Hausbesetzer: "Mit solidarischem Gruß"

Erstveröffentlicht: 
05.01.2012

Von Julia Haak

 

BERLIN –  Ein Polizist soll Hausbesetzer der Brunnenstraße vor der Räumung gewarnt haben. Nun steht er vor Gericht.

 

Die Warnung kam um 7.30 Uhr per E-Mail, und sie war in durchaus freundschaftlichem Ton gehalten. „Liebe Mitbewohner“, schrieb ein Unbekannter den Besetzern des Hauses in der Brunnenstraße 183 im November 2009. Am kommenden Tag werde ihr Haus polizeilich geräumt. „Ich bin Polizist, das ist kein Scherz“, so der Schreiber. Dann verriet er noch, wann und in welcher Stärke die Polizei anrücken würde, erklärte seine Sympathie mit den Besetzern und richtete solidarische Grüße aus.

 

Am Mittwoch wurde gegen den Polizeiobermeister Nils D. vor dem Amtsgericht Tiergarten der Prozess eröffnet. Denn er soll diese E-Mail verfasst und abgeschickt haben. Er bestreitet das, aber sein Netzbetreiber bestätigte der Staatsanwaltschaft, dass die Warnung von der IP-Adresse seines privaten Anschlusses aus versendet wurde.

 

Kurioser Weg

 

Nils D. ist 26 Jahre alt. Er ist Polizeibeamter in einer Einsatzhundertschaft, aber er wurde vom Dienst suspendiert. Schließlich wäre eine solche Warnung der Bewohner eines besetzten Hauses vor der bevorstehenden Räumung Geheimnisverrat. In dieser Beziehung versteht der Dienstherr von D. keinen Spaß.

 

Die elektronische Nachricht nahm einen kuriosen Weg. Sie gelangte nicht nur in die Hände der Hausbesetzer, sondern auch in den Rechner eines Journalisten bei der Zeitung Junge Welt. Dieser leitete die E-Mail an die Pressestelle der Polizei weiter, um zu ergründen, was es damit wohl auf sich habe. Seine Quelle schützte er nicht.

 

Die Abteilung für Beamtendelikte der Berliner Polizei ermittelte und beschlagnahmte bei Nils D. Laptop, PC und zwei Festplatten. Dann übernahm das Landeskriminalamt. Seitdem beschäftigten sich die Beamten viel damit aufzuklären, wer innerhalb der Polizei wann von dem geheim gehaltenen Einsatzbefehl wusste.

 

Nils D. soll, so erklärt vor Gericht unsicher eine Kollegin, Gerüchte gekannt, aber erst am Einsatztag Details erfahren haben. Im Gericht sitzt der Angeklagte stumm an der Seite seiner Anwältin, an diesem ersten Prozesstag sagt er zur Sache nicht aus. Dafür spricht seine ehemalige Lebensgefährtin, eine schicke junge Frau in Rock und Wolljäckchen. Sie stand an jenem Novembertag früh um 7 Uhr auf und frühstückte mit ihrem vierjährigen Sohn. Das Arbeitszimmer mit dem Computer habe sie ständig im Blick gehabt. Der Rechner sei nicht in Betrieb gewesen und ihr Freund habe an jenem Morgen keine E-Mails versendet.

 

Er habe verschlafen, weil sie am Vorabend nach einem Konzertbesuch sehr spät ins Bett gekommen seien. Kurz vor halb acht sei er aufgestanden und wenig später bereits zum Dienst gegangen. „An dem Morgen ist er nicht ins Arbeitszimmer gegangen“, sagt sie bestimmt. Sie hat ihn trotzdem gefragt, ob er die Mail geschickt hat. „Er hat das verneint und ich glaube ihm das“, sagt sie. Im Übrigen sei er gern zur Arbeit gegangen, habe zum LKA gewollt und Freunde in der linken Szene habe er nicht. Jemand anders, vielleicht Kollegen, müssten die E-Mail geschickt haben. Inwieweit das technisch möglich wäre, soll nun ein Gutachter erläutern. Der Prozess wird am 18. Januar fortgesetzt.

 


Infokasten:

 

Besetzt, geräumt, verlassen

An der Brunnenstraße 183 in Mitte wird in den 90er-Jahren ein heruntergekommener Altbau mit Vorderhaus, Seitenflügel und Hinterhaus und 20 Wohnungen besetzt. Zeitweilig wohnen dort 35 Menschen aus 16 Nationen zwischen 17 und 81 Jahren.

 

Die Bewohner nennen sich politisches Kunst-, Sozial- und Wohnprojekt. Sie betreiben ein Aufnahmestudio für Musiker, eine Galerie und einen Umsonstladen, in dem Gegenstände und Kleidung abgegeben und an Bedürftige verschenkt werden.

 

Mit einer Erbengemeinschaft des einstigen Hauseigentümers vereinbaren die Besetzer mündlich Mietverträge. 2003 wird das Gebäude verkauft. Nach der Insolvenz der Firma kauft der Arzt Manfred Kronawitter das Haus und setzt auf Räumung.

 

Das Bezirksamt versucht, zu vermitteln und einen Ankauf des Hauses durch die Bewohner zu begleiten. Aber alle Verhandlungen scheitern. Ein erster Räumungstermin wird im Juni 2009 abgesagt.

 

Mit 600 Mann räumt die Berliner Polizei am 24. November 2009 das Haus. 50 Bewohner müssen ausziehen, gegen 15 werden Strafverfahren eingeleitet. Seitdem steht das Haus leer.

 

Im Jahr 2010 wird das Haus an Hamburger Unternehmer weiterverkauft. Mietwohnungen sollen entstehen. Bauarbeiten haben bisher nicht begonnen.


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http://www.presseportal.de/pm/82938/2176612/junge-welt-junge-welt-gibt-keine-informationen-an-behoerden-weiter

Eben diese Grundsätze wurden beachtet. Das versicherte am Donnerstag der Kollege, der seit mehr als einem Jahr nicht mehr bei junge Welt arbeitet, auf unsere Nachfrage. Im übrigen verweisen wir darauf: Nach dem Publikmachen der E-Mail durch das Projekt "Brunnen 183" im Internet und dem jW-Bericht am 3. Dezember 2009 ("Großeinsatz nach Plan oder Panne? Vor der Räumung des alternativen Wohnprojekts Brunnenstraße 183 in Berlin erhielten die Bewohner dubiose Warnungen. Polizei kündigt Prüfung an") hatte das Berliner Landeskriminalamt die Redaktion über Monate mit Anfragen belästigt und bedrängt, das fragliche Schreiben herauszurücken, was in jedem einzelnen Fall mit Verweis auf die genannten journalistischen Grundsätze abgelehnt wurde.

 

 

http://www.jungewelt.de/2012/01-06/034.php

Auch bei der Durchsuchung des privaten Computers des Angeklagten wurde den Angaben zufolge keine Spur der Nachricht gefunden. Das klang vor anderthalb Jahren schon mal anders. Damals wurde der Beamte vom Dienst suspendiert. »Nach Angaben des Verwaltungsgerichts wurde in einem Ermittlungsverfahren eine Nachricht im privaten E-Mail-Ausgang des verdächtigten Polizisten gefunden, in der er die Bewohner des Hauses einen Tag vor der Räumung über den Einsatz und die Zahl der Einsatzkräfte informierte«, teilte die Nachrichtenagentur ddp am 15. Juli 2010 mit.

Klar muss die jw dementieren, ist ja mehr als peinlich der Vorgang. Wundern muss man sich darüber in dem Saftladen aber nicht.

Das ist lustig, etwas zu dementieren und damit nicht zu dementieren.

 

"Tatsache ist: Die junge Welt gibt keine Informationen an Behörden weiter. Nachfragen seitens der Polizei oder anderer Stellen müssen an die Chefredaktion oder die Geschäftsführung weitergeleitet werden. Mitarbeitern, die gegen diese eklatanten Grundsätze journalistischer Arbeit verstoßen, wird fristlos gekündigt."

 

 Denn niemand hat der jW vorgeworfen, Informationen an Behörden weitergegeben zu haben, sondern dass ein Redakteur, freier Mitarbeiter... eine Dummheit begangen hat, über deren Tragweite er nicht nachgedacht oder sie nicht begriffen hat. Denn es war ja keine "Nachfrage der Polizei" die man an die Chefs hätte weitergeben können, sondern eine Recherche.

Das Dementi ist gar keine Dementi, die typische semantische Irreführung, weil man zu einem Fehler offenbar nicht stehen kann. Doch genau deshalb, weil sie nicht aufgearbeitet werden, sondern vertuscht, passieren sie dann wieder.