Am 14. Juni 2000 erschoss der Dortmunder Neonazi Michael Berger drei Polizisten. Die rechte Szene der Stadt feierte ihn dafür: „3:1 für Deutschland“. Am Jahrestag der Tat lädt die Geschichtswerkstatt Dortmund zu einer Kundgebung nach Brackel.
Auch 15 Jahre nach den Morden ist so vieles unverständlich. Nicht die Trauer von Angehörigen und KollegInnen über den als sinnlos empfundenen Tod: Ohne Vorwarnung erschoss Michael Berger bei einer Verkehrskontrolle den Polizisten Thomas Goretzky und verletzte die Polizeibeamtin Nicole Hartmann schwer. Auf seiner Flucht hielt er in Waltrop neben dem Streifenwagen von Yvonne Hachtkemper und ihrem Kollegen Mathias Larisch von Woitowitz, erschoss die nichts ahnenden Beamten und später sich selbst.
Was immer noch ratlos macht, ist die offizielle Lesart, die aus Berger bereits am Tattag einen depressiven, unpolitischen Einzeltäter machte, der lediglich in „Verdeckungsabsicht“ (Berger fuhr ohne Führerschein) gehandelt habe. Noch zum zehnten Todestag der Beamten fassten die Ruhr Nachrichten zusammen: „Weil der psychisch kranke Mörder Michael Berger Dokumente mit rechtsradikalen Inhalten besaß, vereinnahmte die Neonaziszene ihn für sich.“
Tatsächlich fanden sich in Bergers Wohnung neben Schusswaffen, einer Splitterhandgranate und Sprengstoff Parteiausweise der Republikaner und der DVU sowie Propagandamaterial. Berger trug auf der Kanzleipartei seiner Anwältin einen Hakenkreuzring, rasierte sich zwischenzeitlich eine „88“ ins Haar (den Nazi-Zahlencode für Adolf Hitler), prahlte mit der Freundschaft zu Siegfried Borchardt („SS-Siggi“). Auf seinem BMW klebte ein Aufkleber der Naziband „Landser“.
Berger war ein Freund von Michael Seemann, Mitglied der rechtsterroristischen Dortmunder Combat-18-Zelle, der 2007 als V-Mann des Verfassungsschutzes aufflog. Dessen Freund war Robin Schmiemann, der 2007 in Brechten einen Tunesier niederschoss und als Brieffreund von Beate Zschäpe bundesweite Bekanntheit erlangte.
Bergers Verstrickungen in die rechte und rechtsterroristische Szene waren so eng, dass seine Wertung als „unpolitisch“ immer wieder den Verdacht nährte, er sei selbst V-Mann gewesen. Auch im NSU-Untersuchungsausschuss wird Berger ein Thema sein.
Die Dortmunder „Kameraden“ feierten Berger. An der Hiltruper Polizeiwache erschien ein meterhoher Schriftzug: „3 weniger“, die von Bürgern eingerichtete Trauerstätte wurde geschändet. Am Wohnsitz des Mörders in Körne wurden Blumen abgelegt und Flugblätter verbreitet: „Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland.“
Dortmunder Nazis hatten diesmal nicht Andersdenkende, Juden, Migranten oder Punks angriffen, sondern direkt das verhasste „System“. Sie hatten Polizisten getötet und ihre Opfer verhöhnt. Seit dem 14. Juni 2000 hätte Dortmund eine No-Go-Area für Nazis sein müssen.
Dass es anders kam, ist vielleicht das Unverständlichste.
Bastian Pütter (bp)
Am Sonntag, den 14. Juni, ab 14.00 Uhr, lädt die Geschichtswerkstatt Dortmund zu einer Kundgebung ein. Vom Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus vor dem Brackeler Hellweg 137 führt der kurze Weg zum Mahnmal für Thomas Goretzky im Unteren Graffweg (Bild). Danach geht es in die Gemeinderäume der ev. Kirche am Brackeler Hellweg.