Links-Linkes Tohuwabohu zum Buchmesse-Thema Israel

AK Nahost Sympathisanten vertreiben Antisemitismusgegner aus dem Saal. Foto: Alexander Böhm
Erstveröffentlicht: 
16.03.2015

Die Nahostdiskussion ist ein heißes Eisen, in Deutschland wohl eher ein heißer Stahl. Rasch drehen sich gerade hierzulande aktuelle Debatten auch in die Geschichte des Dritten Reiches, die Shoah und die Fragen um das heutige Verhalten des Staates Israel hinein. Innerhalb der Linken sowieso, hier scheint einerseits zu gelten: die Existenz Israels ist strikt zu verteidigen, Antisemitismus ist keine Option. Doch darf man den Staat Israel dann noch kritisieren? Und wenn, wie? Statt einer Antwort auf diese und weitere Fragen gab es während der Leipziger Buchmesse eine Podiumsbesetzung, Schläge und Tritte.

 

Ebenso stark wie bei der Ächtung deutscher Schuld im Dritten Reich ist die Linke beim Thema Kapitalismuskritik, Kriegsgegnerschaft und dem Kampf gegen rechte Tendenzen engagiert. Die ständig laufende Schuldfrage gerade zwischen Israel und den Palästinensern lässt den innerparteilichen Konflikt nie ruhen. Ein Minenfeld, welches bei der Leipziger Buchmesse zu einer handfesten Konfrontation führte. Denn am Ende zweier aufeinanderfolgender Veranstaltungen am Donnerstag und Freitag attackierten sich irgendwie alle gegenseitig – manche mit Worten, andere mit Gewalt.

 

Eingeladen hatte der „Arbeitskreis Nahost“ (AKN), einer der vielen linken Arbeitszirkel, welche sich im Dunstkreis der Linkspartei bewegen, um mit zwei kritischen Veranstaltungen einen Kontrapunkt zum diesjährigen Messethema „Israel“ zu setzen. Den Raum dafür hatte der „Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband“ (SDS) vorgeschlagen, Veranstalter war der AKN. Man habe nur bei der Suche nach den Räumen an der Leipziger Universität geholfen, so der SDS gegenüber L-IZ.de. „Der SDS Leipzig war dabei kein Kooperationspartner der Veranstaltung und hat keinen inhaltlichen oder organisatorischen Einfluss auf die Veranstaltungen genommen. Auch jenseits der erwähnten Auseinandersetzungen gab und gibt es keine Zusammenarbeit mit dem AKN.“ heißt es weiter.

 

Inhaltlich möchte man sich seitens des SDS zu den Vorgängen auf den beiden angesetzten Veranstaltungen derzeit nicht äußern, man sei nicht dabei gewesen. Vielleicht auch besser so, denn widersprüchlicher können die Darstellungen im Nachgang kaum ausfallen. Dafür waren andere Linke und die L-IZ bei beiden Veranstaltungen zu Gast. Am Donnerstagabend wollte die Bundestagsabgeordnete der Linkspartei, Annette Groth, über die Untersuchung von Kriegsverbrechen durch Israel an der Universität Leipzig sprechen. Grund genug für rund 40 Gegen-Aktivisten ebenfalls zu erscheinen. Diese verhinderten die Veranstaltung, indem sie das Podium besetzten und mit Israelfahnen ausgestattet gegen Groth demonstrierten. Denn in Sachen Israel scheint für diese linken Gruppierungen die Haltung der Bundestagsabgeordneten klar.

 

Der Protest richtete sich am ersten Tag gegen Groth persönlich.

 

Sie beteiligte sich unter anderem an der versuchten Brechung der israelischen Seeblockade 2010 auf dem Schiff „Mavi Marmara“. Eine Gruppe Aktivisten, darunter Groth, hatte so versucht, Hilfsgüter in den Gazastreifen zu bringen. Beim sogenannten „Ship-to-Gaza-Zwischenfall“ am 31. Mai 2010 starben bei einer Enteraktion israelischer Soldaten auf dem Schiff „Mavi Marmara“ neun Aktivisten. Weitere Aktivisten und sieben israelische Soldaten wurden leicht verletzt. Darüber hinaus war sie gemeinsam mit den Fraktionskolleginnen Inge Höger und Heike Hänsel in den „Toiletten-Skandal“ mit Gregor Gysi im Herbst 2014 verwickelt. Bei diesem war der Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion von mehreren Kritikern israelischer Politik im Bundestag bedrängt worden und auf eine Toilette des Bundestages geflüchtet.

 

Der Vortrag über die Befassung mit den Kriegsverbrechen Israels selbst fand am Donnerstag dann nicht statt. Die 40 anwesenden Antisemitismusgegner verlasen nach der Podiums-Besetzung ein Flugblatt. Sie wollten nicht mit den Veranstaltern diskutieren, „weil Geschehnisse nicht sachlich ausgearbeitet werden, sondern durch die ideologische Brille des Antizionismus entkontextualisert“ würden. Sie sprachen sowohl den Veranstaltern als auch Annette Groth eine angemessene Aufarbeitung des Nahostkonflikts ab. Erste Anzeichen für verhärtete Fronten, ein Gespräch schien nicht mehr möglich.

 

Denn „das Ziel des AK Nahost ist die Verbreitung von antizionistischen Positionen und antisemitischen Propaganda“, so ein Redner, „und in letzter Konsequenz die erhoffte Vernichtung des jüdischen Staates.“ Ob diese Argumentation gegenüber der AK Nahost oder Groth schlüssig ist, blieb offen, eine wirkliche Debatte entstand an diesem Abend nicht mehr.

 

Die Bundestagsabgeordnete Groth selbst wollte eigentlich über das “Russell-Tribunal” sprechen, welches 2009 anlässlich einer anderen Militäroffensive Israels die Arbeit aufgenommen hatte. Das „Russell-Tribunal“ wurde ursprünglich im Zuge des Vietnam-Kriegs eingerichtet und sollte Kriegsverbrechen untersuchen. Immer wieder gab es in den letzten Jahren Vorwürfe der Einseitigkeit der Nichtregierungsorganisation, die durch das Tribunal festgestellte Apartheid in Israel sei nicht belegt. Die links-linke „Debatte“ war am Donnerstag noch relativ gesittet und getrennt zu Ende gegangen, da sich die Veranstalter und Groth in ein in der Nähe liegendes Restaurant zu einem kleineren Gesprächskreis zurückzogen.

 

Dafür eskalierte die Situation am Freitagabend dann doch noch.

 

Erneut im Rahmen der Buchmesse wollte die Autorin Susann Witt-Stahl auf Einladung der AK Nahost in der Universität Leipzig ihr Buch „Antifa heißt Luftangriff“ vorstellen. Auch Witt-Stahl ist in aktionistischen Kreisen keine Unbekannte. Sie ist Mitbegründerin der Tierrechtsaktion Nord. Mitglieder der Gruppe waren 2009 in Hamburg an einer Protestaktion gegen die Aufführung des Films „Warum Israel“ von Claude Lanzmann beteiligt. In ihren aktuellen Arbeiten befasst sich die freie Autorin mit den aus ihrer Sicht zunehmenden Tendenzen innerhalb der Antifa, weitaus mehr Zeit damit zu verbringen, „sich gegen Linke zu positionieren und deren Theorie und Praxis zugrunde zu richten, als Klassenkampf gegen die Herrschenden in Politik und Wirtschaft zu führen.“ (Sebastian Friedrich auf kritisch-lesen.de über das aktuelle Buch von Witt-Stahl).

 

War es also am Abend zuvor noch um das Konfliktfeld Krieg und Schuld im nahen Osten gegangen, kristallisierte sich hier unter anderem die Frage heraus, wer die richtige Antifa in einer neoliberalen Gesellschaft sei. Dass es diese richtige Antifa nicht gibt, wussten sicher auch beide Seiten. Denn Teile der Gäste vom Vorabend waren wieder vor Ort, was den Veranstalter auf die Idee brachte, anfangs den Zugang zum öffentlichen Vortrag zu versperren. Erste Debatten mit den offenbar ungewollten Besuchern folgten, man einigte sich auf einen Einlass und somit auf einen zweiten Versuch miteinander.

 

Während sich die sogenannten „Anti-Deutschen“ innerhalb der linken Szenerie erneut mit der Bedeutung des Staates Israel unter den Nachwirkungen der Verbrechen an den Juden im Dritten Reich befassen wollten und dies mit ihren israelischen Fahnen zum Ausdruck brachten, versuchte die Autorin ihre Kapitalismuskritik und die damit im Zusammenhang zu sehenden Kriege in Nahost und der Ukraine zu präsentieren.

 

Man war also erneut wieder bei einem alten Thema angelangt, auch in Leipzig. Denn bereits im Juli 2014 fand eine Demonstration des AK Nahost unter dem Eindruck der damaligen israelischen Militäroperation „Protection Edge“ Israels statt, die um Solidarität mit der palästinensischen Bevölkerung warb. Im Anschluss der Versammlung war es zu einer Spontandemonstration gekommen, bei der es zu Tätlichkeiten und antisemitischen Beleidigungen durch Teilnehmer gegen Personen kam, die mit Israelfahnen dagegen protestierten.

 

Die einen sahen also wieder von den hinteren Reihen aus antisemitische Tendenzen, die anderen wollten sich mit den Ausführungen der Vortragenden und ihrer Imperialismuskritik befassen.

Also kam es erneut zu Auseinandersetzungen, denn auch Witt-Stahl wurde während ihres Vortrages durch diverse Einwände immer wieder gestört, Zwischenrufe und Lachen waren zu hören. Doch auch die AK Nahost hatte sich offenbar vorbereitet, auch auf die Presse. Frühzeitig kam es hierbei zu Ansagen gegenüber einem L-IZ-Reporter, welcher vor Ort war und zu Beginn ebenfalls nicht zur Veranstaltung gelassen werden sollte. Dennoch versuchten sich die Veranstalter anfangs noch kurzzeitig im Dialog und um eine geordnete Durchführung der Buchvorstellung. Als Reaktion auf die Rufe aus den hinteren Reihen baten sie anschließend dennoch die Gegner mit ihren Israelfahnen den Raum zu verlassen und kündigten an, entgegen der eigenen Intention notfalls die Polizei rufen zu müssen.

 

Die Veranstalterin Ika A. forderte nach etwa 15 Minuten die störenden Teilnehmer abschließend auf zu gehen. Der anwesende Autor Abrahm Melzer erzürnte sich dabei über die öffentliche zur Schaustellung der Israelfahne besonders. „Ich habe unter dieser Fahne gedient. Sie ist mit Blut beschmiert.“ rief Melzer. Ein neben ihm stehender älterer Mann bezeichnete in gebrochenem Deutsch die Träger als „deutsche Schweine“.

 

Eine Gruppe junger Männer aus dem Publikum bewegte sich währenddessen in Richtung der Gehenden, offenbar, um den Abgang zu beschleunigen und sicherzustellen.

 

Während sich also die Protestierer zurückzogen, wurde die Lage plötzlich unübersichtlich. Mike Nagler schilderte anschließend gegenüber L-IZ.de als Augenzeuge eine Attacke eines der Abziehenden gegenüber einem anderen Gast im hinteren Teil des Raumes. Er habe diesem beim Verlassen des Raumes auf den Kopf geschlagen, eine abgebrochene Bierflasche soll ebenfalls mit von der Partie gewesen sein. Schuld an der Eskalation seien also die Protestierer.

 

Ob es diesen Schlag oder den angedeuteten Angriff mit der Flasche gegeben hat, ist jedoch mindestens strittig. Ein weiterer Zeuge bestätigte gegenüber L-IZ.de die Existenz einer Flasche, die ihm heruntergefallen sei, während die Attacke auf die Protestierer stattfand. Von einer Bedrohung also keine Rede auf der Gegenseite.

 

Im Netz entbrannten umgehend Debatten darüber, wer die nachfolgende Eskalation tatsächlich verursacht habe, die AK Nahost gab eine Pressemitteilung heraus, in welcher sie jede Schuld von sich wies. Wäre hier das Ende, der Ärger wäre wohl für alle Anwesenden geringer. Doch weit öffentlicher wurde der anschließende Verlauf vor allem dadurch, weil einige junge Männer zum Angriff übergingen. Und dies von einem Anwesenden gefilmt wurde. Zu sehen ist nun im Netz ein Video, in welchem ein junger Mann aus einer Gruppe heraus nach einem seiner Gegner tritt, während andere Gäste versuchen, die drohende Schlägerei zu unterbinden.

 

Nicht zu sehen ist, wie das ganze begann. Wie es endete, ist jedoch klar.

 

Äußerst aufgebracht agierte eine Gruppe nach ersten Hinweisen an unsere Redaktion aus Syrien und Ägypten stammender Veranstaltungsgäste gegen mindestens einen für den Staat Israel eintretenden Protestierer. Ob hier der Konflikt in Nahost noch eine Rolle spielte, ist derzeit nicht zu sagen, aber nicht auszuschließen. Der Konflikt im Saal jedenfalls rutschte in einen Bereich außerhalb der Kontrolle des Veranstalters.

 

Denn auch der Journalist der L-IZ musste die Flucht antreten.

 

Als er fotografieren wollte, wie zuvor auch die Gegenproteste, sah er sich auf einmal selbst einem Angreifer gegenüber. Im Hinausrennen aus dem Raum wurde er zweimal von diesem auf den Kopf geschlagen, die Brille fand sich später wieder an.

 

Anschließend versuchte die Veranstalterin Ika A. die Löschung der gemachten Fotos zu erzwingen und hinderte zeitweilig den Fotografen am Verlassen des Universitätsgebäudes.

 

Der Abend endete damit, dass es von beiden Seiten der Parteien Anzeigen gab, nun ermittelt die herbeigerufene Polizei im innerlinken Disput. Und im Falle der Strafanzeige aufgrund der stattgefundenen Körperverletzung und der Nötigung unseres Kollegen.

 

Die Aufarbeitung des Vorfalls wird noch einiges an Zeit in Anspruch nehmen. Polizeibeamte nahmen von mehreren Teilnehmern die Personalien auf. Die Konsequenzen für den Arbeitskreis Nahost sind noch unklar, die Grenzen zwischen Gerechtigkeit und Selbstgerechtigkeit blieben auch nach diesem Abend fließend. Der SDS distanzierte sich unterdessen gegenüber L-IZ.de von den Ereignissen: „Nach wie vor lehnen wir Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung ab und verurteilen jede Form von Antisemitismus.“

 

Salomonischer hätten wir es nach dem links-linken Tohuwabohu auch nicht formulieren können.

 

Hinweis der Redaktion in eigener Sache: Nach den Vorfällen vergangener Monate gegen Journalisten in Leipzig und anderen Städten Deutschlands ist die L-IZ seit einigen Wochen dazu übergangen, jeden Übergriff auf Kollegen unseres Hauses konsequent und ausnahmslos zur Anzeige zu bringen. Und darüber zu berichten. Dies ist Nummer 54 und darunter die erste Anzeige in linken Kreisen.

 

50 beziehen sich auf eine Hetzkampagne gegen einen unserer Kollegen bei Facebook, drei weitere Strafanzeigen entstanden bislang im Umfeld von Legida-Demonstrationen wegen Übergriffen von Teilnehmern von Legida. Entschuldigt hat sich bislang noch niemand bei einem Journalisten von uns für die Attacken, ein Weg, welcher zu unserem Bedauern aus der Mode gekommen zu sein scheint. Wir bleiben gesprächsbereit, denn man soll die Hoffnung nie verlieren.