Verfassungsschutz blamiert sich vor Gericht

Erstveröffentlicht: 
26.06.2014

Niedersachsens Verfassungsschutz hat am Donnerstag vor dem Verwaltungsgericht Hannover einen deutlichen Rüffel einstecken müssen. Verhandelt wird dort der Fall des 46 Jahre alten Journalisten Kai Budler. Sein Spezialgebiet ist die Berichterstattung zum Thema Rechtsextremismus. Niedersachsens Verfassungsschutz aber führt Dateien über ihn unter der Rubrik "Linksextrem". Dagegen setzt sich der Reporter gerichtlich zur Wehr - nicht zum ersten Mal.

 

Von Stefan Schölermann

 

"Beobachtung für linksextreme Bestrebungen erforderlich"

Im Prozess erklärte die Vertreterin des Nachrichtendienstes, dass es weiterhin notwendig sei, Dateien über Budler zu führen. Dies sei zur Beobachtung linksextremer Bestrebungen erforderlich. Auch wenn Budler selbst als Person nicht Beobachtungsobjekt sei, so trete er doch in "gestaltender Funktion bei Veranstaltungen von linksextremistischen Gruppierungen auf". Das hatte der niedersächsische Verfassungsschutz noch am Tag vor der Handlung in einem sogenannten Behördenzeugnis das Gericht schriftlich wissen lassen. Es gehe um linksextreme Bestrebungen, aber "diese Bestrebungen heißen nicht Herr Budler", so die Prozessvertreterin vor Gericht.

 

Umzug war Verfassungsschutz nicht bekannt

Woher diese Informationen kommen, dazu macht der Verfassungsschutz keine Angaben - beruft sich auf die Pflicht zur Geheimhaltung. Doch wie belastbar sind solche Informationen, die niemand überprüfen kann? Zumindest ein wichtiges Detail war dem Verfassungsschutz verborgen geblieben - die Tatsache, dass Budler seit gut einem halben Jahr nicht mehr in Niedersachsen lebt und arbeitet. Seinen Abschied aus Göttingen hatte er damals sogar im Radio bekanntgegeben. Ein Prozessbeobachter schmunzelnd: "Haben die beim Verfassungsschutz keinen Google-Beauftragten?"

 

Erfahren hat das Gericht die neue Adresse Budlers von dessen Anwalt, Sven Adam aus Göttingen. Die Kritik des Gerichts folgte prompt: Diese Information habe man eigentlich vom Verfassungsschutz erwartet. Doch der hatte keine Kenntnis von Budlers Umzug. Und das ist kein unerhebliches Detail - schließlich kann die Frage des Wohnsitzes in die Entscheidung einfließen, ob die Speicherung von Informationen über eine Person für den Nachrichtendienst noch erforderlich ist oder nicht.

Rechtsanwalt Adam bestritt, dass sein Mandant Teil einer extremistischen Szene sei und zog die Informationen des Verfassungsschutzes grundsätzlich in Zweifel: Wenn eine Quelle des Nachrichtendienstes lüge, werde man die Wahrheit nie erfahren, wenn die Akten nicht auf den Tisch gelegt würden.

 

Task Force von Pistorius hatte vollständige Akteneinsicht

Offenbar ungewollt brachte die Prozessvertreterin des Nachrichtendienstes vor Gericht ein Gremium ins Spiel, dessen Nennung diesem Verfahren noch deutlich mehr Aufsehen verschaffen könnte, als ohnehin schon: die von Innenminister Boris Pistorius im September vergangenen Jahres eingesetzte Task Force. Das sechs Mitglieder zählende Gremium - darunter zwei Mitarbeiter des Innenministeriums, ein Vertreter der Justiz und ein Mitglied aus dem Polizeibereich - hatte die Aufgabe, den Datenbestand des Verfassungsschutzes zu überprüfen. Dabei war ihm vollständige Akteneinsicht gewährt worden - offenbar auch Einsicht in die Dateien über Budler.

Für Rechtsanwalt Adam, dem solches verwehrt geblieben ist, ein inakzeptabler Zustand: "Warum erhalten die Mitglieder dieser Task Force Akteneinsicht, nicht aber ein Anwalt und auch nicht das hier verhandelnde Gericht?", fragte er. Der Vorsitzende dazu: "Das ist eine berechtigte Frage." Adam schlug vor, Mitglieder der Task Force vor dem Verwaltungsgericht als Zeugen zu befragen.

 

Fall wird weiter vor Gericht verhandelt

Einstweilen wird sich ein weiteres Gericht mit dem Fall beschäftigen: Das Oberverwaltungsgericht wird zunächst überprüfen, ob der Verfassungsschutz tragfähige Gründe geltend machen kann, die Akteneinsicht zu verweigern.

Für den Journalisten Kai Budler ist es bereits der zweite Rechtsstreit mit dem Verfassungsschutz Niedersachsen. Im November vergangenen Jahres hatte er vor dem Verwaltungsgericht Göttingen durchgesetzt, dass ein Großteil der über ihn gesammelten Daten gelöscht werden müssen - aber eben nicht alle.