Sekt vor dem Amtsgericht - Mammutverfahren im Zusammenhang mit der Räumung der L14 endet mit Freispruch

Erstveröffentlicht: 
19.06.2014

Sechs Beschuldigte, zwölf Anwälte und 18 Monate Verhandlungsdauer. Es sei der größte Prozess dieser Art in Berlin seit den Krawallen anlässlich des Reagan-Besuchs 1982, sagte Anwalt Sven Lindemann.

 

Alles drehte sich an den 33 Verhandlungstagen um die eine Frage: Haben sich die sechs Beschuldigten aus der linken Szene an der Randale, die im Anschluss an eine Demonstration wegen der Räumung des Hauses Liebigstraße 14 in Friedrichshain am 2. Februar 2011 ausbrach, beteiligt oder nicht. Der Aufruhr war groß, der damalige Polizeipräsident Dieter Glietsch sprach von Millionenschäden, Schaufenster von Banken und Supermärkten wurden angegriffen. Landfriedensbruch lautete der Vorwurf gegen die sechs jungen Männer. Am Dienstag endete das Mammutverfahren vor dem Amtsgericht Tiergarten mit einem Freispruch für alle.

 

Vor rund zwei Jahren wurden die zunächst einzeln begonnenen Verfahren zusammengelegt. Unter anderem deshalb, weil es immer dieselben zwei Zeuginnen der Anklage waren, zwei Zivilpolizistinnen, die die Ereignisse beobachteten, um Straftaten und Straftäter später zuordnen zu können. »Ökonomische Gründe« hätten dafür gesprochen und auch der Umstand, dass es sich immer um »denselben Hintergrund und dieselbe Situation« gehandelt habe, sagte Richter Lebrecht Staupe.

 

Die Zusammenlegung habe nicht immer Spaß gemacht, sagte Staatsanwalt Martin Laub am letzten Prozesstag. In seinem kurzen Schlussplädoyer giftete er gegen den auf Antrag der Verteidigung hinzugezogenen Gutachter Günter Köhnken. »Ich bin mir unsicher, ob das ärgerlich oder lächerlich war.« Köhnken äußerte Zweifel daran, dass bei einer über Stunden andauernden Beobachtung von mehreren dutzend bis hundert ähnlich gekleideten Menschen eine zweifelsfreie Identifizierung möglich sei. Auch dass die Angeklagten nicht auf seine Angebote zur Einstellung des Verfahrens gegen Auflagen eingegangen seien, befremdete Laub. Er forderte schließlich als Strafmaß ein halbes Jahr auf Bewährung für einen der Angeklagten, die restlichen Beschuldigten sollten Geldstrafen zwischen 90 und 150 Tagessätzen à 15 Euro erhalten.

 

Die von drei Anwälten stellvertretend für alle gehaltenen Plädoyers nahmen zusammen über zwei Stunden in Anspruch. »Ein maximales Risiko einer Falschidentifizierung lag vor«, sagte Verteidiger Alexander Paetow. Die Protokolle der Polizistinnen seien »nicht authentisch«, sie seien wohl ein »Gemeinschaftprodukt« gewesen. Zum Teil waren Angaben »nachweislich falsch«.

 

Anwalt Ulrich von Klinggräff sprach von einer bemerkenswerten Nähe zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft. Es sei doch klar, dass bei einer Demonstration »besondere Wahrnehmungsprobleme« bestünden. Unter anderem zu Schuhmodellen und Schalfarben gab es widersprüchliche Aussagen. »Es gibt einen gewissen Konsens, dass ich üblicherweise nicht von lügenden Polizisten spreche, um einen Freispruch nicht zu gefährden«, sagt von Klinggräff. »Die Choreographie war ein bisschen zu dick aufgetragen«, sagte Anwalt Sven Lindemann. Die Konstruktion sei schlichtweg gelogen, um eine Verurteilung zu erreichen. Es handele sich um die Anfänge von »Feindstrafrecht«, man wolle den Feind bestimmen und ein Exempel statuieren.

»Wer ›Ich packe meinen Koffer‹ spielt, kennt es, dass er sich in der zweiten Runde nur schwer erinnert, was drin war. In der Situation waren die Beamtinnnen«, sagte der Richter bei der Urteilsverkündigung. Die Vorwürfe einer bewussten Konstruktion der Täterschaft wollte er nicht mittragen. Die Zweifel an einer eindeutigen Zuordnung zwischen Personen und Taten seien jedoch so groß, dass er die Angeklagten nur freisprechen könne. Die soeben Freigesprochenen feierten das Urteil kurz darauf mit Anwälten und Mitstreitern vor dem Gericht: mit Sekt aus Plastikbechern.