Das Centro Sociale Occupato Autogestito Angelina Cartella (abgekürzt: C.S.O.A. Cartella) in der Peripherie Reggio Calabrias wurde am Dienstag, den 15. Mai, von einem vorsätzlich gelegten Brand verwüstet.
Dieses Ereignis ist das gravierendste, aber keinesfalls ein Einzelfall: Im gesamten Italien kann mensch eine Zunahme von neofaschistischen Überfällen beobachten. Es gab bewaffnete Angriffe auf den Circolo Minerva di Montanara in einem historisch antifaschistischen Viertel in Parma, unter dem komplizenhaften Blick der Ordnungshüter; es gab Überfälle in Turin und Triest. Dort hat sich außerdem eine Frau aus der Ukraine im Kommissariat von Opicina umgebracht, während sie gesetzeswidrig gefangen gehalten wurde. In der Wohnung des Leiters des Ausländeramtes des Kommisariats, Carlo Baffi, - gegen ihn wird wegen fahrlässige Tötung und Freiheitsberaubung ermittelt - fanden die Ermittler antisemitische Schriften und Bücher, ein Poster von Mussolini sowie mehrere Gegenstände mit faschistischer Symbolik.
Aber zurück zum C.S.O.A. Cartella. Schon in den letzten Monaten hat es einige kleinere Vorfälle gegeben (Einbrüche, Beschädigungen, usw.), die mensch auf mafiöse Strukturen zurückgeführt hat, doch dieses Mal sind im gesamten Gebäude (bzw. was jetzt davon übrig ist) Hakenkreuze und faschistische oder NS-verherrlichende Parolen gesprüht worden.
Das C.S.O.A. Cartella bestand seit 10 Jahren, das Jubiläum wurde erst vor Kurzem gefeiert und seit Anbeginn repräsentierte es eine politisch unbequeme Gegenöffentlichkeit. Seine Besucher_innen waren an vielen sozialen Kämpfen beteiligt, u.a. gegen den Bau der Brücke zwischen Kalabrien und Sizilien, die Privatisierung der Wasserversorgung und die Kriminalisierung und die Verfolgung von Migrant_innen in Rosarno.
Das Zentrum hat in den Jahren seines Bestandes unzählige kulturelle Veranstaltungen ermöglicht: Büchervorstellungen, öffentliche Debatten, hunderte von Konzerten, Sensibilisierungskampagnen, kostenfreie Sprachkurse für Migrant_innen und viel mehr. Auch die Anwohner_innen waren in den Initiativen mitinvolviert und belebten den Bio-Wochenmarkt oder die Veranstaltungen für Kinder und Jugendliche, die im C.S.O.A. Cartella ebenfalls stattfanden.
Die Brandlegung kann nur eine politische Entscheidung gewesen sein mit der Absicht, die Aktivitäten des Zentrums zu beenden. Vielleicht aber auch aus wirtschaftlichen Gründen, um auf dem Gelände neue Büro- oder Wohngebäude bauen zu können.
Damit wurde ein Projekt aufgehalten, das in einer Stadt wie Reggio Calabria den Jugendlichen und Heranwachsenden Möglichkeiten gab, sich aus dem mafiösen und kapitalistischen Alltag zurückzuziehen. Die Stadt selbst erfährt seit Jahren einen Prozess des sozialen Zerfalls: Angriffe auf Homosexuelle tagsüber, abends von Casa Pound organisierte neofaschistische Tagungen im Rathaus, in einem Rahmen, in dem Korruption an der Tagesordnung ist, in dem die Mafia und die 'ndrangheta die Institutionen infiltrieren.
Das C.S.O.A. Cartella ist schon immer gegen diese Wirklichkeit angetreten und vielleicht genau deswegen gibt es von ihm jetzt nur noch Ruinen. Ein Video vom jetztigen Zustand vom Gebäude ist hier.
Doch die Aktivist_innen geben sich nicht geschlagen: Für den 26. Mai wird zur Demonstration aufgerufen und eine Kampagne zum Wiederaufbau wurde ins Leben gerufen. Solidaritätsbekundungen kamen nicht nur von den unmittelbar Betroffenen, sondern aus ganz Italien, auf Hilfsangebote musste mensch nicht lange warten.
Die Rekonstruktion des C.S.O.A. Cartella soll ein Zeichen gegen diejenigen Zustände setzen, die das Zentrum bekämpft hat. Das Cartella ist verletzt worden, ja, aber es lebt noch.
Voi non potete fermare il vento, gli fate solo perdere tempo Ihr könnte nicht den Wind aufhalten, sondern nur seine Zeit verschwenden
Potrete tagliare tutti i fiori, ma non fermerete mai la primavera Ihr könnt alle Blumen abschneiden, aber den Frühling werdet ihr niemals aufhalten
Ja, ganz viele stehen ihnen bei!
Danke für die wirklich gute Zusammenfassung! Zu Carlo Baffi möchte ich ergänzen, dass er Leiter des "Ufficio immigrazione" - dem "Einwanderungsbüro" war und dort ein Schild mit der Aufschrift "Ufficio epurazione" hängen hatte. "Ufficio epurazione" bedeutet "Säuberungsbüro"!!!
Zum Cartella muss nichts weiter gesagt werden. Sie sind und arbeiten genau so wie oben beschrieben. Art und Qualität ihres Engagements werden landesweit hoch geschätzt. Sehr nah ist die Nachricht auch den No Tav im Susa-Tal gegangen, die mit Cartella schon mehrmals guten Austausch auf dem Feld der Kämpfe "im Territorium" hatten und direkt nach der Verhaftung von 26 Leuten im Januar durch die Leute vom Cartella eine der schönsten Solidaritätsbekundungen (von sehr, sehr vielen) erhielten: ein Lkw fuhr los und brachte Apfelsinen ins Susa Tal, die dort zur Unterstützung der Gefangenen und der Bewegung verkauft wurden. Die Früchte hatten hohen symbolischen Wert: sie stammen aus Anbauprojekten in Rosarno, die sich dort der Ausbeutung der Migranten entgegenstemmen.
"Il gigante é ferito, ma rinascerá piú forte di prima!" - "Der Riese ist verletzt, er wird aber stärker als zuvor wiederauferstehen", das war das Erste, was die No Tav hörten, als sie nach dem Brand im Morgengrauen über den Anschlag informiert wurden, und so wird es auch sein!