Krieg beginnt hier: 1. Prozesstag wegen antimilitaristischer Besetzung der GIZ in Bonn

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Heute war der Auftakt zur Prozessreihe gegen Antimilitarist_innen, denen vorgeworfen wurde, im Rahmen der Kampagne „Krieg beginnt hier!“am 2.12.2011 im Vorfeld der Afghanistankonferenz die Zentrale der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in Bonn besetzt zu haben. Weitere Prozesstermine werden folgen.

 

Bereits vor Prozessbeginn fanden sich vor dem bonner Gericht ca. 30 Personen ein, um mit Transparenten und Redebeiträgen gegen die kriegerische Entwicklungspolitik unter der Ägide der GIZ zu protestieren und Solidarität mit den angeklagten Antimilitarist_innen auszudrücken. Mit Ende der Kundgebung zogen die Teilnehmer_innen geschlossen in den Gerichtssaal, um die Angeklagte zu Unterstützen.

 

Zunächst gab der Richter eine sitzungspolizeiliche Anordung bekannt, mit der die Zahl der Zuhörer_innen aufgrund der spontanen Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude limitiert wurde. Der Prozess begann mit einer Prozesserklärung (s. u.), die die moralische Mitverantwortung einer und eines jeden für den in unser aller Namen geführten Kriege und damit die Notwendigkeit antimilitaristischen Engagements herausstellte. Danach wurden zwei Zeug_innen gehört, mit deren Hilfe nachgewiesen werden sollte, dass die Angeklagte an der Besetzung beteiligt gewesen sei. Allerdings scheiterte dieser Versuch. Zum einen konnte nicht nachgewiesen werden, wie die Angeklagte in das öffentlich zugängliche Gebäude gelangt ist, zum anderen wurde nicht bewiesen, dass sie zum Verlassen des Gebäudes aufgefordert wurde. Eigentlich wäre hier der Punkt gewesen, die Angeklagte freizusprechen oder zumindest das Verfahren einzustellen. Nur die Staatsanwaltschaft stellte sich in Zusammenspiel mit dem Richter quer und will in einem nächsten Prozesstermin zwei weitere Bullenzeugen vernehmen.

 

Damit findet die Farce nächsten Montag, 1.10.2012 um 09:00 Uhr im Amtsgericht Bonn ihre Fortsetzung. Mit diesem und den sieben weiteren Prozessen ist eine weitere Gelegenheit gegeben, gegen kriegerische Entwicklungspolitik und zivil-militärische Zusammenarbeit zu protestieren. Wir fordern vor allem entwicklungs- und friedenspolitische tätige Menschen, NGOs und auch die Mitarbeiter_innen innerhalb der GIZ dazu auf, die Gelegenheit zu nutzen sich hier klar und öffentlich zu positionieren und jede Zusammenarbeit mit der Bundeswehr grundsätzlich zurückzuweisen.

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"Im Rahmen der Ermittlungen wurde den ZeugInnen durch die Ermittlungsbehörden die Frage gestellt: "Wie können Sie sich erklären, dass man sich die GIZ als Demonstrationsobjekt ausgesucht hat?". Da diese Frage von den ZeugInnen in meinen Augen nur unzureichend beantwortet wurde, möchte ich zu dieser Frage Stellung nehmen.

Die Frage, warum für die Aktion zum Auftakt der Afghanistan-Regierungs-Konferenz ausgerechnet die GIZ ausgesucht wurde, lässt sich zunächst rein sachlich durch das mit der Bundeswehr geschlossene Abkommen beantworten. Ganz richtig haben auch die bei der GIZ angestellten ZeugInnen die Kritik an der Kooperation der staatlichen Entwicklungshilfeagentur mit dem Militär als Fokus der Aktion dargestellt. Die gestellte Frage verweist darüber hinaus aber vor allem auf eine ethische, zutiefst menschliche und daher politische Dimension, die im öffentlichen Diskurs kaum mehr berührt wird: Es geht vor allem um die Frage der Verantwortung. Es geht um institutionelle Verantwortung - es geht aber auch um die ganz persönliche Verantwortung eines jeden und jeder Einzelnen von uns für die Kriege, die von Deutschland und der NATO die in unser aller Namen geführt werden.

Auf der Ebene der Institutionen steht es außer Frage, daß sich die GIZ, festgeschrieben zuletzt durch das mit der Bundeswehr geschlossene Kooperationsabkommen, ganz offiziell an diesen Kriegen beteiligt. Die GIZ als die Institution, die staatliche Entwicklungsgelder nun auch nach den Maßgaben des Militärs verteilt, macht damit Entwicklungshilfe zu einem Instrument des Krieges.
Dabei wird das Diktum der "Humanitären Hilfe" gleich auf doppelte Weise zum kriegerischen Mittel: zunächst auf der materiellen Ebene, indem so genannte Hilfsprojekte und mit ihnen Entwicklungshelfer und Entwicklungshelferinnen konkret in den militärischen Apparat eingebunden werden; ergänzt wird dies jedoch auf der diskursiven Ebene, indem das, was Krieg tatsächlich bedeutet - nämlich Blut, Verwundung und Tod, die Zerstörung von Lebensgrundlagen und sozialen Strukturen - nach und nach komplett aus aus unserer Wahrnehmung und aus unserem Bewußtsein getilgt wird. Deutschland führt Krieg - und produziert unter der Beteiligung durch die GIZ tote Männer, Frauen und Kinder, die gemeinhin als "Kollateralschäden" nicht einmal mehr benannt werden müssen. Form, Wirkungsgrad und Strategien von Krieg mögen sich unter veränderten Waffensystemen, unter dem Konzept der "Vernetzten Sicherheit" und der umfassenden Installation Zivil-Militärischer Zusammenarbeit massiv verändert haben - die tödlichen und zerstörerischen Konsequenzen aber sind von jeher dieselben. Sie sind lediglich aus unserer Wahrnehmung verschwunden.

Und dies nun berührt die Frage der persönlichen Verantwortung eines jeden und jeder Einzelnen: Wie lässt sich erklären, daß die hierzulande einst von vielen zutiefst empfundene Überzeugung und Verpflichtung "Nie wieder Krieg!" heute kaum mehr von Bedeutung zu sein scheint? Wie weit her ist es mit der mehrheitlichen passiven Ablehnung des Krieges, besonders des Krieges in Afghanistan - warum schlägt diese nicht um in eine aktive, politisch wirkmächtige Zurückweisung der Militarisierung und des Krieges in unser aller Namen?

Krieg kann ohne unsere Zustimmung, zumindest ohne unsere stillschweigende Akzeptanz nicht geführt werden. Diese herzustellen, auch daran wirkt die GIZ im Rahmen der NATO-Strategie der "Vernetzten Sicherheit" und als zivil-militärischer Partner der Bundeswehr mit -  die politische Entscheidung aber, sich zum von Deutschland geführten Krieg nicht zu verhalten, trifft jedeR Einzelne von uns, und trägt damit eine Verantwortung für die vor allem für "Andere" tödlichen und zerstörerischen Folgen des Krieges.

Und über diese kann auch die staatlich verordnete Beteiligung von Hilfsorganisationen nicht mehr hinwegtäuschen - das wissen wir alle spätestens seit  Kundus. Und was bedeutet diese Hilfe konkret? Aufbau von Infrastruktur durch die Armee und ihre Kooperationspartner - ist damit die Infrastruktur gemeint, die vorher von Panzern und Bomben vernichtet worden ist? Hilfe des Militärs beim Schulenbau - sicher ist, daß diese Schulen nicht von denjenigen Jungen und Mädchen besucht werden, die in Folge der von der Bundeswehr und der NATO geführten Kriege schwerst traumatisiert, verwaist oder gar getötet worden sind. Auf die Einbindung der GIZ bezogen bedeutet Hilfe: In Folge des Kooperationsabkommens übernimmt und koordiniert diese Baumaßnahmen für die Bundeswehr und betreut ihre Liegenschaften in Kriegsgebieten, und sie koordiniert den - vor allem für die Zivilbevölkerung, aber auch für die HelferInnen vor Ort lebensgefährlichen -  Informationsaustausch zwischen Entwicklungshilfe und dem Militär. Sie fordert zugleich die von ihr entsandten EntwicklungshelferInnen auf, die Kriegs-Infrastruktur der Bundeswehr zu benutzen: z.B., mit Ihnen gemeinsam in Kriegsgebiete zu fliegen, in den Unterkünften der BW zu wohnen, im BW-eigenen Duty-Free-Shop einzukaufen und für die Kommunikation mit zuhause die Feldpost zu benutzen; all dies kennen wir vom "Embedded Journalism"; jetzt folgt die in  Kriegs- und in Militärstrategien eingebettete Hilfe. Erst vor Kurzem ist bekannt geworden, dass die GIZ gemeinsam mit dem Rüstungskonzern EADS das Waffentraining saudi-arabischer Grenzsoldaten durch die Bundespolizei koordiniert und dabei auch ÜbersetzerInnen stellt - unter anderem zur Bekämpfung von Unruhen und Demonstrationen. EntwicklungshelferInnen werden so zu aktiven TeilnehmerInnen am Kriegsgeschehen. Und auf uns alle - auf uns an der "Heimatfront" - bezogen heißt die Akzeptanz von zivil-militärischer Zusammenarbeit, die jeden Tag vor unseren Augen und mitten in unserem so friedlichen Alltag stattfindet: Wir alle tragen die volle Verantwortung für Kriege, die auch in unserem Namen geführt werden - und dabei gibt es gibt keine politische Enthaltung.

Wir leben in einem Land, in dem die ganz konkrete Erinnerung daran, was Krieg tatsächlich bedeutet, ganz allmählich aus dem kollektiven Gedächtnis verschwunden ist; aktiv getilgt z.B. durch das Kooperationsabkommen der GIZ mit der Bundeswehr.

Wir leben in einem Land, in dem bis vor wenigen Jahren die Überzeugung und die Verpflichtung "Nie wieder Krieg!" auch aufgrund der ganz konkreten und persönlichen Erinnerung der Einzelnen bis weit in konservative Kreise hinein Gültigkeit hatte.

Wir leben in einem Land, in dem Entwicklungshilfe weitgehend unwidersprochen zu einem Mittel des Krieges werden kann; es ist das Land, in dem heute ein Mensch, der das Massaker an 142 Männern, Frauen, Jungen und Mädchen zu verantworten hat, keinerlei persönliche Konsequenzen erfährt, sondern stattdessen nun zum General befördert wird.

Auch das Kooperationsabkommen der GIZ mit der Bundeswehr zeigt uns: Krieg beginnt hier, direkt vor unseren Augen. Und wenn Krieg hier beginnt, hat jeder Einzelne die Möglichkeit, aber auch die Verantwortung, Krieg hier aufzuhalten.

Deshalb bin ich froh über jeden und jede Einzelne, der und die gegen Krieg und Militarisierung aufbegehrt - und darin die eigene Verantwortung wahrnimmt für Krieg und das, was er bedeutet. Ich bin froh über jede und jeden, für den "Nie wieder Krieg!" noch immer eine Aufforderung ist."

Der für kommenden Montag (01. Oktober) angesetzte Termin zur Prozessfortsetzung wg. der GIZ-Besetzung ist richterlicherseits vorläufig aufgehoben und auf unbestimmte Zeit verschoben.

Begründet wird dies mit Nachermittlungen, zu denen außer den bereits benannten nun weitere und neue ZeugInnen gehört werden sollen, um eine verurteilungstaugliche "Tatbeteiligung" doch noch nachzuweisen, nachdem die Aussagen der zunächst benannten Zeug_Innen diese bisher nicht hergegeben haben.

Wir halten Euch auf dem Laufenden.