Interim 763 oder Just in Time - Gibt es ein Leben vor dem Tod?

Symbolbild Diskussionen

Wie wir bereits vor 3 Monaten in „unserem“ Text „Nachtrag zur Dokumentation militanter Aktionen aus dem Jahr 2012“ angekündigt hatten, wollten wir die „Just in Time“ Broschüre online stellen. Hier ist nun der fertige Teil, der sich mit dem Inhalt befasst. Die Aktionen werden wir, allein schon aufgrund der Länge, in einem gesonderten Artikel posten.

 

Die Interim 763 ist zumindest in Teilen mit der „Berlin Struggle“ Debatte verbunden, da sich z.B.  https://linksunten.indymedia.org/en/node/123652 auf ihn bezieht. Des Weiteren sind die inhaltlichen Artikel auch allgemeingültig was z.B. die Abhandlungen über Kampagnen oder Strategische Richtungen des Flüchtlingskampfes angeht. Die Fragen der Theorie und Praxis die sich allein bei Kampagnen aufdrängen, machen eine vielfältige Debatte durch Texte und Aktionen notwendig. So lässt sich feststellen, dass die Aktionen und Proteste zur Brasilianischen Fußball-WM in ihrer klaren Bezugnahme zumindest Kampagnencharakter hatten, ohne das so etwas je spezifisch formuliert wurde. Gleichzeitig waren sie sehr diffus, in dem Sinne, dass es jetzt kaum noch Bezüge gibt, obwohl für Brasilien gerade mal die „3.Halbzeit“ angefangen hat - bis zur Olympiade. Hier könnte eine Wiederbelebung auch in Verbindung mit der eventuellen Berliner Olympiabewerbung sinnvoll sein.
Was die theoretischen Aspekte angeht, soll nur einmal die Frage gestellt werden: welche Beziehung hat eine antiautoritäre Bewegung zu den öffentlichen Verkehrsmitteln?
Die Aktionen die sich gegen (die zu hohen) Fahrpreise richten haben abgenommen, Aktionen gegen die Kontrolle im öffentlichen Bereich haben zugenommen. Trifft die „Kampagnenidee“ „BerlinVährtGratis“ noch den richtigen Nerv, nachdem etliche „Vulkane“ die ständige Mobilität von allem aus unterschiedlichsten Blickwinkeln kritisiert haben? Stehen sich hier unterschiedliche Ideen der Zielsetzung von Aktionen gegenüber?
Nur so viel zum aktuellen Bezug.

Stellen die in [ ] gehalten sind, sind Einschübe von uns. Manche Texte die in der Broschüre stehen, haben wir hier nur verlinkt um die Länge nicht ins lächerliche zu treiben. Der Artikel der aus der Radikal übernommen wurde, ist der besseren Übersichtlichkeit halber mit Trennstrichen versehen.   
 
[Coverinnenseite]

Ich erhoffe nichts. Ich fürchte nichts. Ich bin frei.
Nikos Kazantzakis

Inhalt:
S.2 Camover
S.4 Ein unruhiger Februar
S.8 Statistik über Angriffe auf Polizeifahrzeuge
S.10 Kampagnen
S.12 Der 1.Mai
S.14 Solidarität mit Internationalen Kämpfen
S.18 Thema Anti-Rassismus
S.20 History-Channel: Die Würde des Menschen ist unantastbar - die Profiteure sind es nicht!
S.30 Blockupy Frankfurt
S.31 Dokumentation: Aktion an der Hamburger Elbchaussee

Vorwort
Obwohl das Jahr 2014 schon fortgeschritten ist, wollen wie mit dieser Broschüre auf 2013 zurückblicken. 2013 – ein Jahr in dem viel passiert ist und das einige vielversprechende Ansätze für die Zukunft lieferte.

Der Sinn solcher Rückblicke ergibt sich aus der Geschichtslosigkeit der organisierte militanten, die alle paar Jahre wieder von vorne anfangen, scheinbar unwissend über die jüngste Vergangenheit.
Als Gedächtnisstütze haben Printmedien bei uns weitgehend ausgedient, die Archive in den Infoläden verstauben, die Nutzung von Zeitschriften wie Interim, Radikal, Swing oder Zeck ging kontinuierlich zurück und damit auch sich längerfristig aufeinander Beziehende Debatten.

In 2013 wurde die Seite directaction.ucrony.net abgeschaltet. Wer sich rückblicken ein Bild über den extralegalen Verlauf von Themen und Kampagnen machen möchte, ist auf umständliche Suchfunktionen diverser Internetseiten angewiesen. Das Gedächtnis ist kurz und manchmal verklärend, so wird beispielsweise das Jahr 2009 als ein Höhepunkt der autonomen Szene bewertet. Ob es das wirklich war, wurde nie ernsthaft diskutiert und woran wollen wir das auch festmachen? An der Zahl der angezündeten Autos oder dem 1.Mai? Der Höhepunkt der Autobrandstiftungen 2011 dagegen wird nie als besonderer Erfolg bezeichnet, obwohl es einer der seltenen Momente der Vermassung einer Aktionsform war. Ist es nicht das was wir uns wünschen: viele „Trittbrettfahrer_innen“?

Die Motivation der und der Einzelnen ist oft entscheidend für die Entwicklung von militantem Widerstand in einer Stadt und diese Motivation ist Schwankungen unterworfen. Viele Aktivist_innen haben nach wenigen Jahren das Gefühl, mit militanten Aktionen nichts zu verändern. Wir können hier nicht auf alle Einzelheiten und Strategien eingehen. Sind aber überzeugt, dass ein gelegentliches Bilanzieren der eigenen Tätigkeit manche Depression verhindern kann, wenn wir uns nicht selbst als Mittelpunkt der Welt sondern als Teil eines ununterbrochenen globalen Widerstands betrachten. In gewisser Weise sollte diese Broschüre diesem Anspruch gerecht werden.

Der Schwerpunkt dieser Broschüre liegt auf Berlin. Was hier im Schutz der Dunkelheit und manchmal auch tagsüber begangen wurde, ist oftmals unter Bezug auf bundesweite oder internationale Kämpfe von Gleichgesinnten begangen worden und hat auch umgekehrt diese beeinflusst. Daher sind auch viele Aktionen in der Chronik aufgenommen, die weiter weg passiert sind. Diese sind im Layout übrigens dadurch gekennzeichnet, das sie nicht fett gedruckt sind.

Wir müssen diese grenzenlosen, wechselseitigen und oft informellen Beziehungen vorantreiben und uns unseren vielseitigen Möglichkeiten bewusst werden um nicht in die Falle zu gehen, die das System aufgebaut hat: dass nämlich alles keinen Zweck hat und unveränderbar festgeschrieben ist. Was im letzten Jahr in Berlin und in anderen Gegenden an Aktionen gelaufen ist, kann sich sehen lassen und muss in zukünftige Planungen der militanten Strukturen einfließen. Jeder Staat ist verwundbar, das beweisen unzählige Gruppen und Individuen jeden Tag.

Der Rückblick ist auf militante Aktionen beschränkt, weil wir es wichtig finden darüber zu diskutieren ob sich mit Militanz z.B. Politik machen lässt oder ob sie sich selbst genügt. Das Wissen über ihr Wirken und die Technik selbst ist in Zeiten, wo die Mollis nicht von alleine fliegen jedenfalls Gold Wert und muss weiterbestehen, wenn wir nicht uns und die kommenden Generationen mit leeren Händen dastehen lassen wollen.

Camover (A)
Kritik an unserer politischen Praxis am Beispiel der Agit-Prop Aktion CAMOVER

Wesentlicher Bestandteil unserer Bestrebungen ist der Versuch, über die Szeneränder hinaus möglichst viele Menschen mit unseren Vorstellungen vom Leben und Zusammenleben zu erreichen. Unsere Vorstellungen sind dabei natürlich nicht einheitlich, weswegen die Notwendigkeit der Kritik besteht, die aber die Notwendigkeit der Solidarität nicht abschafft oder ersetzt.
Was uns immer schon Stärke gegeben hat, ist das Wissen über innere Organisation und Kommunikation. Dieses Wissen an äußere weiterzugeben muss der Kern autonomer Theorie und Praxis sein. Es muss daher immer wieder Analysiert werden, wie wir mit anderen in Kommunikation treten können und die Schlüsse daraus müssen unsere Praxis bestimmen.

CAMOVER ist einer der erfolgreichen Versuche der letzten Zeit, mit der „Außenwelt“ zu interagieren. Die Aktion ist militant und nicht durch dritte zu vereinnahmen. Sie wurde in einer Form präsentiert, die der gesellschaftlichen Informationskultur entspricht und findet daher weltweite Aufmerksamkeit. Kernbestandteil der Aktion ist das Mobi-Video, in welchem zahlreiche Sabotageaktionen an Überwachungskameras zu sehen sind, die Konsumentenfreundlich zusammengeschnitten und mit aggressiver Musik unterlegt wurden. Höhepunkt ist das Zerstören von Kameras in einer fahrenden Berliner U-Bahn. Abschließend wird der Camover-Blog beworben, sowie die Seite gegen den Polizeikongress in Berlin. Camover gibt sich als freudiges Spiel mit ernstem Gehalt aus und lädt auf der Website zum mitmachen ein, was das zweite Standbein den Aktion darstellt. Die erhoffte mediale Aufmerksamkeit sollte dazu motivieren, direkte Aktionen und öffentliche Reaktionen aufzuschaukeln. Für die genaue Idee kann auf Camover.noblogs.org nachgelesen werden.

Nach der Veröffentlichung im deutschen Indymedia gelangte das Aktionsvideo zunächst in Graffiti-Blogs verschiedener Sprachen, dann in Internationale Indymedias und in der Folge in die Weltpresse. Nachrichtenagenturen wie France24 und der englische Guardian katapultierten die Bekanntheit des Videos schlagartig nach oben. Aus einer oberflächlichen Medienanalyse lässt sich feststellen: in der Graffiti-Szene haben wir gute Freunde. Reaktionen waren überwiegend positiv, kritisch-solidarisch und –was sehr gut ist- sinnvoll.

Auch der „Mainstream“ trägt unsere Inhalte weiter. Sensationsgier und Voyeurismus lassen aber auch keine andere Wahl. Das Video spricht einfach für sich und der Blog tut sein übriges, um den tausenden von Diskussion im Netz Stoff zu liefern.
Im Gegensatz zu den Behauptungen der explizit politischen Akteure wie Parteien und Organisationen wie dem AKVorrat gibt es beim Thema Überwachung keinen Mittelweg. Die Online-Disskussionen sprechen die Sprache der Radikalität. Menschen glauben entweder an die totale Überwachung oder lehnen sie strikt ab. Letztere befürworten mehrheitlich die Sabotage. Für den Anarchismus ein denkwürdiger Moment.

CAMOVER hat es geschafft, mehrere hunderttausend Menschen zu erreichen und zu beeindrucken.
CAMOVER hat unter diesen Vorzeichen anarchistische Ideen verbreitet.
CAMOVER muss den Worten Taten folgen lassen.

Denkwürdig sollte für uns der Umgang der Szene mit dem Wettbewerb CAMOVER sein. Nehmen wir an es existiert eine handlungsfähige Szene oder autonome Bewegung, so ist die Resonanz bisher ungenügend. Nicht nur im deutschsprachigen Raum, sondern international gibt es nur ein paar wenige Gruppen, die sich entschlossen haben CAMOVER zu unterstützen. Läge das an Differenzen in der Bewertung der Aktionen, so wären deutliche Kritiken zu formulieren. Ohne Kommunikation sind wir schließlich nichts als vereinzelte Individuen.
Wird das Potenzial von CAMOVER anders bewertet?
Hat das Thema niedrigere Priorität als andere?
Reicht die Wirkung die die Kampagne erzielt schon aus?
Was hast du gestern Nacht gemacht?

Doch auch die vielen tausend Befürworter_innen der Aktion, die wohl keiner Szene zugeordnet werden könne, versagen offenbar. Sie erkennen die Brisanz der Überwachung, sie erkennen die Unfreiheit, sie ´Wissen das es konkrete Handlungsmöglichkeiten gibt und sie drücken in den Kommentarspalten, in Blogs du in Foren Gefühle der höchsten Freude angesichts der Zerstörung von Kameras aus. Dennoch handeln sie nicht. Das zeichnet das Bild einer Gesellschaft, die alle Emotionen im virtuellen Raum auslebt.
Es bleibt zu hoffen, dass ohne unser Wissen massenweite Kameras zu Bruch gehen. Denn wenn dem nicht so ist, so ist diese Gesellschaft im wirklichen Leben tot.

Ein unruhiger Februar
Die Zwangsräumung der Familie Gülbol in der Lausitzer Straße 8 eröffnete eine neue Dimension der Kämpfe um Wohnraum in Berlin. Der Widerstand gegen die Räumung einer privaten Wohnung hatte vorher nicht an die Wucht von Mobilisierungen gegen Hausprojekte heran gereicht. Am Morgen der 14.Februars bekamen die Vollstreckenden des gesetzlich besonders geschützten Eigentumsrechts zu spüren, woher der Wind in einigen spanischen Städten oder auch in Turin schon länger weht: aus einem Bündnis von Nachbar_innen, zivilem Ungehorsam und militanten Gruppen. Schon lange nicht war es in Kreuzberg zu einer Zusammenarbeit derart unterschiedlicher Gruppen gekommen, friedliche Blockaden und Steinwürfe kamen sich nicht ins Gehege sondern spielten sich ohne Distanzierung auf engem Raum nebeneinander ab. Im Umkreis und weiteren Stadtgebiet ging es noch feuriger zur Sache.
Beteiligte an den Blockaden um die Lausitzer beschreiben es so:

„Bei einer Zwangsräumung in Berlin ist heute der blanke Hass marschiert. Wie immer kam er in grüner Verkleidung und im Auftrag der Regierenden. (…)
Zwei Stunden zuvor zogen die Menschen die sich mit Ali Gülbol und seiner Familie solidarisierten von ihren Blockaden gemeinsam los. Der letztendlich erfolglosen Blockade, die mit unvermutet brutaler Gewalt immer wieder angegriffen wurde, sollte wenigstens noch ein bisschen Freude folgen. Zu viele haben Pfefferspray und die mit Quarzsand beschwerten Fäuste der Polizei abbekommen, als das man das Gefühl der Solidarität unserer Widerstands gegen die Gentrifizierung einfach sang- und klanglos hätte beenden können. (…)
Die Demo lief direkt vom Geschehen an der Wiener Straße Ecke Lausitzer Straße spontan los und sog alle Beteiligten mit, so das wir mindestens 1000 Leute waren. Sofort rannten Trupps der Polizei vor die Spitze und versuchten noch vor der Skalitzer Straße die Menschen aufzuhalten. Dabei setzten sie ohne Vorwarnung Gewalt ein um wohl die Demonstration zu verhindern. Die Pfeffersprayeinsätze und Prügel insbesondere vor dem Tor der Wiener Straße 13, durch dass die Polizei am frühen Morgen in den Hinterhof der Lausitzer Straße eingedrungen ist, waren eindeutig genug, um an diesem Punkt das Fass zum Überlaufen zu bringen.
Ja, es wurden Polizisten geschlagen, ja, es wurden Polizistinnen zu Boden gestoßen und ja, es wurden die Wannen und Funkstreifen mit Steinen beworfen. Was denn auch sonst, wenn unser Wohnraum gewaltsam genommen wird, wenn diese Stadt um Symbol der gewissenlosesten Kommerzialisierung wird, wenn die Polizei wie immer den willigen Vollstrecker spielt und dabei auch noch eindeutig Spaß hat. Warum sollten wir immer noch zusehen, wenn Menschen verdrängt werden, obdachlos gemacht werden und beim leisteten Aufbegehren zusammengeschlagen werden? Und ja, es ist ein Gefühl der Freude gewesen, endlich nicht mehr nur zuzusehen sondern Hand an die Sadisten anzulegen. Und zwar gemeinsam.

Die Leute liefen ohne Anmeldung, ohne Kontrolle und wütend durch die Oranienstraße, durchbrachen teilweise einen Kesselversuch der Bullen und die so entstandenen zwei Gruppen vereinigten sich wieder auf der Skalitzer. Verwirrt umherlaufende Söldner-Züge prügelten sich durch und mussten wiederholt ihren letzten Mann zurücklassen. Die Skalitzer ging’s runter bis zum Kotti, Barrikaden gebaut um die nachsetzenden Wannen aufzuhalten. Am Kotti wurden dann drei Wannen von vorne, etwas unschlüssig ob sie sich ein weiteres Eingreifen leisten können. Wir haben keinen Zweifel daran gelassen, dass sie sich da nicht mehr rausziehen können. Was dann auf Höhe der Brücke am Kottbusser Damm aufgefahren wurde, war eine militärische Aktion. Hunderte wurden in der Mariannenstrße gekesselt, wovon viele zum Glück durch die Hinterhöfe entkommen konnten. Was dann mit den zahlreichen Gruppen passierte, ob es viele Festnahmen und verletzte gab, werden wir sehen (…)“

Bereits Stunden vorher war der Berufsverkehr ins Stocken geraten, als mehrere Ampeln durch Sabotage ausfielen. Die Skalitzer und weitere Straßen wurden durch brennende Mülltonnen und Reifen blockiert, am Straußberger Platz in Friedrichshain brannten vier Fahrzeuge der Allianz Versicherung im Kreisverkehr, Krähenfüße wurden verstreut. In der Nacht zuvor wurde das Büro der Grundstücks GmbH mit Farbe beschmiert und ihre Fensterscheiben entglast weil sie für eine Räumung in Neukölln verantwortlich ist.
Das Aufschrecken in den Etagen der Wohnraumvernichter und politischen Repräsentant_innen dieser Politik war deutlich sichtbar, weitere Räumungen dieser Art würden ihren sozialen Frieden gefährden. Seitdem sind einige Zwangsmaßnahmen verschoben worden aber insgesamt war das Tempo der Besitzenden zu hoch und die Orte der folgenden Räumungen oft ungünstig gelegen um vergleichbare Interventionen leisten zu können.
Nur zwei Tage später sah sich Kreuzberg erneut mit einem polizeilichen Belagerungszustand konfrontiert. Anlass war diesmal die unangemeldete Demonstration gegen den Polizeikongress.
Die Demo von 1000 Menschen am Abend des 16.Februar wurde von den Bullen schnell angegriffen und ging nach kurzem Schlagabtausch in dezentrale Aktionen über. In einem Nachbereitungstext kommen Leute aus der Vorbereitung zu folgendem Resümee:

„Mit der Demonstration zu am 16. Februar sollte zum Einen eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Arbeit der beim Polizeikongress versammelten Teilnehmer angeschoben werden.
Gleichzeitig sollte der Handlungsspielraum einer antiautoritären Bewegung auf der Straße erweitert werden, bzw. überhaupt einmal festgestellt werden, in welchem Zustand sich diese Bewegung überhaupt befindet.
Der Diskurs zu den Absichten der beim Kongress versammelten Bullen und Firmen verlief leidenschaftslos. Obwohl es in den dazu veröffentlichten Texten hauptsächlich um Mord, Folter und Knast ging, gab es weder besondere Empörung noch Kritiken über die von verschiedenen Gruppen verfassten Texte.
Lediglich die Camover Kampagne erreichte Mediale Aufmerksamkeit über die Szenegrenzen hinaus.
Nicht erreicht wurde eine genaue Analyse von Aufstandsbekämpfung oder ein theoretisches Zerlegen der Ideologie vom Polizeikongress, sowie den dahinter stehenden Logiken des Systems. Trotz Aufforderung sich an Vorbereitungen zur Demonstration zu eigenverantwortlich zu beteiligen, war das Interesse eher schleppend. (…)
Wir, die diese Demo vorbereitet haben, wollten möglichst vielen Einzelpersonen, Kleingruppen oder Strukturen die Möglichkeit bieten, sich gemeinsam mit uns die Straße ohne staatliche Kontrolle zu nehmen oder ihre jeweilige Protestform einzubringen.
Es hat sich bestätigt, dass es nötig ist den Leuten hinterher zu rennen, wenn eine Aktion nicht von einem kleinen Kreis dominiert werden soll, das gefällt uns nicht. (…)
Von dem erwarteten Mobilisierungspotential her, erschien uns ein längerer Schlagabtausch mit den Bullen als unrealistisch. Wir wollten die DemonstrantInnen in keine wirklich harte Auseinandersetzung treiben; die Absicht war sich für einen gewissen Zeitraum einen Teil vom Kiez zu nehmen, um dort auf den Polizeikongress aufmerksam zu machen unabhängig von einer staatlichen Legitimation. (…)"

Ein weiteres Auswertungspapier bilanziert:
„Mit der Berliner Anti-Polizei Demo gestern Abend sind die Grenzen autonomer Mobilisierung zu Tage getreten. (…)
Das Polizeikonzept verfolgte offenbar das Ziel, die Demonstration losgehen zu lassen, um dann mit brutaler Gewalt gegen die kompakte Masse vorzugehen. Wäre der Angriff auf die Spitze der Demo besser koordiniert gewesen, wäre das Konzept aufgegangen. So aber gab so viele militante Aktionen wie seit Jahren nicht mehr auf einer Berliner Demonstration.
Unser Konzept setzte im Voraus auf Deeskalation durch Stärke. Durch die Ankündigung von einer gewissen Bereitschaft zur Gewaltanwendung wurde die Polizei dazu gezwungen, ihr Gewaltmonopol für einen Moment aufzugeben. Es ist als Erfolg zu sehen, dass die Demonstration sich formierte, obwohl es keine Anmeldung und keine offiziellen Verantwortlichen gab. Auch ist es eine Pleite für die Henkel-Brigade, dass der Sachschaden nach ihrem Eingreifen wohl in die hunderttausende gehen dürfte und einige Beamt_innen waagrecht nach Hause geschickt wurden.“

Über den Verlauf schreibt eine andere Gruppe:
„Da es nicht möglich war die Demonstration in diesem Moment durchzusetzen, bildeten sich ab 21:30 Uhr mehrere kleinere und größere Gruppen, die durch den Kiez zogen. Mit Beginn des dezentralen Konzeptes (Plan C) wurden am anderen Ende der Oranienstraße die Bundesdruckerei (ein Sponsor des Polizeikongresses) und die Senatsverwaltung für Soziales angegriffen, sowie eine brennende Barrikade davor errichtet, in der Paul-Junius-Straße in Lichtenberg ein Mercedes in Brand gesteckt, vor dem Abschnitt in der Werbellinstraße ein Streifenwagen angezündet, im Bereich zwischen Adalbert- und Melchiorstraße wurden Fahrzeuge von der Deutschen Bahn, Vattenfall und WISAG demoliert. Eine McDonalds Filiale in der Wrangelstraße erlitt Glasbruch, die Postbank in der Skalitzerstraße ebenfalls. Die Bullen versuchten alle weiteren Versuche von Spontandemonstrationen zu unterbinden, wobei im ganzen Kiez Barrikaden gebaut wurden und Steine flogen. Um 23:40 Uhr wurden am Görlitzer Park zwei Wannen mit Steinen angegriffen, zwischendurch gingen mehrere Sparkassen zu Bruch. Die Brücken nach Friedrichshain wurden dann von Hundertschaften besetzt, zwei Wasserwerfer und Räumfahrzeuge von Kreuzberg zum Bersarinplatz in Friedrichshain verlegt. Ganz Friedrichshain war von da an mit starken Zivilkräften und Wannen besetzt. In der Rigaerstraße brannten Mülltonnen und in der Nähe der Wedekindwache wurde ein Bullenwagen angegriffen, eine Person wurde dabei festgenommen.
Besonders unangenehm fielen uns wieder zahlreiche Fotograf_innen auf, die um jeden Preis Aufnahmen vom laufenden Schwarzen Block oder einzelnen Demonstrant_innen machen wollten. „

An der Auseinandersetzung mit Fotografen bildete sich in den folgenden Wochen ein Diskurs über Sinn und Sicherheit vom Abfilmen von Protesten und Demos. Der am Abend des 16.Februar in Kreuzberg geschlagene Fotograf des Umbruch Bildarchiv entpuppte soch durch ein Outing als der Nazi Lars Dickhoff (linksunten, node, 101527)

 

[Es folgt eine Statistik über Angriffe auf Bullenfahrzeuge, die mit einigen motivierenden Bildern verschönert werden. Die Statistik kann hier  https://linksunten.indymedia.org/en/node/109733 nachgelesen werden.]

 

Kampagnen
Über den Sinn von Kampagnenpolitik wurde schon des öfteren diskutiert, hier wollen wir zunächst einige Kampagnen von 2013 beleuchten.

Camover, die Kampoagne gegen Videoüberwachung wurde vor allem durch das Video weltweit bekannt und führte auch in anderen Ländern zu Zerstörung von Kameras. Von anderen Kampagnen Unterschied Camover die Einbettung in eine weitere Mobilisierung, nämlich gegen den Polizeikongress in Berlin. Gemessen an dem Aufsehen, der Bedeutung in der Sicherheitsarchitektur und der Anzahl potenzieller Ziele war Camover nicht von langer Dauer und löste nicht übermäßig viele Aktionen aus.

Aus der Kampagne gegen Zwangsumzüge und zunehmend aggressive Gentrifizierung entstand der Bedarf an einer Berliner Liste, die sich dynamisch entwickelte und nicht nur Anschläge, sondern auch Inhalte transportierte. Wie bei vielen Kampagnen war bei der Berliner Liste unklar über welchen Zeitraum sie gehen sollte.

Weitgehend unbeachtet bliebe eine Kampagne gegen Drohnen, der es nicht gelang an die „War starts here“ Kampagne anzuknüpfen. In 2013 gab es bundesweit einige spektakuläre Aktionen im Krieg gegen die Bundeswehr im Inland, wie es eine Zeitung formulierte, der Brisanz des Themas dürfte es geschuldet sein, dass in Berlin nur wenig dazu ging. Bei „War stars here“ handelt es sich jedoch um eine längerfristige Kampagne, die nicht von einer Vielzahl an Anschlägen lebt, sondern von einer kontinuierlichen Entwicklung des Antimilitarismus.
Im Frühjahr wurde ein Aufruf gegen die Deutsche Telekom verbreitet. Zuvor war es bundesweit zu Anschlägen gegen die Telekom gekommen und auch ihr griechischer Ableger OTE wurde ins Visier genommen. Nach dem Aufruf unter dem Titel m.i.l.i.t.a.n.z. –connecting people gingen die Aktionen gegen die Telekom kaum weiter, bundesweit war die Resonanz größer als in Berlin. Ob es daran lag, dass diese Kampagne erst als Ergebnis von Anschlägen ausgerufen wurde, oder vielen Gruppen das Ziel danach zu gefährlich erschien, oder schlicht nicht bedeutend genug war, ist unklar. Ein Konzern wie die Telekom ist vielleicht zu beliebig, wenn die Kampagne nicht über einen einmaligen Aufruf hinauskommt. Genauso könnte es heißen, Vattenfall oder Deutsche Bahn anzugreifen, mit dem Unterschied, dass diese beiden Konzerne auch als Ansprechpartner konkreter Forderungen (Castor) geeignet sind. Zwar brannten im Verlauf des Jahres auch in Italien Telekom Autos, dieser Kampagne mangelte es aber an einer nachhaltigen und inhaltlichen Verbreitung.

Bei der Kampagne gegen Kik und andere Textilkonzerne war es anders. Zuerst entstand Aufregung und Betroffenheit bis hinein in bürgerliche Schichten, nachdem weltweit Medien über die Zustände in Textilfabriken in Bangladesh und andren Ländern dieser Region berichtet hatten. Dann kamen die ersten Anschläge in der BRD, die mit deutlichen Aufforderungen versehen waren. Trotz hunderter verbrannter und verschütteter ArbeiterInnen und der Vielzahl an einfachen Zielen konnte sich diese Kampagne nicht durchsetzen, obwohl Parallelen zu Adler 1987 gezogen wurden. Anscheinend ging die Betroffenheit dann doch nicht über bürgerliche Schichten hinaus.

Kampagnen sollten klarer beinhalten auf welchen Zeitraum sie angelegt sind, bzw. was ihr Ziel ist. Ob ein konkretes Projekt in die Knie gezwungen werden soll, wie die Kriegsbeteiligung der DHL oder die damalige Olympia Bewerbung Berlins macht einen großen Unterschied zu Kampagnen, die lang anhaltend um ihrer selbst Willen betrieben werden, siehe Berliner Liste.

Erstaunlicherweise gab es 2013 keine Kampagne gegen die Profiteure rassistischer Politik. Weder wurden die am Abschiebeknast des neuen Flughafen Schönefeld beteiligten Firmen noch die anderen NutznießerInnen von Abschiebung, Lagerhaltung und rassistischer Hetze militant an den Pranger gestellt, bis auf wenige Ausnahmen. Der Antirassistische Kampf bietet, wie kau mein anderes Thema unglaublich viele Ziele, gesellschaftliche Diskurse und Verbindungen zu anderen Kämpfen, so das hier ein großes Potenzial besteht. Als Beispiel für den Aufbau und Verlauf einer Kampagne, die nicht nur militant betrieben wurde und die in Bündnisse involviert war, drucken wir auf den folgenden Seiten etwas aus der Radikal ab. Die Kampagne gegen Sorat, Spar und Sodexho in den Jahren 1997 und 1998 (siehe Seite 20) brachte auch eine strategische und taktische Debatte militanter Strukturen mit sich.

Der 1. Mai
Am Vorabend des 1. Mai ist Walpurgisnacht-Demo im Wedding: bei ihrer dritten Auflage ist die Akzeptanz im Kiez schon viel größer als am Anfang. Inhaltlich geht es um Gentrification und rassistische Stadtpolitik, welche den Wedding zunehmend plagen. Es geht nicht ums Spektakel und die Tradition, sondern um die Sache. Anschläge aufs Quartiersmanagement im Brunnenviertel im Vorjahr und auf die Ausländerbehörde in Moabit am 8.April haben den Rahmen vergrößert.
(…)Vor dem ersten Mai, dem „Kampftag für mehr Lohn aber vor allem für weniger Arbeit“, wie es einige Militante letztes Jahr ausdrückten, kam die alte Diskussion wieder auf, was wir damit machen wollen. Die Befriedung Kreuzbergs ist 2013 so weit fortgeschritten, dass „Autonome“ Teil des Aufstandsbefämpfungs-Myfestes sein können und gleichzeitig Kinderpolizisten –Baustein Henkels grüner Brigade- auf Streife geschickt werden. Von der 13 Uhr Demo redet niemand mehr und die 18 Uhr Demo wird von vielen auch kritisch gesehen. Zwar sind die Teilnehmerzahlen hoch, dennoch ist es eine Demo ohne Potenzial, zumindest für Aufregung zu sorgen oder gar zu polarisieren. Weil die Debatten um „nicht anmelden“ und „nicht ins Menschenleere Regierungsviertel“ latschen ins leere laufen, ist die Ansage des schwarzen Blocks: bis zum Moritzplatz und nicht weiter. In dieser Gegend kommt es dann auch zu sportlichen Angriffen aus dem Block (ca. 200 Leute) auf eine Sparkassenfilliale und Bullen, die sich nicht provozieren lassen… die Demo soll schließlich bis zum Ende laufen können.
Am Schluss feiern sich dann Anmelder_innn und Innensenator Henkel und preisen die Zusammenarbeit und Friedfertigkeit. Den Anarchos wurde gemeinsam gezeigt, dass ihre Einschätzungen falsch waren.
Das Frohlocken ist getrübt, als Nachts noch ein Mob auf der Karl-Marx-Straße in Neukölln „demonstriert“ –H&M (remember Savar!), Santander Bank und Rossmann gehen großflächig in die Brüche –und ist vorbei, als klar wird, das der S-Bahnausfall am Morgen des 2. Mai kein technisches Problem sondern Sabotage durch eine Vulkan-Gruppe ist. Unter dem Motto „verlängerter 1. Mai“ gibt es eine schriftliche Erklärung, die später im Jahr auch noch durch eine lesenswerte Nachbereitung ergänzt wird.
Interessant ist auch, dass ein wohl etwas größerer Zusammenhang meint, der 1.Mai sei „hierzulande längst zum Bekenntnis reformistischer Treue zu Kapital und Staat“ verkommen.
„Das Datum unserer Anschläge ist daher nicht der 1.5., es ist der Tag des Kampfes der Arbeitslosen, der 2.5., der Tag der wohl niemals, und von welchem System auch immer, vereinnahmt werden wird, da Arbeit, dieser Fluch der Menschheit, immer im Zentrum allen Profits, aller Ausbeutung und aller Knechtschaft stehen wird, ohne Arbeit aber das ganze kapitalistische System zusammenbricht: aber ist das nicht eine Perspektive, für die es sich zu kämpfen lohnt?“
Praktisch, dass dabei sechs Jobcenter/Arbeitsämter und die Landeszentrale der SPD mit Farbe, Steinen, Hämmern und in einem Fall mit Brandsatz angegriffen wurden!

Solidarität mit internationalen Kämpfen
Das Jahr 2013 war weltweit eine Phase überraschend ausbrechender Konfrontationen. Ähnliche Momente waren in der Vergangenheit zwar oftmals begrüßt worden, so wie 2005 in Frankreich oder 2011 in London, dennoch verharrten autonome und anarchistische Zusammenhänge auch jetzt wieder weitgehend in der Zuschauerrolle.
Der in Berlin vor einiger Zeit angestoßene Diskurs über den Umgang mit tödlicher Polizeigewalt (Dennis J., Slieman Hamade, Andrea H.) konnte keine spontane Handlungsfähigkeit erzeugen.
Als am 19.Mai nach der Ermordung einer 69 Jährigen Mannes der Stockholmer Stadtteil Husby in Flammen aufging und Jugendliche sich eine Woche lang Auseinandersetzungen mit der Polizei lieferten, offenbarte sich einmal mehr unsere Unwissenheit, über die Spannungen im vermeintlich befriedeten Schweden und über den Zündvorgang in Viertel, in dehnen excludierte Bevölkerungsgruppen sich staatlicher Gewalt entgegen stellen. Es gab in Deutschland keine Soliaktionen und keine Informationen ob Linksradikale sich in Stockholm an den Krawallen beteiligten.
Al Husby wieder von der Polizei beherrscht wurde, entzündeten sich zwischen dem 27. und 31. Mai in Istanbul die Proteste wegen Erdogans Plänen für die Zerstörung des Gezi-Park. Mit rasender Geschwindigkeit entstanden Unruhen in vielen Städten der Türkei. Im verlauf der nächsten drei Monate wurden ungefähr ein Duzend Menschen durch Sicherheitskräfte getötet. Auch nach September gab es immer wieder Straßenschlachten, die ihren Ursprung in der Entstehung dieser neuen Protestwelle haben. Anfangs reagierten in Kreuzberg die Strukturen der türkischen und kurdischen und allevitischen Linken zusammen mit Antifagruppen und Antiautoritären auf die Ereignisse in der Türkei. Spontandemos setzen sich durch, als sie zb. In der Oranienstraße die Bullen mit Flaschen bewarfen und wegdrückten. Am Kotti wurde ein Zelt errichtet, das Ort von Information und Diskussion war.
Bei dem Zusammentreffen einer Sponti am 7.Juni am Kottbusser Tor mit einer Wanne der Bereitschaftspolizei flogen Steine, Pyro, Farbe und Brandsätze auf die Bullen, vielleicht die spektakulärste aber vielleicht deshalb auch lange Zeit die einzige Soliaktion zu diesem Thema.
Am 14. Juli zeigte sich die Schwäche der Kreuzberger Szene, als auf den Angriff weniger Grauer Wölfe auf eine Demo in der Skalitzer Straße keine angemessene Antwort erfolgte. Das Infozelt am Kotti verschwand kurz darauf. Die unglaublich vielfältigen Ansätze des extrem heterogenen Widerstands in der Türkei, riefen danach keine Reaktionen in Berlin hervor, obwohl viele Probleme Istanbuls auch Probleme hier sind, wie die Gentrifizierung und die Wohnungsproblematik, Polizeigewalt und korrupte, faschistische Politiker. Erst in der Nacht zum 1. Januar 2014 wurden mit einer spärlichen Begründung in Berlin-Mitte zwei Fahrzeuge der türkischen Botschaft angezündet.

Zeitgleich mit Husby und Istanbul spitzen sich ab dem 21. Mai in Brasilien die sozialen Spannungen zu. Zunächst an einem Thema, zu dem auch in Berlin seit Jahren sporadisch gearbeitet wird, den Preisen für die Beförderung in öffentlichen Verkehrsmitteln. Die Lage in Rio de Janeiro, Sao Paulo und anderen Städten eskalierte in Folge von Polizeigewalt rasch, die Mordpolitik der brasilianischen Bullen wurde genauso angegriffen, wie die Säuberungen wegen der bevorstehenden Fußball WM. In Deutschland gab es bislang wenig Resonanz auf die Proteste in Brasilien und den dort explizit anarchistisch auftretenden Black Bloc. In Hamburg führte allerdings eine Gruppe im Anschluss an die Flora Demo eine Aktion an der Elbchaussee durch, die wegen ihrer Präzision und sehr gut recherchierten Begründung Vorbildcharakter hat. (siehe Zeck 178)
Der Blick über den eigenen Tellerrand ermöglicht auch tiefere Einblicke in das gesellschaftliche Klima, in dem Aktivist*innen versuchen Widerstandsprozesse anzuschieben. Auslöser in Brasilien war eine Fahrpreiserhöhung von umgerechnet 7 Cent, gegen die zwei Duzend Leute des Movimento Passe Libre (MPL) protestierten, die in ihren Texten ungehinderte Bewegung von Menschen im öffentlichen Raum als Grundvoraussetzung für Kultur und soziale Beziehungen fordern. Anscheinend überzeugend genug um innerhalb weniger Wochen Hunderttausende auf die Straße zu bringen. Vergleichen wie das mit dem Zustand in unseren Städten, stellen wir fest, dass wir von Zombies umgeben sind, die auf ihr Smartphone starren, in welchem ihr ganzes Leben stattfindet und das ihnen anscheinend Anweisungen gibt. In Berlin ist es für viele einfacher sich im öffentlichen Raum zu bewegen als in Brasilien, trotz der über 500.000 Menschen, die BVG und S-Bahn durch ihre Fahrscheinkontrolleure excludieren. Trotzdem ist in Berlin die Vereinzelung weiter fortgeschritten, einsame Menschen steuern durch die Stadt ohne ihre Umgebung zu beachten, lediglich auf der Suche nach einer Bestätigung ihres Facebook Profils. Damit sind sie für Agitation ungleich schwerer zu erreichen, die Fähigkeit zur Interaktion mit anderen wurde ihnen schon erfolgreich abgewöhnt.

Die Kämpfe in Griechenland wurden zwar mit Infoveranstaltungen das ganze Jahr über thematisiert. Praktischen Bezug darauf wurde nur zweimal genommen, mit einer militanten Sponti im Januar und einem Brandanschlag auf ein DB Fahrzeug im Februar.

Inhaltlich ging die Diskussion mehrer Gruppen aus dem FAI Spektrum in Südamerika, Indonesien, England, Italien und Griechenland an der Berliner Szene völlig vorbei. Auch die von traditionellen linken Gruppen dominierten Proteste in Istanbul wurden von den entsprechenden Zusammenhängen in Berlin nicht in einen weitergehenden Austausch entwickelt. Die Notwendigkeit von einem Erfahrungs- und Wissensaustausch, wenn nicht sogar der direkten praktischen Bezugnahme, ergibt sich aus dem grenzenlosen Agieren der Gegenseite.
In Athen explodieren brasilianische Tränengasgranaten und deutsche Blendschock Granaten. Die Deutsche Polizei bildet griechische Bullen aus, Chilenischer und spanischer Geheimdienst verfolgen gemeinsam AnarchistInnen aus Chile in Europa. Gentrifizierung und Migrationsabwehr sind in allen europäischen Metropolen Arbeitsfelder, die von den gleichen Think Tanks und Sicherheitsstrategen verwaltet werden. Egal ob wir den Begründungen der FAI Anschlagserklärungen folgen oder den Papieren türkischer Kommunisten, die globale Zusammenarbeit von Konzernen und Polizeibehörden wird überall registriert, findet aber keine bewegungsfähige Gegenstrategie.

Internationale Mobilisierungen zu Demonstrationen und Protesten sind fast völlig zum Erliegen gekommen. Waren die Gipfelproteste sein Seattle 1999 immer auch ein Ort zum Kennenlernen und Weitergabe von Wissen, ist die nachfolgende Generation von AktivistInnen nach der Kritik am „Eventhopping“ und den verpatzten G8 und G20 Gipfeln 2011 in Frankreich dieser Erfahrung nicht mehr teilhaftig geworden. Erinnern wir uns an einen der Gründe, warum 2009 in Berlin einiges abging: das NATO Treffen in Straßburg im Frühjahr machte damals vielen Menschen Lust auf mehr. Spätestens nach dem zwiespältigen COP15 in Kopenhagen wurde das Reisen zu überregionalen Randalen vom resignativen Flügel der Autonomen als „Krawalltourimus“ diffamiert.

Berlin, als unwichtiger Furz auf der Weltkarte, ist auch 2013 der Zerstörung der kapitalistischen Ordnung keinen Schritt näher gekommen. Nur eine Verbindung lokaler Käpfe mit dem globalen Widerstand kann diese Bedeutungslosigkeit durchbrechen. Das setzt ein inhaltliches und praktisches, gegenseitiges Bezugnehmen auf die Aktivitäten antihierarchischer Strömungen voraus.

Thema Antirassismus
Auch das, was gemeinhin als Szene bezeichnet wird, verlagerte- wie die bürgerliche Presse – im zweiten Halbjahr 2013 seinen Schwerpunkt auf das Thema Rassismus. Bemerkenswert dabei ist, dass dies eine überregionale Dynamik entwickelt hat und nicht, wie beim Thema „Gentrifizierung“ viel zu lange lokal und engstirnig blieb. Überhaupt war eine schöne Tendenz zu betrachten, dass das Thema nicht als Teilbereichskampf wahrgenommen wurde, sondern oft und viel Bezug auf radikale Positionen genommen wurde.

In Berlin fanden wir sehr hoffnungsvoll, dass der Oranienplatz und das Refugee-House in der Ohlauer Straße als Besetzungen aushielten. Viele engagierten sich, die Medienhetze, die Politik und ihre Polizei als einzige rassistische Kampagne zu entlarven. Auch der Görlitzer Park wurde irgendwie zum Kampffeld zwischen uns und denen:
Teilweise waren die offen rassistischen Kontrollen täglich und die Berichterstattung machte alles mit, was die arroganten Deutschen von „unser Görli“ an bürgerlichen Ideen lieferten. Es wurde gelogen was das Zeug hält. Wir teilen die Einschätzung des Antifaschistischen Infoblatts, dass „Akteur_innen dieses Bürgerbeteiligungsprojektes keinesfalls eine ‚Projektionsfläche für gesellschaftliche Konflikte und Veränderungsprozesse’, sondern mit ihren Problemdefinitionen und Aktionen aktiv an Aufwertung und Verdrängung beteiligt“ sind. Mehr noch haben wir alle beobachtet: das sind rassistische Arschlöcher, die applaudieren, wenn die Bullen auf Afrikanerjagd sind.
Wir sind weiter voller Tatendrang angesichts der rassistischen Kampagnen. Die brennenden Autos am 22. Juli und das zerstörte Büro von „unser Görli“ haben gezeigt, dass auch eigene Akzente in Debatten gesetzt werden können, wo Menschen von unten eigentlich nicht eingeplant waren.
Schön wäre es jedoch, auf Polizeiaktionen, wie die zahlreichen Stürmungen unserer Lokalitäten direkt reagieren zu können. Eigentlich sollte jede_r eingesetzte Beamt_in Angst vor dem nächsten Befehl zum Einmarschieren haben.

Zwangsläufig ist das rassistische Problem in unseren Städten auch ein Teil der Gentrifizierung. Flüchtlinge und andere Non-Citizens werden in der Bonzen-Stadt, die Berlin gerade wird, keinen Platz mehr haben. Nach der Beseitigung unserer Lokalitäten, die Sand im Getriebe der Aufwertung sind, stehen sicher schon die nächsten auf der Liste. Deshalb müssen wir daran arbeiten, dass es noch mehr O-Plätze, Görlis und Refugee-Häuser gibt und dann bestimmen wir, wer erstmal aus der Stadt geschmissen wird. Aktuell stehen da Monika Hermann und die grüne Fußtruppe ganz oben auf der Liste.

Bemerkenswert ist, dass es überall so viel Solidarität mit den Kämpfen hier vor Ort gibt. Uns dass auch wir soviel Kraft nach Hamburg schicken konnten. Das liegt daran, dass es ein und derselbe Kampf ist und wir aufeinander Bezug genommen haben. Es wurden 2013 so viele Partei-Zentralen – allen voran die der SPD – im gesamten BRD-Gebiet eingeworfen, dass die Parteispinner das wirklich am eigenen Leib zu spüren bekommen haben, was sie da jeden Tag verbrechen. Ihre Kriege, ihr Lampedusa und die rassistische Hetze gehören ihnen an den Kopf geworfen. Es zeigt sich wieder, was Politik bedeutet: das Ausnutzen des Leids anderer zur eigenen Bereicherung.

Ganz konkret zusammengefunden haben die Akteure der Teilbereichskämpfe gegen Jahresende, als in Hamburg so vielen klar wurde, dass das Leben in der eigenen Stadt im Zusammenhang mit dem Leben der Flüchtlinge steht. Stichwort: Lampedusa in Hamburg. Parallel dazu gab es in Berlin den Hungerstreik am Brandenburger Tor und dann den Räumungsversuch des Oranienplatzes. Zusammen haben wir da ein relativ gutes Bild abgeliefert und auch tatsächlich eine Grundlage für die Zukunft geschaffen. Die Spontis hier waren gemeinsam, solidarisch, laut, bunt und haben sich nicht von den Grenzen aufhalten lassen, die uns die Legalisten auferlegen wollen. So sind wir trotz des Frustes wegen der Gesamtscheisse zu einigen Erlebnissen gekommen, die uns Energie gegeben haben. Dabei wollen wir betonen, dass kaputte Streifenwagen und flüchtende Bullen immer dynamisierende Faktoren sind. Mehr davon!

Es ist zu Hoffen, dass „Themenkomplexe“ wie Gentrifizierung und Antirassismus sich in Zukunft noch weiter Auflösen und somit auch unsere Positionen klarer werden. Es muss weiter daran gearbeitet werden, dass Menschen erkennen, dass es kein „Wir“ und „Ihr“ gibt, sondern die Probleme meist eine gemeinsame Ursache haben, die gemeinsam bekämpft werden muss. 


 

Die Würde des Menschen ist unantastbar – die Profiteure sind es nicht!
Gegen die NutznießerInnen des Aylbewerberleistungsgesetzes!
Sorat ist nur ein Beispiel – aber ein gutes!

(aus der Radikal 5/98)
Das Asylbewerberleistungsgesetz (AsyllbLG) wird ziemlich oft novelliert. Am 1.6.97 wurde es unter anderem wieder (und nicht zum letzten Mal, siehe Infos weite unten) massiv ausgeweitet. Konsequenz der Verschärfung ist, dass die Sozialleistungen für AylsbewerberInnen Kriegs – und Bürgerkriegsflüchtlinge, sowie aller anderen Flüchtlinge, die nur eine Duldung bekommen haben, auf nicht mal 80 % des üblichen Sozialhilfesatzes gekürzt werden. Bundesweit sind um die 500.000 Menschen, in Berlin 30.000 von dieser Gesetzgebung betroffen. Sie müssen in Heimen leben, dürfen nicht arbeiten und haben kaum Rechte auf medizinische Versorgung. Das Gesetz gibt nicht zwingend vor, in welcher Form die Flüchtlinge Leistungen bekommen sollen. Doch die Berliner Sozialsenatorin Hübner ist sehr bemüht, zu erwirken, dass alle Bezirkssozialämter nur noch 80 DM Taschengeld auszahlen und ansonsten auf Sachleistungen umstellen. Finanziell lohnt sich die Sache für die Sozialämter nicht. Insgesamt ist das Sachleistungssystem sehr viel aufwändiger und damit teurer, als den Menschen den vollen Sozialhilfesatz auszuzahlen. Die Umstellung auf Sachleistung dient einzig dazu, Menschen zu entwürdigen, ihnen das Leben in Deutschland möglichst schwer zu machen und sie in den Augen der übrigen Bevölkerung noch einmal mehr herabzustufen.  
Im Juni und Anfang August 1997 war in diversen Artikeln in der Berliner Tagespresse zu lesen, dass die Schikanen gegen Flüchtlinge einen neuen Höhepunkt erreicht hatten:
Von Taz bis zu diversen anderen Blättern wurde kritisch und ablehnend beschrieben, dass in Berlin jetzt 2.500 der 30.000 Menschen, die unter das AsylLG fallen, auf der Basis von Gutscheinen in zwei Sachleistungsmagazinen der Firma Sorat zwangseinkaufen müssen.

Die Flüchtlinge leben überall in dieser recht großen Stadt und müssen natürlich das Fahrgeld zu den Magazinen [der Firma Sorat] von ihren 80 DM Taschengeld bezahlen. Wie zum Hohn finden sie in den Sorat-Magazinen ein völlig eingeschränktes und überteuertes Warenangebot. Reine Schikane!!
Ziemlich unmittelbar nach  dem Bekanntwerden der Zwangseinkaufläden begann der Berliner Flüchtlingsrat Kundgebungen und Proteste vor den Magazinen und vor dem Sorat „Art Hotel“ zu organisieren. Ein kleiner Erfolg war in der Öffentlichkeitsarbeit zu verzeichnen, als Ärzte der Göttinger „Akademie für Ethik in der Medizin“, ihre Buchung in Sorat-Hotels stornierten und die Jenapharm GmbH gleich die gesamte Hotelkette als Treffpunkt für weitere Aktivitäten strich.
Am 10.8.97 brannte in Mittenwalde der LKW-Fuhrpark (Zentrallager) der „Spar AG“ ab. Drei Millionen DM Sachschaden!
Die „Autonome Gruppe Sparflamme“ schreibt dazu:
„Als Lieferant für die Sammelmagazine agiert SPAR. Die Preise für die Waren werden willkürlich von Woche zu Woche neu festgelegt. Fast alle Waren sind in normalen Supermärkten billiger zu bekommen. Während SPAR seine Profite einheimst, müssen die Flüchtlinge sich mit den ständigen Schikanen in den Sammelmagazinen herumschlagen.“

Sorat lancierte als Folge der Proteste, dass sie die Sachleistungsmagazine zum 1.Oktober 97 schließen wollten. Doch wer sich darüber freute, hatte sich geirrt. Der 1.Oktober sollte nur der Auftakt zu einer neuen Angriffsrunde gegen Flüchtlinge werden.
Unbeirrt von den Protesten, sogar dem Widerstand vieler Sozialämter will Sozialsenatorin Hübner weiterhin ein Wertgutscheinsystem für alle 30.000 Berliner Flüchtlinge einführen. Eine Catering-Firma namens SODEXHO hat sich angeboten, für 1,75% des Wertes jedes Gutscheins, die Verwaltung der Einkäufer zu übernehmen, was mit einschließt, verschiedenste Supermärkte zu organisieren, in denen die Flüchtlinge „einkaufen“ müssen. Die Kosten für dieses System würden mindestens 26[?] Millionen DM im Jahr ausmachen, den Gewinn von SODEXHOS`s 1,75% (1)

Ob SODEXHO direkte geschäftliche Kontakte zu Sorat hat, ist uns unklar. Dafür war in diversen Anzeigen folgendes zu lesen:
„Von der Senatsverwaltung für Gesundheit und Soziales sind wir beauftragt worden, für Asylbewerber ein flächendeckendes Verfahren zur Weiterentwicklung des Sachleistungsprinzips zu organisieren. Vorgesehen ist vorübergehend die Ausgabe von Warengutscheinen mit Abrechnung über ein Belegsystem für Lebensmittel und Artikel des täglichen Bedarfs (z.B. Hygieneartikel) durch den Lebensmittelhandel bzw. von Handelsketten. Längerfristig ist die Umstellung auf ein Chipkartensystem geplant.
Hierzu werden zum 1.Oktober 1997 im gesamten Berliner Stadtgebiet Lebensmittelhändler bzw. Lebensmittelketten gesucht, die bereit sind, sich an diesen Verfahren zu beteiligen. Bewerbungen richten Sie bitte umgehend – vorab vorzugsweise – per Telefax an Fa. Sorat GmbH Einsteinufer 63-65 Berlin.“
Die Tegelmannkette interessierte sich für den angepriesenen Job und setzte sich mit Sorat in Verbindung.
In der Nacht des 3. Oktobers wurde während des Ausklangs eines Straßenfests ein Kaisers Supermarkt vollständig niedergebrannt. Die Aktion war eine konsequente Warnung an Kaisers (bzw. die Tengelmann-Kette [Fehler im Original]) und alle anderen LebensmittelhändlerInnen, eventuelle Pläne bezüglich eines Einstiegs in das Warengutscheinabrechnugssystems noch mal zu überdenken.
Die Zeitungsberichterstattungen, die auf die Aktion folgten, überschlagen sich fast, in den Darstellungen einer exakt geplanten und erfolgreich durchgeführten Aktion.
„Die Aktion war bis ins Detail vorbereitet: rund 50 vermummte mischten sich gegen 22 Uhr am Teutoburger Platz unter die Besucher der friedlichen „Einheitz-Party“ zum Tag der deutschen Einheit, die von den grünen veranstaltet wurde. (…) Dann ging alles blitzschnell: Eine Leuchtspurrakete wurde abgefeuert – das Signal zum losstürmen. Eine Gruppe aus 15 Politrambos schob 20 Autos, Kleintransporter und Baufahrzeuge zusammen, bildete blitzschnell einen Blechwall direkt vor dem Kaisersverbrauchermarkt in der Fehrberliner Straße. Ein Polizeisprecher: Wie am ersten Mai 1987 in Kreuzberg warfen sie Molotow-Cocktails in die Fahrzeuge, zertrümmerten die Fensterfront und warfen Feuer-Bomben hinein“ (…)
Der Schaden geht in die Millionen. Die Feuerwehr brauchte eine Stunde, um die meterhohen Flammen zu löschen. (…)“ (2)
In den folgenden Tagen und Wochen wurde über den Anschlag auf den Supermarkt sowohl in der Nähe des Geschehens, als auch in der „Politszene“ heftig diskutiert. Dazu steht mehr im nächsten Kapital, welches sich mit der Kritik an den AkteurInnen und der Reaktion der Bullen auf die Aktion beschäftigt. An dieser Stelle geht es erstmal chronologisch weiter:
Im November 97 gab es wieder verschiedene Kundgebungen, eine vor dem Magazin in Kreuzberg, eine vor dem Sorat-Hotel in der Joachimstaler Straße.
Am 16.12.97 haben antirassistische Gruppen an insgesamt 13 Spar-Standorten die Türschlösser im Eingangsbereich, im Lieferantenbereich und an den Gattern verklebt, sowie „Spar ist rassistisch – Bargeld statt Gutscheine für Flüchtlinge“ an die Fassaden gesprüht.
Nur einen Tag darauf, in der Nacht zum 17.12.97 wurden bei zwei Sorat-Hotels in Neukölln und Prenzlauer Allee die Scheiben eingeschmissen.

„Nachdem die Flüchtlinge sich täglich gegen dieses System wehren, indem sie beispielsweise Waren in den Sorat-Läden beschädigen, und nachdem antirassistische Gruppen eine Reihe von Protestaktionen durchgeführt haben, hatte Sorat angekündigt, sich aus dem System der Sammelläden zurückziehen zu wollen (…) Doch alle Ankündigungen sind reine Augenwischerei. Momentan wird an der Einführung der Asylcard gebastelt, ein weiterer Schritt zum „gläsernen Flüchtling“. Der Senat sucht über Sorat nach weiteren Ladenketten in denen die Flüchtlinge dann per Asylcard oder weiterhin in Form von Gutscheinen Lebensmittel kaufen müssten.“ (3)

Die „Autonomen Gruppen" laden in ihrem BekennerInnenschreiben zur Diskussion der verschiedenen Motivationen ein, Sorat bzw. das Warengutscheinsystem anzugreifen:
„(...)wir denken, dass durch entschlossenen Widerstand auf vielen Ebenen, auch auf der militanten, die Einführung des Warengutscheinsystems noch gekippt werden kann. Mit einem solchen kleinen Erfolg wäre nicht nur eine der vielen Schikanen im Leben von Flüchtlingen gestoppt, vielleicht könnten wir, aufbauend auf einem solchen Erfolg, neue Kraft im Kampf gegen die Formierung der Festung Europa „schöpfen“ (…)
Das Warengutscheinsystem hat Modellcharakter für verschärfte Kontrolle auch anderer Bevölkerungsteile neben den Flüchtlingen. Schon 1986 wesen die revolutionären Zellen daraufhin, dass hier die Flüchtlinge als „Manövriermasse taugten“, an der das sozial-technische Instrumentarium eingeschliffen, sowie auf seine Wirksamkeit und Durchsetzbarkeit hin erprobt werden wird (…)
Unsere Aktion ist auch ein Angriff auf die Politik des staatlichen Rassismus. (…)
Wir verstehen (sie) auch als einen Akt der praktischen Solidarität mit den von den schikanösen Warengutscheinsystem betroffenen Flüchtlingen, der vielleicht, im Zusammenspiel mit anderen, legalen Aktionsformen, zu einer konkreten Verbesserung ihrer Lebensbedingungen beitragen kann: Warengutscheine in Bargeld umtauschen, Flüchtlinge bei Behördengängen begleiten, illegalisierten MigrantInnen medizinische Hilfe und Wohnmöglichkeiten zur Verfügung stellen, Abschiebungen verhindern etc. Wenn wir das tun, nutzen wir Ressourcen, über die wir aufgrund unserer – gegenüber den Flüchtlingen privilegierten- Bedingungen verfügen können, jedoch ist es fast immer gescheitert, über, eine moralisch begründete Stellvertreterpolitik hinaus zusammen mit den Flüchtlingen gemeinsame Kämpfe zu führen, einfach deshalb, weil sich nur schwer eine unmittelbare gemeinsame Interessensbasis finden ließ. Gerade angesichts dieser Widersprüche, sind wir versucht uns auf bestimmte moralische Positionen als Basis zurückzuziehen und so im Zeitgeist der allgemeinen Abstumpfung und Gleichgültigkeit zu überwintern.
(…)
Der Rückzug auf moralische Positionen bedeutet für einige von uns einen Abschied von der Vorstelung, in den Flüchtlingen ein mögliches revolutionäres Subjekt zu sehen, „die in die Metropolen reichende Verlängerung eines weltweiten Aneignungskampfes“, wie die R.Z. (Revolutionäre Zellen) es einmal formulieren. Unterhalb der Ebene „revolutionärer Subjekte“ hofften wir wenigstens auf emanzipative Selbstorganisationsprozesse unter der Masse der Flüchtlinge. Doch selbst diese Hoffnungen waren meist nichts weiter als eine Projektion. Konfrontiert mit der Subjektivität der meisten Flüchtlinge, die hier einen mühsamen Kampf ums Überleben oder ein wenig Wohlstand führen, haben sich die Hoffnungen aufgelöst.
Auch jenseits solcher Hoffnungen halten wir an der Position fest, dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, in einer Migrationsgesellschaft wie der unseren mit Menschen unterschiedlicher Hautfarben, Staatsbürgerschaften und Herkünfte gleichberechtigt zusammenzuleben – ganz gleich ob MigrantInnnen kämpfen oder nur konsumieren wollen. Das klingt banal, aber das ungeheuerliche ist für uns, dass diese Gesellschaft von einer „nicht-weißen“ Alltagsmoralität weiter denn je entfernt ist. Wenn es Reste von Utopie gibt, die für uns weiterhin Gültigkeit haben, dann spiegeln sie sich in dieser Minimalforderung wieder! (…)"

Auch im neuen Jahr riss die Aktionskette gegen das Warengutscheinsystem und Sorat im speziellen nicht ab. Lassen wir John Silver zu Wort kommen, der am 8.1. für alle Piraten/Piratinnen eine Erklärung verfasste: (4)

„An Sorat und Konsorten einen schönen guten Morgen den Herren Garski, Penz und Pleß
1. haben wir in einem Überraschungsangriff in den Morgenstunden des 8.1.98 Eure Tegler Hotelyacht geentert und in Brand gesetzt.
2. ist hinlänglich bekannt, dass eure Firma Sorat widerliche Geschäfte im Zusammenhang mit Flüchtlingen betreibt. (…)
Wir stellen das Feuer ein, wenn ihr:
1. sofort Eure Flüchtlingsheime und Einkaufssammelmagazine auflöst und aus sämtlichen Geschäften in diesem Zusammenhang wieder aussteigt.
2. als Wiedergutmachung für Euer unverantwortliches Tun sämtliche in eurem Besitz befindlichen Gebäude und Gelder einer Flüchtlingsorganisation übereignet. Meine Ausführungen sind hiermit beendet, und ich hoffe diese Worte finden bei euch Eingang, denn wir werden keine Scheu zeigen, diese Auseinandersetzung an Land weiterzuführen.
Feuer frei auf Sorat!!!“

In einer Erklärung vom 29.3.98 abgedruckt in der Interim 448, werden gleich zwei Aktionen bekanntgegeben.
Zum einen wurden auf dem Fuhrparkgelände des Spar-Hauptsitzes mehrere LKW`s in Brand gesteckt und außerdem, „nicht weit entfernt, im feinen Blankensee, am Haus des Spar-Vorsitzenden und Multimillionärs Helmut Dotterweich Scheiben eingeschlagen und Farbe innen und außen verteilt.
Die Spar Handels AGist im Zusammenhang mit Intermarche Frankreich der zweitgrößte Einzelhandelsriese Europas. (…)
Die meisten KundInnen kennen Spar nur aus der Eigenimagewerbung als „guten Nachbarn“ und aus eigener Erfahrung als „guten Abzocker“ an der Kasse. Den wenigsten dürfte bekannt sein, dass Spar sich spätestens seit letztem Jahr auch an der Umsetzung rassistischer Sondergesetze beteiligt.“ (…)
Die Spar-Handels AG hat Märkte überall in der BRD, auch Sorat`s Tätigkeitsbereich ist nicht auf Berlin beschränkt. (…)“

Ausführliches zur Kaisers-Aktion:
Kritik:
Ansonsten in der linken Berliner Szene unüblich, wurden zu dieser Aktion verschiedene Kritiken geschrieben und in der Interim veröffentlicht. (5)
Die Hauptkritikpunkte lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Schlechte bzw. gar keine Vermittlung der Aktion an die Bevölkerung, insbesondere AnwohnerInnen.
Schlechte inhaltliche politische Begründung (nur sehr knappe Erklärung) für eine Aktion dieser Tragweite.
Völlige Fehleinschätzung beim aussuchen der PKW`s (Firmenwagen von Handwerkern z.B. einen Wartburg hat es wohl auch mit erwischt), die als Barris genutzt wurden, bzw. Hinterfragen ob das überhaupt notwendig war?
Warum ausgerechnet ein Kaisers in einer strukturell schwachen Gegend und nicht in einem Reichenkiez?

Bis auf wenige, waren die meisten KritikerInnen trotzdem mit der Sache an sich solidarisch. Immerhin war diese Aktion seit langer Zeit eine, an der sich viele Menschen gleichzeitig beteiligt haben, was üblicherweise dazu führt, dass gar nichts praktisches zustande kommt, weil verschiedenste Vorstellungen und Sicherheitsbedürfnisse nicht zufriedenstellend auf einen Nenner gebracht werden können. Die Aktion hat stattgefunden und ist ohne Verletzungen und Festnahmen verlaufen. Das ist viel und gut, für den mittlerweile nicht mehr besonders militanten Berliner Alltag.
Das Anzünden von Firmenwagen kleinerer Selbständiger (lässt sich halt am Wagen schlecht erkennen, wie groß die Firma ist) ist ein Denkfehler, so nach dem Motto: Firma: zahlt der Chef oder die Versicherung…
Das tatsächlich immer mehr Menschen gezwungen sind ein 60 Stunden Selbstversklavungspensum durchzuziehen. Um über die Runden zu kommen und das die durch den Verlust ihres VW-Transporters in ziemliche finanzielle Not geraten können, wurde bei der Logik ausgeblendet. Was zu tun ist, wenn nur ein solches Fahrzeug in der Nähe parkt und beschlossen wurde die Straße aus Sicherheitsgründen dichtzumachen, ist eine Frage, die sicherlich manche so und manche anders beantworten würden. Da eine i, Zusammenhang mit dem Brandanschlag agierende Gruppe jedoch in der Anschlagserklärung schrieb, sie habe sich bewusst Firmenwagen und Privatwagen höherer Preisklasse ausgesucht, ist Kritik an den Auswahlkriterien durchaus berechtigt.
Zum Punkt „fehlende Vermittlung“ fanden wir den Beitrag in der Interim 435 gut:
"Eine militante Aktion sollte sich von selbst vermitteln. Das ist seit den späten 60ern bis heute eine politische Grundforderung an militante, die erst das Mittel der (unpolitischen Gewalt) in (politische) Militanz verwandelt. Da es aufgrund der staatlichen Repression, der Zensur und der geringen gesellschaftlichen Resonanz unabhängiger oder autonomer Medien über diese per „Erklärung“ schlecht möglich ist, den Inhalt einer Aktion über die Szene hinaus zu vermitteln, müssen im konkreten Fall andere Formen der Vermittlung gefunden werden. Speziell hier hätte den AnwohnerInnen erklärt werden müssen, warum sie nun sehr viel weitere Wege für ihre notwendigen Einkäufe zurücklegen müssen. Das ist in einer Gegend, in der sehr viele alte Menschen leben, besonders wichtig. Da die Aktion –wie berichtet- ohne das Rufen von Parolen gelaufen ist (in die Luft werfen von Flugblättern wäre natürlich noch sinnvoller gewesen, da ja noch Leute auf dem Fest waren, Anmerkung von uns), vermittelt sie sich nicht von selbst, denn ein Supermarkt ist für die meisten Menschen eben vor allem nur ein Supermarkt, wo Mensch das immer kärglicher werdende „täglich Brot“ einkauft. Hier hätte bereits im Vorfeld für das Verbreiten der Erklärung gesorgt werden können. Heißt Flugblätter an öffentlichen Orten auslegen, das Platzfest der grünen zur Öffentlichkeit instrumentalisieren, Parolen sprühen, in der Umgebung Transparente aufhängen, (Flugis in die Briefkästen, von uns). Dadurch, dass diese Möglichkeiten versäumt wurden, musste das ganze für die AnwohnerInnen als ein sinnloser Überfall erscheinen und sie dementsprechend verunsichern. Das Gefühl „Ich bin der/die nächste“, dem/der die Bude abgefackelt wird, kann entstehen. Das ist sicher nicht das Gefühl, auf dem sich linksradikale Politik zu einer größeren Akzeptanz im Stadtteil transportieren lässt. Die Konsequenz kann nur heißen: Wenn militante Aktionen in dieser Größenordnung dann auch Vermittlung, weil sie sonst buchstäblich nur verpufft.“

Gerade für NichtberlinerInnen wollen wir hier noch anmerken, dass es in dem Kiez in Prenzlauerberg, wo die Aktion stattgefunden hat, keineswegs eine Tradition an militanten Straßenaktionen gibt, wie es sie vor Jahren zeitweise in Kreuzberg und Friedrichshain gab. Das bedeutet natürlich auch mehr Unkenntnis und Ängste in der Bevölkerung, was linke Kriterien und Angriffsziele betrifft.
Weiter geht’s mit dem Zitat:
„In diesem Zusammenhang möchte ich den HerausgeberInnen und KleberInnen des Plakates: „Die Würde des Menschen ist unantastbar – die der Profiteure nicht“, sagen, dass ich dies absolut gut finde. Für mich ist damit der Inhalt der Aktion voll auf den Punkt gebracht. Wunderbar! Zwar glaub ich nicht, dass Oma/Opa Müller/Meier das auch versteht… aber wenigstens ein gelungener Versuch, die Vermittlung des Kaisers Brandes im Nachhinein noch zu versuchen (…)“

Repression:
Schon nach den Presseberichten zur Aktion zu urteilen, haben die Bullen ziemlich allergisch auf den Beweis reagiert, dass es in Berlin außer ein paar versprengten Kleingruppen noch Gruppen und/oder Einzelpersonen gibt, die zu einer koordinierten Großaktion bereit sind.
Eine 50 köpfige Sonderkommission unter der Leitung der politischen Abteilung der Berliner Staatsanwaltschaft wurde in Sachen Kaisers eingerichtet. „In den folgenden Monaten wurden, so lässt die Staatsanwaltschaft wissen, über 100 Personen zu dem Anschlag und dem möglichen Täterkreis befragt. Besonders im Bezirk Friedrichshain, aber auch in Berlin-Mitte schwärmten Zivilfahnder aus, um Kneipengespräche zu belauschen, ertappte Sprayer mit gezielten Fragen unter Druck zu setzen oder AnwohnerInnen zu befragen.“
Zudem wurde lächerlicherweise der abgebrannte Kaisers vom Wachschutz bewacht. In dem gesamten Kiez wurde die Bullenpräsenz erheblich erhöht.
Am 27.1. wurden mehrere Leute vom Staatsschutz vorgeladen. Sie waren am 3.10., wie viele andere Personen auch, in der Nähe des Tatortes in eine Personenkontrolle geraten. Vier Personen erschienen mit Anwalt du Zeugenbeistand, so dass alle einzeln verhört wurden.
Bislang wurde davon ausgegangen, dass jeder Zeuge und jede Zeugin anrecht auf das Dabei sein eines Anwalts oder Anwältin hat. Im Nachhinein klärte sich auf, dass dies auch tatsächlich so ist. Der Staatsanwalt hatte dreisterweise etwas verweigert, was jeder und jedem von Gesetz her zusteht. Da sich das erst klärte, als die Vernehmungen längst vorbei waren, nützte es denen, die verhört wurden, wenig.
Was die einzelnen bei den Verhören ausgesagt haben und was nicht, ist nicht bekannt. Alle zu Kaisers vernommenen hatten das Gefühl, beschuldigt zu werden. Sie wurden nicht nur zu diesem Brandanschlag, sondern auch zu anderen Aktion befragt. Wahrscheinlich hat es bei der Vernehmung mehrere Verdeckte Gegenüberstellungen gegeben.
Diese Infos, sowie der folgende Absatz, stammen aus dem Artikel des EA Berlin. (7)

[Im folgenden Abschnitt geht es um den Umgang mit solchen Vorladungen. Diese Infos sind entweder veraltet oder können auch bei heutigen Stellungnahmen/Infos von EA`s nachgelesen werden.]

Einschätzung insgesamt:
Wir finden die Aktionskette durchaus gelungen und angesichts der Lethargie und Negativbilanzen der letzten Jahre (Repression zu Kaindl, Abtauchenmüssen dreier Männer, die im Zusammenhang mit der geplanten Sprengung des Abschiebeknastes Grünau gesucht werden) ziemlich aufbauend. Sowohl auf der legalen Ebene, als auch kladestin zu dem Thema gearbeitet wird. Im vorangegangenen Artikel: „Leben online“ wird auf die Bedeutung der Einführung der Asylcard und deren geplante Funktionen eingegangen. Wir empfehlen diesen Artikel als globalere Einschätzung zur Einschätzung der Bedrohung durch die neuen Technologien. Chipkarten werden überall eingeführt. Selbst Sorat gibt es nicht nur in Berlin. Es wäre eine schöne Vorstellung, wenn sich die Angriffe auf diesen Moloch in andere Regionen ausbreiten würden.
Inzwischen ist das Asylbewerberleistungsgesetz wieder verschärft worden (6.2.98). Der Bundesrat hat beschlossen die Sozialgelder für Flüchtlinge mit Duldungsstatus ganz zu streichen. Wenn dieses Gesetz auch den Bundestag passiert hat, wird für hunderttausende von Flüchtlingen nur noch die Alternative des freiwilligen Ausreisens oder eines Lebens in Verelendung und Illegalisierung bestehen. Kämpfe gegen Sachleistungen und Warengutscheine der Sozialämter, wird dann die „nächste Klasse“, die noch in den „Genus“ von sozialen Leistungen kommt, führen müssen. Überlegt euch, wie die Durchsetzung des neuen Gesetzes gekippt werden kann! Es reicht schon lange! Bezieht euch in euren Aktionen aufeinander, egal ob legale Proteste oder illegale Aktion!

Feuer frei auf …!
Kein Mensch ist illegal!
(1) Informationen aus Interim Nr. 432
(2) Entnommen aus einem Zeitungsartikel des „Berliner Kuriers“
(3) Erklärung zur Aktion in der Interim 441, unterschrieben mit „Autonome Gruppen“
(4) Interim 442
(5) Interim 435
(6) Jungle World Nr. 6
(7) Interim 443


Sodexo heute
Früher mit „h“, heute ohne: Sodex(h)o bleibt Profiteur der rassistischen Zustände. Anlässlich eines Brandanschlags auf ein Auto des Fuhrparks am 28.10.2013 erklärt ein Schreiben:
„Neben Essenslieferungen erwirtschaftet Sodexo seinen Gewinn durch moderne Sklavenarbeit in Form privatisierter Haftanstalten und vertreibt über eine Tochterfirma die gleichnamige "Infracard". In Berlin und vielen anderen deutschen Kommunen wird die Infracard an Asylsuchende anstelle von Bargeld ausgegeben. So kontrolliert Deutschland durch Sodexo nicht nur was Asylbewerber wann wo und zu welchem Preis kaufen können, sondern auch was nicht. Fehlendes Bargeld ist beispielsweise der Grund, dass dringend benötigte Anwälte zur Klärung von Asylrechtsfragen oder Aufenthaltsgenehmigungen einfach nicht bezahlt werden können. Desweiteren wird durch den Entzug von Bargeld für Soziale-,Vereins- oder Freizeitaktivitäten, Bus u. Bahn usw. versucht Flüchtlinge gezielt aus dem Alltagsbild zu entfernen.“

Blockupy in Frankfurt
Der Verlauf von Blockupy Ende Mai bis Anfang Juni beeinflusste 2013 die regionalen Strukturen vor Ort gennauso wie Autonome in anderen Städten – und auch Polizeitaktiken und deren Präsentation in den Medien waren von disem Ereignis stark betroffen. Wie ein Uhrwerk lief eine internationale und scheinbar schlagkräftige Großdemo in eine polizeiliche Falle und wurde von dieser fast reibungslos verarbeitet. In der Nachbereitung erschienen einige interessante Texte, die vermutlich nicht den größten Bekanntheitsgrad haben, weswegen wir hier aus ihnen was zusammengeklaut haben.

[Es folgt fast lückenlos folgender Text]
https://linksunten.indymedia.org/node/87121

Für die Bullen standen die Blockupy-Tage, die nach dieser Besetzung stattfanden, ganz im Zeichen des Versuchs Beteiligte der Ausschreitungen im Vorjahr zu ermitteln und keine Massenproteste zu ermöglichen. Dafür hatten sie sich bundesweit Personal sämtlicher Sicherheitsbehörden heran gezogen.
Weiter geht es mit einem Auszug aus:
Blockupy II – Weiter so in Richtung „Wendlandisierung“... (Swing 181)
[http://www.linksnavigator.de/node/3560]
„Über Wochen in den Schlagzeilen der regionalen Medien und am 8. Juni, eine Woche nach dem Kessel, eine spontan organisierte Protestdemo mit ca. 7000 Beteiligten vor allem aus Rhein-Main: darin liegen die offensichtlichsten Fortschritte. Mögen viele im letzten Jahr Blockupy noch für eine Eintagsfliege gehalten haben und blieben skeptisch, ob und wie sich dieser Ansatz weiterentwickelt, so gibt es seit Juni 2013 spektrenübergreifend kaum mehr Zweifel, dass es weitergeht.Von vielen Seiten gab es nun die Ansage, sich beim nächsten Mal intensiver beteiligen zu wollen und insofern – bewegungsbezogen – hat die regionale Verankerung jedenfalls einen großen Sprung nach vorne gemacht. (…)
Ein Schub weiterer regionaler Verankerung war auch in den unmittelbaren Tagen nach Blockupy zu spüren, in erster Linie in der Empörung über den Kessel und die Polizeigewalt gegenüber der Demonstration, aber auch darüber hinaus. „So war es nicht“ lautete die Überschrift einer der ersten der zahlreich folgenden Solidaritätserklärungen mit Blockupy, mit der ein akademisch-kritisches Spektrum von FrankfurterInnen, die die Demonstration selbst miterlebt hatten, der verlogenen Polizeiversion sofort entschieden und öffentlich widersprach. Innenministerium und Polizeiführung gerieten in dieser Phase medial völlig in die Defensive, und initiiert aus Occupy-Kreisen wurde für den Folgesamstag, 8. Juni, zum neuerlichen Protest gegen die Polizeirepression aufgerufen. Mit bis zu 7000 Beteiligten wurden dabei alle Erwartungen weit übertroffen, die Demonstration jedenfalls Ausdruck einer regionalen Dynamik vielleicht noch nicht direkt für, aber doch rund um Blockupy. Denn zu Blockupy selbst, zum Blockadetag am 31.5. wie auch zur Demonstration am 1.6., kam die Rhein-Main-Mobilisierung über die engeren radikalen Kreise erneut kaum hinaus. Ob und wie sich dies im nächsten Jahr ändern und stärker mit alltäglichen sozialen Konflikten verbinden lässt, bleibt insofern die zentrale regionale Herausforderung. (…)

 

 

Der Unfähigkeit die Demonstration gegen die aggressive Bullentaktik durchzusetzen, stand trotz starker Präsenz die Fähigkeit zu Kleingruppenaktionen während der ganzen Tage und Nächte gegenüber. In der Nacht vom 30. zum 31. Mai wurden zwei Filialen der Deutschen Bank entglast, dass Büro der Luxusimmobilienfirma Sotheby`s im Frankfurter Vorort Bad Homburg wurde mit Farbe und Steinen angegriffen, zeitgleich wurde die Polizeistation in Großgarben, nördlich von Frankfurt entglast. Auch die Arbeitsagentur im Frankfurter Außenbezirk Hoechst verlor acht Scheiben. Das Auto des Hauptgeschäftsführers des hessischen Arbeitgeberverbandes (VHU) Volker Fasbender wurde angezündet. Direkt nach dem Ende der Demo am 1. Juni wurde die Deutsche Bundesbank auf einer Länge von 30 Metern entglast und mit Farbe beworfen.

Aus Rostock meldeten sich solidarische Menschen:

"Wir haben in den frühen Morgenstunden des 5.6. folgende Objekte im Stadtgebiet entglast: Filiale der Deutschen Bank, Filiale der Ostsee Sparkasse, Amtsgericht Rostock, Arbeitsagentur Rostock, Landesbehördenzentrum, Bundesnetzagentur                                

Wir senden damit militante Soli-Grüsse an die kämpfenden Menschen in die Türkei, sowie an die von Staatsgewalt Betroffen von Blockupy Franfurt."

 

Die autonome Antifa [f] schreibt dazu in ihrer Auswertung:
„Bei einem Blick auf die zahlreichen Aktionserklärungen, die allein auf indymedia.linksunten aus der Zeit kurz vor, während und nach Blockupy zu finden sind – von der Markierung von wirtschaftlichen Institutionen über zahlreiche Aktionen gegen die Deutsche Bank, Polizeiwachen und Autos, Immobilienbüros, Bundesbank etc. pp. – drängt sich jedenfalls ein Eindruck auf: Der zielgenaue Sachschaden bei den richtigen Adressen dürfte jenem von M31 im letzten Jahr wahrscheinlich ziemlich nahe kommen und zugleich hat sich die Polizei in eine seltene politische Defensive manövriert. Herzlichen Glückwunsch dazu!“

 

Bei diesem Verlauf von Blockupy stellte sich erneut die Bedeutung von Plänen für dezentrale Aktionen und Kleingruppentaktiken heraus und auch eine kontinuierliche Überprüfung unserer Taktiken bei Demos drängt sich auf. Zur EZB Eröffnung im Mai 2014 sind weitere Proteste geplant.

[Bekanntlich auf März 2015 verschoben]

 

[Es folgt die Dokumentation der Elbchaussee Aktion im Anschluss an die 21.12. Demo in Hamburg, die hier nachgelesen werden kann:]
http://wm2014.noblogs.org/aktionen-in-der-hamburger-elbchaussee/
[Der Übertragungsfehler nach dem 4. Absatz muss mit „ viel für die Olympiade“ ergänzt werden.]

 

[Coverinnenseite]
Pakistani (27), 17. Januar, Athen, von Nazis erstochen
Babakar Ndiaye (38), 1. Februar, Athen, von Muncipal Police von einer Brücke geworfen
Rosemarie F. (67), 11. April, Berlin, von der Justiz durch Zwangsräumung ermordet
Rentner aus Portugal (69), 13. Mai, Stockholm, von Bullen erschossen
Mehmet Ayvalitas (21), 2. Juni, Istanbul, auf Demonstration vorsätzlich überfahren
Abdullah Cömert (22), 3.Juni, Antakya, bei Demonstration erschlagen
Clement Meric (18), 5. Juni, Paris, von Nazis ermordet
9 Bewohner einer Favela, 25. Juni, Rio de Janeiro, nach einer Demonstration von Bullen hingerichtet
Manuel F. (31), 28. Juni, Berlin, von Bullen erschossen
Thanassis Kanaoutis (19), 13. August, Athen, von Kontrolleuren aus fahrendem Bus geworfen
Ahmet Atakan (22), 9.September, Antakya, von Bullen mit Gaspatrone erschossen
Pavlos Fyssas (34), 18.September, Athen, von Nazis erstochen
Sebastian Oversluij Seguel (26), 11. Dezember, Santiago, von Wachschützer einer Bank erschossen
Unbekannte Anzahl, Name und Alter nicht bekannt, täglich vom 1.Januar 2013 – bis 31.Dezember 2013, Festung Europa, ermordet von Frontex und anderen wegen ihrer Herkunft