Anschlagspläne in Rellingen: Der ganz normale Terrorismus

Erstveröffentlicht: 
27.09.2007

Es klingt wie eine tödliche Parodie auf den internationalen Terrorismus: In einem kleinen Ort vor den Toren Hamburgs haben zwei 19-Jährige offenbar einen Bombenanschlag auf ein Stadfest geplant - und wurden in letzter Minute daran gehindert. Was hat die beiden dazu getrieben? Eine Spurensuche.

 

Rellingen ist ein beschaulicher Ort, an der Nord-Westgrenze Hamburgs im Kreis Pinneberg gelegen. Entlang der Hauptsraße durch den Ortskern des 13.800-Einwohner-Städtchens in Schleswig-Holstein reihen sich Bankfilialen, ein türkischer Imbiss, eine Bäckerei, ein Fitnessstudio, ein Discount-Markt. Backsteinhäuser mit roten Ziegelfassaden stehen hier gleichförmig nebeneinander und prägen das akkurate Stadtbild, rot und gelb gefärbte Bäume säumen die saubere Straße. Ein Springbrunnen auf dem zentralen Platz des Ortes, dem Arkaden-Hof, spuckt Fontänen in den verhangenen Himmel. Rellingen entspricht dem Prototyp einer norddeutschen Kleinstadt.

 

Wenn da am Dienstagabend nicht diese Pläne ans Licht gekommen wären. Zwei 19-jährige Einheimische wollten offenbar einen Bombenanschlag auf das jährliche "Apfelfest" verüben. Sie befinden sich wegen Fluchtgefahr inzwischen in Untersuchungshaft. Nur der Hinweis eines Freundes soll ihre mörderischen Pläne durchkreuzt haben. Nach Ansicht der Staatsanwaltschaft hätten die beiden auch Tote in Kauf genommen. "Wenn jemand drauf gegangen wäre, wäre es ihnen egal gewesen", sagte der Itzehoer Oberstaatsanwalt Friedrich Wieduwilt am Donnerstag. Gegen die beiden wurde am Mittwoch auch wegen Verabredung zum Mord Haftbefehl erlassen.

 

Eine Bombe auf dem "Apfelfest"

 

Auf dem Apfelfest wird jedes Jahr die neue Ernte gefeiert, Tanz- und Sportdarbietungen locken zwischen 5.000 und 10.000 Besucher aus Hamburg und der Region in den Ort. Nach Schätzungen von Bürgermeister Oliver Stolz hätten bei dem Anschlag "etwa 300" feiernde Menschen lebensgefährlich verletzt werden können. Denn das Landeskriminalamt von Schleswig-Holstein in Kiel spricht von beschlagnahmten "Ausgangsstoffen", die dem Herstellen von so genannten "Selbstlaboraten", also selbst hergestelltem Sprengstoff, dienen soleln. In Medienberichten ist von Acetonperoxid die Rede, einer chemischen Grundsubstanz für den Bomben-Bau, den sich die beiden ohne weiteres in Baumärkten und Apotheken besorgen konnten. Auch die Attentäter von London oder die jüngst im Sauerland festgenommenen Männer nutzten diese Substanz. Die Anleitung zum Bau solcher Bomben gibt es angeblich im Internet. Das gefundene Material war dem Vernehmen nach voll funktionsfähig.

 

"Das sind Rellinger"

 

Auf die Spur der beiden Männer kamen die Ermittler, weil vor einigen Monaten in Rellingen ein Sprengstoff-Anschlag mit einem "brisanten Selbstlaborat" auf einen Zigarettenautomaten verübt wurde. Auch ein Buttersäurangriff auf ein Grundstück und ein Auto sowie etwa 70 aufgeschlitzte Autoreifen werden den beiden angelastet. Nur, wer sind die beiden Männer? Und wie sind sie auf die Idee gekommen, ein Anschlag auf ein Fest in der norddeutschen Provinz zu verüben? "Das sind Rellinger, wir kennen sie seit Jahren, haben immer wieder Kontakt zu ihnen gesucht, vor allem früher haben wir sie unterstützt", sagt Jörn Folster, Jugendpfleger von "Oase", einer örtlichen, offenen Jugendhilfeeinrichtung mit Büro in dem modernen Verwaltungsbau der Gemeinde. Er und seine zwei Kollegen kümmern sich um rund 1600 Kinder und Jugendliche zwischen 5 und 17 Jahren. Rasch wurde klar, dass die Kommunikation mit den beiden Schulabbrechern André M. und Kevin W. "gestört" war und sie auf "Selbstbehauptungskurse" oder "DVD-Nights" keine Lust hatten. "Irgendwann wurden sie auch empfänglich für rechte Gedanken", sagt Folster, ein freundlicher Mann mit dünnem Kinnbart, zwischen Ordnern mit Zeitungsartikeln. "Die trugen Topfschnitt, Lonsdale-Klamotten und hörten entsprechende Musik." Einer rechten Gruppierung hätten sie aber nicht angehört. Wie alle anderen Jugendlichen seien sie oft zum Treffpunkt im Ortskern gegangen. Wegen ihrer Ansichten seien sie aber weder gemieden noch bewundert worden, man flachste sogar gemeinsam, sagt der Jugendarbeiter. "Fußball war das einzige für das man sie mal begeistern konnte."

 

"Ich hätte denen das nie im Leben zugetraut", sagt Nils Kummer, ein Bekannter der mutmaßlichen Anschlagsplaner. Der blonde junge Mann mit der blauen Baseballlappe sitzt auf einer Bank vis-à-vis des Arkaden-Hofes, wo das "Apfelfest" am kommenden Sonnabend stattfinden soll. Immer wieder begrüßt er Passanten. "Man kennt sich hier", sagt er. Kummer ist Jugendgruppenleiter bei der freiwilligen Feuerwehr und wie jedes Jahr wird der 17-Jährige dort mit dem "Spielmannszug" bei einbrechender Dunkelheit mit Fackeln in der Hand Spalier über den Platz laufen. "Ich habe dort Freunde gefunden, mit denen kann man über alles reden", sagt er. Auch das wussten die Täter. Er wäre eines ihrer potenziellen Opfer gewesen. "André war schon immer so ein kleiner Durchgeknallter", erinnert er sich. Wenn sie im Internet chatteten, habe er anstatt ein Foto von sich immer Waffenbilder in sein Profil eingestellt. "Er sagte mir mal, es sei total leicht eine Bombe zu bauen." Kummer nahm den Waffennarr nicht ernst. Obwohl der Arbeitslose im April 2006 im Internet die Bauanleitung für eine Briefbombe veröffentlichte, wofür er eine 11-monatige Bewährungsstrafe erhielt. Sein Menschenbild, behauptet die "Bild"-Zeitung, von Hass geprägt gewesen. So soll er einer Frau in einer E-Mail gedroht haben: "Euch sollte man alle töten, langsam aufschlitzen ... Der Kampf geht weiter ... gegen diese Gesellschaft ... wir führen diesen Kampf bis zum Mord, ein Mensch ist nur biologischer Müll ... Wir kriegen euch alle!" Als Kummer häufiger rechte Lieder auf den Handys und MP3-Playern der beiden bemerkte, habe er den Kontakt abgebrochen, sagt er.

 

Das waren doch noch halbe Kinder

 

Niemand der Bürger in Rellingen wirkt am Tag nach dem Schock aufgeregt oder ängstlich. Es scheint, als wollten sie geschlossen demonstrieren: "Das stecken wir weg. Wir fürchten uns nicht". Die Wirtin in der Schankwirtschaft "Zum Rellinger Wappen", etwas die Hauptsraße hinauf, winkt lächelnd ab, als die Sprache auf die Anschläge kommt: "Das waren doch noch halbe Kinder, die habe ich oft auf dem Sportplatz gesehen." Die Sprecherin des Vereins "Treffpunkt Rellingen", ein Zusammenschluss von 50 Firmen und Veranstalterin des Apfelfestes, gibt sich unbeirrt: "Das Fest findet statt".

 

An den Rändern des mit roten Backsteinen ausgelegten Festplatzes "Arkaden-Hof" gibt es einige Geschäfte: Ein Fotogeschäft, ein Laden für Hörgeräte, eine Baufirma, ein Restaurant, ein Feinkostladen. Bernd Fiedler hat letzteren erst vor acht Wochen eröffnet; vom Apfelfest verspricht er sich "einiges für den Bekanntheitsgrad" seines Geschäfts, denn bisher liefen die Bürger in "einer der reichsten Gemeinden der Umgebung" noch mit Scheuklappen an seinen Auslagen vorbei. Die Arbeitslosenquote lag vergangenes Jahr mit 6,6 Prozent noch unter den Werten für Pinneberg, die Ausländerquote beträgt vier Prozent.

 

"Junge Menschen wollen Grenzen austesten"

 

Rot-gelbe Stoff-Äpfel baumeln hinter dem Glas von der Decke und künden von Vorfreude aufs Fest. Fiedler sagte, er fürchte zwar, dass aus Angst vor Anschlägen weniger Gäste kommen könnten, er selbst aber habe keine Angst "vor Aktionen". Den jungen Menschen gehe es in dem Alter doch nur darum, "Grenzen auszutesten", spielt er den geplanten Anschlag herunter. Auch die Betreiber der Baufirma nebenan, wirken wenig aufgeregt. "Es gibt inzwischen so viel Terror auf der Welt, warum nicht auch in Rellingen?" sagt Ursula Kunert. Dennoch wolle man sich nicht den Spass verderben lassen: "Man plant ein Jahr im Voraus, gibt viel Geld aus und freut sich auf die neuen Äpfel."