Jahrelang war Jan in der militanten Antifa aktiv. Mittlerweile ist er ausgestiegen, weil viele dort das seiner Ansicht nach wichtigste Ziel aus den Augen verloren hätten: Nazis zu bekämpfen.
Es war der erste kalte Tag nach einem langen Sommer. Am 5. September 2015 machte die Nachricht die Runde, dass einer der Züge mit Flüchtlingen von Ungarn aus auch nach Dortmund kommen würde. Jan hatte im Fernsehen gesehen, wie die Flüchtlinge in München empfangen worden waren, wie Menschen mit Decken, Lebensmitteln und Kinderspielzeug sie freundlich begrüßten. In Dortmund, das war am frühen Abend klar, würde das auch so sein. Auf Facebook gab es Aufrufe zum Bahnhof zu kommen und auch Spielzeug, Getränke und Kleidung mitzubringen und den Menschen zu helfen, die nach einer lebensgefährlichen Flucht nun endlich an einem Ort ankommen würde, an dem sie Sicherheit wären. Aber eines war anders in Dortmund: Hier hatten Mitglieder der Nazi-Partei Die Rechte zu einer nächtlichen Demonstration gegen die ankommenden Flüchtlinge aufgerufen. Sie wollten sie mit Hass, nicht mit Menschlichkeit empfangen. Und schon früh am Abend hörte man von einzelnen Überfällen auf Helfer und Nazigegner in der Dortmunder Innenstadt.
Als es dunkel wurde zog sich Jan eine dicke Jacke an, gab seiner Freundin einen Kuss und machte sich von Recklinghausen aus auf den Weg nach Dortmund. Er hatte keinen Schlafsack dabei, um ihn einem Flüchtling zu geben und auch keine Süßigkeiten für die Kinder. Er hatte eine leere Flasche Bier in der Jackentasche um mit ihr zuschlagen zu können und ein Ziel: Er wollte Nazis jagen. „Das war das letzte Mal, dass ich auf Tour ging. Ich lief den Abend durch Dortmund und suchte Nazis. Wenn ich einen oder zwei gefunden hätte, hätte ich sie zusammengeschlagen. Bei Dreien wäre es mir zu gefährlich gewesen, die hätte ich ziehen lassen.“
In dieser Samstagnacht endete, was über zehn Jahre zuvor begonnen hatte. Mit sechszehn Jahren schloss sich Jan der militanten Antifa an. “Ich hatte viel über die Nazizeit von meinen Großeltern gehört und auch in der Schule war das ja ein wichtiges Thema.“ Dazu kam die Musik. „Ich hörte die Ärzte, Slime und die Toten Hosen. In vielen Stücken ging es gegen Nazis.“ Die aggressive Stimmung der Musik vermischte sich mit dem Wissen um die Verbrechen der Nazis zu Hass. „Für mich war klar, ich will was gegen Nazis machen. Und machen hieß für mich: Wenn ich einen Nazi sehe, haue ich ihn um.“
Jan suchte und fand Verbündete. Junge Männer wie er, die keine Lust auf Theorien hatten und nicht diskutieren wollten. „Ich mochte von Anfang den ganzen Lifestyle nicht, den es in der Antifa-Szene gibt. Ein schwarzer Anorak muss billig sein und dafür sorgen, dass man in der Masse eines schwarzen Blocks als Einzelner auf den Filmen und Fotos der Polizei nicht mehr zu erkennen war. Es ist ein praktisches Kleidungsstück, nichts, was man am Abend im Club oder in der Kneipe anzieht ,um sich als cooler Autonomer am Tresen zu zeigen.“
Jans Gruppe war klein. Die älteren Nazi-Gegner vor Ort wollten mit ihnen erst nichts zu tun haben. In einige der Szene-Treffpunkte ließ man sie nicht hinein. „Wir wurden nicht agitiert. Das haben wir selbst erledigt. Unser einziges Ziel war es, Nazis zu verprügeln. Bei jeder denkbaren Gelegenheit.“ Dennis Giemsch, später einer der Gründer der Nazi-Partei Die Rechte, floh vor ihnen in Witten. NPD-Kandidaten erlebten unangenehme Überraschungen, wenn sie Nachts alleine in den Städten des Ruhrgebiets unterwegs waren. Und in mehr als einer Fußgängerzone gingen Stände rechter Gruppen zu Bruch, wenn Jan und seine Freunde in der Nähe waren. Sie sahen sich nicht als eine Elite an. Die Debatten und Streitereien der anderen linken Gruppen interessierten sie nicht. Ihr Ethos war der Kampf. „Später hatten wir ja immer mehr Kontakte zu größeren autonomen Gruppen und kannten auch die verschiedenen Bündnisse wie „Ums ganze“ oder die Rote-Antifa. Mit einzelnen von denen kamen wir auch immer mal persönlich gut klar. Wir gingen ja auch zusammen auf Demonstrationen.“
Es waren Demos gegen Nazis und das Ziel von Jan war, Nazi-Demos zu verhindern. „Es gibt in dem Spektrum der Nazi-Gegner viele, die für schöne Bilder von Protesten gegen Rechts sorgen wollen. Denen reichte es, wenn sie hunderte Meter entfernt von einem Nazi-Aufmarsch Plakate mit „Bunt statt braun“ in eine Kamera halten konnten. Ich finde das bis heute albern und glaube auch nicht, dass es etwas bringt. Nazis sind menschenverachtend und gewalttätig. Und das einzige, was sie davon abhält, Flüchtlinge zu jagen oder irgendwann wieder Juden zu vergasen, ist Gewalt. Ich weiß, das klingt nicht schön, aber Gewalt ist die einzige Sprache die sie verstehen. Der Preis, den man als Nazi dafür zahlt, Nazi zu sein, muss so hoch sein, dass keiner ihn mehr zahlen will.“
Jan und seine Freunde schwenkten keine Plakate, sie wollten Nazi-Aufmärsche stören. Entweder, indem sie versuchten, Polizeisperren zu durchbrechen und die Kundgebung der Rechtsradikalen anzugreifen oder aber, in dem sie Nazis auf dem Weg zum Sammelpunkt der Demonstration oder danach auf dem Rückweg überfielen.
Sowas kann man eine Zeit lang machen, aber es bleibt nicht ohne Konsequenzen: Jan stand schon vor seiner Volljährigkeit mehrfach wegen Körperverletzung vor Gericht. Er begann, Vorstrafen zu sammeln.
Gleichzeitig störte ihn, wie sich die Szene mit den Jahren veränderte: „Es ging immer weniger darum, Nazis zu bekämpfen. Doch das war, was mich interessierte. Die Antifa-Gruppen die ich kannte, zerstritten sich.“ Der Nahost-Konflikt war der Anlass, die Frage, wie man zu Israel steht, entschied zunehmend darüber, wer als Genosse, Kampfgefährte und Freund angesehen wurde oder wer als Feind. „Ich habe keine Ahnung vom Nahen-Osten und es interessiert mich auch nicht. Das sind nicht meine Probleme. Mein Problem sind Nazis in Deutschland. Aber für das Problem interessierten sich immer weniger aus der Szene. Sie kämpften nicht mehr gegen Nazis, sondern gegen sich selbst.“
Die Gruppen, mit denen Jan zu tun hatte, spalteten sich auf. Antiimperialisten gegen Antideutsche. Anhänger eines strengen, marxistisch-leninistischen Weltbildes stellten sich auf die Seite der Palästinenser, die ebenfalls kommunistischen Antideutschen solidarisierten sich mit Israel und waren jeden Antisemitismus, auch wenn er als Kritik an Israel daherkam.
„Mir waren diese Diskussionen fremd. Und mir waren sie auch zu abgehoben. Ich habe nicht studiert. Ich habe eine Berufsausbildung gemacht und wollte etwas gegen Nazis tun und nicht das ganze Internet mit Texten vollschreiben, die sowieso keiner liest.“
Die Strafen, die ihn irgendwann einmal in den Knast gebracht hätten, die Freunde aus der Antifa, die ihm immer Fremder wurden und seine Freundin, mit der er seit einem Jahr ein gemeinsames Kind hat: Jan stieg aus, ging nicht mehr auf Nazi-Jagd und auch nicht mehr auf Demonstrationen.
Als Linker sieht er sich noch, weil links sein für ihn vor allem bedeutet, gegen Nazis zu sein. Und er kennt immer noch Freunde, die Nachts mit dem Auto durch das Ruhrgebiet fahren und Nazis jagen. Nur Jan ist nicht mehr dabei.
ohje
"Als Linker sieht er sich noch, weil links sein für ihn vor allem bedeutet, gegen Nazis zu sein." Ja, toll, Isis und russische Nationalisten sind auch "gegen Nazis", die sind jetzt bestimmt auch links
Quatsch
Das behaupten sie vielleicht, aber in Wahrheit sind sie kaum besser.