[B] Wedding: Graffiti und Rap gegen soziale Ausgrenzung und Rassismus

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Am Freitag Abend fanden sich mehr als 150 Personen vor der Arbeitsagentur Müllerstraße in Berlin-Wedding ein, um gegen die staatliche Armutsverwaltung und für eine Organisierung der Betroffenen von unten zu protestieren. Mit solidarischer Unterstützung der Initiativen „Zusammen! Gegen das Jobcenter Neukölln“, der Mieter_inneninitiative „Kotti&Co“ sowie „Keiner muss allein zum Amt!“, wurde auf die Funktionen der institutionalisierten Elendsverwaltung durch Jobcenter und Arbeitsagenturen hingewiesen und Möglichkeiten des kollektiven und individuellen Widerstandes aufgezeigt.

 

Im Zuge des permanent krisenhaften Kapitalismus und der seit der rot-grünen Bunderegierung verstärkten Demontage staatlicher Fürsorgeleistungen, bleibt immer weniger Geld zum Leben. Durch die weiter zunehmende neoliberale Gestaltung des Wohnungsmarktes in Verbindung mit herrschenden „Sozialpolitik“ wie Hartz 4 und durch Jobcenter forcierte Zwangsumzüge der „Leistungsbezieher_innen“, werden ärmeren Milieus aus innerstädtischen Gebieten an den Rand gedrängt [1].

 

Die Welle der Gentrifizierung ist dabei schon seit einiger Zeit in Wedding und Neukölln angekommen und fördert die soziale Marginalisierung der eh schon Prekarisierten [2] [3]. Als Musterbeispiel kann hier die geplante Zwangsräume von Frau Cengiz aus ihrer Kreuzberger Wohnung gelten, welche als ehemalige soziale Wohnungsbauten errichtet wurde und nun sukzessive in teure Eigentumswohnungen für die vermögende Klientel umgewandelt werden.

 

Die Arbeitsagenturen und Jobcenter fungieren als Institutionen der sozialen Unsicherheit und Entrechtung und Stigmatisierung. Sie dienen als Akteure der Um- und Durchsetzung von Hartz 4 und der Einhaltung von Mietobergrenzen, die mitunter als Voraussetzung der Verdrängung prekarisierter Personen funktionieren. Des Weiteren diesen sie als Institutionen der sozialen Disziplinierung. Zwang und Anpassung werden mittels Weiterbildungs- und Arbeitsmaßnahmen den Betroffenen aufgetragen- wer sich nicht disziplinieren lässt, wird sanktioniert und die Geldleistungen werden gekürzt. Der kapitalistische Arbeitsethos soll gewaltsam durchgesetzt werden- die Perspektive einer befreiten Gesellschaft ohne den Zwang zur Lohnarbeit negiert werden.

 

Beide Akteure stehen darüber hinaus auch für die Durchsetzung einer rassistischen Ausgrenzung. Die Sachbearbeiter_innen entscheiden letztlich, wer gefördert wird- und wer nicht. Immer wieder berichten Personen von rassistischen Stereotypisierungen auf dem Amt: erst vor kurzem weigerten sich die Jobcenter, Leistungen an Menschen aus anderen europäischen Ländern auszubezahlen. Wie gefährlich diese Melange aus sozialer Marginalisierung und rassistischen Zuständen auf Ämtern und Gesellschaft sein kann, zeigt die Ermordung von Christy Schwundeck, welche von einer Polizist_in in einem Jobcenter in Frankfurt am Main erschossen wurde.

 

Da vermag es makaber zu sein, dass sich die Landeszentrale der SPD mitsamt ihres kulturalistischen und sozialchauvinistischen Parteigängers Thilo Sarrazin gleich gegenüber der Weddinger „Agentur für Arbeit“ befindet. Jedoch haben genau jene Orte der staatlich legitimierten auch Perspektiven des gemeinsamen Widerstandes gegen die herrschenden Verhältnisse. Die zeigte nicht zuletzt Kundgebung sowie die Demonstration zur antikapitalistischen Walpurgisnacht 2012 in Berlin-Wedding mit mehr als 6000 Teilnehmer_innen [4].

 

Gegen die forcierte Spaltung und Vereinzelung des Widerstandes, für den gemeinsamen Kampf für soziale Perspektiven jenseits der kapitalistischen Form werden die Menschen in Neukölln, Kreuzberg, Wedding und anderswo auch weiterhin protestieren und Widerstand leisten. Ob durch die Eroberung von Plätzen des kollektiven Austauschs im öffentlichen Raum, der solidarischen Begleitung zum Amt oder der Selbstorganisierung im Alltag [7]- im Wedding ist die soziale Frage zunehmend wieder auf der politischen Agenda aufgetaucht.

 

Mithilfe von "Licht-Graffiti", dem virtuellen "taggen", konnten Anwohner_innen ihre Wut freien Lauf lassen [8]. Ein Höhepunkt neben der "Light-Rider-Aktion" war zudem der Auftritt der Rapper_in Lena Stoehrfaktor, welcher mit einer großartigen Rap-Performance den Anwesenden einheitzte. Diese Plattformen des Zusammenkommens müssen weiter ausgebaut werden, damit soziale Ausgrenzung sowie institutioneller und alltäglicher Rassismus nicht als individuelle Erfahrung verzerrt werden.

 

Das Bündnis "Hände weg vom Wedding" im Juli 2012

 

[1] Initiative "Keiner muss allein zum Amt": http://zahltagberlin.blogsport.de

[2] Zusammen Gegen das Jobcenter Neukölln: http://zusammendagegen.blogsport.de

[3] Initiative Zwangsräumungen verhindern!: http://zwangsraeumungverhindern.blogsport.de

[4] Antikapitalistische Walpurgisnacht 2012 in Berlin: http://walpurgisnacht.blogsport.eu

[5] Gedenkinitiative an Christy Schwundeck: initiative-christy-schwundeck.blogspot.com

[6] Protest-Gecekondu am Kottbusser Tor gegen steigende Mieten: kottiundco.wordpress.com

[7] Jeden Mitt­woch 10-13 Uhr und Don­ners­tag 15-18 Uhr: BASTA! Un­ab­hän­gi­ge, kos­ten­freie So­zi­al­be­ra­tung für Er­werbs­lo­se Schererstraße 8, Berlin-Wedding

[8] Graffiti Research Lab: http://www.graffitiresearchlab.de/de

 

### jeden 4. Donnerstag im Monat: Tresen "Hände weg vom Wedding", 20 Uhr, Scherer 8, Schererstraße 8, S+U Bhf. Wedding

### ***Veranstaltungstipp*** Ob Nuriye, ob Kalle, wir bleiben alle! Zwangsräumung verhindern- wir kommen! Kundgebung für Frau Cengiz, 02.08.2012, 15 Uhr Falstaf Vermögensverwaltung AG Schlüterstr. 4 / Ecke Schillerstr., 10625 Berlin U2 – Bhf. Ernst-Reuter-Platz

>> 18.08.2012 | rassistische Kundgebung von Pro Deutschland verhindern! | 12 Uhr | Torfstraße/ Sprengelstraße
Pro Deutschland? Kiezschelle!

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Die Wohnungsbaugesellschaft Degewo hat eine Task Force im Weddinger Brunnenviertel und am Kreuzberger Mariannenplatz gegründet.

Damit sollen Vandalismusschäden verhindert werden. Außerdem will die Degewo die soziale Mischung in bestimmten Stadtteilen verändern.

Heute beklagen sich die Wohnungsunternehmen über angebliche Kosten.

http://www.morgenpost.de/berlin/article108429898/Vandalismus-kostet-Berliner-Vermieter-Millionen.html