So Mancher wunderte sich ja seit dem 4. November 2011, dass der sächsische Verfassungsschutz so gar nichts beigetragen hatte dazu, die Morde der Zwickauer Terrorzelle aufzuklären - gar zu verhindern. Und auch hinterher hatten ausgerechnet die Schlapphüte in Sachsen, wo das Trio Böhnhardt, Mundlos, Zschäpe untergetaucht war, nichts zur Aufklärung zu erzählen. Und trotzdem veröffentlichen sie jedes Jahr einen "Verfassungsschutzbericht". Am 5. Mai wieder.
Ein Papier, das mehr zur Verdunkelung beiträgt als es erhellt. Die
Arbeit des Verfassungsschutzes beschreibt es schon gar nicht. Es trägt
nur Zahlen zusammen, die irgendwie in die Raster Links, Rechts,
Ausländer passen. Um das Wörtchen „extrem“ ergänzt, als wäre damit
irgendetwas beschrieben. Auch im Jahr 2014 fehlt der teuren Behörde
jegliche Sozialkompetenz. 250 Seiten voller Phrasen und Mutmaßungen
sollen "Schwerpunkte und Auswirkungen extremistischer Bestrebungen im
Freistaat Sachsen" aufzeigen. Tun sie nicht, auch wenn sie einer Zeitung
wie der "Bild" gleich mal Munition liefern, weil man irgendwie eine
Zunahme "linksextremer Straftaten" herauslesen kann.
Wichtigster Kritikpunkt: Das Landesamt für Verfassungsschutz unterlässt
die simpelste Sorgfalt bei der Quellenangabe. Man verweist zwar bei den
Zahlen zur "politisch motivierten Kriminalität" auf das
Landeskriminalamt. Aber in den Tabellen wird nicht deutlich, welche
Zahlen aus der Polizeistatistik das LfV hier zu "Kriminalität" und
"Gewalttaten" zusammen gezogen hat.
"Der neue Bericht ist Beweis für den erfolgreichen Philosophiewechsel im
Verfassungsschutz: Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ein
Fernlicht für eine wehrhafte Demokratie", flötete Innenminister Markus
Ulbig am Montag. Ist er nicht. Es ist alter Wein in einem geflickten
Schlauch.
Wie der Verfassungsschutz mit Zahlen umgeht, die nicht seine sind, das
nahm gleich am Montag Kerstin Köditz, für die Linke Mitglied der
Parlamentarischen Kontrollkommission für den Geheimdienst, aufs Korn:
"Es durchbricht allerdings dieses Schema, wenn der Geheimdienst des
Freistaates im Vorfeld seines Berichts Zahlen zur Statistik politisch
motivierter Kriminalität präsentiert, die einen drastischen Anstieg
linker Straftaten belegen sollen. Um es deutlich auszusprechen: Erstens
ist für Straftaten die Polizei zuständig, nicht das Landesamt für
Verfassungsschutz. Zweitens ist die Statistik auch der politisch
motivierten Kriminalität längst durch den Innenminister vorgestellt
worden. Drittens hat die 'BILD' bereits am 30. April eine Analyse der
entsprechenden Straftaten in Sachsen publiziert, die deutlich stärker
durch Realismus geprägt ist und sowohl auf Ursachen als auch auf
regionale Verteilung eingeht. Drittens ist festzustellen, dass sich die
Behauptungen des Landesamtes in eine Propagandakampagne einreihen, deren
Ursprung im Bundesinnenministerium liegt. Wenn Verstöße gegen das
Versammlungsrecht in den behaupteten drastischen Anstieg von Straftaten
durch 'Linksextremisten' einfließen, relativieren sich die Zahlen
deutlich. Im konkreten sächsischen Fall hieße dies, dass auch die
Ermittlungen gegen knapp 400 Personen wegen der Geschehnisse in Plauen
am 1. Mai in die Statistik einfließen würden. Viertens ist laut
'Spiegel' (19/2014, S.14) der starke Anstieg linksmotivierter Straftaten
wesentlich auf diesen Deliktbereich der Verstöße gegen das
Versammlungsrecht zurückzuführen. Fünftens sei darauf verwiesen, dass
nach gleicher Quelle Polizeikreise diese Statistik für 'abstrus'
erachten."
Die Zahlen, die im Verfassungsschutzbericht wie Arbeit aussehen, sind
also nichts anderes als aus der Polizeistatistik zusammengeklaubte
Zahlen, die man in das Schema Links / Rechts / Ausländer presst. Dass
die Leute, denen die sächsische Polizei, die sich bei Versammlungen im
Freistaat selbst nicht gerade mit Ruhm bekleckert hat, Straftaten bei
Versammlungen vorwirft, oft nicht einmal irgendeinem linken Spektrum
zuzuschreiben sind, kommt noch dazu. Selbst friedliche Blockaden mit
Gewerkschaften und Politikern unterschiedlichster Parteien registriert
die Polizei ja in solchen Statistiken - frei nach dem Motto: Was eine
Straftat ist, bestimmen wir.
Und je fleißiger die Polizei bei solchen Demonstrationen zählt oder -
wie jetzt wieder in Plauen - Gewalt durch den eigenen Einsatz erst
erzeugt, umso höher sind diese Zahlen. Für Ulbigs Pressestelle wird das
dann zu so einem Satz: "Deutlich gravierender war dagegen der Anstieg
linksextremistisch motivierter Straftaten, einschließlich der
Gewaltstraftaten. Allein die Gewalt gegen den politischen Gegner
verdreifachte sich. Eine Ursache dafür ist die verstärkte Mobilisierung
der 'Autonomen', vor allem auf Gegenveranstaltungen zu rechtsextremen
Demonstrationen und Veranstaltungen."
Heißt im Klartext: Je mehr gegen die Aufzüge von NPD & Co. im
Freistaat demonstriert wird, umso mehr "linksextreme" Gewalttaten zählt
die Polizei.
Und der zuschauende Geheimdienst freut sich über einen "Anstieg
linksextremistisch motivierter Straftaten", ohne auch nur zu begreifen,
dass der seit 2011 verstärkte Protest gegen die Umzüge der Neo-Nazis
dazu geführt hat, dass die NPD und ihre ganzen Kameradschaften
öffentlich Raum eingebüßt haben.
Dass es weder alles Linksextreme sind, die da Gegenprotest organisieren,
noch alles Straftaten im Sinne des Strafgesetzbuches, haben wir ja
schon erwähnt. Im Ergebnis sorgen hier eine überforderte Polizei und ein
völlig desorientierter Geheimdienst dafür, den demokratischen Protest
gegen die aufmarschierenden Rechtsextremisten zu diskreditieren. Immer
wieder aufs neue.
Dabei weiß Innenminister Markus Ulbig selbst, wo die eigentliche Gefahr
für die Demokratie besteht: „Schwerpunkt der Beobachtung bleibt wie
schon im letzten Jahr der Rechtsextremismus. Vereinsverbote haben die
Szene tief verunsichert. Bei den rechtsextremen Konzerten in Sachsen
haben wir einen neuen erfreulichen Tiefstand erreicht.“
Ob das wirklich so ist, darf man bezweifeln. Kerstin Köditz gesteht den
sächsischen Schlapphüten jedenfalls wenig Kompetenz zu, überhaupt zu
erfassen, was sie erfassen sollen.
"Insgesamt ist zum vorliegenden Jahresbericht zu konstatieren, dass sich
an der mangelhaften Analysefähigkeit des Landesamtes, die bereits zu
Beginn der Aufklärung des NSU-Skandals eingeräumt wurde, noch immer
nichts geändert hat. Besonders deutlich wird dies in dem Kapitel zur
Instrumentalisierung des syrischen Bürgerkriegs 'durch Rechts- und
Linksextremisten'", sagt sie. Das Kapitel erzählt nur davon, wie die
Herren in grau brav am Straßenrand stehen und das Wort "Syrien" auf den
mitgeführten Plakaten und Transparenten der diversen Demonstrationen
zählen.
"Letztlich wird dadurch nur die Dringlichkeit der Gewinnung
sozialwissenschaftlichen Sachverstands für das Amt notwendig. Daran
scheint es vor allem noch immer an der Spitze des Amtes zu mangeln",
stellt Köditz fest. "Wenn der Präsident Gordian Meyer-Plath im Interview
mit der 'Zeit' allen Ernstes von sich gibt: 'Nur mal angenommen, Sie
finden eine Webseite mit lauter Gedichten von Ernst Niekisch. Da müssen
Sie schon wissen, wer das war. Sonst finden Sie die Seite nicht
verdächtig', aus einem faschistischen Theoretiker also kurz einmal ein
Lyriker wird, wird diese Behauptung nachdrücklich belegt. Wenn der
gleiche Präsident in einer öffentlichen Veranstaltung problematisiert,
dass zwar die als kriminelle Vereinigung eingestufte rechte Band
'Landser' angeprangert werde, Kritik an der Rockband 'Die Ärzte' jedoch
nicht erfolge, ist das an sich bereits äußerst fragwürdig. Wenn dann in
der Antwort auf eine Kleine Anfrage (Drs. 5/13813) zwar eingeräumt wird,
es lägen keine Anhaltspunkte für linksextremistische Bestrebungen der
fraglichen Band vor, gleichzeitig jedoch darauf verwiesen wird, von
dieser sei 'der offen gewaltbefürwortende Titel ‚BGS‘' bekannt, wird die
Grenze zur zulässigen Dummheit überschritten. Der genannte Titel stammt
nicht von der Band 'Die Ärzte'."
Was Ulbig als Neustrukturierung für den Sächsischen Verfassungsschutz
feiert, ist nichts als ein Facelifting. Man hat die Außenfassade ein
bisschen aufgehübscht - im Inneren ist die Behörde noch genauso
orientierungslos wie 2011. Sie hat die Muster, die sie bedienen soll. So
wie einige Leute Strümpfe haben, auf denen "links" steht und "rechts".
Und wenn die Polizei in Connewitz ihre Repression verstärkt - wie zum
Beispiel bei den Silvesterfeiern - dann kommt jede registrierte Straftat
ganz automatisch in die Schublade "linksextrem", auch wenn sie in den
meisten Fällen eher in die Schublade "stinkbesoffen" gehört.
Die Folien, die das Innenministerium am Montag präsentiert hat, sind
noch einen Zacken schärfer. Etwa wenn über Jahre der starke Anstieg der
"Anzahl der Linksextremisten in der Bundesrepublik Deutschland und im
Freistaat Sachsen" aufgemalt wird. Dass der Verfassungsschutz unter
"Linksextremisten" nicht nur die 340 Autonomen in Dresden und Leipzig
zählt, sondern auch 250 Mitglieder diverser winziger linker
Splitterparteien und 160 Mitglieder in der Kommunistischen Plattform der
Partei Die Linke, macht die Sache nicht besser. Und verwischt vor allem
die Verhältnisse. Zu den 2.500 "Rechtsextremisten" zählen zwar auch
1.200 NPD-Mitglieder - aber fast genauso viele Mitglieder der diversen
Kameradschaften im Freistaat, deren Gewalttaten in der Regel eben nicht
aus Demonstrationsverstößen bestehen - da geben sie sich immer sehr
brav. Ihre Opfer überfallen sie lieber daheim in ihrem Kiez -
Andersdenkende, Ausländer usw.
Und auch die Grünen sprechen Sachsens Geheimdienst die nötige Professionalität ab, so einen Bericht fundiert zu erstellen.
Miro Jennerjahn, demokratiepolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis
90/Die Grünen: "Einen 'Philosophiewechsel' beim Verfassungsschutz
erreicht man nicht dadurch, dass man nur davon redet. Diese Veränderung
muss sichtbar werden, Herr Innenminister. Der Verfassungsschutzbericht
2013 unterscheidet sich nicht nennenswert von den Berichten der
Vorjahre. Insbesondere über die angeblichen 'Neuerungen' nach den
Vorschlägen der Harmskommission im vergangenen Jahr findet sich im
Bericht keine Zeile. Das gehört nach meinem Verständnis zur Aufklärung
der Versäumnisse des Verfassungsschutzes im Zusammenhang mit den
Verbrechen des NSU aber zwingend in einen solchen öffentlichen Bericht.
Wir vermuten daher, dass der von der Harmskommission vorgeschlagene
Philosphiewechsel nicht zu grundsätzlichen Änderungen in der Arbeit des
Verfassungsschutzes führt. So fehlt nach wie vor eine grundlegende,
verständliche Analyse der Gefahrenlage durch Rechtsextreme."
"Mit Blick auf die aktuelle Diskussion um die Zahlen zu Straftaten mit
extremistischem Hintergrund offenbart der Verfassungsschutzbericht eine
weitere - seit Jahr und Tag bestehende - analytische Schwäche", stellt
Jennerjahn fest. "Anstatt die Zahlen der polizeilichen
Kriminalitätsstatistik zu analysieren und zu gewichten - also
insbesondere die Fälle von Sitzblockaden aus den Statistiken
herauszunehmen - arbeitet der Verfassungsschutz pauschal weiter mit dem
Begriff 'Straftaten mit extremistischen Hintergrund'. Auch hier hält man
also an altbewährten Arbeitsweisen und Klischees fest."
Und Martin Dulig, Vorsitzender der SPD-Fraktion: "Wenn der Staat aber
eben diese Zivilgesellschaft unter linksextremistischen Generalverdacht
stellt, ist dies ein fatales Signal. Es darf nicht sein, dass Bürger als
Linksextremisten eingestuft werden, wenn sie sich friedlich an
Blockaden rechtsextremistischer Veranstaltungen oder an
Gegendemonstrationen beteiligt haben. - Ich verwahre mich aber gegen
eine Kriminalisierung aller Demonstranten."
In diesem Sinne müsse auch der Themenfeldkatalog für politische
Straftaten dringend überarbeitet werden, damit nicht jede Sitzblockade
in den Statistiken als Straftat mit linksextremistischem Hintergrund
gewertet werde. Dulig: „Denn Zivilcourage hat nichts mit
Linksextremismus zu tun.“
Der Bericht ist also, wie jeder Vorgängerbericht, eine große, auf 250
Seiten aufgeblasene Augenwischerei. Und eine Nebelbombe, die auch
kaschieren soll, wie unprofessionell das LfV weiterhin arbeitet.
Jennerjahns Fazit: "Die Grüne-Fraktion hat anlässlich der Entdeckung der
Terrortaten des NSU gefordert, das Landesamt für Verfassungsschutz
aufzulösen. Die Vorstellung des Jahresberichts gibt dazu erneut Anlass."