Wir haben seit gestern kaum Nachrichten aus Lybien. Wir haben nur gehört, dass es an der Front in den Außenbezirken von Ras Lanuf in der Nacht vom 8. auf den 9. März zu Kämpfen gekommen ist. Viele Aufständische sind aus der Stadt geflohen, da sie glauben, dass sie bald von Gaddafis Truppen eingenommen werden wird. [...] Wir nutzen diesen Mangel an Informationen aus Libyen, um einen Artikel zu veröffentlichen, der uns von Freunden in Ägypten (Kairo) zugeschickt wurde. Es geht um die Räumung des Tahrir Platzes (der seit Ende Januar weiterhin besetzt war). Eine Räumung, die in den westlichen Medien kaum Erwähnung fand, und das aus gutem Grund: Scheinbar waren keine Journalisten vor Ort.
Die Räumung des Tahrir Platzes
Die Mitte des Tahrir Platzes in Kairo ist noch immer von Dutzenden Zelten besetzt. Das Dorf ist von einem Zaun umgeben, der Eingang wird von BesetzerInnen bewacht. Alle, die hinein wollen, müssen nachweisen, dass sie weder Polizisten, noch Bewohner eines unfreundlichen Stadtteils oder feindlich gesonnen sind. Seit einigen Tagen versuchen eine Menge von der Regierung geschickte Zivi-Bullen die unbeugsamen Besetzer des Tahrir Platzes zu diskreditieren, indem sie Gerüchte, Verleumdungen und Verwirrung darüber verbreiten, was dort geschieht.
Die Regierung schickt Agenten, damit diese sich von westlichen Journalisten interviewen lassen und ihre Lügen erzählen. “Jene, die noch hier sind, sind die schlechten Demonstranten. Die guten Demonstranten sind wieder nach Hause gegangen und die, die noch da sind, destablisieren die Ökonomie und den Tourismus.” Seit einigen Nächten schickt die Regierung Prostituierte, um das Gerücht zu verbreiten, dass das Camp Prostitution organisieren würde.
“Die vom Tahrir”
Eine kleine Gruppe, die sich “Die vom Tahrir” nennt, erklärt uns “was dort wirklich passiert”. Sie sprechen über die Ereignisse seit dem 25. Januar und dass die Regierung seither versucht, die Bewegung zu brechen; indem sie zum Beispiel Gruppen spaltet und ihre Forderungen auseinander dividiert. Als erstes richtete sich die Regierung an die Muslimbruderschaft, die einzige wirklich politisch und materiell organisierte Instanz. Im Austausch dafür, dass sie den Tahrir Platz verließen, erkannte sie einige ihrer Froderungen an, namentlich die Freilassung einiger Gefangener und ein paar extra Sitze im Parlament. Dann wurde, im zweiten Zug, die Jugend gespalten. 35 junge Leute wurden ausgesucht, um eine mit der Regierung in Verbindung stehende Gruppe zu bilden. Der jüngste Versuch der Spaltung der Bewegung bestand in der Intensivierung der Trennung zwischen muslimischen und koptischen Communities. Laut “Denen vom Tahrir” wurden die Brandstiftungen an Kirchen und die darauf folgenden Unruhen von der Regierung ausgelöst. Auf diese Bemühungen der Spaltung erwidern sie: “Ein einziger Geist, ein einziges Ägypten”. Die Leute, die wir vor uns haben, leben seit dem 25. Januar Tag und Nacht auf dem Tahrir Platz; sie kannten sich vorher nicht und gehören keiner politischen Partei an. Sie treffen sich jede Nacht, um den vergangenen Tag zu bilanzieren und über den kommenden zu sprechen. Ihre Sorge in diesem Moment: Die Gerüchte zu beseitigen und ein gemeinsames Freitagsgebet von Musliumen und Kopten zu organisieren. Sie werden bleiben, bis das gesamte System verschwunden ist. Ihr Projekt ist, einen Lastwagen zu kaufen und damit durch Ägypten zu fahren, in jede Stadt, und die Menschen zu ermutigen, sich zu organisieren. “Und nach dem 'bye, bye' wollen wir ihre Namen nicht wissen, und wir wollen nicht, dass sie die unseren wissen; wir wollen nicht ihre Chefs werden.”
Wir verlassen den Platz gegen 15:30 Uhr. Die Spannung war den ganzen Tag über mit Händen zu greifen: Schreie, beginnende Prügeleien, das Kommen und Gehen mit Knüppeln bewaffneter Leute. Ein Stück weiter weg sammelen sich Gruppen von fünfzig bis hundert Leuten um die wenigen noch in der Gegend im Einsatz verbliebenen Panzer; sie scheinen intensiv zu diskutieren. Wenig später stoßen wir am anderen Ende der Stadt auf das Polizeihauptquartier, geschützt von Panzern und hohem Stacheldraht. Auf der anderen Straßenseite stehen Dutzende Demonstranten mit “Haut ab!” Schildern. Als uns ein Soldat sieht, wie wir mit ihnen diskutieren und lachen, kommt er eilig auf uns zu und sagt uns, dass wir ihm folgen sollen. Ein Demonstrant ruft uns zu, nicht ins Gebäude zu gehen. Unglücklicherweise finden wir uns bald auf der falschen Seite des Stacheldrahts wieder, umzingelt von vier Soldaten und einem Typ in einer Lederjacke, geradewegs einem schlechten Spionagefilm entsprungen. Sie konktrollieren unsere Ausweise und vergewisseren sich, dass wir keine Journalisten sind. Als wir herauskommen, sind die Demonstranten verschwunden.
Abschiebung, Zerstörung, Lynchjustiz. Oder “Da haben wir sie, die Demokratie.”
Spät am Nachmittag kehrten wir auf den Tahrir Platz zurück. Wir kommen an, kurz bevor das Militär eingesetzt wird und den Zugang zum Platz verhindert. Hunderte Leute kommen, um das Camp anzugreifen. Bewaffnet mit Knüppeln, Eisenstangen, Macheten, von da an zerstören sie erbittert noch die kleinste Installation des Camps. Es ist eine Szene der kollektiven Hysterie: Alles geht dahin, selbst das Monument der für die Revolution gefallenen Märtyrer. Es ist eine wahrhaftige Menschenjagd, an der sich die Armee aktiv beteiligt. Die weniger zahlreichen Besetzer des Tahrir Platzes werden verfolgt, gepackt, verprügelt. Genauso geht es allen, die versuchen Fotos zu machen. Nach und nach erkennen wir, dass eine große Anzahl der anwesenden Personen Polizisten in Zivil sind. Da wir versuchen Fotos zu machen, entkommen wir der Lynchjustiz nicht. Im Gedränge werden wir getrennt. Die Gruppe mit der Kamera wird von hunderten wütender Leute und einigen Soldaten verfolgt. Sie werden gefangen, von der Menge zusammengeschlagen, unter Beschimpfungen und Schlägen zum behelfsmäßigen Hauptquartier der Armee vor dem Kairo Museum gebracht. Während der Armeechef unsere Kamera leert, werden die vom Tahrir Platz von der Armee und der Menge verprügelt. Ein Mann, der offensichtlich das Bewusstsein verloren hat, wird in einen Teppich eingewickelt an uns vorbei getragen. Wir werden “gebeten” uns schleunigst zu verziehen.
Währenddessen sind einige von uns noch immer auf dem Tahrir Platz. Panzer fahren in voller Geschwindigkeit vorbei. Sie intervenieren am Eingang eines Cafes, wo ein Besetzer, der sich auf der Suche nach Schutz ins Innere geflüchtet hatte, von dreißig üblen Typen herausgezerrt wird. Kein Foto soll gemacht werden von der Situation, selbst die Leute auf den Balkonen werden beschimpft und mit Steinen beworfen. Ein weiterer Genosse wird mit seiner Kamera gefangen, von der Menge verprügelt und mit Gewalt zum Militärlager gebracht. Als wir den Platz verlassen, sind die LKW der Stadtreinigung bereits vor Ort eifrig damit beschäftigt, die letzten Spuren der Revolution zu beseitigen.
23:00 Uhr. Auf einem nicht wiederzuerkennenden Tahrir Platz, komplett gesäubert, trägt eine kleine Gruppe “Demonstranten” einen Polizeioffizier in einem Triumphzug auf den Schultern.
Wir haben ein Video dazu gefunden
http://www.youtube.com/watch?hl=fr&v=sK2jNRyt_ZE
Kairo, 9. März
gefunden auf dem Blog "En route! Nouvelles de l'insurrection libyenne..."
http://setrouver.wordpress.com
übersetzt von http://translationcollective.wordpress.com
ziemlich streng hier auf links unten
Selbst wenn sich diese Despoten sich mittelfristig (so bitter das ist) halten können ihre die Zeit ist abgelaufen.