“ der rechtsextremen Szene am Samstagnachmittag mit lautstarkem Protest zum Schweigen gebracht. Kein Satz, kein Wort war außerhalb der im Kreis aufgestellten Rechtsextremen zu hören. Am Wincklerbad können selbst nicht alle Rechten den Reden folgen. „Bitte senken Sie die Lautstärke, damit die Kundgebung ungestört verlaufen kann“, bittet die Polizei die GegendemonstrantInnen. Der Protest wird stattdessen aber noch lauter. Verärgert wettert Sven Skoda von der Partei „Die Rechte“ gegen die Demonstranten, die „gehirnamputierten Scheinheiligen“. Wenn „jemand der Gegendemonstranten an einem Hitzschlag sterbe“, so Skoda weiter, „dann würden 200 Deutsche gerne auf das Grab pinkeln“.

 

Schon am Vormittag stand jedoch fest: Der Jubiläumsmarsch wird für die Szene von NPD über Freie Kameradschaften und „Die Rechte“ kein Jubelevent. Den zehnten Aufmarsch in der niedersächsischen Kurstadt können Gegendemonstranten nachhaltig verzögern. „Wir bleiben zusammen! Wir bleiben hier“ skandieren rund 300 Demonstranten gegen 10 Uhr auf dem einzigen Bahnsteig des Bahnhofes, an dem auch die Rechtsextremen ankommen sollen. Gelassen halten sie den Bahnsteig und einen Bahn besetzt, lesen Zeitung, spielen Karten. Der friedliche Protest endet nach mehr als zwei Stunden, als die Polizei einschreitet. Viele der Demonstranten müssen die Beamten wegtragen, was nicht ohne Handgreiflichkeiten passiert. Die Beamten setzen Pfefferspray ein, zwei Polizisten sollen durch einen Böller verletzt worden sein.

 

Fast zeitgleich zu der Aktion am Bahnhof findet am jüdischen Gedenkstein eine Kundgebung des Bündnisses “Bad Nenndorf ist bunt“ mit rund 600 Teilnehmer statt – unterstützt vom Deutschen Gewerkschaftsbund. Der Friedensbeauftragte der Hannoverschen Landeskirche, Lutz Krügener, ruft dazu auf, den Rechtsextremen an allen Orten etwas entgegenzusetzen. Statistisch brenne jeden Tag eine Flüchtlingsunterkunft, so der evangelische Pastor: „Wir alle stehen gegen ein Denken, das Menschen nach Hautfarbe, Geschlecht, Religion oder anderen Merkmalen sortiert.“ Mit Blick auf die Geschichte des Trauermarsches sagt Niedersachsens Sozialministerin Cornelia Rundt von der SPD: „Das starke, nicht nachlassende Engagement der Bürgerinitiative ‚Bad Nenndorf ist bunt‘ hat erreicht, dass deutlicher weniger Neonazis jährlich nach Bad Nenndorf kommen.“

 

Seit 2006 kommen die Rechtsextremen zu dem Wincklerbad in der Kurstadt am Deister, um den Nationalsozialismus zu idealisieren und an die „Verbrecher der Alliierten“ im Zweiten Weltkrieg und bis heute zu erinnern. In der Nachkriegszeit diente das „Bad“ dem britischen Geheimdienst als Verhörlager, in dem zunächst hochrangige Nazis inhaftiert waren und im aufkommenden Kalten Krieg dann auch vermeintliche Kommunisten.

 

Friedlicher Widerstand

 

Den Trauermarsch mit Trommeln und schweigenden Teilnehmern wollte das rechte „Gedenkbündnis“ einst zu einem ihrer Aufmärsche aufbauen. Anfangs folgten auch schon einmal 1.000 Teilnehmer dem „Ruf des Gewissens“. Mit den Jahren aber wuchs der Widerstand – und die Teilnehmerzahl sank auf 200 Marschierende. „Der bunte, vielfältige und friedliche Widerstand der letzte Jahren hat diesen Rücklauf bewirkt“, ist Jürgen Uebel, Vorsitzender von „Bad Nenndorf ist bunt“, überzeugt. In einer Resolution haben unlängst alle Fraktionen des Landtags in Hannover erklärt, dass dieses Engagement den „Aufmarsch mittlerweile vom ehemals bundesweit drittgrößten Aufmarsch“ kontinuierlich hat schrumpfen lassen.

 

In diesem Jahr ist durch die Blockade am Bahnhof lange unklar, wie viele Rechte aufmarschieren würden. Ein Großteil der Rechtsextremen muss ob der nicht fahrenden Züge vor dem Marsch vom rund sieben Kilometer entfernten Haste nach Bad Nenndorf laufen. Fast drei Stunden später als geplant zieht dann der Tross von 180 Männern und Frauen die 850 Meter vom Bahnhof zum Wincklerbad die Straße entlang. Etliche Tattoos sind überklebt, um nicht erlaubte Symbole und Codes zu verdecken. Die meisten tragen weiße Oberteile, eine Hommage an die SA, die weiße Hemden trug als sie kurzfristig verboten war.

 

An der bunt geschmückten Route sind nicht bloß die gängigen Anti-Rechts-Sprüche zu lesen. „Flink wie Windhunde! Zäh wie Leder! Und großzügig wie noch nie!“ und „National und freigiebig“ steht auch auf Transparenten. Erstmals hatte das Bündnis der Antidemonstranten einen unfreiwilligen „Spendenlauf“ nach dem Vorbild einer Aktion im bayerischen Wunsiedel organisiert. Für jede Minute unerwünschter Aufenthaltszeit der Neonazis in der Stadt spendeten Privatleute und Unternehmer zehn Euro. Am Nachmittag rechneten die Organisatoren mit einem Erlös von 2.400 Euro.

 

„Die echten Deutschen“


Kurz vor dem Wincklerbad schallt den Rechtsextremen von mehreren Lokalen nicht nur Party- und Protestmusik entgegen. Konfetti fliegt. Viele Anwohner haben es sich nicht nehmen lassen, gerade an diesem Tag an der Route zu einer Privatfeier zu laden.

 

Am Wincklerbad ankommen merkt man den Rechten an, dass der Lärm ihre Laune trübt. Skoda versucht noch, bei der Polizei zu intervenieren. Angestrengt schimpft er dann vor seinen Kameraden über das angebliche Scheiß-System. Und Maria Fank vom NPD-nahen „Ring Nationaler Frauen“ beschwört die echten Deutschen, die zu einem wahren Deutschland stünden. Der NPD-Kader Thomas Wulff kann die angestrengt wirkenden Mitstreiter auch kaum erreichen. Schnell kehrte der Tross zum Bahnhof zurück. „Das war ein schöner Tag für uns“, sagte eine Anwohnerin auf einer Hotelterrasse und fügt hinzu: „Nächstes Jahr feiern wir hier wieder.“ Bis 2030 ist der Marsch noch angemeldet.