Am 6. Oktober marschierten rund 150 Faschisten aus ganz Süddeutschland durch Göppingen. Begleitet wurden sie von einem Aufgebot von 2000 PolizistInnen, welches willens schien den Aufmarsch mit allen Mitteln durchzusetzen und dabei selbst vor schwersten Verletzungen nicht zurückschreckte.
Bereits bei der Ankunft der antifaschistischen Zugfahrt aus Stuttgart gingen einzelne Polizeibeamte DemonstrantInnen massiv an. DemonstrantInnen wurden die Bahnhofstreppe hinunter gestoßen, permanent getreten, sowie mit Pfefferspray attackiert.
Ein Beamter kletterte extra auf ein Hamburger Gitter, um junge AntifaschistInnen mit der Faust zu traktieren. Dieses offensive Auftreten führte dazu, dass es keine halbe Stunde dauerte bis der erste Demonstrant die Fahrt ins Krankenhaus antreten durfte. Ein Polizist hatte seinen Schlagstock rechtswidrig gegen Köpfe eingesetzt.
Dieses aggressive Vorgehen der Polizei setzte sich nach dem Verlassen des Polizeikessels am Bahnhof weiter fort und bildete die Grundlage des gesamten Polizeieinsatzes an diesem Tag.
Beispielsweise erlebten wir, wie PolizistInnen Pfefferspray in fliehende Menschenmengen sprühten, wie Jung und Alt Schlagstöcke abbekamen, wie PolizistInnen friedlichen Blockierern nachsetzten, um sie mit dem Schlagstock zu erwischen und wie sie mit Pferden Jagd auf DemonstrantInnen machten und versuchten diese zu überreiten. Selbst vor einem Pfeffersprayeinsatz gegen Unbeteiligte, Pressevertreter und Sanitäter machten sie nicht halt.
Der traurige Höhepunkt ereignete sich allerdings bereits bei der Ankunft der Stuttgarter Zugfahrt, als die Polizei versuchte die ankommenden DemonstrantInnen am Aussteigen zu hindern.
In Folge dessen kam es zu einer Rangelei auf dem Bahnsteig, wobei ein Zug direkt vorbei raste, während mehrere DemonstrantInnen, sowie PolizistInnen sich unmittelbar im Einzugsbereich des Zuges befanden.
Man kann nur von Glück sprechen, dass in dieser unübersichtlichen Lage kein Mensch von dem Zug erfasst wurde. Die Einsatzleitung riskierte hier ohne Zweifel das Leben mehrerer Menschen.
Dieses Verhalten nun damit zu rechtfertigen, dass es sich um „Krawalltouristen“ (Zitat: WKZ) gehandelt habe, lässt einen nur fragen, seit wann man wieder über lebenswertes Leben urteilt.
Dass die Polizei an diesem Tag in den Bahnverkehr eingriff, obige Situation jedoch nicht verhinderte, macht diese Sache nur noch pikanter. Interessanter Weise wurde das erste Gleis des Göppinger Bahnhofes mit einem Güterzug belegt, sodass die Polizei bei der anschließenden Kesselung von rund 150 Demonstranten einen natürlichen Wall hatte. Die Tatsache, dass gegen diese willkürlichen Polizeikessel momentan prozessiert wird und sie nach dem Urteil über den 2009 stattgefundenen Ulmer Kessel rechtlich mehr als fragwürdig sind, schien hierbei nicht zu stören.
Statt den Gegendemonstranten eine ungefährdete Anreise zu ermöglichen, setzte man darauf, die Demonstranten pauschal zu kriminalisieren.
Um diesem Anliegen gerecht zu werden, wurden die DemonstrantInnen aus dem Bahnhofskessel erst nach der Durchsuchungen jedes Einzelnen in die Stadt gelassen. Interessant war jedoch, dass man keinesfalls etwas Verbotenes mit sich führen musste, um auf die Wache gebracht zu werden. Stattdessen wurde zwischen den DemonstrantInnen aussortiert und unbegründet, willkürlich an die 70 DemonstrantInnen festgenommen. Ursprünglich sollte die gesamte Zugfahrt in Gewahrsam genommen werden, was lediglich an Kapazitätsproblemen scheiterte.
Zugleich versuchte die Polizei mit Hilfe eigener hoher Verletztenzahlen dieses Verhalten zu rechtfertigen, obwohl die „harten“ Auseinandersetzungen erst nach dieser Verhaftungswelle stattfanden.
Diese Punkte und zum Beispiel auch die Ingewahrsamnahme einer ganzen Gruppe der Grünen Jugend, zeigen deutlich den Charakter des Anliegens auf. Es ging nie um Vorbeugung gegen rechtswidrige Aktionen oder deren Verfolgung, sondern darum, antifaschistischen Protest einzuschüchtern, zu kriminalisieren und zu spalten.
Dieses behördliche Vorgehen bekommt einen umso bittereren Beigeschmack, wenn man ansieht, wie die Polizei die Nazis in Göppingen hofierte. Neben dem knapp zwei Stunden verspäteten Beginn ermöglichte man ihnen zusätzlich nach Auflösung der Demonstration diese zu Ende zu führen und eine Abschlusskundgebung zu halten. Wäre der polizeiliche Wille da gewesen, hätte man die faschistische Veranstaltung ohne rechtliche Probleme beenden können.
Die Polizei inszenierte sich jedoch lieber als Schutzmacht und kam den Wünschen der Rechten nach. Die Berichte über die menschenfeindlichen antisemitischen Parolen, sowie über Flaschenangriffe auf Journalisten verstärken diesen Eindruck. Hier hören wir bisher nichts über eine Strafverfolgung, sondern nur die Beteuerung, man könne die Täter nicht zuordnen oder die Parolen seien rechtlich vertretbar.
Auch die Stadt Göppingen ist in einigen Punkten zu kritisieren.
Anstatt für einen entschiedenen Antifaschismus zu werben oder sich, wie der Ulmer Oberbürgermeister es erst vor kurzem tat, den Nazis entgegenzustellen, lud sie zu einer Kundgebung unter dem Motto „gegen jeden Extremismus“ ein, wobei der Schirmherr Guido Till sogleich die Nachfolger einer Massenmordenden Ideologie mit deren Gegnern gleichsetzte. Er warb dafür „man solle nein sagen, zu jeder extremistischen Ausrichtung – sei sie nun von rechts oder von links“ (Zitat:SWP). Dieses konsequente „Nein-Sagen“ wurde jedoch bereits beim Göppinger Stadtfest entlarvt, als ein junger Mann mit einem T-Shirt der faschistischen Kleidermarke „Thor Steinar“ über 2 Tage hinweg seinen Dienst am Stand der CDU tat. Den Rechtspopulismus der örtlichen Jungen Union in der „Eislinger Erklärung“ hatte Herr Till wohl auch vergessen..
Zwei Tage später zeigte Till offen, wie wichtig ihm antifaschistische Gegenwehr ist. Statt die Geschehnisse an diesem Tag kritisch zu relfektieren, bedankte er sich bei der Polizei für ihr „einfühlsames“ Vorgehen, welches weit mehr als 40 NazigegnerInnen verletzt hatte.
Man kann sich nur fragen, was für diesen Mann ein hartes Durchgreifen bedeutet, wenn er an diesem Tag noch ein „besonnen[es]“ Vorgehen erlebte.
Schlussfolgerung
Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Stadt Göppingen sich dem Neonaziproblem weiterhin nicht bewusst scheint und stattdessen lieber mit Hilfe der Extremismus-Keule antifaschistischen Protest diffamiert. Dass man in Göppingen selbst nach mehreren Naziaufmärschen in diesem Jahr immer noch nicht in der Lage ist sich deutlich gegen Rechts zu positionieren, zeigt, warum die Nazistrukturen in dieser Gegend einen willkommenen Boden finden.
Mit ihrer Kundgebung gab die Stadt bereits die politische Stoßrichtung für die anschließende Schikane, Gewalt und Kriminalisierung der anwesenden AntifaschistInnen vor.
Die Polizei nahm als Exekutive nun den Platz ein dies durchzusetzen, wobei sie sich keinesfalls als neutrale Kraft entpuppte. Während sie einerseits mit äußerster Härte gegen die AntifaschistInnen vorging, ließ sie den Faschisten einen gewaltigen Spielraum.
Für die Faschisten dehnte man das Versammlungsrecht aus und ermöglichte ihnen eine, nach der Auflösung der Demonstration, theoretisch unangemeldete Kundgebung. Den AntifaschistInnen begegnete man hingegen bereits am Bahnhof mit äußerster Härte und riskierte dabei sogar einige Menschenleben.
Selbst die rechtlich mehr als fragwürdigen Parolen und der Flaschenwurf der Nazis führten nicht einmal zu einer Ausweiskontrolle der Neonazis, während man am Bahnhof zahlreiche AntifaschistInnen unbescholten und willkürlich in Gewahrsam nahm.
Als Konsequenz aus diesem Tag fordern wir:
Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte
Stopp der pauschalen Einkesselung friedlicher Demonstranten
Aufarbeitung des Zugvorfalls am Bahnhof
genaue Prüfung der strafrechtlichen Relevanz der Nazi-Parolen
Verbot der NPD und sämtlicher neofaschistischer Gruppierungen gemäß den Vereinbarungen der Potsdamer Konferenz
Nach NSU und den Ereignissen in Göppingen wird einmal mehr klar, dass wir selbst dafür zu sorgen haben, dass Neofaschisten in diesem Land keine Basis finden.
Staat und Nazis Hand in Hand
→ Unsere Antwort Widerstand!
Dieser Text soll bewusst keine politische Einschätzung darstellen, sondern der bisherigen Berichterstattung über die Ereignisse entgegen wirken und zu ihrer Aufarbeitung beitragen. Die hierbei enthaltenen Informationen können als von der Gruppe vertifiziert betrachtet werden.
Antifaschistische Jugend Rems-Murr
http://ajrm.blogsport.eu/
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guter text! danke dafür.
GP du Dreckskaff
Was vielleicht noch wichtig zu erwähnen wäre ist, dass die Nazis schon eine Sponti von Farndau aus richtung GP machten. Die wurde dann von den Bullen gestoppt, und die Nazis wurden dann per Linienbus zum Bahnhof gefahren. Wäre also den BUllen und der Stadt daran gelegen die Nazidemo nicht laufen zulassen hätten sie die Nazis einfach in Gewahrsam nehmen können.
Vielmehr ging es den Bullen, der Stadt und dem ganzen Sumpf, um NWZ, Till, CDU und Ju darum, an diesem Tag zu zeigen, wessen Stadt es ist, und was man hier nicht haben will.
Da sind die Nazis ja dann nicht so das große Problem, ideologisch liegt die JU mit ihrer Eislinger Erklärung gar nicht mal soweit von den Nazis entfernt
Till ist übrigens kein CDU Mitglied.
thx
Dieser Umstand wird bei der Weitergabe an Presseorgane berichtigt werden.
Was
wurde aus den 20 GenossenInnen die dem Haftrichter vorgeführt wurden. Sind alle frei gekommen?
Haftrichter
Es sind alle freigekommen. Es ging nicht um U-Haft, sondern darum ob die Ingewahrsamnahme weiter Bestand halten kann.
Genau so war es aber zu erwarten
Genauso habe ich mir das ganze gedacht. Wie dereinst in Heilbronn, die gleiche Linie.
Und ich habe ja zweimal in Kommentaren auf anderen Seiten dazu aufgefordert heute am 13.10. erneut in den Städten auf die Strasse zu gehen, gegen
den Polizeiterror. Niemand hat es interessiert. Ich habe lange überlegt in Mannheim etwas anzumelden, aber da keine Reaktionen kamen, habe ich es
gelassen. Man muss nicht alles hinnehmen, aber man muss eben auch versuchen eine Gegenöffentlichkeit herzustellen, diese Chance ist nun leider mal
wieder verpasst worden.
Ansonsten danke für den Bericht, der die Wahrheit zeigt, wie es in Göppingen ablief.