Für den 4. April 2009 rufen Neonazis erneut dazu auf, in Stolberg aufzumarschieren. „Sicher leben – ohne Multikulti“ soll das diesjährige Motto heißen, das die rassistische Instrumentalisierung der tödliche Auseinandersetzung letzten Jahres, auf den Punkt bringt. Als bundesweiter Gedenkmarsch deklariert, werden hunderte Neonazis, „freie und parteigebundene Kräfte“ & NPD geeint, durch das migrantische Viertel “Mühle” marschieren, um dort ihre rassistischen Phantasien auszuleben.
[Stolberg] Nazis erwarten 1000 TeilnehmerInnen
Alle Jahre wieder?
Im April 2009 jährt sich eine tödliche Auseinandersetzung, die in
Stolberg stattfand. Sie wird und wurde von Neonazis zum Anlass genommen
ein bundes- wenn nicht europaweites Großereignis der extremen Rechten
zu etablieren. Erneut planen dieses Jahr hunderte Neonazis einen
Aufmarsch in Stolberg/Rhld. Das Ereignis und das, was Neonazis daraus
machen, wirkt sich weit über die Region hinaus auf neofaschistische
Strukturen aus.
Was steht an?
Am 4.4. 2009 rufen Neonazis erneut dazu auf, in Stolberg
aufzumarschieren. „Sicher leben – ohne Multikulti“ soll das diesjährige
Motto heißen, das die rassistische Instrumentalisierung der Tötung auf
den Punkt bringt. Als Gedenkmarsch deklariert, werden hunderte
Neonazis, „freie und parteigebundene Kräfte“ geeint, durch das
migrantische Viertel marschieren, um dort ihre rassistischen Phantasien
denen entgegenzuschleudern, die ihre menschenverachtende Gewalt
fokussiert. Wenn wir das nicht – alle zusammen – verhindern.
Verhindern? Verhindern!
Zusammen verhindern heißt für uns die Vernetzung mit Anwohner_innen aus
dem Viertel, in dem der Aufmarsch stattfinden soll, heißt für uns die
Verschiedenheit der Widerstandsformen als Wert zu begreifen und daraus
folgend, den Nazis möglichst vielfältige Aktionsformen
entgegenzusetzen. Gerade im migrantischen Viertel gab es im letzten
Jahr massive Gegenwehr gegen die Aufmärsche. Daran wollen wir
anschließen.
Nun könnten wir uns damit retten, zu sagen: Das ist doch nur ein
kleines Dorf im Nirgendwo. Das Ereignis, was dort aber konstruiert
wird, wirkt erstarkend auf die gesamte Neonaziszene. Eine sich
einstellende Routine, ein Großereignis für die extreme Rechte, müssen
wir, müssen Antifaschist_innen aufbrechen, bevor es sich etabliert,
bevor es zu einem festen Datum in einem jeden Nazikalender wird, bevor
der Mythos sich durchgesetzt hat.
Was war.
Im rheinländischen Stolberg bei Aachen kam es am Abend des 4. April
2008 zu einer tödlichen Auseinandersetzung zwischen zwei Gruppen. Kevin
P., der mit mindestens einem Neonazis unterwegs war wurde im Zuge
dieser Streitigkeiten erstochen.
Bereits Stunden nach dem Vorfall diskutierten Neonazis in ihren Foren
das Ereignis. Schnell stand fest, dass weit über die Region hinaus die
extreme Rechte den Tod des Jungen für sich zu vereinnahmen suchte.
Genauso wie Kevin P. zu einem Märtyrer und Neonazi stilisiert wurde,
konstruierte die NS-Szene den für die Tat verhafteten Staatenlosen als
„Ausländer“.
Infolge dieses Ereignisses fanden im April 2008 in rascher Folge zwei
Aufmärsche der extremen Rechten im nordrheinwestfälischen Stolberg bei
Aachen statt. Am 12.4.2008 beteiligten sich spektrums- und
länderübergreifend 800 Neonazis an einem von Christian Worch
mitorganisierten Aufmarsch. Parallel dazu fanden in mehreren Städten
spontane Manifestationen der extremen Rechten statt. Auch während des
Stolberger Aufmarsches, aber auch am Tag nach dem tödlichen Konflikt,
wurden massive Drohungen gegen Migrant_innen transportiert. Zwei Wochen
später marschierten erneut 450 Neonazis auf – diesmal aus dem
NPD-Spektrum.
An beiden Demonstrationen beteiligten sich neben der gesammelten
deutschen ‚Naziprominenz’ Neofaschist_innen aus dem europäischen
Ausland. Nach den Aufmärschen tönte Worch: „Die letzten drei Wochen
waren geprägt von Aktionen oder parlamentarischen Engagement wie es die
Region in dieser Art und Weise von nationaler Seite noch nicht erlebt
haben dürfte – dies sollte aber erst der Anfang sein!“ und kündigte an:
„Wir werden jedes Jahr für Kevin auf die Straße gehen!“. Inzwischen hat
die örtliche NPD unter Ingo Haller bis 2018 jährliche Demonstrationen
angemeldet.
In Stolberg, einem Ort, der für Szenekenner_innen kein unbeschriebenes
Blatt sein dürfte. Rund 25 Jahre – bis 1991- befand sich in Stolberg
der Sitz der inzwischen verbotenen neonazistischen Wiking-Jugend.
Wolfgang Nahrath und später sein Sohn Wolfram betrieben von ihrem
Privathaus in Stolberg-Büsbach aus die Bundeszentrale dieser
Organisation. Zudem hat die NPD in Stolberg gleich zwei Ratsmandate
inne, die DVU ein weiteres. Die passende Stadt zum Ereignis – so
scheint es.
„Im Gedächtnis halten“
Auch in der Folgezeit verschwand Stolberg nicht aus den Debatten der
NS-Szene. Ob in Presseorganen der Parteigebundenen oder „Freien“, ein
Großteil der extremen Rechten strickte fleißig und ausdauernd an der
Mythenbildung. „Der Mord von Stolberg“ wurde nicht nur in der
„Deutschen Stimme“ zum Slogan für die Ereignisse.
Zum Urteil im Prozess um die tödliche Auseinandersetzung entstand eine
erneute Diskussion. Nazis debattierten das Gerichtsurteil vom Oktober
2008, das 6 Jahre Haft für den Beschuldigten vorsah. Zuvor kündigte
Christian Worch an, in dem Falle eines „zu milden“ Urteils, werde er in
Aachen vor dem Amtsgericht aufmarschieren lassen. Anscheinend im
Gegensatz zu Worch fanden die User_innen von Altermedia das Urteil
tatsächlich zu milde und diskutieren frei heraus Todesstrafe und
Selbstjustiz.
Die Debatten, ob der Getötete nun einer der Ihren war, ein
„Nationalist“ oder eben ‚nur’ ein „junger Deutscher“ zogen sich durch
das gesamte Jahr. In jedem Fall, so die NS-Szene sei aber deutlich,
dass die Ereignisse in Stolberg ein prima Beweis für
„Ausländerkriminalität“ seien, ein Beweis, der das Selbstbild der
extremen Rechten als Opfer bestärken soll.
Bei einem weiteren Großereignis der (nord)europäischen Rechten, beim Salemmarsch 2008 rief der Neonazi Patrick Müller die Tötung des jungen Mannes in Stolberg in Erinnerung.
Parallelen zu Salem
In Salem, einem Vorort Stockholms, wurde im Jahr 2000 ein junger
Neonazi in einer Auseinandersetzung mit Migrant_innen umgebracht. Auch
dort wurde der Tote umgehend zum Märtyrer stilisiert. Seitdem findet in
Salem jedes Jahr einer der größten NS-Aufmärsche Nordeuropas statt. An
diese ‚Tradition’ schien man in Sachen Stolberg anknüpfen zu wollen.
Einer der prominentesten deutschen Teilnehmer des Aufmarsches im
schwedischen Salem ist Christian Worch, der offensichtlich ein Faible
für Märtyrer hat. Er fragte – nicht als einziger – bereits am 27.4.2008
im Bezug auf Stolberg rhetorisch: „Wird Stolberg das ‚deutsche Salem’?“
In der Rede Müllers in Salem 2008 wurden beide Ereignisse, Salem wie
Stolberg in Bezug zueinander gesetzt und für rassistische Implikationen
genutzt. Phantasiert wird von einer permanenten Gewalt ausgehend von
Migrant_innen gegen „Nationalisten“. Explizit geht Müller auf Stolberg
ein, schreibt dem getöteten Kevin P. zu, er habe sterben müssen „weil
er sich zu Deutschland und seinem Volk bekannte“. Müllers Schlussworte
haben angesichts der andauernden rassistischen und faschistischen
Gewalt einen besonders fahlen Beigeschmack: „Verliert nicht das Ziel
aus den Augen! Bewahrt unsere Völker vor dem Volkstod. Wenn ihr etwas
an der Situation verändern wollt, dann macht das radikal und politisch!“
Was damit gemeint sein könnte, zeigen die Geschehnisse im Vorfeld des diesjährigen Salemmarsches. So häuften sich in Stockholm in unmittelbarer zeitlicher Nähe zu dem Aufmarsch in Salem Mordversuche von Neonazis gegen AntifaschistInnen. Politischer Mord gehört seit jeher zum Repertoire faschistischer Ideologie, ebenso wie zynischer Vernichtungswahn. So feierten deutsche Neonazis die Anschläge in Schweden, bedauerten allerdings, dass dabei keine Menschen zu Tode kamen.
Heldengedenken, Märtyrerkult und Mytenbildung
Wohin das Zusammenspiel aus Opferkult, Märtyrertum und Heldenmythos führt, zeigen uns solche Geschehnisse mehr als deutlich.
Es geht der extremen Rechten bei Veranstaltungen wie in Salem und
Stolberg um den Beweis und die Bestärkung der Disziplin, um die
Einschüchterung vermeintlicher Gegner_innen und um die Erinnerung an
die Pflicht gegenüber der Kameradschaft. Zudem soll der Opferkult der
extremen Rechten durch alljährliche Rituale zum Gedenken der Märtyrer
aufrechterhalten werden.
Die Neonazi-Szene versucht in Stolberg ein symbolisches Datum, ein
Großereignis zu etablieren, mit dem bundesweit ein Aufmarschanlass
geschaffen und zudem eine teils taktisch zerstrittene Szene geeint
werden soll. Und so setzt sich in Neonazikreisen eine Konstruktion der
Ereignisse durch, die auf Opfermythos, Märtyrerkult und rassistische
Implikationen setzt. Es wird ein Bild gezeichnet, nachdem die Tat nur
ein weiteres Beispiel für eine ständige Verfolgung „der Deutschen“, der
Nationalist_innen durch Migrant_innen, durch Linke und durch eine
breite Öffentlichkeit sei, gegen die sie sich gemeinsam, entschlossen
und gewaltsam zur Wehr setzten müssten.
Dass diese Ereignisse so viel Aufmerksamkeit in der Neonazi-Szene
erreichen konnten, hat nicht zuletzt mit der Funktion des
Märtyrergedankens zu tun. Funktion des ritualisierten Gedenkens ist die
Schaffung eines gemeinsamen Selbstbildes, eines kollektiven „Wir“ der
TeilnehmerInnen. Durch Erinnerungskult kann so eine idealisierte Form
des Handelns transportiert werden: Belebt wird das männliche Bild des
Kämpfers, des Standhaften, des Opferbereiten, des Unbeugbaren. Der
Märtyrer-Mythos verlangt nach einer Stilisierung des geopferten
„Helden“.
Der historische Opferdiskurs der extremen Rechten wird immer wieder
angestrengt. Sei es in Dresden oder Wunsiedel, wo sich Rechte als Opfer
der Alliierten generieren, sei es in dem Themenfeld der
Meinungsfreiheit, in dem sich ausgerechnet Neonazis als Träger_innen
eingeschränkter Rechte und Betroffene staatlicher Repression wahrnehmen
oder sei es im Bereich Migrationspolitik, in dem ‚Deutsche’ der
extremen Rechten als Opfer demographischer Entwicklungen oder durch
überall als präsent imaginierte Gewalt gelten. ‚Opfer-sein’ ist bei
extrem Rechten nicht zuletzt deshalb so beliebt, weil aus einer
unterdrückten Position heraus der verzweifelt heroische Kampf mit allen
Mitteln gegen die vermeintlichen Unterdrücker legitimiert werden kann.
Die Mythologisierung der Ereignisse in Stolberg bietet einen
Anschlusspunkt für rassistische Opferdiskurse und bedient so eines der
wichtigsten Kampffelder der Rechten. Es geht bei der Konstruktion eines
Märtyrers eben nicht um die konkrete Person, sondern um die Funktion,
die ihr Tod einnehmen kann.
Effekte
Ein solches – bundesweit diskutiertes – Ereignis wie in Stolberg, wirkt
auf die Szene zurück. So feierten die „Autonomen Nationalisten“
bundesweit den ersten Stolberger Aufmarsch als den ersten großen
militant agierenden „Schwarzen Block“ – noch vor dem ersten Mai in
Hamburg. „Freie Kameradschaften“ und NPD zeigten eine selten so offen
zur Schau gestellte Einigkeit. Diese drückt sich auch darin aus, dass
dieses Jahr – im Gegensatz zum letzten – ein gemeinsamer
Aufmarsch-Termin angesetzt wurde. Der gemeinsame Wunsch nach dem
Opfer-Sein scheint zu einen. Auch in Aachen zeigt Stolberg Effekte:
Die Aachener Neonaziszene hat sich spätestens seit 2008 mobilisiert.
Die Strategie Aachener Nazis, den proklamierten „Kampf um die Straße“
zu forcieren, ist wohl am ehesten als logische Konsequenz des neu
gewonnenen Wir-Gefühls deutbar. Es ist ein verstärktes Bemühen der
Aachener Neonazi-Szene zu beobachten, in die Öffentlichkeit zu treten,
die Straßen als ihre zu proklamieren und gewalttätig gegen ihre
Gegner_innen vorzugehen. Nahezu jedes Wochenende kommt es in der
Aachener Innenstadt zu Übergriffen durch „Autonome Nationalisten“. Erst
kürzlich stellte zudem die Kameradschaft Aachener Land Formulare
online, auf denen Antifaschist_innen mit Namen und Fotos zu melden sind.
Allein im letzten Jahr fanden in Aachen und Umland sechs Aufmärsche der extremen Rechten statt.
Kommt nach Stolberg, kommt in das Mühlener Viertel und verhindert mit uns, dass Nazis dort marschieren!
Naziaufmarsch verhindern!
Die Mühle bleibt Nazifrei!
Deconstruct the Myth of Stolberg!
AK Antifa Aachen
Antifa AK Cologne
Fa-Dilemma
Aber am 4.4. ist doch schon der NATO-Gipfel, wo sollen wir denn nun hingehen? Straßburg, Baden-Baden oder Stolberg?
Mehr Infos
hier:
www.no-nazis.net