Unter dem Namen ‚Refugee Movement Vienna‘ haben sich seit dem Protestmarsch von Traiskirchen nach Wien im November 2012, dem Protestcamp und dem Hungerstreik verschiedene Formen des Kampfes um Bewegungs- und Aufenthaltsfreiheit entwickelt. Alles, was unter diesem Label agiert, ist nur ein Funke – wenn auch ein starker – von vielen, der die Ungerechtigkeit der europäischen Festung von unten angreift.
Auch wenn die Medien momentan keine Pressekonferenzen, Supporter*innen oder Großdemos mehr abbilden: der Kampf um Freiheit ohne Grenzen wird weitergehen.
Jeden Tag widerstehen Geflüchtete, viele sogenannte Asylbewerber*innen – in den Lagern, an den Grenzen, in „alltäglichen“ Situationen, in den Polizeistationen und Gefängnissen – dem rassistischen System, das Menschen in zwei Gruppen teilt – nämlich in jene mit, und jene ohne Papiere.
Wie in vielen anderen europäischen Ländern haben die Forderungen von Refugee-Aktivist*innen seit Oktober 2012 erhöhte Aufmerksamkeit von Öffentlichkeit und Medien bekommen. Auch wenn die politischen Autoritäten in Österreich, anders als in anderen Staaten, in denen Geflüchtete streik(t)en, nahezu keinen Verhandlungswillen gezeigt haben.
Ende Juli, nach Monaten des Protests, wurden schließlich acht Aktivisten abgeschoben. Kurz vor dem Höhepunkt des Wahlkampfes war das eindeutig eine politisch motivierte Repressionsmaßnahme der österreichischen Behörden. Trotz massiver Proteste konnten die Abschiebungen nicht gestoppt werden.
Was darauf folgt, ist eine Welle der staatlichen Repression und Kriminalisierung, die in Teilen an die sogenannte ‚Operation Spring‘ aus dem Jahr 2000 erinnert. Damals wurden nach Protesten in Solidarität mit dem kurz vorher von den Behörden bei seiner Abschiebung getöteten Marcus Omofuma, mehr als hundert vorwiegend Schwarze*[1] Personen wegen angeblichen Verdachtsauf Drogenhandel festgenommen. Im Vorfeld waren hunderte Personenabgehört und überwacht worden. Obwohl die Ermittlungen alles andere als erfolgreich für Polizei und Staatsanwaltschaft waren, wurden fast alle der Festgenommenen unter höchst zweifelhaften Prozessen und Beweisführungen zu hohen Haftstrafen verurteilt.
Im Sommer 2013 wurden direkt als Reaktion auf die medial wirksamen Proteste gegen die Abschiebungen der Aktivisten mehrere Personen aus der Refugee-Bewegung und deren Umfeld festgenommen und in Untersuchungshaft gesperrt. Ihnen wird vorgeworfen Teil einer „kriminellen Schleppervereinigung“ (§114 FPG) zu sein, worauf ein Strafrahmen von bis zu zehn Jahren gilt.. Die Öffentlichkeit (allen voran die Medien und die Innenministerin) stürzten sich auf die Geschichte und ließen sich über die „skrupellosen Schlepperbosse“ aus, welche sich als „Füchtlinge tarnten“. Obwohl die Gerichtsakte, die teilweise im Falter veröffentlicht wurden, bald bewiesen, dass es sich um bloße Hirngespinste der Innenministerin und der Medien handelte, war der Coup geglückt und die Bewegung in der Öffentlichkeit diskreditiert. Seit fast sechs Monaten „warten“ die Festgenommenen nun auf einen Prozesstermin, der noch immer nicht feststeht. 6 Monate unter extremen Haftbedingungen, die zu massiven körperlichen und psychischen Beschwerden geführt haben. 6 Monate, in denen Kontakt zur Familie nicht erlaubt wurde, 6 Monate mit extrem restriktiven Besuchsbedingungen, durch die versucht wurde, die Solidarität mit den Gefangenen zu brechen. Nach einigen Monaten Haft wurden die Gefangenen außerdem von der Justizanstalt Josefstadt in Wien in die Justizanstalt Wr. Neustadt verlegt, was Besuche zusätzlich erschwert.
Das Gefängnis ist – neben den Staatsgrenzen – Teil des rassistischen und repressiven Systems, welches Unrecht und Ungleichheit legitimieren und aufrechterhalten soll.
Die Scheinheiligkeit des politischen Systems und der Asylpolitk wird hier wieder einmal besonders deutlich. Die österreichische und europäische Migrationspolitik schafft ein System, das Menschen illegalisiert: "Legale" Grenzüberquerungen sind nur für bestimmte "privilegierte" Menschen möglich.
Das Rechtauf Asyl ist so eng definiert, dass viele Menschen nicht die Möglichkeit haben, dieses Grundecht in Anspruch zu nehmen. Entsprechen sie den strikten Kriterien nicht, werden ihnen grundlegende Rechte, wie Bewegungsfreiheit und Niederlassungsrecht verwehrt. Sie verbleiben ohne das Recht zu arbeiten und ohne die Möglichkeit ihr Leben in Österreich aufzubauen.
Paradoxie der "Legalität"
Die “legale” Lösung dieses Systems sieht vor illegalisierte Personen abzuschieben. Die dahinterliegende Idee ist, dass es überhaupt möglich sei, dass Menschen und alle ihre Aktivitäten innerhalb der österreichischen Grenzen „illegal“ sind. Demgegenüber ist es „legal“ sie zwangsweise wochenlang einzusperren und sie schlussendlich gegen ihren Willen in ein Flugzeug zu setzen und in ein Land abzuschieben, aus dem sie geflohen sind.
Diese rassistischen und repressiven Gesetze, die Personen als „illegal“ und Abschiebungen als „legal“ ansehen, sind abzulehnen – Bewegungs- und Niederlassungsfreiheit muss für alle gelten, nicht nur für privilegierte EU-Bürger*innen.
Derselben Logik nach sind auch Grenzregime abzulehnen, die Reisen und grenzüberschreitende Bewegung illegaliseren. Genau dieses Grenzregime exkludiert Personen ohne die richtigen Dokumente von „legalem“ Reisen und reduziert ihre Chancen, Grenzen zu überschreiten auf gefährliche und oftmals lebensbedrohliche „illegale“ Möglichkeiten.
Es ist dasselbe Grenzregime - verantwortet von der EU und Ländern wie Österreich – das einen Markt für inoffizielle Grenzüberschreitungen schafft, auf dem Dienstleistungen angeboten werden, um die gefährliche und risikoreiche „illegale“ Überschreitung von Grenzen zu ermöglichen. Genauso wie Personen und ihre undokumentierten Grenzüberschreitungen als “illegal” betrachtet werden, werden die Dienstleistungen zur Erleichterung der Reise kriminalisiert. Hier können wir dieselben Absurditäten herausstreichen wie zuvor: Abschiebungen sind legal, aber anderen zu helfen, Grenzen zu überwinden (also das, was als „Schlepperei“ denunziert wird) wird in höchstem Maße kriminalisiert. In anderen Worten, jemanden gegen ihren_seinen Willen mit Polizeibegleitung – oft gefesselt, unter Beruhigungsmittel und Gewaltanwendung – in ein Flugzeug zu setzen ist völlig legal, wenn es der Staat tut – aber jemandem, der_die von „legalem“ Reisen exkludiert wird, zu helfen eine Grenze zu passieren, bedeutet drohende Festnahme, Überwachung, Untersuchungshaft sowie mehrere Jahre Gefängnisstrafe.
Fluchthilfe – präsentiert als “Schlepperei” – wird oft als ausbeuterisch und gefährlich dargestellt, staatliche Versuche dagegen vorzugehen und diese Tätigkeiten zu kriminalisieren und zu stoppen werden daher positiv, nützlich und notwendig bewertet. Die Paradoxie wird noch deutlicher unter dem Gesichtspunkt, dass beispielsweise die Grenzüberquerung von der ehemaligen DDR in ‚westliche‘ Länder oder die Hilfe dabei geradezu als Heldentat gesehen wurde . Es wird oft angenommen, dass Fluchthilfe – sogenannter „Menschenschmuggel“- ausbeuterische Praktiken wie Menschenhandel und Täuschung der „Opfer“ beinhaltet.
Die Art und Weise wie Menschen Grenzen überqueren (versteckt in kleinen Hohlräumen von LKWs, unter extremen Bedingungen, an Orten, wo ihr Leben in Gefahr ist etc.) wird – oft zurecht - als grausam und unmenschlich angesehen.
Der Markt mit den Grenzen
Tatsächlich, weil Grenzen immer stärker polizeilich kontrolliert werden, ist die Überquerung immer gefährlicher und kann kaum risikolos sein. Oft ist es überhaupt nur durch Unterstützung in Form von Dienstleistungen, wie die Weitergabe von Wissen und Kontakten, möglich sich zwischen Staatsgebieten zu bewegen, insbesondere in hoch überwachten Regionen der EU.
Wie in jeder freien Marktsituation, kann „schleppen“ ausbeuterisch und gefährlich sein. Aber wir müssen die Wurzel des Problems im Kopf behalten: Die Grenzen selber erzeugen diesen als skrupellos bezeichneten „Schlepper“markt.
Würden alle das Recht auf Bewegungsfreiheit haben und nicht von militarisierten und bewachten Grenzen aufgehalten werden, dann könnten die Ausbeutungen und Gefahren des „Schlepper“-Marktes verhindert werden.
Jeder Versuch der EU gegen “Schlepperei” und die damit einhergehenden ausbeuterischen Praktiken vorzugehen ist also heuchlerisch, da er nicht daran arbeitet Grenzen und Migrationsrestriktionen ganz abzuschaffen. Gleichzeitig stellt sich bei Fluglinien, die mit den Tickets für Abschiebungen Geld verdienen, Botschaften, die sich für das Ausstellen von Rückreisezertifikaten bezahlen lassen und den politischen Parteien, die das Thema für ihren Wahlkampf nutzen die Frage, wer mit dem Abschiebe-Business Geld verdient. Hier wird knallhart mit Menschenleben gehandelt, was durch die Kriminalisierung von Flüchtlingen und Flüchtlingsaktvisten zu verdecken versucht wird.
Die Proteste von Refugees in Wien und die darauf folgenden Kriminalisierungen müssen in einem größeren Kontext betrachtet werden.
Die aktuellen „Schlepperei“-Vorwürfe gegen Personen aus der Protestbewegung in Wien und ihrem Umfeld bedienen also die oben genannte rassistische Logik des österreichischen Staates und der EU-Politik, sind jedoch im konkreten Fall eindeutig als ein Versuch zu sehen, einen mehr als einjährigen, starken und medienwirksamen Protest durch Kriminalisierung zum Schweigen zu bringen.
Die Kriminalisierungen werden nicht dazu führen, dass Bewegungen und Einzelpersonen, die sich für gleiche Rechte einsetzen und die exkludierende Migrationspolitik in Österreich und der EU angreifen, ihren Kampf aufgeben. Die Forderungen bleiben: uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und ein Bleiberecht für alle sowie die Abschaffung des Grenzregimes.
Solidarität muss über Worte hinausgehen. Stillschweigen und Ignoranz bedeuten Zustimmung zu den herrschenden rassistischen Verhältnissen.
Wir fordern den sofortigen Stopp aller Abschiebungen und das Ende rassistisch motivierter Festnahmen und Inhaftierungen.
Wir fordern, alle Refugee-Aktivisten, die wegen Verdacht auf „Schlepperei“ festgehalten werden, sofort freizulassen!
Smash §114! Destroy all border regimes!
Widerstand ist überall! Politische Gefangene sind überall!
Solidarität mit den inhaftierten Refugee-Aktivisten in Österreich!
[1]*Schwarz wird in diesem Kontext benannt und großgeschrieben um darauf hinzuweisen, dass damit nicht nur die Hautfarbe einer Person gemeint ist sondern eine soziale Position. In der von rassistischen Dynamiken und Diskursen geprägten Gesellschaft macht es einen Unterschied, da weiße Personen der Mehrheitsgesellschaft, nicht in dieser Weise kriminalisiert werden.
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