Weiß bleibt dennoch weiter im Landtag
"Das ist 'Stürmer'-Niveau. Das dulden wir nicht." Mit diesen Worten trennt sich AfD-Fraktionschef Alexander Gauland von Nachrücker Jan-Ulrich Weiß, nachdem dieser mit antisemitischen Facebookeinträgen aufgefallen ist. Für die anderen Fraktionsmitglieder mit Vergangeheit in einer Rechtsaußen-Partei bitte er um eine 2. Chance - und zeigt dabei auf die Linken.
Brandenburgs AfD steht vor einer Zerreißprobe: Wegen seines antisemitischen Facebook-Eintrags werde die AfD-Fraktion Jan-Ulrich Weiß aus ihren Reihen ausschließen. Das teilte Fraktionschef Alexander Gauland dem rbb am Freitag mit. Er zog damit die Konsequenzen aus einem Streit mit Weiß: Gauland hatte versucht, den Nachrücker davon zu überzeugen, sein Landtagsmandat und damit auch die Mitgliedschaft in der AfD-Fraktion freiwillig niederzulegen. Doch Weiß erklärte am Freitag, er werde sein Landtagsmandat dennoch antreten.
Gauland: "Wir können nicht alle Mitglieder durchleuchten"
Im Inforadio des rbb sagte Gauland am Samstag, man habe vor der Wahl nicht alle Kandidaten auf der Landesliste bis ins letzte Detail überprüfen können. "Man muss sich natürlich die Leute der eigenen Partei näher anschauen, aber es gab keinerlei Hinweis dass hier jemand ist, der Dinge im Kopf hat, die nahe bei der NPD liegen."
Dass die AfD-Fraktion an ehemaligen Mitgliedern der Rechtsaußen-Partei "Die Freiheit" festhält verteidigte Gauland hingegen. Diese hätten sich "nichts vorzuwerfen", da sie sich von ihrer früheren Partei distanziert haben. Zudem habe jeder eine zweite politische Chance verdient. "Wir akzeptieren ja auch zweite Chance von Linken, die früher für Mauer und Stacheldraht verantwortlich waren."
"Das ist Stürmer-Niveau"
Weiß hatte im Internet einen antisemitischen
Facebook-Eintrag veröffentlicht und sich abfällig über den NSU-Prozess
geäußert. Das Profil ist mittlerweile auf der Seite gelöscht. Weiß
selbst äußerte sich nicht.
Nach dem Treffen mit Weiß sagte Gauland dem rbb: "Das kann ich überhaupt
nicht akzeptieren, das ist 'Stürmer'-Niveau. Und das dulden wir nicht
in der Partei und werden alles tun, dass solche Menschen nicht bei uns
in der Partei sind." Damit schrumpft die AfD-Fraktion von elf auf zehn
Sitze.
Weiß soll als Nachrücker für den zurückgetretenen AfD-Abgeordneten
Stefan Hein ins Parlament einziehen. Hein hatte sich zurückgezogen, weil
er dem "Spiegel" Material über angebliche Zerwürfnisse in der
AfD-Fraktion geliefert hatte.
"Wir sind geschiedene Leute" - Landesvorstand berät über Parteiausschluss
Damit hat die Partei nur zwei Tage nach Heins
Rücktritt ihr nächstes Problem. Bereits am 2. September war auf Weiß'
Facebook-Seite der nun diskutierte Eintrag mit antisemitischen
Verschwörungstheorien veröffentlicht worden: Links oben ein Foto des
Bankiers Jacob Rothschild, rechts ein Bild der ihm ähnlich sehenden
Zeichentrick-Figur Montgomery Burns aus der Serie "Die Simpsons". "Wir
haben weltweit so gut wie jede Zentralbank in Besitz. (...) Wir steuern
deine Nachrichten, Medien, Öl und deine Regierung...DU HAST
WAHRSCHEINLICH NIE VON MIR GEHÖRT..." steht darunter. Inzwischen ist das
Facebook-Profil gelöscht. Weiß wollte sich bis zum frühen Nachmittag zu
dem Account nicht äußern.
Gauland deutete am Freitag im rbb an, dass Weiß nicht nur aus der
Fraktion ausgeschlossen werde, sondern dass er - ginge es nach ihm -
auch die AfD verlassen müsse: "Das dulden wir nicht in der Partei und
werden alles tun, dass solche Menschen nicht bei uns in der Partei
sind." Das ist aber noch nicht endgültig entschieden. Weiß werde
jedenfalls nicht Teil der politischen Arbeit der AfD, betonte der
Fraktionschef: "Wir sind geschiedene Leute." Weiß erklärte dem rbb, über
einen möglichen Ausschluss von Weiss, der auch AfD-Kreisvorsitzender in
der Uckermark ist, werde nun im Landesvorstand beraten.
NSU-Verfahren ein "Schauprozess"
Der Politikwissenschaftler Gideon Botsch vom
Moses-Mendelssohn-Zentrum der Universität Potsdam hält Weiß' Eintrag für
gefährlich: "Der Text ist die Wiedergabe uralter, antisemitischer
Verschwörungsmythen über ein jüdisch bestimmtes Weltkapital", sagte
Botsch am Freitag dem rbb. "Es zeigt, was für Kräfte die AfD hier
aufsammelt, mit ihren stetigen Beteuerungen sie sei ja keine
rechtsextreme Kraft. Aber sie ist eben ein Anzugspunkt – und das zeigt
sich offensichtlich auch im näheren Umfeld einiger ihrer Abgeordneter."
Weiß teilte auf seiner Seite auch einen Bericht über den Prozess gegen
die mutmaßliche NSU-Terroristin mit der Überschrift: "Ex-V-Mann
schmäht NSU-Verfahren als Schauprozess". Den Prozess kommentierte Weiß
auf seiner Seite mit den Worten: "Mehr ist es auch nicht."
In seiner Bewerbung um ein Mandat im Landtag beschrieb Weiß sich als "Familienvater einer Großfamilie, geborener Uckermärker, ehrlich, geradeaus und bodenständig". Was seine Arbeit im Landtag angehe habe er "nichts zu verlieren." Bereits am Freitagvormittag hatte der Templiner dem rbb erklärt, er wolle das Mandat annehmen.
Weiß wegen Verdachts auf Volksverhetzung angezeigt
Die Fraktionschefs der Parteien im Potsdamer Landtag verlangten unmittelbar nach Bekanntwerden der Facebook-Einträge Weiß' Ausschluss aus der AfD-Fraktion. Der Vorsitzende der Grünen-Fraktion, Axel Vogel zeigte Weiß am Freitag wegen des Verdachts auf Volksverhetzung an. "Wer Karikaturen in Stürmer-Manier verbreitet, ist im brandenburgischen Landtag fehl am Platz", sagte Vogel. Auch die Fraktionsspitzen von SPD und Linken im Potsdamer Landtag forderten Gauland auf, dafür zu sorgen, dass Weiß sein Abgeordnetenmandat nicht antritt.
Das Gespräch mit Jan-Ulrich Weiß ist bereits Gaulands zweites Krisentreffen innerhalb weniger Tage. Zuvor bewegte er den AfD-Abgeordneten Stefan Hein dazu, auf dessen Mandat zu verzichten. Hein ist der Sohn seiner Lebensgefährtin. Er hatte eingeräumt, dem "Spiegel" heimlich Informationen für eine AfD-kritische Geschichte gegeben zu haben. Am Donnerstag erklärte er seinen Rücktritt. "Es ist Ausdruck eines persönlichen menschlichen Versagens. Es gibt Menschen, die plötzlich in einer bestimmten Situation politisch und charakterlich versagen", kommentierte Gauland das Verhalten seines Stiefsohns. "Und diesen Fall haben wir hier."
Mit Informationen von Alex Krämer
Das sind die Neuen von der AfD
- Alexander Gauland, 73, Landesvorsitzender und Zugpferd der Brandenburger AfD, lebt in Potsdam. Der promovierte Jurist wurde in Chemnitz geboren, floh 1959 in die Bundesrepublik. Er war 40 Jahre lang Mitglied der CDU und leitete u.a. die hessische Staatskanzlei. Von 1991 bis 2006 war er Herausgeber der Märkischen Allgemeinen Zeitung und genoss in konservativen Kreisen hohe Wertschätzung. Im Wahlkampf geriet er aber in die Kritik, als er von der "Entstehung riesiger Ausländerghettos" sprach.
Rainer van Raemdonck, stellvertretender Vorsitzender der AfD, wohnt in Falkensee im Havelland. Er war laut Medienberichten auch im Bundesverband der AfD umstritten, da er früher Landesvize der rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit" war. Diese wurde im Jahr 2010 vom abtrünnigen CDU-Politiker René Stadtkewitz gegründet und driftete in radikale Islamkritik und Fremdenfeindlichkeit ab, die im November 2013 in einer Kooperation mit den Republikanern mündete. Vor einem Jahr verhängte der Bundesvorstand der AfD einen weitreichenden Aufnahmestopp für Ex-Freiheit-Mitglieder, ostdeutsche Landesverbände widersprachen dem jedoch und pochten auf Einzelfallprüfungen. Dem Tagesspiegel sagte Raemdonck, er habe sich in der Partei "Die Freiheit" engagiert, weil er auf eine Art Sarrazin-Partei gehofft habe. Mit deren Islamkritik habe er aber nicht viel anfangen können.
- Steffen Königer,
42, kandidierte in Potsdam-Mittelmark und war ebenfalls früher in einer
umstrittenen Partei aktiv. Im Jahr 1999 kandidierte er für den "Bund
Freier Bürger" für den Brandenburger Landtag. Diese Partei stufte der
Brandenburger Verfassungsschutz als nationalliberal ein, der
niedersächsische Verfassungsschutz stellte sogar fest, dass die Partei
"rechtsextremistische Elemente" enthalte. Von 2000 bis 2004 arbeitete er
anschließend als Redakteur für die Wochenzeitung "Junge Freiheit", die
als Sprachrohr der neuen Rechten gilt, ehe er sich mit einem Unternehmen
selbstständig machte. In seinem Bewerberprofil auf der AfD-Homepage
wird Königer selten konkret, nennt u.a. allgemein die Korrektur einer
"verfehlten Familien- und Bildungspolitik" als Ziel.
- Für Andreas Galau,
46, wohnt in Hennigsdorf, ist die AfD schon die vierte Partei. 1985
trat er in die CDU ein, wechselte 1987 zu den Republikanern, denen der
Verfassungsschutz von 1992 bis 2004 rechtsextremistisches Potential
attestierte. Von 1992 bis 2013 war er schließlich FDP-Mitglied –
allerdings ohne politisches Mandat. Nach eigenen Angaben arbeitet Galau
als Systemadministrator beim Berliner Senat. In Brandenburg möchte er
sich u.a. dafür einsetzen, "Lieblingsprojekten linker Sozialromantik"
wie "Gender-Religion oder Einheitsschule" drastisch die Mittel zu
kürzen. Die freiwerdenden Gelder willl er in die Kriminalitätsbekämpfung
stecken.
- Sven Schröder, 50,
wohnt bei Beelitz und arbeitet als Generalübernehmer für den Bau von
Ein- und Zweifamilienhäusern. Der Politikneuling ist seit November 2013
Mitglied der AfD und engagiert sich zudem in einer Bürgerinitiative
gegen Windkraft. In seinem Bewerberprofil fordert er u.a., dass es
wieder erlaubt sein müsse, öffentlich über Atomkraft nachzudenken. Zudem
wendet er sich gegen die Inklusion behinderter Schüler und will
"Desaster wie den BER künftig unmöglich machen." Um das zu erreichen,
empfiehlt er eine Art Rückzug der Politik: "Politiker haben sich nicht
auf Felder zu begeben, die sie weder in der Theorie und schon gar nicht
in der Praxis überschauen."
- Andreas Kalbitz,
42, wohnt in Königs Wusterhausen und war 14 Jahre lang Zeitsoldat bei
der Bundeswehr, ehe er im Jahr 2008 ein Informatikstudium begann und ein
Jahr später einen Hörbücher-Verlag gründete. Kalbitz war früher
Mitglied der CSU, übte jedoch keine politischen Mandate aus, ist also
auch ein Politneuling. Neben den AfD-Dauerbrennern steigende
Kriminalität und regionale Wirtschaftsförderung spricht er auch soziale
Themen an, fordert u.a. eine bessere Unterstützung ehrenamtlichen
Engagements.
- Christina Schade,
48, aus Hoppegarten im Märkisch-Oderland, wird sich am Wahlabend wohl
selbst verwundert die Augen gerieben haben. Erst seit fünf Monaten ist
sie Mitglied der AfD – und schon zieht die Unternehmensberaterin aus
Hoppegarten auf Listenplatz 11 in den Landtag ein. Positiver Nebeneffekt
für die Partei: Die Frauenquote steigt mit ihr auf 18 Prozent. Als
politische Ziele nennt sie: Aufklärung der Bürger über das Geldsystem,
Verbesserung des Bildungssystems und "Schaffung mündiger, kritischer und
selbstbestimmter Bürger".
- Leider kein Bild stellte uns die AfD von Thomas Jung,
56, zur Verfügung. Der in Potsdam lebende Rechtsanwalt war lange Jahre
in der CDU, ehe er zur rechtspopulistischen Partei "Die Freiheit"
wechselte, dort sogar Landesvorsitzender in Brandenburg war. Von dieser
Partei distanziert er sich zwar inzwischen, seine Forderungen klingen
jedoch nach wie vor markig. So warnt er etwa: "Wenn wir nach allen
Seiten offen sind, werden wir uns im Sinne von Sarazzin selbst
abschaffen." Zudem tritt er für eine Ausweitung der direkten Demokratie,
ein Ende der Schuldenpolitik und die konsequente Abschiebung von
straffällig gewordenen Ausländern ein.
- Auch von Birgit Bessin,
36, erhielten wir leider kein Foto. Die Angestellte lebt im
Nuthe-Urstromtal in Teltow-Fläming und arbeitet in einem
mittelständischen Unternehmen im Bereich Steuern. Sie will vor allem in
der Familienpolitik "neue politische Ziele definieren", die Entwicklung
der jetzigen Politik betrachtet sie als gescheitert. Bessin hält dagegen
mit Slogans, die auch bei manchen Anhängern der LINKEN salonfähig sind,
zum Beispiel "Keine Einmischung in der Ukraine!" Die Skepsis gegenüber
der Funktionsfähigkeit der Demokratie schürte sie, indem sie auf
facebook AfD-Aufhänger aufrief, sich in Wahlbüros als "Wahlbeobachter"
zu betätigen, um einen vermuteten Wahlbetrug einzudämmen.
- Der ebenfalls fotolose Stefan Hein, 30, hat wenige Tage nach der ersten Fraktionssitzung bereits sein Mandat niedergelegt. Laut
Fraktionschef Alexander Gauland sei er der Informant für mindestens
einen Medienbericht über die rechtsextreme Vergangenheit einiger
AfD-Abgeordneter gewesen. Nachrücken soll nun Jan-Ulrich Weiß, 39,
der allerdings, wenn er seinen Parlamentssitz antritt, nicht der
Fraktion angehören wird. Der Landwirt aus Templin in der Uckermark hatte
auf seiner facebook-Seite antisemitische Karikaturen verbreitet. Als
dies bekannt wurde, kündigte die AfD an, ihn aus der Fraktion und wohl
auch aus der Partei auszuschließen.
- Hier hätten wir Ihnen gerne Franz Wiese,
62, gezeigt. Die Nummer 3 auf der Landesliste der AfD lebt in
Neutrebbin im Märkisch-Oderland, ist Berater für Textilfirmen und seit
anderthalb Jahren Mitglied der AfD. Vorherige politische Erfahrung
besitzt er nicht - vielleicht erklärt sich so seine interessante
Ankündigung, dass er als Abgeordneter hauptsächlich im Land umherreisen
und mit den Menschen sprechen wolle. Im Landtag selbst, schreibt Wiese
weiter, wolle er nur anwesend sein, wenn das dringend erforderlich ist.
Akten studieren und in Ausschüssen sitzen? "Das lasse ich meine
Referenten machen."
- Zum Abschluss der
Bildergalerie noch ein paar interessante Zahlen, die den Erfolg der AfD
in Brandenburg näher beleuchten. Der erste Befund überrascht wenig: Fast
Zwei-Drittel der AfD-Wähler lassen sich dem Lager der Protestwähler
zuordnen.
- Die Analyse der
Wählerwanderungen birgt dagegen eine große Überraschung. Die AfD hat
demnach nicht nur dem bürgerlichen Lager aus CDU und FDP 35.000 Stimmen
abgejagt - auch die SPD und die Links-Partei verloren rund 30.000
Stimmen an die AfD.
- Auch dieser Befund
überrascht: Mit ihren Wahlkampf-Themen Grenzkriminalität, Asylpolitik
und Familienpolitik schien die AfD eher eine ältere Klientel
anzusprechen. Gewählt wurde sie aber häufiger von jüngeren Wählern.
- Kompetenzen sprachen die
AfD-Wähler der Partei vor allem in der Ausländerpolitik und der
Kriminalitätsbekämpfung zu - hier artikuliert sich wohl auch die
Unzufriedenheit vieler Wähler mit steigenden Kriminalitätszahlen und der
rot-roten Polizeireform. Den im Rahmen dieser Reform vorgesehenen
Personalabbau hat die SPD inzwischen übrigens weitgehend korrigiert,
auch die Polizeireviere sollen entgegen den ursprünglichen Planungen weiter Nachts geöffnet bleiben.
Stand vom 27.09.2014