Freiheit entsteht als kämpfende Bewegung...

Solidaritätskundgebung vor der JVA in Stuttgart Stammheim zum Tag der politischen Gefangenen in Stuttgart am 18.03

Noch nie haben so viele Menschen unterschiedlichster Herkunft Erfahrungen mit dem bürgerlichen Staat und seinen Organen gemacht wie in den letzten Monaten. Während gegenüber faschistischen Kräften wie dem sog. "NSU" außer einzelnen Verhaftungen und der Bildung von Ausschüssen keine wirklichen Maßnahmen ergriffen werden, erleben fortschrittliche und revolutionäre Bewegungen nicht selten die volle Wirksamkeit staatlicher Repression.


Mit weit über 1400 Verfahren in Zusammenhang mit den Protesten gegen Stuttgart 21 ist das die seit Jahren größte Repressionswelle gegen Teile der Bevölkerung, die sich sonst nicht unter subversivem Verdacht fanden. Dabei wird zusehends weniger zimperlich mit Grundrechten umgegangen.

So will die Stuttgarter CDU-Gemeinderatsfraktion laut einem Bericht der Stuttgarter Zeitung vom 16.3.2012 eine gemeinsame Resolution gegen die wöchentlich stattfindenen Montagsdemonstrationen gegen Stuttgart 21 verabschieden.

Sie möchte erreichen "dass der Protest das öffentliche Leben nicht länger über die Maßen beeinträchtigt". Und das obwohl die Veranstalter selbst sich entschlossen hatten, die Montagsdemonstrationen fortan auf dem Marktplatz abzuhalten, um nicht den Unmut der Autofahrer auf sich zu ziehen.

Aus diesem Grund wurde in verschiedenen Redebeiträgen bei den Aktionen in Stuttgart anlässlich des 18. März – dem internationalen Tag der  politischen Gefangenen - in Stuttgart auf diese Verfahren eingegangen und zur spektrenübergreifenden Solidarität aufgerufen.

Die zwei Antifaschisten Smily und Danny, sowie mehrere linke kurdische Jugendliche sitzen aktuell nach dem politischem Willen der Staatsanwaltschaft in der JVA Stammheim. Der Stuttgarter Antifaschist Chris sowie ein Aktivist des S21-Widerstandes saßen im letzten Jahr nach skandalösen Prozessen ebenso mehrere Monate in Untersuchungshaft.

Anfang August 2011 wurde Chris in Stuttgart-Heslach verhaftet und sogleich in Untersuchungshaft gesteckt. Vorgeworfen wurde ihm die Beteiligung an antirassistischen Protesten Anfang Juni gegen ein sog. „Islamkritisches Wochenende" der rechtspopulistischen Bürgerbewegung Pax Europa, dem Internet- Netzwerke „PI News" und der rassistischen Partei „Die Freiheit".

Bereits in den Tagen nach der Verhaftung bekundeten Antifaschistinnen und Antifaschisten vor der JVA ihre Solidarität mit Chris und allen anderen politischen Gefangenen. Nach der Gründung eines Solikreises Mitte August entwickelte dieser eine Öffentlichkeitsarbeit und baute politischen Druck auf.

An den Prozesstagen vor dem Stuttgarter Amtsgericht im September solidarisierte sich ein breites Spektrum mit dem Betroffenen und forderte seine sofortige Freilassung. Trotz widersprüchlicher Zeugenaussagen und einem auf Indizien beruhenden Anklagekonstruktes wurde Chris damals zu einer elfmonatigen Haftstrafe verurteilt.

Im Herbst 2011 bereitete der Solikreis sich auf die anstehende Berufungsverhandlung vor. Die Berufungsverhandlung vor dem Stuttgarter Landgericht endete mit einem Vergleich: Chris erhielt zwar mit 15 Monaten eine höhere Strafe, diese wurde jedoch auf drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

Das Chris nun auf freiem Fuß ist, ist nicht zuletzt ein Erfolg der politischen Prozessführung und der anhaltenden Solidaritätsarbeit. Sein Fall zeigt zudem, dass es notwendig und möglich ist, den juristischen Angriffen der Herrschenden politischen Widerstand und entschlossene Solidarität entgegenzusetzen.

Am 27. Januar 2012 wurde der Stuttgarter Antifaschist Danny am Flughafen Düsseldorf festgenommen. Der Solikreis Stuttgart schreibt dazu: “Juristische Grundlage seiner Inhaftierung ist der Widerruf einer Bewährungsstrafe aus dem Jahr 2010, da er gegen die damals verhängten Auflagen verstoßen und sich dem Zugriff der bundesdeutschen Repressionsbehörden entzogen habe. Danny hatte sich längere Zeit im Ausland aufgehalten und seine Arbeitsstunden die Teil der Bewährung gewesen waren nicht abgeleistet. Zwischenzeitlich wurde Danny in die JVA Stuttgart im Stadtteil Stammheim verlegt.

Hintergrund des Prozesses aus dem Jahr 2010 ist ein Angriff auf Funktionäre und Mitglieder der faschistischen NPD im Anschluss an ein Konzert des neonazistischen Liedermachers Frank Rennicke im Februar 2007 in Sindelfingen. Dort wurden Danny sowie sechs weitere angeklagte Antifaschisten in zweiter Instanz vor dem Landgericht Stuttgart zu mehrjährigen Bewährungsstrafen verurteilt.“ Mehr Informationen zu den damaligen Verfahren finden sich im damaligen Prozessblog.

Am 08. Februar 2012 wurde Smily – Bassist bei den „Produzenten der Froide“ frühmorgens durch einen SEK Einsatz in seiner Wohnung verhaftet und in Untersuchungshaft gesteckt. Ihm wurde vorgeworfen, Zeugen die ihn belasten könnten, über Facebook bedroht zu haben um die Aussagen zu verhindern. Obwohl es keinerlei Beweise für eine Bedrohung gab, wurde Smily wegen ’’Verdunkelungsgefahr’’ verhaftet und in die JVA  Stammheim verfrachtet.

Am 17. Februar 2012 wurde dann gegen Smily wegen Beleidigung, Sachbeschädigung und Körperverletzung verhandelt. Das Urteil: Zehn Monate Haft.

Die Verfahren gegen die Stuttgarter Antifaschisten müssen auch in Zusammenhang mit der bundesweiten Repression gesehen werden: 44 AntifaschistInnen aus Sachsen sind momentan in einem Verfahren wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ (§129) angeklagt. Vorgeworfen wird ihnen, dass sie im Zeitraum zwischen 2010 und 2011 militant und organisiert gegen Nazis vorgegangen seien – unter anderem im Vorfeld des jährlich stattfindenden Naziaufmarsches in Dresden.

An dem §129 Verfahren in Dresden zeigt sich gerade hinsichtlich der großangelegten als “Handygate” bekannt gewordenen Funkzellenauswertung während des Naziaufmarschs im Jahr 2011, den Hausdurchsuchungen in Sachsen, Stuttgart und Berlin und der sich verschärfenden Repression gegen AntifaschistInnen der Wille des Staates, antifaschistischen Widerstand zu kriminalisieren mehr als deutlich. Unterstrichen wurde das auch nochmal bei der Demonstration am 17. März, die sich - trotz völlig friedlichen Verlaufs - von starken Polizeikräften gesäumt sah. Dass es dabei neben der Provokation gegenüber den DemonstrantInnen um den "öffentlichen Eindruck" gehen sollte, ist recht durchsichtig und gleichzeitig in seiner Wirkung fraglich. Zuviele politisch aktive Menschen haben inzwischen in Stuttgart ihre Erfahrungen machen können.

Die Demonstration in Stuttgart und die Spontankundgebung in Stammheim am 17. März sowie die Solidaritätskundgebung in Stammheim am 18. März machten deutlich: Bei allem, was die scheinbar so verschiedenen Proteste trennt - die gemachten Erfahrungen in der Solidaritätsarbeit sind wertvoll, unteilbar und müssen in eine deutliche Stärkung der Antirepressions- und Solidaritätsstrukturen umgewandelt werden. Dabei sind die Erfahrungen “junger” Bewegungen wie die gegen Stuttgart 21 keineswegs neu. Sie stellen die jahrzehntealten Erfahrungen linker Politik in einen breiteren gesellschaftlichen Zusammenhang. Es bestehen große Chancen, wenn es gelingt, in der Realität vorhandene Vorbehalte und eine manchmal beiderseitige vorhandene Bewegungsborniertheit und -überheblichkeit zu überwinden.

Getroffen werden einige - Gemeint sind wir alle! Freiheit für alle politischen Gefangenen!