Prozesseinblicke: In Südbaden hat sich eine militante Neonazi-Szene gebildet

Erstveröffentlicht: 
09.07.2012

Eine Szene militanter und aggressiver Neonazis hat sich zwischen Freiburg und Offenburg gebildet. Das offenbart der Prozess gegen den Ortenauer Neonazi Florian S. wegen versuchten Totschlags vor dem Landgericht Freiburg.

 

Diese Entwicklung ist der Kriminalpolizei in Emmendingen und den Beamten in deren Abteilung Staatsschutz nicht verborgen geblieben. Ihre Aufgabe ist die Verhütung und Verhinderung von Terrorismus, Extremismus und politisch motivierten Straftaten. "Wir sind gut aufgestellt und nah am Ball", sagte Kriminalhauptkommissar Wolfgang Schnaiter als Zeuge im Prozess gegen Florian S..

Schnaiter, Staatsschützer seit 2007, und sein Kollege Thomas Hochstein, ebenfalls Kriminalhauptkommissar, waren auch ganz nah dran am Geschehen am Abend des 1. Oktober 2010, das einen 22-jährigen Auszubildenden fast das Leben gekostet hätte. Der Staatsschutz wusste nämlich, dass die "Kameradschaft Südsturm Baden" zu einer "Soliparty" in einem Rebgelände in Bahlingen eingeladen hatte. Ein Brüderpaar aus dem Ort nutzte für die Treffen das Grundstück seiner Eltern, obwohl diese dagegen waren. "Wir wurden informiert", sagte Schnaiter. Man kannte den Ort und auch, wie so etwas abläuft: Von außen kommende Kameraden werden auf dem Park-and-Ride-Platz zur Party weitergeschleust, wenn die Gesichtskontrolle positiv ausfällt. Eine Aufgabe, die der jetzt angeklagte Florian S. in der Vergangenheit möglicherweise mehrfach erledigt hat. Die beiden Emmendinger Polizisten observierten ihn am 1. Oktober und waren unmittelbar nach der gefährlichen Attacke am Tatort.

 

Staatsschutz kennt die Führungsfiguren

 

Der Staatsschutz der Kripo Emmendingen weiß, wer sich in den vergangenen Jahren mehr oder weniger regelmäßig bei Bahlingen und Nimburg traf: zu Saufgelagen an Geburtstagen, Sonnwendfeiern, Zeltlagern und Skinkonzerten, mit Teilnehmerzahlen zwischen 15 bis 60. Man kennt die Führungsfiguren, deren Adressen und Geburtstage. Gäste kamen aus der Ortenau. Aus Pforzheim reisten Anhänger der Gruppe "Heidnischer Sturm" an. Florian S. war NPD-Kandidat in Pforzheim bei den Landtagswahlen 2011, ebenso im Wahlkreis Freiburg II, wo die Bewerbung aber an fehlenden Unterstützerunterschriften scheiterte.

Der Staatsschutz sprach häufig mit den Neonazis, auch mit Florian S., dem Kopf der "Freien Kräfte Ortenau". Man kennt die "polizeilichen Vorgänge" über ihn: Zeigen verbotener NS-Abzeichen, gefährliche Körperverletzung, Landfriedensbruch, Volksverhetzung. Dass aus der jahrelangen Beobachtung jemals Ermittlungen wegen möglicher Straftaten folgten, ist nicht bekannt. Ob es einen Informanten in der Szene gibt, ebenfalls nicht. Möglich ist das durchaus, denn es gibt ein Aussteigerprogramm des Landsinnenministeriums, für das die "Beratungs- und Interventionsgruppe gegen Rechtsextremismus (Big Rex)" des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg zuständig ist.

Auch der Angeklagte Florian S. sucht mittlerweile Schutz bei "Big Rex". Es habe Kontakte gegeben, aber wegen des laufenden Verfahrens habe man ihn wohl nicht in das Aussteigerprogramm genommen, vermutet der Emmendinger Staatsschützer. Die Gesinnungskameraden zweifeln offenbar an der rechten Treue von Florian S., sie behaupten durchweg, dass sie schon lange nichts mehr mit ihm zu tun haben. Da sie widersprüchliche und wenig glaubhafte Aussagen machen, sind sie ihm im Prozess keine echte Hilfe.

Die Kernfrage im Prozess ist, ob der Angeklagte im Oktober 2011 in Riegel in einer panischen Notwehrsituation mit seinem Auto einen 21-Jährigen überfahren und schwer verletzt hat, weil er statt Kameraden vermummte Antifaschisten auf sich zukommen sah. Seine Flucht nach der Attacke endete damals in den Armen des Staatsschutzes. Am Montag sollen die Plädoyers gehalten werden.

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