Im Mai kommenden Jahres soll in der BRD ein Gesetz zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Regelung der vertraulichen Geburt in Kraft treten. Ziel des Gesetzes soll sein, das Anonymitätsinteresse der Schwangeren zu wahren, aber auch dem Kind Kenntnis zu ermöglichen, wer seine Mutter ist. Auskunft darüber, wer der Vater ist, garantiert das Gesetz nicht. Kaum beachtet von der Öffentlichkeit, passierte das Gesetz am 7. Juni den Bundestag, der Bundesrat hat gestern zugestimmt.
Laut Gesetzentwurf entbindet die Schwangere bei einer vertraulichen Geburt unter einem Pseudonym. Sie sucht ebenfalls einen oder mehrere weibliche oder männliche Vornamen für das Neugeborene aus. Es wird in einer Beratungsstelle ein sogenannter Herkunftsnachweis für das Kind erstellt, der den Vornamen und den Familiennamen der Schwangeren, ihr Geburtsdatum und ihre Anschrift enthält. Die zuvor überprüften Angaben werden in einem verschlossenen Umschlag aufbewahrt, dieser mit dem Pseudonym der Mutter beschriftet. Auf diesem Umschlag sind ebenfalls der Geburtsort und das Geburtsdatum des Kindes, der Name und Ort der Entbindungseinrichtung und die Anschrift der Beratungsstelle vermerkt.
Die jeweilige Beratungsstelle meldet die Schwangere unter deren Pseudonym in einer Geburtshilfe-Einrichtung ihrer Wahl zur Entbindung an. Die Angaben werden dem Jugendamt gemeldet. Ist das Kind geboren, teilt die Klinik dies der Beratungsstelle mit. Das Standesamt gibt den beurkundeten Namen des Kindes zusammen mit dem Pseudonym der Mutter an. Auch die Kontaktaufnahme der Mutter zum Kind erfolgt über die Beratungsstelle. Bei Weitervermittlung des Kindes wird an die Adoptionsvermittlungsstelle weitergeleitet oder an das Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben. Dort wird der verschlossene Umschlag verwahrt und der Name des Kindes ergänzt. Sämtliche Kosten für medizinische Versorgung und Bürokratie übernimmt der Bund. Das Gesetz sieht außerdem die Einrichtung eines bundesweiten Notrufs vor, der rund um die Uhr eine geeignete Beratungsstelle vermittelt.
Nach dem neuen § 31 des Schwangerschaftskonfliktgesetz es hat das vertraulich geborene Kind mit Vollendung des 16. Lebensjahres das Recht auf Einsicht in den Herkunftsnachweis. Datensicherung und Einsichtsrecht kennzeichnen den Unterschied der vertraulichen zur anonymen Geburt. Bei einer anonymen Geburt werden keine Daten der Schwangeren erhoben oder aufbewahrt. Eine entsprechende Regelung in Frankreich sieht vor, dass die Schwangere ihren Ausweis in einem verschlossenen Umschlag zur Verwahrung dem Klinikpersonal übergibt. Lediglich im Todesfall wird der Umschlag zur Identitätsfeststellung geöffnet, ansonsten erhält die Frau ihn ungeöffnet zurück. Nach französischem Zivilrecht haben Frauen das Recht auf Wahrung ihrer Anonymität. Der Staat kommt für die Kosten der Entbindung auf. Anonyme Geburten sind in Frankreich seit 1793 gesetzlich geregelt.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg bestätigte in einem Urteil vom 13. Februar 2003 das Recht auf eine anonyme Geburt. Anonym geborene Kinder haben demnach auch in Zukunft keinen Anspruch darauf, die Identität ihrer Eltern zu erfahren. Nach Auffassung des Gerichtshofs enthält der in Artikel 8 der Menschenrechtskonvention behandelte Schutz der Familie und der persönlichen Identität im vorliegenden Fall schwer miteinander vereinbare Rechte: Das Recht der anonym Geborenen auf Information über ihre Herkunft und das der Mutter sowie der Adoptiveltern auf Schutz des Privatlebens. Jeder Staat müsse den Entscheidungsspielraum haben, wie er diese Rechte per Gesetz sichere. Nach Rechtsauffassung in Österreich sind anonyme Geburten eine der notwendigen Maßnahmen, um Artikel 6 der Kinderrechtskonvention umzusetzen. Dort heißt es, "jedes Kind hat ein Recht zu leben, ferner ist jeder Staat verpflichtet, alles in seiner Macht stehende zu tun, um das Überleben und die Entwicklung jedes Kindes zu ermöglichen." Im Artikel 7 werden Ausnahmesituationen eingeräumt, in welcher Frauen nicht in der Lage sind, ihr Kind anzunehmen.
Im deutschen Gesetzentwurf heißt es, es werde auf eine sensible Abwägung der Rechtsgüter geachtet, um den Interessen von leiblicher Mutter, Kind, leiblichem Vater und bei einer Adoption auch der Annehmenden Rechnung zu tragen. Die Daten des leiblichen Vaters werden aber weder erhoben, noch aufbewahrt. Einen Anspruch auf Auskunft über seinen Vater hat das Kind gegenüber der Mutter. Das Gesetz geht davon aus, dass eine Schwangere die vertrauliche Geburt nur dann in Anspruch nimmt, wenn und solange sie davon ausgeht, dass ihre Schwangerschaft anderen Personen nicht bekannt ist.
Nach konservativem Familienverständnis wird der Kenntnis der eigenen Abstammung ein erheblicher Einfluss auf die gesunde Identitätsentwicklung eingeräumt. Der Frage zur Bedeutung der Kenntnis der biologischen Abstammung geht ein umstrittenes Identitätskonzept voran. Postmoderne Identitätstheorien vertreten den Ansatz, dass Menschen ihre Identität über Wertorientierungen und willentliche Bindungen definieren. So behauptet die Soziologin Yvonne Schütze in ihrem Aufsatz über die "Ideologisierung der biologischen Elternschaft", dass weder die genetische Herkunft noch die Kenntnis darüber Voraussetzung für die Identitätsentwicklung sind. Identität bilde sich folglich nicht ausschließlich über das Subjekt selbst, sondern nur im ständigen Wechselspiel mit der Umwelt.
Die französische Kinderpsychiaterin und Psychoanalytikerin Dr. Catherine Bonnet versteht die bewusste Entscheidung einiger Frauen, dem Kind lediglich das Leben zu geben und es einer Adoptivfamilie anzuvertrauen, als einzigartigen Akt der Liebe. Sie appelliert in ihren Ausführungen unter dem Titel "Die Unmöglichkeit der Mutterrolle und anonyme Geburt", aus dem Jahr 1999 :"Unsere Gesellschaft muss die Tatsache zur Kenntnis nehmen, dass es auch heute noch Frauen gibt, welche ihr Kind bei der Geburt nicht annehmen und lieben können. Und die anonyme Geburt ist ihre Art die Sorge und Liebe auszudrücken." Der Grund, warum manche Frauen in dieser Situation die Anonymität wählen, könne auch darin gesehen werden, dem Kind mögliche Leiden zu ersparen, falls es plötzlich mit der Realität konfrontiert würde. In der Fixierung auf die leibliche Abstammung als Basis der Elternliebe erkennt sie eine Geringschätzung der Adoptiveltern und beklagt einen "Machtmissbrauch der Gene".
Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) nannte die Verabschiedung des Gesetzes in einer Pressemitteilung vom 7. Juni ein „Zeichen der Geschlossenheit für die Schutzbedürftigen in unserem Land“. Die vertrauliche Geburt soll eine Alternative zur umstrittenen Babyklappe bieten. Kinder, die dort abgelegt werden, haben nämlich keinerlei Chance, später etwas über ihre Herkunft zu erfahren. Babyklappen bleiben dennoch erlaubt. Nach Schröders Verständnis helfe das Gesetz, die Aussetzung von Neugeborenen oder deren Tötung zu verhindern. Auch diese Annahme ist nicht unumstritten. Laut einer Studie der Uni Bonn aus dem Jahr 2011 zum Thema "Die Tötung von Kindern durch die eigenen Eltern" folgen entsprechende Taten einer bestimmten Psychodynamik und einem komplexen Zusammenspiel aus Umweltfaktoren. In diesem Ausnahmezustand werden Beratungsangebote weder gesucht noch angenommen.
Eindeutig ist jedoch die politische Wirkung: Mit dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung, wird argumentiert, um "Herkunftsnachweise" zu sichern. Dass dieses Gesetz dazu führen wird, dass Schwangere, die keine Mutter werden wollen, freiwillig ihre - und nur ihre- Daten preis geben, um dann ihre Identität feststellen zu lassen und sich dem Kind Jahre später als bislang verschollener Erbgutcontainer unter vorgehaltenem Zeigefinger zu ihrer Entscheidung befragt zu werden, darf bezweifelt werden. Eine historische Kontiniutät, die ein Recht auf Anonymität, wie auch eine Abwägung widerstreitender Interessen zu Gunsten der entmündigten Frauen ausschließen, und die Ignoranz der deutschen Linken gegen diese äußerst bedenklichen Entwicklungen, skizzieren den deutschen "Sonderweg" in der europäischen Staatengemeinschaft recht genau. Der Umstand, dass es in Nachbarländern anders geregelt wird, Menschen- und Kinderrechte anders interpretiert werden, ist auch kaum Teil der Diskussion. Die Freude darüber, dass auch ungewollte Kinder nun erfahren können, welcher Frau sie Vorwürfe machen dürfen, überwiegt eindeutig. Vorausetzung dabei ist aber, dass schwangere Frauen so naiv und bürokratiegeil sind, ihre Daten zur späteren Weitergabe sicher zu lassen, weil sie so wild darauf sind, Kinder, die sich nicht wollen, später kennen zu lernen.
Quellen
http://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2013/03/2013-03-13-vertrauliche-geburt.html
http://www.dw.de/vertrauliche-geburt-f%C3%BCr-schwangere-in-notlagen/a-16867586
http://www.aerzteblatt.de/nachrichten/54713/Alternative-zur-Babyklappe-Gruenes-Licht-fuer-vertrauliche-Geburt
http://www.t-online.de/eltern/schwangerschaft/id_63760196/bundestag-beschliesst-gesetz-zu-vertraulichen-geburten.html
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/128/1712814.pdf
http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/130/1713062.pdf
http://anonymegeburt.at/Bonnet2.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Anonyme_Geburt#Das_Recht_auf_Anonymit.C3.A4t
http://de.wikipedia.org/wiki/Anonyme_Geburt#Rechtslage_in_Europa
http://de.wikipedia.org/wiki/Anonyme_Geburt#Identit.C3.A4tstheorie_vs._biologische_Abstammung
http://www.bundesrat.de/DE/presse/pm/2013/098-2013.html
http://www.moz.de/nachrichten/deutschland/artikel-ansicht/dg/0/1/1171146/
Schon über 200 Jahre?
Das erscheint mir reichlich früh. Gibt es dafür eine Quelle außer Wikipedia?
Quelle
http://www.frankreich-sued.de/generale-server/soziales/anonyme-geburt.htm
Anzumerken ist dabei, dass die Regelung in Frankreich auf Wahrung der Anonymität einem "Nachforschungsvebot" galt, das dafür sorgen sollte, wohlhabende Väter vor Erbschaftsansprüchen unehelich geborener Kinder zu schützen. Von einem Recht der Frauen auf Anonymität ist dabei vor 1993 nicht auszugehen. Allerdings ist dieses Recht auf Anonymität in Frankreich heute Realität, in einem Verständnis der Frauen als Rechtssubjekte. In Frankreich stehen Eltern, Väter wie Mütter vor der Entcheidung, ob sie die Elternschaft antreten möchten oder nicht.
Die konkrete Entwicklung in Frankreich ist hieraus zu ersehen: http://anonymegeburt.at/HistAnonF.html
Danke
Das ist sehr interessant.
welches recht ?
hier wird - einer CDU-CSURegierung gemäss - das recht des kindes über das recht der mutter gestellt,die die schwangerschaft trotzdem nicht abgebrochen hat. solche gesetze mögen einem familienbild der regierung entsprechen, treiben aber frauen eher dazu, dann doch die schwangerschaft zu unterbrechen ....
Korrekt
Dieses Gesetz wird dem Anspruch Leben zu retten, nicht gerecht. Aber auch die Begründung, dem Recht der Kinder auf Kenntnis der Abstammung, Geltung zu verschaffen, wird nicht funktionieren, da es ohnehin nur gegen Frauen wirkt, die sich bereit erklären, vertraulich zu entbinden. Vor diesem Hintergrund ist es besonder fatal, dass es bei all dem Unsinn trotzdem umgesetzt wird und die Rechtsverletzung ggü. Frauen überhaupt nicht mehr rational begründet werden kann.