Eine Szene militanter und aggressiver Neonazis hat sich zwischen Freiburg und Offenburg gebildet. Das offenbart der Prozess gegen den Ortenauer Neonazi Florian S. wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht Freiburg.
Diese Entwicklung ist der Kriminalpolizei in Emmendingen und den Beamten
in deren Abteilung Staatsschutz nicht verborgen geblieben. Ihre Aufgabe
ist die Verhütung und Verhinderung von Terrorismus, Extremismus und
politisch motivierten Straftaten. "Wir sind gut aufgestellt und nah am
Ball", sagte Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schnaiter als Zeuge im
Prozess gegen Florian S..
Schnaiter, Staatsschützer seit 2007, und sein Kollege Thomas Hochstein,
ebenfalls Kriminalhauptkommissar, waren auch ganz nah dran am Geschehen
am Abend des 1. Oktober 2010, das einen 22-jährigen Auszubildenden fast
das Leben gekostet hätte. Der Staatsschutz wusste nämlich, dass die
"Kameradschaft Südsturm Baden" zu einer "Soliparty" in einem Rebgelände
in Bahlingen eingeladen hatte. Ein Brüderpaar aus dem Ort nutzte für die
Treffen das Grundstück seiner Eltern, obwohl diese dagegen waren. "Wir
wurden informiert", sagte Schnaiter. Man kannte den Ort und auch, wie so
etwas abläuft: Von außen kommende Kameraden werden auf dem
Park-and-Ride-Platz zur Party weitergeschleust, wenn die
Gesichtskontrolle positiv ausfällt. Eine Aufgabe, die der jetzt
angeklagte Florian S. in der Vergangenheit möglicherweise mehrfach
erledigt hat. Die beiden Emmendinger Polizisten observierten ihn am 1.
Oktober und waren unmittelbar nach der gefährlichen Attacke am Tatort.
Der Staatsschutz der Kripo Emmendingen weiß, wer sich in den vergangenen
Jahren mehr oder weniger regelmäßig bei Bahlingen und Nimburg traf: zu
Saufgelagen an Geburtstagen, Sonnwendfeiern, Zeltlagern und
Skinkonzerten, mit Teilnehmerzahlen zwischen 15 bis 60. Man kennt die
Führungsfiguren, deren Adressen und Geburtstage. Gäste kamen aus der
Ortenau. Aus Pforzheim reisten Anhänger der Gruppe "Heidnischer Sturm"
an. Florian S. war NPD-Kandidat in Pforzheim bei den Landtagswahlen
2011, ebenso im Wahlkreis Freiburg II, wo die Bewerbung aber an
fehlenden Unterstützerunterschriften scheiterte.
Der Staatsschutz sprach häufig mit den Neonazis, auch mit Florian S.,
dem Kopf der "Freien Kräfte Ortenau". Man kennt die "polizeilichen
Vorgänge" über ihn: Zeigen verbotener NS-Abzeichen, gefährliche
Körperverletzung, Landfriedensbruch, Volksverhetzung. Dass aus der
jahrelangen Beobachtung jemals Ermittlungen wegen möglicher Straftaten
folgten, ist nicht bekannt. Ob es einen Informanten in der Szene gibt,
ebenfalls nicht. Möglich ist das durchaus, denn es gibt ein
Aussteigerprogramm des Landsinnenministeriums, für das die "Beratungs-
und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (Big Rex)" des
Landeskriminalamtes Baden-Württemberg zuständig ist.
Auch der Angeklagte Florian S. sucht mittlerweile Schutz bei "Big Rex".
Es habe Kontakte gegeben, aber wegen des laufenden Verfahrens habe man
ihn wohl nicht in das Aussteigerprogramm genommen, vermutet der
Emmendinger Staatsschützer. Die Gesinnungskameraden zweifeln offenbar an
der rechten Treue von Florian S., sie behaupten durchweg, dass sie
schon lange nichts mehr mit ihm zu tun haben. Da sie widersprüchliche
und wenig glaubhafte Aussagen machen, sind sie ihm im Prozess keine
echte Hilfe.
Die Kernfrage im Prozess ist, ob der Angeklagte im Oktober 2011 in
Riegel in einer panischen Notwehrsituation mit seinem Auto einen
21-Jährigen überfahren und schwer verletzt hat, weil er statt Kameraden
vermummte Antifaschisten auf sich zukommen sah. Seine Flucht nach der
Attacke endete damals in den Armen des Staatsschutzes. Am Montag sollen
die Plädoyers gehalten werden.
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