Wie „völkische Siedler“ ganze Dörfer unterwandern

Erstveröffentlicht: 
28.12.2014

Wibbese – Sie betätigen sich als Ökolandwirte, trinken Bier mit den Nachbarn, geben sich hilfsbereit und unpolitisch: Wie „völkische Siedler“ ganze Dörfer in Deutschland ideologisch unterwandern.

 

Zwei Dutzend Häuser, einige davon leerstehend, eine Kirche, drei Straßen. Ringsum Felder und ein Wald – das ist Wibbese, ein kleines Dorf im Wendland. Verschlafen würden es die einen nennen, idyllisch die anderen. Aber mit Ruhe und Idylle ist es in der 84-Seelen-Gemeinde seit knapp einem Jahr nicht mehr weit her – seit sich ein Bauernhof zu einem Treffpunkt von Rechtsextremen entwickelt hat.

Im vergangenen Februar sei ein junges Paar dort eingezogen, erzählen Knut Jahn und Barbara Kersten. Die beiden Rentner sind freundliche Leute mit offenem Blick, aber auch mit wachem Gespür für Menschen, die ihre wahren Absichten zu verbergen suchen. Kein Wunder, wir sind hier schließlich im Wendland, einer Aufrührer- und Protestlergegend, die sich seit Jahrzehnten nicht nur gegen Atommüll, sondern ebenso gegen Scheinheiligkeit und falsche Versprechen zur Wehr setzt.

Sie brachten Eier und Ziegenmilch

Und so hatten die beiden dann auch von Anfang an ein komisches Gefühl, was ihre neuen Nachbarn anbelangt. „Das Pärchen hatte vorher schon ein paar Jahre in einem anderen Haus hier im Dorf gewohnt“, sagt die 67-jährige Barbara Kersten. Ab und zu habe man sie gesehen, immer nett und hilfsbereit seien die jungen Leute gewesen. Als das Paar nun den leerstehenden Hof kaufte – neben dem, den Barbara Kersten und ihr Lebensgefährte Knut Jahn bewohnen –, ließ sich die neue Nachbarschaft zunächst gut an. „Sie brachten uns Eier und Ziegenmilch vorbei, grüßten freundlich über den Zaun und boten uns ihre Hilfe an“, erinnert sich Jahn.

Die Nachbarn kündigten an, sich als Ökolandwirte zu versuchen. Im Rahmen eines von ihnen so genannten „ökologisch orientierten Selbstversorgungsprojekts“ wollten sie Hühner, Schweine und Schafe züchten. Im Garten legten sie eine Streuobstwiese an. Im Sommer dann zog für ein paar Monate ein befreundetes Pärchen aus Mecklenburg-Vorpommern in das frühere Haus der neuen Nachbarn, half auf dem Hof aus. „Heute wissen wir, dass dieses Paar aus Mecklenburg ganz aktive Neonazis sind, mit Verbindungen zur NPD“, sagt Jahn.

Immer mehr Neonazis und NPD-Sympathisanten kommen

Herausbekommen haben sie das mit Hilfe einer antifaschistischen Initiative in Lüneburg. Deren Sprecher Olaf Meyer bestätigt, dass seit Jahren immer mehr Neonazis und NPD-Sympathisanten auch in den Landkreis Lüchow-Dannenberg ziehen. Wenn die Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen Hinweise von Anwohnern erhält, recherchiert sie vor Ort. In Wibbese fand sie heraus, dass der Zugezogene ursprünglich aus Ostfriesland kommt und dort im sogenannten Nationalen Widerstand aktiv war, einem losen Neonazi-Netzwerk.

In neun der 16 Bundesländer gibt es bereits entsprechende Ansiedlungen, die meisten davon in Ostdeutschland: Allein zehn Dörfer in Mecklenburg-Vorpommern sind davon betroffen, vier in Brandenburg, drei in Sachsen-Anhalt, je eines in Thüringen und Sachsen. Aber auch in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Hessen und Bayern gibt „völkische Siedler“. Die Idee ihrer Selbstversorgungsprojekte sei ideologisch determiniert und lasse sich auf die Formel „Gesunder Körper, gesundes Leben, gesundes deutsches Volk“ reduzieren, so Schmidt.

Während die rechten Siedlergemeinschaften in Ostdeutschland eher neueren Datums sind, gibt es in westdeutschen Dörfern völkische Sippen, die über mehrere Generationen gewachsen sind. Einige von ihnen, etwa in Schleswig-Holstein und in der Lüneburger Heide, bestehen schon seit der Zeit des Nationalsozialismus und besitzen daher erheblichen Einfluss in der rechten Szene. Sie leben die Ideale der Blut- und Boden-Ideologie der nationalsozialistischen Volksgemeinschaft vor, indem sie „reinrassige“ Familien mit vielen Kindern gründen und sich durch Handwerk und – oft mit vormodernen Arbeitsweisen betriebene – Landwirtschaft weitgehend unabhängig versorgen. Die „schaffende“ Tätigkeit auf der eigenen Scholle wird dabei bewusst als Gegenstück zum antisemitischen Klischee des „raffenden“ Finanzkapitals inszeniert und propagiert.

Siedlungsprojekte meist in abgelegenen Gegenden

Hinzu kommen die Pflege eines Brauchtums, das auf vorchristlichen nordisch-germanischen Glaubensvorstellungen basiert, sowie die Durchsetzung der traditionellen Geschlechterrollen von Mann und Frau in der Familie. Weil die Siedlungsprojekte sich meist in abgelegenen Gegenden befinden, eröffnet das den Eltern zudem die Chance, ihre Kinder mit weniger Einflüssen von außen, insbesondere aus einer offenen demokratischen Gesellschaft, zu erziehen. Darüber hinaus werden die Jungen und Mädchen gern in Zeltlager geschickt, die von extrem rechten Jugendorganisationen wie etwa Sturmvogel, Bund Heimattreuer Jugend oder Jugendbund Pommern organisiert werden. und ein entsprechendes Gesellschaftsbild vermitteln.

„Ihre Weltanschauung, die diese Siedler in die dörflichen Gemeinschaften hineintragen, geht auf das rassistisch-antisemitische Denken der völkischen Bewegung vom Anfang des 20. Jahrhunderts zurück“, sagt Anne Schmidt. Diese Anschauung lehne Weltoffenheit und die Vielfalt von Lebensentwürfen ab. Daneben knüpften viele rechte Bauern mit ihren Konzepten auch an Aspekte von Esoterik, Öko-Bewegung und Tierschutz an, womit sie einen Lifestyle bedienen würden, der voll im Trend liegt. „Und sie bekennen sich zu Brauchtum und Tradition, was bei vielen Dörflern gut ankommt“, sagt Schmidt. Auch deshalb, weil sich die rechten Siedler nach außen unpolitisch und als harmlose, nette Nachbarn geben.

Dass solche Zuzügler eine Dorfgemeinschaft spalten können, haben auch Knut Jahn und seine Lebensgefährtin erleben müssen. „Als wir unsere Beobachtungen öffentlich machten und entsprechende Gegeninitiativen im Dorf anstoßen wollten, bekamen wir viel Zustimmung, aber auch offene Ablehnung zu spüren“, erzählt Jahn. Als Quatsch seien ihre Schilderungen von einigen Wibbesern abgetan worden, andere warfen ihnen Stimmungsmache vor und dass sie „Nestbeschmutzer“ seien, die nur die Ruhe im Dorf stören würden: „Unser Nachbar sei doch immer nett und hilfsbereit, wurde mir dann gesagt“, berichte Knut Jahn. „Und dass man, solange er seine politischen Einstellungen für sich behalte und seinen Hof ordentlich führe, doch auch gut ein Bier mit ihm trinken könne. Oder zwei.“

Warnschilder am Zaun verbieten in martialischem Ton das Betreten

Das Grundstück, das Wibbese seit Monaten entzweit, liegt an diesem Tag verlassen da. Türen und Fenster sind verschlossen, am Geräteschuppen prangt ein altes Emailleschild mit der in Frakturschrift gehaltenen Bezeichnung Luftschutzbunker. Warnschilder am Zaun verbieten in martialischem Ton das Betreten des Anwesens. Der Besitzer fühlt sich verleumdet und bedroht, das hat er eine Lokalzeitung wissen lassen. Seine Haltung dokumentiert er auch am Haus: Ein Fenster an der Giebelseite, das zum Nachbargrundstück von Knut Jahn zeigt, ist mit dem Bild eines riesigen Stinkefingers zugeklebt.

Über den Konflikt um den „völkischen Siedler“ will in Wibbese kaum einer etwas sagen. Es ist, als hinge eine diffuse Angst über dem Dorf, dass der Streit die Grundlagen des Zusammenlebens nachhaltig zerstören könnte. Niemand, der angesprochen wird, will Position beziehen.

Ute Seckendorf, Projektleiterin in dem vom Innenministerium aufgelegten Bundesprogramm „Zusammenhalt durch Teilhabe“, ist solche Zurückhaltung nicht fremd. „Die rechten Siedler in den Dörfern sind ja nicht nur Biobauern, Hebammen oder Schmied, sie engagieren sich oft auch im Sportverein, in der Freiwilligen Feuerwehr oder im Gemeinderat“, sagt sie. „Bei so viel bürgerschaftlichem Engagement fällt es natürlich schwer, sich gegen diese Menschen zu stellen.“ Denn gerade auf dem Land komme es ja darauf an, dass jeder mitwirkt, damit die Dorfgemeinschaft funktioniert. „Und wie soll man dann damit umgehen, wenn ein Mitglied der Feuerwehr, der bei jedem Einsatz vorn mit dabei ist, der sich vor keinem Dienst drückt, beim Bier auf dem Dorffest plötzlich davon spricht, dass man auf die Reinheit der deutschen Rasse achten muss?“

In Wibbese sind einige der Dorfbewohner selbst aktiv geworden

Eine „Wortergreifungsstrategie“ sei hier nötig, sagt sie. „Die Menschen müssen lernen, wie man rassistischen, sexistischen und homophoben Sprüchen begegnen kann und eben auch der Ideologie, die mal mehr, mal weniger offen von ‚völkischen Siedlern‘ transportiert wird.“ Das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“, das mit jährlich sechs Millionen Euro in ländlichen strukturschwachen Gegenden eine lebendige und demokratische Gemeinwesenkultur fördern soll, will diese „Wortergreifungsstrategie“ unterstützen. „Eben weil wir beobachten, wie Rechtsextreme immer stärker in den ländlichen Raum ausweichen, wollen wir dort mehr Demokratieberater schulen und Argumentationshilfen gegen die Nazi-Parolen geben“, sagt Seckendorf.

In Wibbese sind einige der Dorfbewohner selbst aktiv geworden. Gemeinsam mit dem Lüchow-Dannenberger Bündnis gegen Rechts haben sie bereits eine Informationsveranstaltung organisiert und im Dorf Plakate mit dem Slogan „Schöner leben ohne Nazis“ aufgehängt. Barbara Karsten und Knut Jahn werden überdies einen Infopunkt unter dem Motto „Kunst und Kultur für Demokratie und gegen Rechts“ in ihrem Garten aufbauen. „Wir wollen den ‚völkischen Siedlern‘ etwas Nachhaltiges entgegensetzen, also Information und Aufklärung“, sagt Jahn.

Der geplante Infopunkt am Gartenzaun soll mit Aufklärungsmaterial bestückt werden. Und mit einem „Atlas der braunen Punkte im Wendland“, der von Besuchern ergänzt werden kann. Außerdem wird man sich hier auch informieren können über das Schicksal der Juden im Wendland während der Naziherrschaft. „Wir haben schon Unterstützung und Hilfe zugesagt bekommen von Künstlern und Initiativen weit über die Region hinaus“, sagt Barbara Karsten. Im Frühjahr und Sommer wollen sie dann auch Lesungen, Ausstellungen und Konzerte in ihrem Garten organisieren. Barbara Karsten ist zuversichtlich: „Damit können wir einen lebendigen Gegenentwurf zu dem völkischen Siedlungsprojekt unseres Nachbarn entwickeln“, sagt sie. „Und vielleicht ziehen wir so auch den Rest von Wibbese auf unsere Seite.“