Quelle:
Erstveröffentlicht:
06.10.2009
FREIBURG/ECKERNFÖRDE
(Eigener Bericht) - Ein Soldat einer Eliteeinheit der
Bundeswehr unterhält enge Beziehungen in das Milieu deutscher
Rechtsterroristen. Dies belegen Berichte über Polizeiermittlungen gegen
einen Neonazi aus Süddeutschland, der wegen mutmaßlicher Vorbereitung
von Bombenanschlägen derzeit in Untersuchungshaft sitzt. Demnach
gehörte der Soldat nicht nur dem Landesverband Baden-Württemberg der
NPD-Nachwuchsorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) an, der von
einem ehemaligen Kroatien-Söldner geführt wird, sondern stand zudem in
regelmäßigem Kontakt zu dem mutmaßlichen Bombenbastler, einem
"Stützpunktleiter" der baden-württembergischen JN. Die Marine gibt an,
nicht über die Polit-Aktivitäten ihres Soldaten informiert gewesen zu
sein, der in den Spezialisierten Einsatzkräften der Marine (SEK M)
eingesetzt ist, einer Marineeinheit, die sich "spezieller
Einsatzverfahren" beim "Kampf gegen irreguläre Kräfte" bedient. Ein
Teil der SEK M befasst sich auch mit Geiselbefreiung sowie
"Unconventional Warfare" wie Sabotage und verdeckten Operationen.
Kontakte zwischen militärischen Verbänden und Rechtsterroristen sind in
der Geschichte der Bundesrepublik mehrfach belegt. So wurden in den
1990er Jahren beträchtliche Mengen an Sprengstoff und Waffen der
NATO-Geheimarmee "Gladio" bei einem rechtsextremen Bombenleger
sichergestellt.
Soldaten und Söldner
Auslöser der aktuellen Affäre um den Marinesoldaten
Julien L. waren Polizeiermittlungen gegen den süddeutschen Neonazi
Thomas Baumann. Bei Baumann, einem "Stützpunktleiter" der
NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN), wurden Ende
August nicht nur Schusswaffen, sondern auch Fachliteratur zur
Herstellung von Sprengstoff, größere Mengen entsprechender Chemikalien
und Laborgeräte sowie eine beinahe fertiggestellte Rohrbombe gefunden.
Ermittlungsbeamte gehen davon aus, dass Baumann Anschläge auf Ziele in
Freiburg (Baden-Württemberg) plante. Der JN-Landesverband
Baden-Württemberg, dem Baumann angehört, wird von Alexander Neidlein
geführt, einem ehemaligen Kroatien-Söldner, der Mitte der 1990er Jahre
für die HOS-Milizen des kroatischen Rechtsextremisten Dobroslav Paraga
kämpfte. Im Rahmen der Ermittlungen gegen Baumann wurden am 20.
September die Wohnungen von acht weiteren Personen von der Polizei
durchsucht, darunter laut Berichten auch die Wohnung von Julien L.[1]
Während Baumann zwei Jahre lang bei den Krisenreaktionskräften der
Bundeswehr diente, wird sein JN-Kamerad L. als Marineinfanterist bei
der Boardingkompanie der Spezialisierten Einsatzkräfte (SEK M) in
Eckernförde verwendet.[2]
Unkonventionell
Die SEK M werden intern zu den "Spezialeinheiten" der
Bundeswehr gezählt. Sie zeichnen sich durch die "Bereitstellung sehr
spezifischer Fähigkeiten" aus, die "etwa beim Kampf gegen irreguläre
Kräfte", bei der Aufstandsbekämpfung, "zur Anwendung kommen".[3] Zu den
SEK M gehören auch "Spezialkräfte" nach dem Vorbild des KSK ("Kommando
Spezialkräfte"), die neben Geiselbefreiung und Aktionen gegen
Aufständische oder Terroristen auch sogenannte Unconventional Warfare
zu ihrem Aufgabenbereich zählen. Dabei umfasst "Unconventional Warfare"
unter anderem "die Zusammenarbeit mit und Unterstützung von lokalen
Einheiten bei der Bekämpfung von Guerillas, Sabotage,
Informationsgewinnung sowie die Durchführung weiterer verdeckter
Operationen im gegnerischen Einflussbereich oder in politisch sensiblen
Gebieten", erläutern Experten.[4] Mitglieder der SEK M wurden demnach
seit dem Jahr 2005 im Rahmen von OEF sowie ISAF mit dem KSK gemeinsam
in Afghanistan eingesetzt. So war etwa die Kampfschwimmerkompanie der
SEK M an der Grenze nach Pakistan "an der Aufklärung und Bekämpfung
oppositioneller militärischer Kräfte beteiligt". Im Jahr 2006 wurde sie
in Nordafghanistan "zur Aufklärung gegen die wachsende Bedrohung durch
unkonventionelle Sprengvorrichtungen (Improvised Explosive Device -
IED) eingesetzt". Es sei darum gegangen, feindliche Kräfte "bei der
Errichtung von IEDs aufzuspüren und gegebenenfalls auszuschalten".[5]
Gladio
Verbindungen zwischen militärischen Spezialverbänden
und dem rechtsterroristischen Milieu sind in der Geschichte der
Bundesrepublik nicht neu. Sie betrafen insbesondere NATO-Geheimarmeen
aus der Zeit des Kalten Kriegs, die ab 1990 unter dem Namen "Gladio"
bzw. "Stay-behind-Organisation" (SBO) öffentlich bekannt wurden.
Stay-behind-Offiziere trainierten zusammen mit den US-amerikanischen
Special Forces und dem britischen Special Air Service. Im Falle eines
Einmarschs von sowjetischen Truppen sollten sich die Offiziere vom
Gegner überrennen lassen. Ihnen war die Aufgabe zugedacht, dann im
feindlichen Hinterland Sabotageakte durchzuführen, Informationen zu
sammeln und Einsätze der Special Operations-Einheiten zu unterstützen.
Die Geheimarmee sollte dabei weitere, eigenständig angeworbene Kämpfer
einbeziehen. Die Agenten der offiziell 1991 aufgelösten bundesdeutschen
SBO wurden vom BND geführt. In zahlreichen Erdverstecken hatten sie
Unmengen von Kriegswaffen und Sprengstoff eingelagert, die im
Kriegsfall von den Agenten an ihre Kämpfernetzwerke verteilt werden
sollten.[6]
Waffendepots
Das Personal von "Gladio" bzw. SBO war - nicht nur in
der Bundesrepublik - stark rechts geprägt. Waffen aus den umfangreichen
Depots des mutmaßlichen SBO-Mitglieds Heinz Lembke wurden noch 1995 von
dem NPDler und Rechtsterroristen Peter Naumann verwaltet. Neben
verschiedensten Waffen fand das BKA bei Naumann 200 Kilogramm
Plastiksprengstoff, 27 Kilogramm TNT sowie passende Zündmittel. Lembkes
weitaus größere Depots waren im Zusammenhang mit dem
"Oktoberfestattentat" von 1980 aufgedeckt worden. Bei dem Attentat
starben am 26. September 1980 13 Menschen, als am Haupteingang zum
Münchener Oktoberfest eine Bombe explodierte; mindestens 219 weitere
Personen wurden zum Teil schwer verletzt. Unter den Toten befand sich
auch einer von möglicherweise mehreren Attentätern, der Neonazi Gundolf
Köhler aus dem Umfeld einer rechtsextremen Wehrsportgruppe
("Wehrsportgruppe Hoffmann"). Zu dieser hatte Lembke ebenfalls
Beziehungen unterhalten.
Brandanschlag
Bislang ungeklärt ist, ob ein Brandanschlag vom 9.
September auf ein Freiburger Kulturzentrum dem Umfeld des inhaftierten
JN-Aktivisten Thomas Baumann und des Marinesoldaten Julien L.
zuzurechnen ist. Baumann war beim Ausspionieren des Kulturzentrums
beobachtet worden, in dem nicht nur Nazigegner verkehren. Das Gebäude
wird auch von antimilitaristischen Gruppen genutzt, die zuletzt Anfang
April heftig gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg, Kehl und Baden-Baden
und die weltweiten Militärinterventionen des Westens protestierten.
[1] Andreas Speit: Der Soldat und der Bomber; taz 24.09.2009. Elitesoldat im Umfeld; Stuttgarter Zeitung 25.09.2009
[2] Die organisierte Nazi-Szene im Raum Lörrach; no-nazis-loerrach.blogspot.com 27.08.2009. Südbadische Nazis planten Bombenanschlag; www.autonome-antifa.org 27.08.2009
[3], [4] Timo Noetzel, Benjamin Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr. Strukturerfordernisse für den Auslandseinsatz, SWP-Studie 2007/S 26, September 2007
[5] Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt, "sollten sich die militärische Führung und die Führung der Teilstreitkraft Marine in den kommenden Jahren mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Kampfschwimmer in Afghanistan ausschließlich an Land operierten und ihre traditionelle Rolle als Seekriegsmittel aufgrund der veränderten Konfliktbedingungen vermutlich noch weiter in den Hintergrund rücken wird". Timo Noetzel, Benjamin Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr. Strukturerfordernisse für den Auslandseinsatz, SWP-Studie 2007/S 26, September 2007
[6] Daniele Ganser: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Zürich 2008
[2] Die organisierte Nazi-Szene im Raum Lörrach; no-nazis-loerrach.blogspot.com 27.08.2009. Südbadische Nazis planten Bombenanschlag; www.autonome-antifa.org 27.08.2009
[3], [4] Timo Noetzel, Benjamin Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr. Strukturerfordernisse für den Auslandseinsatz, SWP-Studie 2007/S 26, September 2007
[5] Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) schreibt, "sollten sich die militärische Führung und die Führung der Teilstreitkraft Marine in den kommenden Jahren mit der Tatsache auseinandersetzen, dass die Kampfschwimmer in Afghanistan ausschließlich an Land operierten und ihre traditionelle Rolle als Seekriegsmittel aufgrund der veränderten Konfliktbedingungen vermutlich noch weiter in den Hintergrund rücken wird". Timo Noetzel, Benjamin Schreer: Spezialkräfte der Bundeswehr. Strukturerfordernisse für den Auslandseinsatz, SWP-Studie 2007/S 26, September 2007
[6] Daniele Ganser: NATO-Geheimarmeen in Europa. Inszenierter Terror und verdeckte Kriegsführung, Zürich 2008