UNO im Baskenland

UNO im Baskenland

UNO sammelt Zeugenaussagen über verschwundene BaskInnen seit 1936

Mehr als 8.700 Personen sind in Gipuzkoa, Bizkaia und Araba seit dem Beginn des Spanischen Krieges zwangsweise verschwunden, darunter erst kurz zurückliegende Fälle wie der von Jon Anza im Jahr 2009. Die UNO-Arbeitsgruppe zum zwangsweisen Verschwinden von Personen nahm nun zum ersten Mal Zeugenaussagen der Opfer und Angehörigen dieser Verbrechen entgegen.

 

Im Rahmen eines einwöchigen Besuchs in verschiedenen Orten des Spanischen Staats wie Madrid, Katalonien oder Andalusien fanden entsprechende Treffen statt. Die UN-Gruppe erhielt Informationen von öffentlichen Einrichtungen wie der spanischen Regierung, von Menschenrechts-Vereinen und Opfern. Alle Fälle haben einen gemeinsamen Nenner: das Fehlen von Ermittlungen und die Straffreiheit der Verantwortlichen des Frankismus. Ein Phänomen, das in Euskal Herria bis in die heutige Zeit reicht, dies wurde beim Treffen mit 40 Vertreter/innen verschiedener Organisationen deutlich. Die Expert/innen werden einen Bericht für die Menschenrechtskommission der UNO erstellen.

 

Behinderungen seitens der spanischen Regierung zogen sich durch die gesamte Ermittlungs-Reise. VertreterInnen der von Mariano Rajoy geführten Regierung rechtfertigten die erfolgte Einstellung der Untersuchungen seit Regierungsantritt der PP mit einem “Mangel an Nachfrage“. Madrid argumentiert, es würden keine weiteren Massengräber geöffnet und keine finanzielle Unterstützung mehr gegeben (2012 und 1013 gab es keinen einzigen Zuschuss), weil es keine Angehörigen gäbe, die Anträge stellten. Eine Argumentation, die den von der Gruppe zusammengetragenen Zeugenaussagen aus der Zivilgesellschaft und der Opfer bzw. Angehörigen diametral entgegen steht.

 

Diese fehlende Bereitschaft Madrids wurde angesprochen bei den Treffen in der baskischen Hauptstadt Vitoria/Gasteiz, an denen das Mitglied derUNO-Gruppe Ariel Dulitzky teilnahm. Seine Teilnahme war insofern von großer Bedeutung, da für November eine Sitzung der UNO vorgesehen ist, die sich speziell mit Fällen von Zwangs-Verschwundenen befasst. Es ist offensichtlich, dass die spanische Regierung nicht bereit ist, sich auf eine Aufarbeitung der Geschichte einzulassen. Ihr erstes Argument bezieht sich auf Daten. Ihrer Meinung nach macht es keinen Sinn, dass die UNO (gegründet am 24.Oktober 1945) Fälle untersucht, die zeitlich vor ihrer Existenz liegen. Ein Argument, das die Mitglieder der Gruppe bislang akzeptiert hatten, das jedoch jetzt überdacht wird, wie sie mehrfach zum Ausdruck brachten. Eine zweite Stütze sieht Madrid im Amnestie-Gesetz von 1977. Ein Gesetz, das dazu dient, die Suche nach Toten zu verhindern, die Ereignisse unaufgeklärt zu lassen und die Verantwortlichen nicht zu belangen. Dabei darf nicht vergessen werden, dass die spanische Regierung erst im Jahr 2010 die internationale Konvention unterschrieb, die sie nun hintertreibt.

 

Institutionen und Opfer

 

Was die Treffen im Baskenland am deutlichsten von den in anderen Regionen des Staats unterschieden ist die Tatsache, dass es hier Fälle gibt, die bis in die Gegenwart reichen. Der Parlaments-Abgeordnete Julen Arzuaga von EH Bildu plädierte für eine erweiterte Interpretation des Konzepts des Verschwindenlassens, das auch Tausende von Fällen von Verhaftungen mit Kontaktsperre einschließt. Als Beispiel führte er den Fall von Gurutze Iantzi an, deren Tod in der Madrider Polizeiwache Tres Cantos sich kürzlich zum 20.Mal jährte. “Bis zum Zeitpunkt ihres Todes wussten weder Familie noch Anwälte, wo sie sich befand“, erinnerte er. Zuvor traf sich der UNO-Experte mit Vertreter/innen der Baskischen Regierung, sowie mit anderen Institutionen, z.B. mit dem Vorsitzenden des Obersten Baskischen Gerichtshofs und dem baskischen Friedensrichter Iñigo Lamarca.

 

Weiter traf sich Dulitzky mit Vertreter/innen verschiedener Organisationen wie Goldatu, Intxorta 1937, Lau Haizetara Gogoan, SOS Niños Robados, Euskal Memoria, Egiari Zor und Giza Eskubideen Behatokia. Unter den 40 Teilnehmer/innen befanden sich mehr als 20 Angehörige von Verschwundenen, aus der Zeit des faschistischen Aufstands von 1936, des nachfolgenden Krieges, Repression in der Zeit der Franco-Diktatur, bis in die heutige Zeit. Zentrales Thema war die Straffreiheit der faschistischen Verbrechen aufgrund des Amnestie-Gesetzes. Bis heute wurde nicht ein einziges Gerichtsverfahren in Fällen von Zwangs-Verschwundenen während der Diktatur eröffnet. Das einzige in der Nach-Franko-Zeit eröffnete Verfahren bezog sich auf Entführung und Tod der beiden Basken Lasa und Zabala, von der Polizei festgenommen, gefoltert, umgebracht und verscharrt. Der dafür verantwortliche Guardia-Civil-Oberst Enrique Galindo, zu mehr als 80 Jahren Haft verurteilt, kam nach weniger als 5 Jahren frei.

Aufgrund dieser Zeugenaussagen wird die Gruppe einen Bericht erstellen und der UNO-Menschenrechtskommission vorlegen.

 

Verschwundene in Euskal Herria

 

In umfassenden Analysen und Bestandsaufnahmen hat der baskische Historiker Iñaki Egaña zusammengefasst, wieviele Personen in den vergangenen 75 Jahren in Euskal Herria zwanghaft verschwunden sind. Dabei kam er auf die erschreckende Zahl von mehr als 12.000 Personen, auf beiden Seiten der Grenze. Hochrechnungen ohne Anspruch auf Exaktheit ermöglichen eine Annäherung an die Größenordnung der Tragödie. Zum Vergleich: in Euskal Herria verschwand eine/r von 250 EinwohnerInnen, in Chile von 580, in Argentinien von 1500.

 

In großem Abstand zu den Zahlen Kambodschas, wo zwischen 15 und 30% der Bevölkerung verschwand. In dieser Liste kommt Spanien (Katalonien eingeschlossen, Euskal Herria ausgeschlossen) auf 1 von 300 verschwundenen Personen. Das heißt, dass Euskal Herria nach Kambodscha in der unrühmlichen Rangliste von Zwangs-Verschwundenen relativ gesehen weltweit auf dem zweiten Rang steht.

 

Kriegszeit. Front und Zivilbevölkerung.

 

Die wissenschaftliche Organisation Aranzadi übergab der baskischen Regierung 2008 einen detaillierten Bericht über die in der heutigen baskischen Autonomie-Region zwischen 1936 und 1942 Verschwundenen. Dieser Bericht wurde von der baskischen Regierung bestätigt und anschließend dem Untersuchungs-Richter Garzón übergeben, der ihn der Gerichtsakte über den Frankismus beifügte (339/2006E). In diesem Bericht wurden Umstände, Herkunft, Namen, Nachnamen, Datum und Ort der gewaltsamen Entführung von 8.666 Frauen und Männern aus Araba, Bizkaia und Gipuzkoa aufgeführt.

 

In Navarra übergaben ihm die zu historischer Erinnerung arbeitenden Vereine verschiedene Listen mit 8.500 Namen, etliche davon wiederholten sich aufgrund  der Vielzahl der Quellen. Da das Verfahren gegen den Frankismus wegen fehlender juristischer Grundlage (erneut das Amnestie-Gesetz) zurückgewiesen wurde, kam es auch zu keiner weiteren Untersuchung.

 

Es ist eine belegte Tatsache, dass 3.100 Personen der Zivilbevölkerung Navarras hingerichtet wurden (ca. 1% der damaligen Bevölkerung). Heute erforscht ein Team der der navarrischen Universität UPNA unter Leitung von Emilio Majuelo mit institutioneller Unterstützung,die Massengräber Navarras, sowie die Fälle der Zwangs-Verschwundenen. Obwohl seit 1978 etliche Ausgrabungen stattfanden – einige Familien konnten die Reste ihrer Angehörigen sogar aus dem dem Franco-Mausoleum Valle de los Caidos in Madrid zurückholen – blieben die Identifizierungen dürftig.

 

Frankismus und Nazizeit

 

1956 verschwand Jesús Galíndez Suárez, Delegierter der Baskischen Exilregierung in New York, der einige Jahre zuvor bei den Vereinten Nationen einen Bericht über das Wirken des Frankismus vorgelegt hatte, als Teil eines Dokuments, dessen Motivation es war, die Aufnahme Spaniens in die Vereinten Nationen zu verhindern. Laut dem dominikanischen Richter Raúl Fontana Olivier, der den Fall eröffnete, wurden Galindez Überreste in einer Schlucht in der Dominikanischen Republik gefunden.

 

Die Vernichtung von Archiven und die frankistische Verleugnung bewirkte, dass Nachforschungen vereitelt wurden. Die baskische Exilregierung, seit 1945mit Sitz in Paris, führte die Suchaktionen durch. Martín San Vicente, in Toulouse lebend und früherer Vertreter der Organisation der Exilanten innerhalb baskischen Regierung, schaltete im November 1961 eine Anzeige in der Presse, in der er nach seiner Frau Hermenegilda Giménez und seinen drei Töchtern Aurora, Ángeles und Carmen suchte, die zu Beginn der Nazibesetzung im Juni 1940 in Frankreich verschwunden waren.

 

Insgesamt verschwanden 125 baskische Jüdinnen und Juden in den Vernichtungslagern der Nazis. Der erste war der 21 jährige Joseph Mizhari aus Biarritz. Er wurde nach seiner Festnahme im Juni 1942 nach Auschwitz gebracht. 1944 war das Jahr mit den meisten Verschwundenen. Im Juni jenen Jahres wurden 20 Einwohner/innen der Küstenregion Lapurdi (französisches Baskenland) in Vernichtungslager verschleppt, unter ihnen die Bürgermeister Joseph Abeberry (Ziburu) und Léon Lannepouquet (Hendaia). Die Festgenommenen wurden als vermisst registriert, Abeberry in Mauthausen und Lannepouquet in Dachau. Im August erlitten 23 EinwohnerInnen von Sohüta dasselbe Schicksal, unter ihnen der Bürgermeister Bernard Casenave.

 

Mindestens 100 Bask/innen der Provinzen Gipuzkoa, Araba, Navarra und Bizkaia wurden in Dachau, Gusen, Mauthausen, Melk und Steyr ermordet. Dem Historiker und Präsidenten der Vereinigung französischer Flüchtlinge Jean Cruzet aus Biarritz zufolge wurden 4.000 unter der nazionalsozialistischen Besatzung geflüchtete Personen in den baskischen Pyrenäen Frankreichs verhaftet und unmittelbar in die Vernichtungslager deportiert. Sie stammten alle aus Europa. Die Mehrheit wurde als “zwangsweise Verschwundene“ erfasst.

 

Transición (nach-frankistische Übergangszeit 1975 bis 1979) und danach

 

Insgesamt “verschwanden“ vier Basken: Eduardo Moreno, Popo Larre, José Miguel Etxeberria und Tomás Hernández. Im ersten Fall weist die Gerichtsakte des Spanischen Sondergerichts Audiencia Nacional (120/2008) daraufhin, dass seine Leiche, laut Aussage des italienischen Neofaschisten Angelo Izzo, auf einem Landgut in der Nähe Barcelonas vergraben wurde.

Popo Larre, Mitglied der militanten französisch-baskischen Gruppe Iparretarrak, verschwand im August 1983. Die Organisation hält an der Vermutung fest, dass seine Leiche im Grab von Pascal Dumont liegt, dessen Leiche fünf Tage später in der Nähe des Orts des Verschwindens von Larre gefunden wurde. In der Tat brachte die Familie Dumont am Grab eine Tafel an, auf der zu lesen ist: “Hier liegt ein Unbekannter, was uns von der Gendarmerie, der Polizei, der Justiz und der Ärztevereinigung aufgezwungen wurde“.

 

José Miguel Etxeberria Álvarez verschwand im Juni 1980. Allem Anschein nach wurde er von dem Söldner Chérid (OAS, BVE, GAL) mit Hilfe von Mikel Cabezas entführt. Beide starben später bei der Explosion einer Autobombe, beim Attentats-Versuch unter Heroineinfluss gegen baskische Flüchtlinge. Vermutlich wurde Etxeberria irgendwo in Navarra vergraben.

 

Tomás Hernández verschwand im Mai 1979. Laut Veröffentlichung der Tageszeitung El País und der Wochenzeitung Enbata wurde Hernández Zeuge des Mordes am baskischen Flüchtling Peru Larrañaga, erschossen von einem ehemaligen Polizisten. Seit Ende des Bürgerkriegs hatte der aus Zaragoza stammende Hernández als Flüchtling in Hendaia (frz: Hendaye)gelebt.

 

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