Vor zehn Jahren erschütterte die Bluttat eines damals 17-jährigen Schülers die Stadt: Leonhard S. erstach am späten Abend des 19. Dezember 2003 drei ebenfalls minderjährige Jugendliche vor der Diskothek K 2. Mittlerweile hat sich der Täter das Leben genommen.
Die Fassungslosigkeit war groß, als im Jahr 2003 der Freitagabend vor
dem Weihnachtsfest für drei jugendliche Spätaussiedler aus Russland
tödlich endete. Um 23.30 Uhr wurden alle drei in der Innenstadt von
Leonhard S., der zur rechtsradikalen Szene gehörte, mit einem Messer
angegriffen und tödlich verletzt. Viktor (15) und Waldemar (16) starben
am Tatort, der 17-jährige Alex kurz darauf im Krankenhaus.
Niemand hätte eine solche Tat für möglich gehalten
Es war der letzte Schultag vor den Weihnachtsferien, viele junge Menschen waren in der Stadt unterwegs, um zu feiern. Das K 2, über dem Stattgarten neben dem Gefängnis gelegen, war Anziehungspunkt für ein eher links-alternatives Publikum. Dass ausgerechnet der Platz vor diesem Lokal Schauplatz eines tödlichen Verbrechens werden sollte, konnte niemand ahnen, Schlägereien waren hier selten.
Als an jenem Abend die drei späteren Opfer auf Leonhard S. mit einem
weiteren jungen Mann und einem Mädchen trafen, kam es zu einem Gerangel,
in das auch der Türsteher der Diskothek eingriff. Während dieser
versuchte, die Streitenden zu trennen, zog Leonard S. ein Messer und
stach zu. Und zwar so gezielt, dass er drei Menschen tödlich verletzen
konnte, bevor jemand eingriff.
Ausländerfeindlicher Hintergrund war erkennbar
Die Frage, wie es ein 17-Jähriger fertigbringt, seine Waffe so gezielt zu führen, obwohl er nach eigener Aussage stark betrunken gewesen sein will, wurde nie geklärt. Die 2. Jugendkammer des Ellwanger Strafgerichts verhandelte ein halbes Jahr nach der Tat – wie bei Jugendstrafsachen üblich – unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Der Anwalt des Täters machte Notwehr geltend, Leonhard S. habe sich bedroht gefühlt. Darauf ließ sich das Gericht nicht ein, es verhängt eine Jugendstrafe von neun Jahren. Zehn Jahre wären die Höchststrafe für das Totschlag-Verbrechen gewesen.
Es sei keine Tötung aus rassistischen Gründen gewesen, sagte
Staatsanwalt Armin Burger bei der Urteilsverkündung. Jedoch sei das
Verbrechen ohne den ausländerfeindlichen Hintergrund des Angeklagten
nicht erklärbar. Möglicherweise würde man die Tat vor dem Hintergrund
der NSU-Morde heute anders betrachten – vor zehn Jahren galt Leonhard S.
als Einzeltäter, auch wenn er unbestritten Verbindungen zur rechten
Szene hatte. Aufgewachsen war er in Berlin, seine Eltern schickten ihn
zu einem Onkel in die Provinz, nachdem er in rechte Kreise abgeglitten
war und sie keinen Zugang mehr zu ihrem Sohn fanden.
Mahnung an Politik, Verwaltung und Schule
„An Viktor Filimonov, Alexander Schleicher und Waldemar Ickert denken wir in Heidenheim zehn Jahre nach ihrem gewaltsamen Tod mit Trauer“, sagt Oberbürgermeister Bernhard Ilg. Er hofft, dass die Familien Wege gefunden hätten, den Verlust ihrer Söhne und Brüder zu verarbeiten. „Die Tat ist eine fortwährende Mahnung nicht nur an die Verantwortlichen in Politik, Verwaltung und Schule, sondern an jeden Einzelnen von uns, aktiv für eine friedliche und solidarische Gesellschaft einzutreten“, so Ilg.
Noch immer sehr deutlich in Erinnerung hat den Abend auch Volker Spellenberg, der damals Geschäftsführer des K 2 war. „Ich habe immer ein ungutes Gefühl, wenn Jugendliche im Streit ausrasten und sich nicht mehr unter Kontrolle haben“, sagt der Heidenheimer, der mittlerweile als Lehrer arbeitet: „So etwas wie damals darf keiner Familie zugemutet werden.“
Der Täter Leonhard S. hat acht Jahre seiner Haftstrafe abgesessen, bevor er entlassen wurde. Ein Jahr später, im Sommer 2012, nahm sich der damals 26-Jährige in Berlin das Leben. Er selbst habe sich nie verziehen, erklärten seine Eltern.
Vonseiten der Stadtverwaltung befürchtete man nach der Tat, dass sie
die Bevölkerung spalten oder extremistischen Gruppen einen Nährboden
bieten könnte. Eine klare Absage an Neonazis blieb aus,
Oberbürgermeister Bernhard Ilg betonte, dass es sich um eine „unsinnige
Tat eines Einzelnen“ handelte. Diese Haltung hat sich aus Sicht der
Stadtverwaltung bewährt: „So wie Heidenheim damit umgeht, dokumentiert
dies, dass Extremisten von rechts oder links hier keinen Fuß auf den
Boden bekommen“, lautet die aktuelle Stellungnahme.
Heidenheim galt als Hochburg der Republikaner
Die Sicht von außen auf Heidenheim fiel im Zusammenhang mit der Tat bisweilen aber auch anders aus: Jahrelang galt die Stadt als Hochburg der Republikaner, die ab 1989 auch Sitze im Heidenheimer Gemeinderat hatten, zum Zeitpunkt der Tat immerhin noch einen. 2005 gab es zwei Demonstrationen von Neonazis in Heidenheim, die erste wurde schon nach wenigen Hundert Metern von der Polizei gestoppt. Danach verlagerten die jungen Nationalisten ihre Aktivitäten in Richtung Göppingen, wo sie für reichlich Unruhe sorgen.
Gleichwohl hat man in der Stadt das Gedenken zum zehnten Jahrestag der K2-Morde dem politisch linken Lager überlassen: Verschiedene antifaschistische Organisationen rufen zur einer Demonstration auf, die am Samstag, 14. Dezember, um 14 Uhr am Bahnhof beginnen soll. „Wir wollen die damaligen Geschehnisse der Vergessenheit entreißen und den Opfern rechter Gewalt gedenken“, heißt es im Aufruf zur Demonstration.